Über den Autor Lutz Volke:
1940 in Magdeburg geboren. Studiert Germanistik und Nordistik in Greifswald. 1966 Diplomarbeit "Untersuchungen zum literarischen Schaffen von Peter Weiss und zu Problemen seiner geistig-ideologischen Entwicklung". Von 1966 bis 2005 Kulturredakteur und Hörspieldramaturg (Rundfunk der DDR, SFB, RBB). 1983 Dissertation an der Universität Rostock "Wirklichkeitsbeziehungen im Hörspiel der BRD (1950 - 1980)". Übersetzungen und Herausgaben skandinavischer Autoren.
Das Leben - ein Zwiespalt
Mit seinem Miniroman "Der Schatten des Körpers des Kutschers" wurde der damals in Stockholm ansässige Peter Weiss (1916 - 1982) für die deutsche Literatur entdeckt. In Schweden jedoch hatte der von den Nazis in die Emigration gezwungene vielseitige Künstler nicht richtig Fuß fassen können. In Deutschland gelang ihm dann 1964 mit seinem Drama "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats" ein Sensationserfolg.
Kurz darauf sorgte er wieder für Aufsehen mit einem Dokumentardrama nach Akten des Auschwitz-Prozesses in Frankfurt am Main: "Die Ermittlung". Zwar wurde er danach in Ost wie in West hofiert, später aber auch wegen seines eigenständigen politischen Denkens geschmäht, mit Verboten und Missachtung belegt. Die DDR verhängte sogar ein Einreiseverbot gegen ihn und verzögerte lange die Herausgabe seines Hauptwerks "Die Ästhetik des Widerstands".
"Einmal Emigrant, für immer Emigrant", meint seine Witwe, die Bühnenbildnerin Gunilla Palmstierna. Diese große Künstlerin wird uns sozusagen als Kronzeugin durch die Lange Nacht begleiten. Sie lernte Peter Weiss am Ende der 40eer-Jahre kennen und war bis zu seinem Tod im Jahr 1982 - wie sie hervorhebt - "immer dabei".
Auszug aus dem Manuskript:
Es wurde ein Welterfolg, das Drama in zwei Akten "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade". Und es machte den Autor Peter Weiss mit einem Schlage berühmt.
Peter Weiss: "Eigentlich wurde erst nach der Uraufführung des Marat, April 1964, das Schreiben zu einer einigermaßen stabilen Tätigkeit, die mir, zum ersten Mal in meinem Leben, ein Einkommen sichern konnte, das nicht nur von einem Tag zum nächsten ausreichte. Und da war ich bald 48 Jahre alt." [Rekonvaleszenz, S.108]
Peter Weiss, Abkömmling einer von den Nazis vertriebenen jüdischen Familie, hatte im schwedischen Exil wenig erfolgreich versucht, künstlerisch Fuß zu fassen, als Maler, Filmemacher und Schriftsteller. Die deutsche Literaturszene betrat er 1960. Da verlegte der Suhrkamp Verlag seinen Mikro-Roman "Der Schatten des Körpers des Kutschers", ein von der Kritik hoch gelobtes Sprachkunstwerk. Einem breiteren Publikum werde er mehr bekannt durch seine autobiografischen Romane "Abschied von den Eltern" und "Fluchtpunkt". Aber immer noch war Peter Weiss ein Geheimtipp.
Und dann der "Marat", ein totales Bühnenkunstwerk, ein Spiel im Spiel. Die Ermordung des Revolutionärs Marat, dargestellt von den Insassen eines Irrenhauses. Die Inszenierungen von Konrad Swinarski am Westberliner Schillertheater und die von Peter Brook in London waren ein Paukenschlag, ein Auftakt zum Weltruhm eines Autors. Begleitet, künstlerisch begleitet, wurde Peter Weiss seit Anfang der 50er-Jahre von seiner Ehefrau, der Bühnen- und Kostümbildnerin Gunilla Palmstierna, auch künstlerische Partnerin von Ingmar Bergman, Fritz Kortner, Götz Friedrich und vielen anderen.
Gunilla Palmstierna-Weiss: "Und "Marat" hat er erst hier in Stockholm Sjöberg und Bergman angeboten. Und die waren nicht interessiert, die haben gesagt, das ist nicht ein Stück, das ist unspielbar, und vor allen Dingen hat Sjöberg, der bei uns ein großer Regisseur ist, hat gesagt: "Marat? Wer ist Marat?" In jedem Fall ist es dann angeboten am Schillertheater. Jedenfalls, es war ein Riesenerfolg. Ich habe nie in meinem Leben einen solchen Erfolg erlebt. Und werde es auch nie mehr machen. Die Intendant Barlog und Bessler haben kalte Füße bekommen und wollten es absetzen, die haben dann plötzlich entdeckt: Das ist ein politisches Stück. Man hat ja gesagt: "Das hat die Studentenrevolte ausgelöst", was natürlich ein Unsinn ist, aber es hat Wörter ... ja, lass uns sagen: Es hat nicht ausgelöst, aber es hat gesagt etwas, was in Zeit damals wichtig war."
Der Paukenschlag im Westen drang vorerst nicht durch zu einem Studenten, der an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald studierte. Hier lebte man in den 60er-Jahren an der "Küste der Ahnungslosen", Westempfang war so gut wie nicht möglich und außerdem nach dem Mauerbau bei Strafe der Exmatrikulation untersagt. Aber in einer kurzen Phase von Verständigungspolitik hob sich der Küstennebel und westdeutsche Studenten wurden offiziell zu Gesprächen eingeladen, unter anderem waren Mitglieder der Hamburger Studentenbühne bei der Studentenbühne Greifswald zu Gast.
"Und etwas Entscheidendes hatte sich – jedenfalls für mich – ereignet. Die Hamburger überreichten unserer Studentenbühne ein Bücherpaket mit neuen Stücken, darunter den "Marat" von Peter Weiss. Und jetzt kam er doch an, der Paukenschlag. Hier wurde zwischen dem Revolutionär Jean Paul Marat und dem Adligen de Sade, der sich von der Revolution losgesagt hatte, etwas verhandelt, was mich im Innersten traf."
//jetzt sehe ich
wohin sie führt
diese Revolution
zu einem Versiechen des Einzelnen
zu einem langsamen Aufgehen in Gleichförmigkeit
zu einem Absterben des Urteilsvermögens
zu einer Selbstverleugnung
unter einem Staat
dessen Gebilde unendlich weit
von jedem einzelnen entfernt ist
und nicht mehr anzugreifen ist.//
wohin sie führt
diese Revolution
zu einem Versiechen des Einzelnen
zu einem langsamen Aufgehen in Gleichförmigkeit
zu einem Absterben des Urteilsvermögens
zu einer Selbstverleugnung
unter einem Staat
dessen Gebilde unendlich weit
von jedem einzelnen entfernt ist
und nicht mehr anzugreifen ist.//
"Ich weiß nicht, ob Peter Weiss daran schuld war, dass ich dem ideologischen Druck und der geistigen Disziplinierung auszuweichen versuchte, "aus der Reihe tanzte" und mir ein Haufen Diskussionen aufhalste. Sicherlich nicht. Aber es war wie eine Bestätigung."
Marat: "Was ist aus unsrer Revolution geworden?"
Und dann wiederum ein Paukenschlag: Der Intendant des Volkstheater Rostock, Hanns Anselm Perten, inszeniert 1965 den "Marat". Wie das? Dieses Stück, das von anderen Theatern der DDR, darunter dem Berliner Ensemble, als konterrevolutionär zurückgewiesen wurde? In internen Kreisen fragte man sich: "Will Perten sich den Hals brechen?"
Professor Manfred Haiduk, damals Dozent für deutsche Literatur an der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock und wissenschaftlicher Berater von Perten:
"Perten wollte das Stück bringen und wandte sich an den Sekretär der damaligen SED-Bezirksleitung, das war ein Professor der Rostocker Universität, ein Wirtschaftswissenschaftler, der ihm riet, er sollte mir den Text zum Lesen geben. Was Perten dann auch gemacht hat, und als ich den Text gelesen habe, habe ich zu Perten gesagt: "Also, das Stück kann man nicht nur spielen" – das war also die Frage –, "sondern man muss es unbedingt spielen."
Perten war ein mächtiger Mann in der Kulturszene des Bezirks Rostock, ein gewiefter Rhetoriker und ein hoher Parteifunktionär, selbst Mitglied der Bezirksleitung der SED. Sein Spielplan war für DDR-Verhältnisse sensationell. Er brachte Hochhuth und Walser. Und nun sollte es eben Weiss sein.
Gunilla Palmstierna-Weiss: "Na ja, er hat klar politische Gründe gehabt, es zu machen. Er hat den ... der wirklich starke Mann im Stück "Marat– Sade" ist Marat bei Perten und das Volk, was auch da vorkommt. Und die Enttäuschung am Schluss: "Was ist aus unserer Revolution geworden". Und ich meine, das passte dem Perten und das passte auch in diese Zeit."
Offenbar hatte Peter Weiss mit seiner offenen Dramaturgie einen Nerv bei dem Theatermann Perten getroffen und Perten einen Nerv bei Weiss.
Gunilla Palmstierna-Weiss: "In dieser Inszenierung kommt es weniger auf den großen Betrieb eines Irrenhauses an und vielmehr auf eine ganz klare Analysierung des Textes. Hier wird sehr deutlich gemacht, was eigentlich im Text steht. Und das Publikum wird auch nicht schockiert, sondern das Publikum bekommt ganz starke Probleme vorgesetzt, mit dem es sich beschäftigen muss. Ständig werden Fragen aufgeworfen, die sehr deutlich dastehen, sowohl im Spiel als auch in der Artikulation. Und das finde ich ist ein großer Wert dieser Aufführung, dass das Wort wirklich zur Sprache kommt."
"Vielleicht zu eindeutig", schränkte Peter Weiss später sein nach der Premiere abgegebenes Urteil ein wenig ein. Pertens Inszenierung war parteilich, getreu dem Dogma von der Parteilichkeit in der Kunst des Sozialismus. Dadurch war sie möglich, diese Aufführung, den Hals hatte Perten sich nicht gebrochen. Der Autor selbst begriff die Rostocker Inszenierung als ein Lehrstück. Manfred Haiduk:
"Da Peter Weiss nach der Rostocker Marat-Sade-Premiere den schon vorliegenden gedruckten Fassungen eine – so wörtlich – "Vom Autor revidierte Fassung 1965" hinzufügte, die sich an der Rostocker Inszenierung orientierte und zur Ausgabe letzter Hand wurde, zeigt sich hier sicherlich ein Einfluss auf Weiss. Da kurze Zeit später Peters Bekenntnis zum Sozialismus folgte, meinten Theaterkritiker, dass Rostock für ihn das Damaskus gewesen sei, aus dem Saulus wäre ein Paulus geworden."
"Neues Deutschland" druckte das Bekenntnis zum Sozialismus, die "10 Arbeitspunkte eines Autors in der geteilten Welt", trotz der im Schlusssatz formulierten Forderung nach erweiterter "Offenheit im östlichen Block" und "freiem undogmatischem Meinungsaustausch". Eine Veröffentlichung gleich einer Umarmung. Dem Schriftsteller wurde sogar sein Eintreten für Wolf Biermann verziehen, der gerade heftigsten Angriffen ausgesetzt war wegen der Veröffentlichung der "Drahtharfe" im Westberliner Wagenbach Verlag.
"Wartet nicht auf bessre Zeiten" (Wolf Biermann)
Verziehen wurde ihm auch das immer wieder hervorgebrachte nachdrückliche Postulat nach völliger Freiheit in der Kunst. Eine Umarmung, aber nicht ohne Verpflichtung. In einem Bericht, datiert auf den 18. Januar 1966, von Hermann Axen, zu diesem Zeitpunkt Kandidat des Politbüros und Sekretär des ZK der SED, an Kurt Hager, Mitglied des Politbüros und Leiter der Ideologischen Kommission, heißt es über eine vierstündige Aussprache mit Peter Weiss und seiner Frau:
"Er war einverstanden mit den vom Genossen Abusch formulierten Schlussfolgerungen, dass er öffentlich nicht gegen die DDR auftreten wird."
Gunilla Palmstierna-Weiss: "Wir sind ja natürlich am Anfang, als wir nach DDR kamen, als sehr privilegierte Leute gekommen, das darf man nicht vergessen. Und ich glaube auch, für viele in den Behörden in der DDR war es wichtig, dass Peter, vor allem Peter natürlich, groß war in sowohl in der Bundesrepublik als auch in Schweden. Und es sind viele Sachen, die wirklich nicht einfach waren. An der anderen Seite waren es tolle Menschen, denen wir begegnet sind, so Schauspieler, Schriftsteller, der Heiner Müller, der Biermann, der dann auch herausgeschmissen worden ist, der Havemann und so weiter. Wir sind natürlich der Crème de la crème begegnet, und nicht nur bei Künstler, auch bei politischen Leuten."
Hermann Axen, Alexander Abusch, vormals Kulturminister, nun Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Kurt Hager – Peter Weiss hatte die Aufmerksamkeit der Spitzenfunktionäre geweckt wie kaum ein anderer Schriftsteller aus der westlichen Welt.
Erich Honecker höchstpersönlich hatte zu der genannten vierstündigen Aussprache in der Wohnung von Professor Wilhelm Girnus, Chefredakteur der Akademiezeitschrift "Sinn und Form", seinen Segen gegeben. Wie er ein gutes Vierteljahr zuvor schon seine Zustimmung dazu gegeben hatte, sich an der Ringuraufführung des "Oratoriums in 11 Gesängen. Die Ermittlung" gemeinsam mit 15 meist westlichen Bühnen am 19. Oktober 1965 zu beteiligen. Die Zustimmung, diese nach den Auschwitz-Prozess-Akten geschriebenen Dokumentation nicht in irgendeinem Theater aufzuführen, sondern im damaligen DDR-Parlament, im Saal der Volkskammer in der Luisenstraße.
An der Lesung beteiligt waren alle, die in der Kulturwelt der DDR Rang und Namen hatten, oft ehemalige Häftlinge oder Emigranten wie der Politiker Alexander Abusch, der Bildhauer Fritz Cremer oder Schauspieler von internationalem Ruf wie Erwin Geschonneck, Helene Weigel, Ernst Busch.
Dem Verleger von Peter Weiss, Siegfried Unseld, passte es wie manchem anderen westlichen Beobachter nicht, dass "Die Ermittlung" in der DDR derartig hoch gehängt wurde, denn es war klar, hier wollte die Deutsche Demokratische Republik natürlich ihre Legitimation als antifaschistischer Staat untermauern. Ebenso natürlich war aber auch, dass der von den Nazis in die Flucht getriebene Weiss sich nach deprimierenden Exilerfahrungen erst einmal zu Hause fühlte unter Verfolgten und Flüchtigen. Das sollte sich ändern. Seine Notizbücher legen Zeugnis davon ab.
Gunilla Palmstierna-Weiss: "Die Besuche in Ost-Berlin immer wieder von zwiespältiger Wirkung: die roten Fahnen mitreißend, die Sprüche wie Holzhämmer – die schönen Ruinen, die windigen, staubigen Straßenzüge – das Kahle, Arme – der Gegensatz zur Protzerei drüben – wie offen, roh, ungestalt, lockend könnte dies alles sein – wenn nicht dahinter Eliten, Hierarchien zu erkennen wären – ungeliebt – gespenstisch." [Peter Weiss: Die Notizbücher, S. 11001]
Gunilla Palmstierna-Weiss: "Man muss es aus dieser Zeit sehen, und man muss es aus einer Weise, die nie beschrieben ist, aus Peters Sicht sehen. Er lebte wie in einem Dreieck. Wir lebte in dem sogenannten neutralen Schweden. Wir waren auf Besuch in sowohl West als Ost. Und für Peter wäre es natürlich viel besser gewesen, wenn er entweder in der DDR oder in der Bundesrepublik in seiner Sprache leben konnte. Aber wenn man in Schweden so lange lebt, von 1938 bis 1960, war es schwer, wieder ein Land zu wechseln. Er hat gedacht, vielleicht Bundesrepublik, aber immerhin war das noch in ihm, dass er einmal gezwungen war, wegzugehen. In der DDR war es eine andere Frage. Und das war, hätte er dort gelebt, hätte er nie das verwirklichen können, was er als Ausgangspunkt Schweden verwirklichen konnte."
Als ich meine an der Uni Greifswald geschriebene Diplomarbeit über Peter Weiss abgab, kannte ich diese seine Haltung nicht. Weiss hielt sich an sein Versprechen, nichts Negatives öffentlich über die DDR zu äußern. Und ich hatte nur Positives über Weiss geschrieben, sein Engagement für den Sozialismus gelobt. Wie auch sonst? Meinen Zwiespalt, der auch der Seine war, als er den "Marat" schrieb und den er in die Figur des de Sade verlegt hatte, konnte ich in einer solchen Abschlussarbeit nicht äußern. Mit Weiss habe ich zum damaligen Zeitpunkt keine Verbindung aufgenommen, trotz des Zuspruchs von Manfred Haiduk. Schade eigentlich, aber seine Einvernahme durch die Eliten war mir unheimlich. Anderen in der DDR Lebenden allerdings auch, dessen war sich Weiss bewusst:
"Da sind Schriftsteller hier: Die lachen mich aus über meinen Sozialismus. Sehen in mir einen neugetauften Christen, der ihnen das Evangelium predigen will, wo sie sich gerade mit der Apokalypse befassen." [Buch 48 (6.6.1981-), Peter Weiss: Die Notizbücher, S. 10657]
Gunilla Palmstierna-Weiss: "Wir waren ja sehr oft bei Biermann damals zu Hause. Und da war ja Heiner Müller und viele andere, die waren ja nicht von diesen einfachen Leuten. Und die waren ziemlich stur gegen Peter, die haben ja immer gesagt: Ja, du hast leicht sprechen oder leicht reden, du, du lebst ja in Schweden. Und irgendwo haben die natürlich recht gehabt."
Über Peter Weiss:
Am 8.11.1916 wurde Weiss in Nowawes bei Berlin (heute Neubabelsberg) geboren. 1935 emigriert die jüdische Familie nach England, ein Jahr später in die Tschechoslowakei, 1939 nach Schweden, wo der Vater die Leitung einer Textilfabrik übernimmt. In der arbeitet Peter Weiss als Textildrucker und Musterzeichner.
Seit 1932 hatte er sich intensiv mit Malerei, Musik und Kunst beschäftigt. Eine erste Ausstellung seiner Bilder 1936 in London, Besuch der Prager Kunstakademie, weitere Ausstellungen. 1944 erste Buchveröffentlichung in schwedischer Sprache, "Från ö till ö" ("Von Insel zu Insel"). Danach stärkere Hinwendung zur Literatur und zum experimentellen Film.
Walter Höllerer vermittelt das auf Deutsch geschriebene Manuskript "Der Schatten des Körpers des Kutschers" an den Suhrkamp Verlag (erscheint 1960 mit Collagen des Autors). Danach Arbeit an den autobiografischen Romanen "Fluchtpunkt" und "Abschied von den Eltern". Weiss wird zur Gruppe 47 eingeladen. 1964 heiratet er Gunilla Palmstierna und sie erleben einen gemeinsamen Erfolg mit der Inszenierung seines Dramas "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charanton unter Anleitung des Herrn de Sade" am Berliner Schiller Theater in der Regie von Konrad Swinarski.
Es folgen weitere Bühnenstücke: "Die Ermittlung" über den Auschwitzprozess (Ringuraufführung an 16 Bühnen, darunter an der Akademie der Künste in der DDR), "Gesang vom Lusitanischen Popanz" über koloniale Ausbeutung, "Diskurs über die Vorgeschichte und den Verlauf des lang andauernden Befreiungskrieges in Vietnam als Beispiel für die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker sowie über die Versuche der Vereinigten Staaten von Amerika die Grundlagen der Revolution zu vernichten".
Peter Weiss bekennt sich in zehn Arbeitspunkten zum Sozialismus, wird am Rostocker Volkstheater besonders durch den Intendanten Hanns Anselm Perten gefördert, nach dem Bühnenstück "Trotzki im Exil" aber in der DDR als Unperson behandelt.
Für sein politisches Engagement ist Peter Weiss Verunglimpfungen in Ost wie in West ausgesetzt. Seit 1972 beschäftigt er sich mit seinem dreibändigen Prosawerk "Die Ästhetik des Widerstands". Der mit zahlreichen Preisen, darunter dem Georg-Büchner-Preis", geehrte Autor verstirbt am 10. Mai 1982 in Stockholm.
Marcel Reich-Ranicki über den Peter Weiss:
"Er traf der Epoche ins Herz. Er war ein Autor, der die Ängste der Nachkriegsgeneration artikulierte. Sein dramatisches Werk machte ihn zu einem europäischen Schriftsteller."
Linktipps:
Über Gunilla Palmstierna-Weiss
Am 28.3.1928 als Tochter eines Arztehepaars in Lausanne (Schweiz) geboren. Nach Scheidung der Eltern lebt sie mit ihrer Mutter in Rotterdam, erlebt dort die Bombardierung durch die deutsche Luftwaffe und gelangt über Berlin in der Schlussphase des Krieges mit einem Diplomatenflugzeug nach Schweden. 1946 kehrt sie nach Holland zurück, eigentlich, um zurückgelassenes Eigentum nach Schweden zu überführen, schmuggelt sich aber als Modell in die Gerrit Rietveld Academie ein und belegte Abendkurse in der Fachrichtung Keramik, setzt die Ausbildung in Paris und ab 1952 in Stockholm fort. Im gleichen Jahr nähere Bekanntschaft mit Peter Weiss. Die Arbeit als Keramikerin tritt in den Hintergrund, nachdem sie Bühnenbilder und Kostüme für eine Studentenbühne entwirft und danach von verschiedenen Bühnen engagiert wird. Nach dem überwältigenden Erfolg vom Marat/de Sade-Drama (Bühnenbild und Kostüme), stattet sie auch die Inszenierungen von Peter Brook in London und New York aus. In den folgenden Jahren Zusammenarbeit unter anderem mit Fritz Kortner, Harry Buckwitz, vor allem aber mit Ingmar Bergman an Bühnen in Stockholm und München. Nach dem Tod von Peter Weiss verwaltet sie dessen Nachlass. 2013 veröffentlicht sie ihre Memoiren unter dem Titel "Minnets Spelplats" ("Spielplatz der Erinnerung", eine deutsche Ausgabe ist in Vorbereitung).
Link- und Literaturtipps:
> Gunilla Palmstierna-Weiss bei Wikipedia
> Peter Weiss: "Werke in sechs Bänden", herausgegeben vom Suhrkamp Verlag in Zusammenarbeit mit Gunilla Palmstierna-Weiss, erschienen im April 2016
> Peter Weiss: "Werke in sechs Bänden", herausgegeben vom Suhrkamp Verlag in Zusammenarbeit mit Gunilla Palmstierna-Weiss, erschienen im April 2016
Über Manfred Haiduk
1929 in Breslau geboren, besucht er nach dem Krieg die Arbeiter- und Bauernfakultät in Rostock und studiert danach an der dortigen Universität Germanistik, Geschichte und Psychologie. 1958 Promotion über Thomas Mann, 1968 Habilitation über Peter Weiss (als Buch "Der Dramatiker Peter Weiss"). Hochschullehrer und enger Berater des Rostocker Theaters bei den Inszenierungen der Bühnenstücke von Peter Weiss. Editiert in der DDR dessen im Henschelverlag erschienene Werke in Zusammenarbeit mit dem ihm freundschaftlich verbundenen Autor.
Über Horst Wandrey
Geboren 1929, verstorben 2012, wird mit 29 Jahren Cheflektor des Henschelverlages. Setzte sich mit Vehemenz dafür ein, dass trotz aller Widerstände der Parteibürokratie "Die Ästhetik des Widerstands" 1983 in der DDR erscheint.