Eine Lange Nacht über Franz Liszt

"Ich bin völlig erschöpft von meinem äußeren Leben"

Komponist Franz Liszt
Undatiertes Bild des Komponisten und Klaviervirtuosen Franz Liszt (1811 - 1886) © imago/United Archives
Von Barbara Giese |
Der ungarische Komponist Franz Liszt sollte eigentlich Geistlicher werden, der ehrgeizige Vater sah in dem Kind aber den Künstler. Später hatte er viele Affären. Exzentrische Frauen faszinierten ihn. Auf dem Höhepunkt seines Erfolges beendete Liszt überraschend seine Karriere.
"Das moderne Weltkind. Der Dämon des äußeren Erfolges verwirrt ihn immer wieder", so schrieb Richard Wagner über den 1811 im österreich-ungarischen Burgenland geborenen Franz Liszt.
Eigentlich wollte er Geistlicher werden, aber der ehrgeizige Vater sah in dem schwächlichen Kind den Künstler und ließ ihn bei dem bekannten Klavierpädagogen Carl Czerny unterrichten, dessen Etüden den Klavierschülern bis heute bestens bekannt sind. Anschließend ging Liszt auf Konzerttourneen durch Europa, um Geld für die Familie zu verdienen.
Nach dem Tod des Vaters und einer verbotenen ersten Liebe hatte Liszt viele Affären. Exzentrische, gebildete und oft auch hysterische Frauen faszinierten ihn. Nur mit zwei Partnerinnen hat er über einen längeren Zeitraum zusammengelebt. Mit der ersten Lebensgefährtin Marie d‘Agoult hatte Liszt drei Kinder. Seine Tochter Cosima heiratete gegen seinen Willen Richard Wagner.
Überraschend beendete Liszt seine Virtuosenlaufbahn auf dem Höhepunkt seines Erfolges, um sich als Komponist und Kapellmeister an den Weimarer Hof zu verpflichten und sorgte zusammen mit seiner zweiten Lebensgefährtin Fürstin Carolyne Sayn Wittgenstein für das Silberne Zeitalter der Tonkunst.
Bis an sein Lebensende 1886 reiste er scheinbar ruhelos zwischen Rom, Budapest und Weimar. Marie d‘Agoult erkannte schon früh: "Nie wird Frauenliebe ihm genügen, ihn zu trösten." Populäre Werke von ihm sind die "Ungarischen Rhapsodien" und der "Liebestraum".
Die in die Moderne weisenden Kompositionen, die kunstvollen Lieder und die geistliche Musik hingegen sind nahezu unbekannt geblieben.

Frauenheld, "Salonlöwe" und Komponist

Franz Liszt steckte voller Widersprüche. Bis auf ein paar ewige "Hits" wie der Franz Liszt - Liebestraum No. 3 sind seine Kompositionen bis heute weitgehend unbekannt geblieben.
Wie Wolfgang Amadeus Mozart von Leopold Mozart wurde der junge Franz Liszt von seinem musizierenden Vater Adam Liszt zum Wunderkind mit großen Ehrgeiz gezwungen. Am 22. Oktober 1811 im Burgenland geboren, erfüllte das kränkelnde Kind alle Bestimmungen, die der Vater für ihn beschlossen hatte.

"Es ist schon fantastisch, dass der Vater von Franz Liszt sich wie ein zweiter Leopold Mozart vorgekommen ist. Alle Frustrationen, die der Vater selbst in seinem Leben erlebt hat, sollte sein Sohn durch die Karriere wieder gut machen. Auf der anderen Seite erstaunt mich, dass er doch richtig investiert hatte. Obwohl der kleine Franz ein schwächliches Kind war, hat er alle Bestimmungen erfüllt, die der Vater ihm aufbürdete." (Nike Wagner, Ururenkelin des Komponisten)

Wien und Carl Czerny

Die Familie zieht mit dem neunjährigen Jungen nach Wien zu dem berühmten Klavierpädagogen Carl Czerny. Carl Czerny ist auch heute noch für seine Etüdenbände bei Klavierschülern bekannt.


Damals wusste man, dass der Pädagoge begabte Schüler unentgeltlich förderte. Carl Czerny schreibt in den "Erinnerungen aus meinem Leben" über seinen Schüler:

"Da ich aus mancher Erfahrung wusste, dass gerade solche Genies, wo die Geistesgaben der physischen Kraft vorauseilen, das gründlich Technische zu versäumen pflegen, so schien es mir vor allem nötig, die ersten Monate dazu anzuwenden, seine mechanische Fertigkeit dergestalt zu regeln und zu festigen, dass sie in späteren Jahren auf keinen Abweg mehr geraten könnte. In kurzer Zeit spielte er die Skalen in allen Tonarten mit aller der meisterhaften Geläufigkeit, welche seine, zum Klavierspiel höchst günstig organisierten Finger möglich machten. Da er jedes Tonstück äußerst schnell einstudieren musste, so eignete er sich das Avista-Spielen endlich so an, dass er fähig war, selbst bedeutende, schwierige Kompositionen öffentlich vom Blatte weg zu spielen, als ob er sie lange studiert hätte. Ebenso bestrebte ich mich, ihm das Phantasieren anzueignen, indem ich ihm häufig die Themen zum Improvisieren aufgab."

Die Schulbildung wird nun nicht mehr weiter verfolgt, aber Franz erhält Kompositionsunterricht bei Antonio Salieri, dem vermeintlichen Gegenspieler Mozarts. Nach knapp einjährigen Klavierunterricht soll Franz Liszt in Paris bei Luigi Cherubini studieren. Als diese Pläne an den Bestimmungen des Konservatoriums scheitern, muss der junge Liszt den Lebensunterhalt für die Familie verdienen. Pariser Konzert und der erste Auftritt am Pariser Hof Anfang 1824 lösen eine regelrechte Hysterie aus:

"Der junge Liszt ward indessen so zu sagen, die Puppe aller jungen Frauen von Paris. Überall wurde er geliebkost und gehätschelt. Seine losen Streiche und Possen, seine Launen und Possen, seine Launen und Grillen wurden alle angemerkt und vielfach erzählt, alles fand man entzückend. In einem Alter von 12 Jahren hatte er die Leidenschaft erregt, Eifersucht geweckt, Hass entzündet; alle Köpfe drehten sich um ihn; man war in ihn vernarrt. "
Eine Matinée bei Liszt 1864
Eine Matinée bei Liszt. V.l.n.r.: Kriehuber, Berlioz, Czerny, Liszt, Ernst. Lithographie von Josef Kriehuber. 1846.© picture alliance/dpa/Foto: Josef Kriehuber

Konzertreisen durch Europa

Die Mutter zieht nach Graz zu Verwandten, während der Vater ihn auf Konzertreisen durch Europa begleitet. Der 15jährige Liszt führt auf diesen Reisen Tagebuch:

"Die meisten Menschen, die der Eitelkeit verfallen sind oder weltlichem Verlangen erliegen, suchen jede Gelegenheit, sich in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Die Einsamkeit ist ihnen unerträglich; sie fürchten es, mit sich allein zu sein, und ihr ganzes Leben spielt sich in einem fortwährenden Kreislauf nichtiger und oftmals gefährlicher Beschäftigungen ab. Doch sie finden das Glück nicht, nach dem sie sich sehnen; sie ernten im Gegenteil nur Verwirrung und Leid. Man darf sich nicht darüber wundern. Nur in Gott, nur in seinem eigenen Herzen, wenn dort die Liebe herrscht, wird der Mensch die wahre Glückseligkeit finden."
Sein Leben verändert sich schlagartig, als der Vater nach der dritten England während einer Bäderkur plötzlich schwer an Typhus erkrankt und wenige Tage später im Alter von 50 Jahren stirbt.

Eiffelturm um 1900
Eiffelturm mit Weltausstellung von 1900, historische Ansichtskarte.© imago/imagebroker
Liszt bestreitet den Lebensunterhalt für sich uns seine Mutter mit Klavierstunden, der Widerwille gegen öffentliche Auftritte ist so stark, dass er in dieser Zeit keine Konzerte mehr gibt. Nach einer unglücklichen Liebe erkrankt er schwer und zieht sich monatelang aus der Öffentlichkeit zurück, so dass ein Gerücht aufkommt, dass er schon gestorben sei. Nach dieser Krise beginnt sich Liszt zu verändern. Er beschäftigt sich mit den Ideen des Sozialutopisten Graf Henri de Saint-Simon und dessem neuen Gesellschaftsbild. Er raucht und trinkt, sitzt in den Caféhäusern und kommt zu spät zu seinen Unterrichtsstunden. Er vernachlässigt seine Technik und liefert nur widerwillig die Kunststückchen der Virtuosenkarriere ab. Nun tritt er wieder öffentlich auf, allerdings mit anderen Werken, als die, die das Publikum von ihm erwartet.

"Ich trug häufig Werke von Beethoven, Weber und Hummel sowohl öffentlich, wie in den Salons vor, wobei man nie ermangelte, die Bemerkung zu machen, dass meine Stücke "sehr schlecht gewählt" seien; ja ich ging leichtfertiger Weise so weit, eine Menge Läufe und Kadenzen beizufügen, die mir allerdings den Beifall der Unwissenden gesichert haben, mich aber Wege, welche ich glücklicherweise bald wieder verließ."

In einem der Salons lernt er Marie d‘Agoult kennen

Obwohl Marie d‘Agoult verheiratet ist, werden die beiden schnell ein Paar. Die beiden treffen sich lange heimlich. Zwischzeitlich reist Liszt zu dem von ihm verehrten väterlichen Freund Félicité de Lamennais. Als Marie d‘Agoult von Liszt schwanger wird, verläßt das Paar Paris und die sogenannten Pilgerjahre, die Années de pèlerinage.
Marie d‘Agoults Ehe wird in ihrer Abwesenheit geschieden. Sie und Liszt heiraten dennoch nicht. Drei Kinder werden geboren: Blandine, Cosima und Daniel. Die Kinder werden in Obhut gegeben. Das Paar reist durch die Schweiz, Frankreich und Italien.

Als die Donau über die Ufer tritt und die ungarische Bevölkerung unter der Flut leidet, entdeckt Liszt seine Liebe zur "Heimat", die er seit seiner Jugend nicht mehr gesehen hat. Er kehrt zurück zum Virtuosentum und spielt in Wien mit großem Erfolg Benefizkonzerte für die Opfer der Flut. Auch für das Beethovendenkmal in Bonn spielt Liszt weiterhin Benefizkonzerte und arbeitet an der Planung des Festaktes mit. Er ist wieder der gefragte Virtuosenstar.

Aber immer wieder ist er erschöpft von dem turbulenten Leben:

"Ich bin von alledem erschlagen. Wien lastet in einem Grade auf mir, wie ich es nicht sagen kann; ich hoffe übermorgen abzureisen. Meine Freunde drangen sehr darauf, dass ich noch ein Konzert gebe, für das Beethoven-Denkmal. Ich habe es abgelehnt. Das Klavier ist mir zuwider."
Komponist Franz Liszt
Der ungarische Komponist, Pianist und Dirigent Franz Liszt.© imago/United Archives International

Affären belasten seine Beziehung zu Marie d‘Agoult

Die Damenwelt liegt ihm zu Füßen. Zahlreiche Affären werden ihm nachgesagt. Die Beziehung zwischen Liszt und Marie d‘Agoult wird immer schwieriger.

Auf der Rheininsel Nonnenwerth erleben die beiden zusammen mit ihren Kindern noch einige idyllische Sommerwochen. Dann geht er wieder auf Londontournee. Diese sind finanziell ein Misserfolg. Marie d‘Agoult beginnt in seiner Abwesenheit einen autobiographischen Roman zu schreiben. In dem Buch "Nélida" vergilt sie unter dem Pseudonym Daniel Stern Franz Liszt alle Kränkungen während ihrer Beziehung.

Im April 1844 trennen sich Liszt und Marie d‘Agoult. Im August 1845 wird nach mehrjähriger Planungsphase und vielen Hindernissen im Vorfeld das Beethovendenkmal in Bonn eröffnet. Liszt wurde sein Einsatz nicht gedankt. Nach den Feierlichkeiten war er lange entmutigt. Dann begibt er sich wieder auf eine 18-monatige Tournee diesmal durch Osteuropa. Dort begegnet er seiner zweiten Lebensgefährtin, der verheirateten Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein.

"Ich halte mich für einen ziemlich guten connaisseur in Sachen Schönheit und behaupte, dass die Fürstin schön, sogar sehr schön ist, von jener tiefen und unbezwingbaren Schönheit, wie sie nur das Leuchten der Seele auf ein Gesicht zaubern kann."

Die Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein verlässt mit ihrer Tochter ihre ukrainische Heimat und lässt mich mit Liszt in Weimar nieder.

Liszt in Weimar

Liszt hat dort eine Stelle als Kapellmeister erhalten. Die Großherzogin von Weimar Maria Pawlowna ist die Schwester des Zaren. Ziemlich genau in der Hälfte seines Lebens bricht Liszt nun seine Virtuosenkarriere jäh ab. Liszt komponiert nun symphonische Werke, dirigiert neue Werke und fördert unbekannte Komponisten. In Weimar soll er nach der Goldenen Zeit Goethes und Schillers mit dem Aufbau des Musiklebens anknüpfen und das kulturelle Leben dort wieder aufleben lassen. Zusammen mit Richard Wagner will er Weimar zum Zentrum der Neuen Musik aufbauen.

Als Wagner nach den Dresdner Maiaufständen als Revolutionär steckbrieflich gesucht wird, erhält er von Liszt ideelle und materielle Unterstützung. Das Publikum in Weimar wünschte sich allerdings den populären Virtuosen, nicht den Förderer der neuen Musik. Auch Brahms und Schumann wenden sich gegen die neue Musikausrichtung.

Bei den Streitschriften zum sogenannten Musikstreit über die richtige Musikästhetik hält sich Liszt überwiegend zurück. Aber auch seine 12 symphonischen Dichtungen, denen jeweils ein Programm, Vorwort oder Gedicht vorangestellt ist, wurden zum Zankapfel der unterschiedlichen Strömungen.
Der Komponist Richard Wagner, Foto eines Gemäldes von 1843
Der Komponist Richard Wagner, Foto eines Gemäldes von 1843© picture alliance / dpa / Zentralbild
Der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick urteilte:

"Fest halte ich an der Überzeugung, dass man aus all den üblichen Apellationen an das Gefühl nicht ein einziges musikalisches Gesetz ableiten kann."

Ein Treffpunkt für Künstler aus ganz Europa

Die Altenburg, auf der Liszt und Carolyne Sayn-Wittgenstein mittlerweile zusammen leben, wird zum Treffpunkt für Künstler aus ganz Europa.

Aber der Rückhalt des Hofes lässt nach zehn Jahren nach, so dass Liszt enttäuscht Weimar verlässt. Carolyne Sayn-Wittgenstein kämpfte die ganzen Jahre um die Annulierung ihrer erzwungene Ehe, damit sie und Liszt von der katholischen Kirche getraut werden können.

Am Vorabend der geplanten Trauung 1861 in Rom kommt die überraschende Absage des Papstes. Carolyne Sayn-Wittgenstein und Liszt bleiben in Rom. Liszt wendet sich der Kirchenmusik zu und komponiert Messen und Oratorien. Die mittlerweile erwachsene Tochter Cosima verlässt gegen den Willen ihres Vaters ihren Ehemann Hans von Bülow, einem ehemaligen Schüler Liszts, um mit Richard Wagner zusammenzuleben.


1865 empfängt Liszt die Niederen Weihen und wird Abbé. Fortan ist er überwiegend zwischen Weimar, Rom, Ungarn und Bayreuth unterwegs. Verschiedene zukunftweisende Kompositionen entstehen, wie die "Nuages gris", die "Lugubre Gondola" oder die Kreuzweg-Kantate "Via crucis".

"Man versteht seinen Genius noch nicht – viel weniger als den von Wagner, weil Wagner eine Reaktion der Gegenwart repräsentiert; Liszt aber hat seinen Speer viel weiter in die Zukunft geworfen. - Es werden mehrere Generationen vergehen, bevor er ganz und gar begriffen wird." (Carolyne Sayn-Wittgenstein)
Der ungarische Komponistt Franz Liszt 
Franz Liszt wurde 74 Jahre alt. (undatiertes Foto) © imago/United Archives International
Im Februar 1886 begegnet er in Paris Claude Debussy. Am 31. Juli 1886 stirbt Franz Liszt in Bayreuth.
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