Als die Mittelmeerinsel Malta noch britische Kolonie war, besuchte ein englischer Offizier ein Fest in einem alten Stadtpalast in der Hauptstadt Valletta. Es wurde viel getrunken und getanzt und beim Weggehen vergaß der Offizier seine Armbanduhr, die er auf einem Tischchen abgelegt hatte. Am nächsten Morgen bemerkte er den Verlust und begab sich zu dem Haus. Keiner ließ ihn ein, aber mehrere Nachbarn, die sein Klopfen gehört hatten, sagten ihm, dass dieses Haus schon seit vielen Jahren nicht mehr bewohnt sei. Aufgrund seiner Stellung in der britischen Armee gelang es dem Offizier, sich dennoch Zugang zu verschaffen. Alle Fenster waren verschlossen, die Möbel mit Tüchern verhängt, die Parkettböden glanzlos und mit Staub bedeckt. Aber auf einem kleinen Tisch im Ballsaal lag seine Armbanduhr.
Im Auge der Sonne – ein Buch von Francis Ebejer:
Das Buch "Im Auge der Sonne" - im Original: "In the Eye of the Sun" - von Francis Ebejer aus dem Jahr 1969 war Vorbild für den Titel dieser Langen Nacht. Francis Ebejer war einer der bedeutendsten maltesischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. 1993 ist er gestorben.
Diese Geschichte ist typisch für Malta. Raum und Zeit scheinen sich auf der gerade mal 246 Quadratkilometer großen Hauptinsel anders ineinanderzufügen als im Rest der Welt.
"Das Mittelmeer ist im Zentrum und Malta ist im Zentrum des Zentrums", sagte der Schriftsteller Francis Ebejer in einem Interview 1996. In seinen Büchern und Theaterstücken hat er sich immer wieder mit der besonderen Verschränkung von Raum und Zeit auf seiner Heimatinsel beschäftigt.
Maltas Geschichte und der Orden
Malta: Blick auf die Hauptstadt Valletta© dpa / Lehtikuva Wennström
Im zweiten und dritten Jahrtausend vor Christus entstanden auf Malta und der Nachbarinsel Gozo Megalithtempel und unterirdische Heiligtümer, die heute zum Weltkulturerbe gezählt werden. Die Kultur der Tempelbauer erlosch um 2500 vor Christus.
Als die Ritter vom Johanniterorden 1530 auf die Insel kamen, die ihnen von Karl V. als Lehen zuerkannt worden war, lebten etwa 20.000 Menschen auf Malta. Nur die Hauptstadt Mdina im Landesinneren war befestigt, aber die mittelalterlichen Wehranlagen hätten den Türken nur wenige Tage standgehalten. Also konzentrierte sich der Orden auf die Befestigung der Hafenstädte Birgu und Senglea und die Erneuerung des Forts St. Angelo. Das Geld für die aufwendigen Arbeiten kam durch die Beutezüge der Ritter im östlichen Mittelmeerraum. Auf diesen Kaperfahrten wurden auch muslimische Gefangene gemacht, die als Sklaven auf den Galeeren und bei den Bauarbeiten auf Malta eingesetzt wurden.
"Die Ritter hatten ihre eigene Marine, die wahrscheinlich nie viel größer als etwa sechs Galeeren war, aber sie war sehr, sehr effizient. Das war ihr Markenzeichen. Mit ihren Kriegsgaleeren konnten die Ordensritter den Osmanen erheblichen Schaden zufügen. Das war wahrscheinlich einer der Gründe für den Angriff und die Belagerung von Malta, weil die Hospitaler oder die Ritter die osmanischen Handelsverbindungen immer wieder unterbrochen haben, besonders auf der sehr wichtigen Strecke zwischen Alexandria und Konstantinopel. Alle Küstenbereiche unter osmanischer Kontrolle wurden ständig von den Rittern angegriffen. Darum waren sie ja auf Malta, die Störung der muslimischen Handelsbeziehungen und der ständige Angriff auf die Außenposten war ein Teil des christlich - muslimischen Konflikts. Der türkische Angriff von 1565 kommt, weil die Osmanen die ganzen Unterbrechungen satt hatten, sie wollten versuchen, die Ritter ein für allemal zu zerstören, um diese Bedrohung zu stoppen." (Emanuel Buttigieg)
Infolge der Großen Belagerung im Jahr 1565 wurde 1566 die
Festungsstadt Valletta gegründet, die nach dem damaligen Großmeister des Ordens, Jean Parisot de la Valette, benannt ist. Die neue Stadt mit ihren ausgeklügelten Verteidigungsanlagen und der Ausbau des Hafens machten Malta in wenigen Jahrzehnten zu einer Drehscheibe des europäischen Handels.
Buchtipp:
In der Langen Nacht wird immer wieder aus dem Buch "Das Sakrament" von Tim Willocks zitiert. Der Roman handelt von der Zeit, als die Insel von den Türken belagert wurde. Im Mittelpunkt steht der Deutsche Mattias Tannhäuser, der dem Orden gegen die osmanische Übermacht helfen soll. Tim Willocks: "Das Sakrament", Rütten & Loening Berlin 2006, 759 Seiten, ISBN: 978-3352007392, Preis (Taschenbuch): 12,95 Euro. Übersetzung aus dem Amerikanischen von Ulrike Seeberger.
Fast 300 Jahre lang war Malta im Besitz des Johanniterordens, der das Gesicht der Insel geprägt hat. Die Festungsbauten und die Paläste in Valletta und anderen Städten sind das materielle Zeugnis der Ordensritter, aber ihr Erbe geht noch tiefer. Der Historiker
Emanuel Buttigieg erklärt, wie sehr die maltesische Identität bis heute von dieser Zeit bestimmt wird.
"Die Präsenz der Ordensritter führt zu einem enormen Anwachsen der Bevölkerung, weil die Ritter Sicherheit und wirtschaftlichen Wohlstand garantieren. In kurzer Zeit wächst die Bevölkerung von 20.000 auf 100.000 Seelen an. Noch wichtiger ist, dass Malta unter den Rittern zu einem urbanen Ort wird. Das war vorher nicht wirklich so. Viele Menschen - wir denken über 35 Prozent der Bevölkerung - lebten in den Hafenstädten. Und das bedeutet auch einen ständigen Kontakt und Austausch mit anderen Orten auf der Welt. Dann gibt es einen konstanten Zustrom von Einwanderern. Sizilianer, Italiener, Franzosen, Spanier und andere. Es sind meist Männer. Sie kommen hierher, um Arbeit zu finden, dann heiraten sie einheimische Frauen und sie werden Teil der Gemeinschaft. Ohne die Einwanderung hätte Malta sich nicht so schnell entwickelt, das wird oft verdrängt. Der Kontakt mit den Rittern bedeutet auch, dass mehr Sprachen hinzukommen, sogar die maltesische Sprache entwickelt sich in diesen Jahren. Am Ende der Ritterzeit klingt sie weniger arabisch, weil mehr romanische Wörter - französische, italienische, spanische - in die Sprache integriert sind. Maltesisch wird latinisiert. Und wir haben immer noch ein bisschen das Gefühl, die Insel der Ordensritter zu sein. Das ist mittlerweile auch ein Marketingkonzept, aber das Gefühl, an einer Grenze zu leben, der letzte Außenposten Europas zu sein, die Grenze der christlichen Welt zu sein, das ist tief in unserer Psyche verankert."
Als Napoleon auf seinem Weg nach Ägypten 1798 Malta einnimmt, muss der Johanniterorden die Insel verlassen. Aber die Einheimischen sind nicht bereit, sich der Herrschaft eines neuen Kriegsherren zu unterwerfen. Maltesische Aufständische rufen die Briten zu Hilfe. Und schon zwei Jahre später müssen die Franzosen abziehen. Auch das sei Teil unseres europäischen Erbes, sagt die Professorin
Vicki Anne Cremona, die an der Universität von Malta das Institut für Theater und Tanz leitet. In ihren Büchern über die Commedia del Arte und andere traditionelle Formen des Theaters, beschäftigt sie sich mit dem Zusammenhang zwischen Politik und Kultur:
"Das erste Stück, das im Manoel Theater aufgeführt wurde, hieß Meropé, ein revolutionäres Drama von Scipione Maffei, das schon in Italien für Furore gesorgt hatte. Es wollte die neuen Ideen der Aufklärung verbreiten. Das war im 18. Jahrhundert, als Valletta boomt, und die Ideen der Aufklärung große Denker wie Vassali beeinflussen, der ein Lexikon für Malta schreibt. Als die Briten nach Malta kamen, war das erste, was die Malteser ihnen vorlegten, ein Forderungskatalog, der ihre Rechte zur Grundlage hatte. Es ging um grundlegende Menschenrechte, die in den intellektuellen Kreisen von Valletta diskutiert wurden. Und man erwartete von den Briten - die ja nicht als Eroberer kamen, sondern auf Einladung der Malteser -, dass sie diese Rechte respektieren. Was die Briten natürlich nicht getan haben, aber das ist eine andere Geschichte. Wichtig ist, dass die Malteser ihren neuen Schutzpatron mit einer Forderung nach Einhaltung der europäischen Menschenrechte konfrontierten."
Im Zweiten Weltkrieg spielte Malta eine wichtige Rolle als "unversenkbarer Flugzeugträger" der Briten, von dem aus Nachschub und Vormarsch des deutschen Afrikakorps behindert wurde. Valletta und der Hafen wurden durch deutsche und italienische Bomberverbände massiv angegriffen, die Erinnerung an diese Zeit ist bis heute im kollektiven Bewusstsein verankert.
1964 erlangte die Insel ihre Unabhängigkeit, blieb aber Mitglied des Commonwealth. Seit der Ausrufung der Republik im Dezember 1974 ist die Queen nicht mehr das Staatsoberhaupt. Im Mai 2004 trat Malta der Europäischen Union bei.
Die ermordete maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia, die am 16. Oktober 2017 durch eine Autobombe getötet wurde.© AFP/Matthew Mirabelli
Ein Einschnitt war die Ermordung der Journalistin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017. Die regierungskritische Journalistin und Bloggerin setzte sich mit Geldwäsche und Korruption auseinander. Sie starb durch eine Autobombe. Die Sprengladung wurde gezündet, wenige Minuten nachdem sie sich von ihrer Familie verabschiedet und ihr Haus verlassen hatte.
Gegenüber dem Gerichtsgebäude in der Republic Street steht ein Denkmal zur Erinnerung an den Sieg des Johanniterordens über das osmanische Reich, das im Jahr 1565 die Insel belagerte. Es ist zu einer Erinnerungsstätte an die engagierte Journalistin umfunktioniert worden. Unter den drei Bronzestatuen, die Glauben, Zivilisation und Wagemut repräsentieren, liegen Blumen und Kränze, am Sockel des Denkmals sind Banderolen angebracht, die eine lückenlose Aufklärung des Mordfalls fordern. Mehrere Male hat die Stadtverwaltung schon die Fotos und die Spruchbänder entfernen lassen, aber die Menschen machen immer weiter. Auf einem Zettel an der Mauer steht: "Ihr könnt dieses Mahnmal entfernen, aber das löscht eure Schande nicht aus." Das
Daphne Project ist von verschiedenen internationalen Medien ins Leben gerufen worden, um die Arbeit der investigativen Journalistin weiterzuführen.
Projekt "Dal Bahar Madwhara"
Im alten Prüfungszentrum am Fort St. Elmo haben Künstler aus dem ganzen Mittelmeerraum Installationen geschaffen, die sich mit der Frage beschäftigen, ob "die Insel ein Ort der Zuflucht ist, oder ein Ort, dem man zu entkommen sucht".
An vielen Orten in der Stadt arbeiten Künstler mit diesem Thema. Besonders interessant ist das Projekt
"Fleeting Territories – Mapping Malta". Das Projekt schaut in Form von Karten auf die Geschichte zurück, spekuliert aber auch, wie die Zukunft aussehen könnte. An der Ausarbeitung der historischen und der vorgestellten Karten sind Grafiker des Kollektivs
"The Amber Spark" beteiligt, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, kreativen Menschen aus ganz verschiedenen Disziplinen eine Plattform zu bieten.
Nach dem Sieg der Ordensritter über die Türken im Sommer 1565 rechnete man schon bald mit einem neuen Angriff. Der Architekt
David Felice erzählt, dass die Ritter beim Bau der Stadt Valletta keine Zeit gehabt hätten, den Höhenzug des Monte Sciberras abzuflachen, das erkläre die steilen, nach beiden Seiten zum Meer hin abfallenden Straßen. Die rechtwinklig angelegte Stadt ist von gewaltigen Festungswerken umschlossen, die bis heute nichts von ihrer Wuchtigkeit verloren haben. Gerade deshalb sei die
Neugestaltung des Stadttors durch Renzo Piano() so bedeutsam, sagt David Felice.
"
Renzo Piano hat das Tor neu interpretiert als einen Ort, der idealerweise offen ist und einlädt, in die Stadt einzutreten. Aber er erkannte auch, dass das Tor wahrscheinlich der einzige Ort ist, an dem man durch die Befestigungen geht. Es ist der einzige Ort in der Stadt, an dem man einen Eindruck davon bekommt, wie massiv die Festungsmauern sind."
Am Fuß der Festungsmauern befindet sich der Eingang zu den
Lascaris War Rooms, ein tief im Felsen angelegter Komplex von Tunneln und Räumen, die im Zweiten Weltkrieg die Kommandazentrale der Briten für den Mittelmeerraum beherbergten. 1943 wurde von den Alliierten hier die Landung auf Sizilien vorbereitet. Nach dem Krieg befand sich in den Lascaris War Rooms die Kommunikationszentrale zur Überwachung sowjetischer U-Boote im Mittelmeer.
Heute befindet sich hier ein Museum, welches dies thematisiert.
Am Fort St. Elmo befindet sich die Sacra Infermeria, das Heilige Hospital der Johanniter, das lange Zeit das modernste Krankenhaus im Mittelmeerraum war. Die riesigen Krankensäle auf zwei Etagen werden heute als
Konferenzzentrum genutzt, außerdem hat die
nationale Tanzkompanie Zfinmalta hier ihre Probenräume.
Es ist das erste Hospital, das die Ritter nach ihrer Ankunft auf Malta 1530 eingerichtet hatten. Es ist auch der hervorragenden Versorgung ihrer Verwundeten zu verdanken, dass die Ordensritter den Angriffswellen der Türken so lange standhalten konnten. Zitat aus "Das Sakrament" von Tim Willocks:
"Der große Krankensaal war 200 Fuß lang und hatte nach Süden hin eine Reihe von Fenstern mit Fensterläden. Der Torbogen des Eingangs war mit maltesischem Stein eingefasst. Über dem Bogen waren die Worte Tuitio Fidei et Obsequium Pauperum eingemeißelt, das Motto des Ordens, das sie als Verteidiger des Glaubens und Diener der Armen kennzeichnete.
Altstadtgasse Valletta© Harald Brandt/Deutschlandradio
Zwei Reihen von je 50 Betten standen einander zu beiden Seiten des Mittelgangs gegenüber. Alle Betten hatten einen roten Betthimmel mit Vorhängen, gute Matratzen und feine Leintücher. Rüstungen, Kleidungsstücke und Waffen lagen in Haufen unter den Betten.
Die Patienten aßen von silbernem Geschirr, denn die Mönche legten großen Wert auf Reinlichkeit. Der Boden war aus Marmor und wurde dreimal am Tag geputzt. In Weihrauchfässern brannte Tyrusholz, um die Luft zu reinigen, den Geruch der Verwesung zu verdrängen und die Fliegen zu vertreiben. Am anderen Ende des Raumes befanden sich ein Altar, an dem zweimal am Tag die Messe gelesen wurde, und dahinter ein Kruzifix.
An der den Fenstern gegenüberliegenden Wand hing die hochverehrte Fahne, unter der die Ritter ihre Festung auf Rhodos verlassen hatten. Sie zeigte die Jungfrau Maria und das Christuskind über dem Motto 'Afflictis Tu Spes Unica Rebus' - In all unseren Anfechtungen bist Du unsere einzige Hoffnung."
Über das Kulturhauptstadtprogramm
Das Europäische Kulturhauptstadtjahr soll, so wünschen es sich die Initiatoren von
Valletta 2018 eine soziale, kulturelle und politische Erneuerung auf der Insel befördern. Unter dem Motto "Valletta 2018: An Island-Wide Festa" soll das Verbindende auf ganz Malta zelebriert werden.
Karsten Xuereb, der bis 2017 als künstlerischer Leiter des Kulturhauptstadtprogramms tätig war, beschäftigt sich heute mit Fragen des Urbanismus im europäischen Kontext. Die Entwicklung seiner Insel sieht der Kulturwissenschaftler sehr kritisch.
"In den frühen 2000er-Jahren gab es viele Diskussionen und Bemühungen, unterstützt durch Institutionen wie den British Council, das Goethe-Institut, die Alliance Française in Zusammenarbeit mit maltesischen Institutionen. Zum ersten Mal wurde Kultur als eigenständiger Zweig der Politik anerkannt, es wurde eine Stelle für das Kulturerbe eingerichtet, Heritage Malta, und ein richtiges Kultusministerium gegründet. Es gab einen Elan, es gab den Versuch, unseren Platz im europäischen und mediterranen Kontext neu zu definieren. Positiv ist, dass wir uns dem europäischen Kulturhauptstadt-Szenario angeschlossen haben, wir feiern das Europäische Jahr des Kulturerbes. Das können wir tun, aber wie es gemacht wird, spiegelt eher den nationalistischen, patriarchalischen Weg wider. Da kommt die alte Silo-Mentalität wieder durch. Ja, wir sind keine Tunesier, weil wir nicht Nordafrikaner sind, wir sind keine Araber, aber irgendwie möchten wir auch anders sein als unsere unmittelbaren europäischen Nachbarn, anstatt uns in einer europäischen Familie zu engagieren. Man muss ja nicht mit allem einverstanden sein, aber man sollte versuchen, eine Struktur des Dialogs zu finden, die auch den Widerspruch duldet. Also, eine offene Diskussion, wie wir unser Leben verbessern können, anstatt Mauern hoch zu ziehen." (
Karsten Xuereb)
Manoel Theater in Valletta© Harald Brandt/Deutschlandradio
Valletta sei ein Beispiel für die Synthese verschiedener Kulturen, meint die Professorin und frühere Botschafterin ihres Landes in Tunesien Vicki Anne Cremona. Ihrer Vorbereitungsarbeit auf europäischer Ebene ist es zu verdanken, dass Malta überhaupt den Zuschlag für den Status einer Kulturhauptstadt bekam. Denn es ginge nicht nur um Valletta, sagt sie, alle Städte auf der Hauptinsel und auch auf der kleineren Nachbarinsel Gozo sollten von dem Programm profitieren.
"Valletta ist von den Malteserrittern als Symbol des Triumphes konzipiert worden. Die Stadt ist das Symbol für einen Sieg, den die Europäer und die Malteser gemeinsam errungen hatten. Die Ritter kamen aus allen Teilen Europas - aus Schweden, aus Deutschland, aus England, aus Spanien, aus Italien, aus Frankreich und so weiter. Es waren also Vertreter aus fast allen Ländern Europas, die Seite an Seite mit den Maltesern gegen das Osmanische Reich gekämpft und gewonnen hatten. Valletta als Symbol für diesen gemeinsamen Kampf sollte eine Stadt für alle Menschen werden. Neben den Ordensrittern waren auch alle Kategorien der maltesischen Gesellschaft vertreten. Von den Reichen bis hin zu den Armen, die in den Palästen als Personal angestellt waren. Ein Querschnitt durch die gesamte maltesische Bevölkerung. In diesem Sinn repräsentiert Valletta wirklich das Zusammenkommen verschiedener Kulturen."
Von dieser Idee ist unter dem neuen Team, das nach der Wahl 2013 das Ruder übernommen hat, nicht mehr viel übriggeblieben. Valletta 2018 hätte die Chance für eine Erneuerung der kulturellen Infrastruktur sein können, sagt Vicki Anne Cremona, eine Chance, die von anderen Kulturhauptstädten genutzt wurde, die Malta, ihrer Meinung nach, aber nicht wahrgenommen habe.
Zejtun ist eine kleine Stadt südlich von Valletta. Der Platz vor der Kirche strahlt noch die Atmosphäre eines traditionellen Zentrums aus. Im Pandora Theater hat die nationale Ballettkompanie Zfinmalta gerade "Carmen" gezeigt. Mit dieser Choreografie des früheren Ballettdirektors Jose Agudo tourt die Kompanie durch Malta und will vor allem die kleinen, oft kaum noch genutzten Bühnen in den Dörfern wieder zu neuem Leben erwecken.
Nach der Aufführung treffen sich die Tänzer und einige der Zuschauer vor dem Band-Club, dem Klubhaus der Dorfkapelle. Meistens gibt es zwei Klubhäuser in den Dörfern, das eine gehört zur Labor-Partei, das andere zu den Nationalisten. Diese Dualität bestimme das Leben auf Malta und gelte für alle gesellschaftlichen Bereiche, meint der Kunstdozent Raphael Vella. Nur bei den Festas, den traditionellen Feiern des Dorfheiligen, kommen alle zusammen. Aber das sei nur ein kurzer Moment, danach stünden wieder Rivalität und Konkurrenzdenken auf der Tagesordnung.
"Rivalitäten gibt es überall, aber je kleiner die Gesellschaft, desto größer die Rivalitäten. Wir haben leider diese bipolare Ausrichtung in Malta, die Jahrhunderte zurückreicht. Das ganze Land ist extrem gespalten, alles wird sofort politisiert und entweder der einen oder der anderen Partei zugeordnet. Wenn man die aktuelle Regierung in bestimmten Punkten kritisiert, wird man sofort als nationalistisch, also zur Oppositionspartei gehörig, eingestuft. Und das macht eine objektive Diskussion sehr schwierig. Aber ich denke nicht, dass die Lösung darin besteht, alle Differenzen unter den Teppich zu kehren und so zu tun, als gäbe es keine Probleme. Ich bin zum Beispiel nicht damit einverstanden, dass die europäische Kulturhauptstadt in Valletta nur unter dem Sammelbegriff der Festa betrachtet wird. Festa ist ein Teil der maltesischen Kultur und viele Menschen widmen ihr Leben der Ausrichtung und Organisation der Feierlichkeiten -und ich respektiere das. Aber die gesamte europäische Kulturhauptstadt in diesem Jahr als ein großes Fest zu betrachten, halte ich für falsch." (Raphael Vella)
Kreuzfahrtschiff im Grand Harbor, Valletta© Harald Brandt/Deutschlandradio
An manchen Tagen liegen drei Kreuzfahrtschiffe im
Großen Hafen. Tourismus ist eine der Haupteinnahmequellen für die Mittelmeerinsel. Nicht an allen Orten gelingt es, die wirtschaftlichen Interessen mit der Bewahrung des reichen Kulturerbes zu verbinden. Aber die Neugestaltung der Kaianlagen unterhalb der Festungsmauern sei ein Beispiel für ein ausgewogenes Projekt, meint David Felice.
"Als wir die neuen Kais entwarfen, waren die Kreuzfahrtschiffe schon ziemlich groß, aber wir wussten, dass die Super-Cruise-Liner kommen werden. So ein Schiff will man nicht direkt neben der Festungsmauer haben, weil das die ganze Perspektive verändert. Wir wollten die Schiffe also in einer gewissen Entfernung halten und sie durch ein zusätzliches Wasserbecken von der Festungsmauer trennen. Da unten sieht man eine Reihe von alten Gebäuden, die außerhalb der Festungswälle sind. Die wurden gebaut, als die Angst vor dem Krieg nachließ und man mehr Platz für die Warenlager brauchte. Eines der ersten Projekte dieser Art wurde von Großmeister Pinto initiiert. Wir haben ein Dokument gefunden, das die Eröffnung der neuen Hafenanlagen Anfang des 18. Jahrhunderts beschreibt - zu dem Anlass wurde auch ein Musikstück komponiert. Die Speicher stehen sehr nah am Wasser und die Fassaden haben sich im Wasser gespiegelt. Das war sicherlich so gewollt. Lange Zeit wurde die Spiegelung durch ein Betonkai verhindert. Das haben wir aufgebrochen, um das zusätzliche Hafenbecken zu schaffen. Dabei haben wir das ursprüngliche Kai der Ritter gefunden mit den Stufen, die zu den Speicherhäusern führten. Wenn man jetzt auf diesem restaurierten Kai läuft, sieht man wieder die Spiegelung der Lagerhäuser im Wasser."
Geschützstellung St. James Cavalier
Kreativzentrum in St. James Cavalier, Valletta. Zentrales Atrium in der ehemaligen Zisterne© Harald Brandt/Deutschlandradio
Die Umgestaltung der ehemaligen
Geschützstellung St. James Cavalier am Castille Square in ein Nationales Kulturzentrum ist ein Beispiel für die Transformation von Räumen. Die Verwandlung der beiden riesigen Zisternen, die ganz Valletta mit Wasser versorgten, in ein Atrium und in einen Theaterraum sind eine Meisterleistung des maltesischen Architekten Richard England. Es ging darum, eine Struktur der Verteidigung und des Krieges in einen Ort der Versammlung und des kreativen Denkens zu verwandeln, sagt Toni Sant, Direktor von Espazju Kreativ.
"Die geringe Größe der Insel ist sowohl das Beste als auch das Schlimmste an Malta. Weil sie so klein ist, kann man etwas schneller in Ordnung bringen, aber es ist auch einfacher, etwas zu ruinieren. Weil sie so klein ist, muss man weniger Leute an einen Tisch bringen, um etwas zu entscheiden, aber es ist auch einfacher, dissidente Stimmen zum Schweigen zu bringen. Ich denke, dass die drei Grundbegriffe, die die Arbeit des Kreativitätszentrums definieren - Identität, Vielfalt und Vermächtnis oder Nachhaltigkeit - genau die Werkzeuge sind, die wir brauchen, um die großen Fragen anzugehen."
Zisterne der Ordensritter
Auf dem Platz vor dem Gerichtsgebäude, direkt neben dem Denkmal, das an die Große Belagerung im Jahr 1565 erinnert, befindet sich der Eingang zu einer
riesigen Zisterne, die von den Ordensrittern als Wasserspeicher für die neue Stadt angelegt worden war. Im Zweiten Weltkrieg wurden die unterirdischen Gewölbe als Luftschutzbunker für die Bevölkerung genutzt. Im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms hat die
Künstlerin Susan Philipsz hier eine Soundinstallation geschaffen, die an die Hoffnungen und Ängste der Menschen erinnern soll, die hier vor den deutschen und italienischen Bomben Zuflucht fanden.
Große Zisterne am Denkmal des "Great Siege", Valletta© Harald Brandt/Deutschlandradio
Der Untergrund von Valletta ist vielschichtig, meint David Felice, immer wieder entdecke man Strukturen, die schon lange in Vergessenheit geraten sind:
"Katakomben gibt es nicht, aber Tunnelsysteme auf unterschiedlichen Ebenen. In erster Linie sind es die Zisternen. Es war ein Gesetz: Als Valletta gebaut wurde, musste jedes Haus eine eigene Zisterne haben. Es gab auch ein kompliziertes System, um Wasser in die Stadt zu bringen - in Valletta gibt es kein Wasser, es wurde von der anderen Seite der Insel über ein Aquädukt zu einem großen Brunnen auf dem Hauptplatz geleitet. Die zweite Ebene ist ein von den Rittern entwickeltes Netzwerk, also Tunnel, die für militärische Zwecke gedacht waren. Und dann gibt es noch eine dritte Ebene, das sind die Luftschutzbunker, Orte, an denen man Schutz vor den Bomben im Zweiten Weltkrieg finden konnte. Unter fast jeder Straße von Valletta gibt es Tunnel, die auch Straßennamen und Hausnummern haben. Es gibt also eine Stadt unter der Stadt."
Hypogäum von Hal Saflieni
Es gibt noch ein anderes unterirdisches Malta, das weit in die Frühgeschichte der Insel zurückweist. Der größte unterirdische Tempel ist das
Hypogäum von Hal Saflieni, südlich von Valletta. Eine mehrstöckige Anlage von Grabkammern, Hallen, Stufen und Gängen, die über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende immer tiefer in den weichen Kalkstein gegraben wurde. Die älteste Schicht wird auf 3000 vor Christus datiert.
Produktion dieser Langen Nacht:
Autor: Harald Brandt, Redaktion: Dr. Monika Künzel, Regie: Harald Brandt, Sprecher: Bodo Primus, Caroline Schreiber, Anne Leßmeister und Sebastian Mirow, Musikauswahl: Tom Daun, Web- und Webvideoproduktion: Jörg Stroisch
Über den Autor:
Harald Brandt lebt und arbeitet als Autor und Journalist in Wiesbaden. Er studierte Philosophie an der Universität Hamburg und machte später eine Theater- und Tanzausbildung an der Universität der Provence in Aix-Marseille I. Seit 1986 ist er als freier Autor und Regisseur für deutsche und französische Rundfunkanstalten tätig. Zusammen mit anderen Künstlern betreibt er die Webseite Auditorium Mundi, bei der es um die Erforschung narrativer Strukturen in den Klängen der Welt geht.