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Irrungen, Wirrungen – und Klarheit
Bis zum 30. Lebensjahr war Theodor Fontane Apotheker, danach über 30 Jahre lang Journalist. Erst im hohen Alter entwickelte er sich zum Romancier und schuf Meisterwerke wie "Effi Briest" und "Der Stechlin" - erstaunlich befreit von den Denkmoden seiner Zeit.
"Scheint es nicht, dass er alt, sehr alt werden musste, um ganz er selbst zu werden?" (Zitat aus Thomas Mann: Der alte Fontane)
Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, viele andere, die sich auf ihn beriefen, haben darüber geschrieben: Theodor Fontane wurde je älter, desto moderner. Form und Stil seiner späten Romane sind frei und experimentell und weisen über das 19. Jahrhundert hinaus.
Ganz und gar außergewöhnlich ist, wie sich der alte Fontane in das Seelenleben und die Seelennöte junger Frauen eindenken kann - "Grete Minde", Melanie van der Straaten aus "L‘Adultera", Mathilde Möhring, allen voran Effi Briest.
Der Roman Effi Briest
Effis Schicksal, ihr Gefangensein in überholten gesellschaftlichen Konventionen, schließlich ihr Zerbrechen an der bigotten Moral ihrer Gesellschaft werden zur Anklage.
"Damals, als Effi Briest erschien, war das ein Attentat auf die herrschende Moral im deutschen Kaiserreich." (Dramaturg und Dokumentarfilmer Hans-Dieter Rutsch)
Trailer zum Film Effi Briest (einem Roman von Theodor Fontane) auf Youtube:
Parallel zu "Effi Briest" schreibt Fontane 1894 seine Kindheits-und Jugenderinnerungen nieder. Mutter Emilie stammt aus dem hugenottischen Großbürgertum Berlins, leidet unter der Unbeständigkeit und Flatterhaftigkeit ihres Mannes. Louis Henry Fontane, auch er stammt von Hugenotten ab, ist wirtschaftlich lebenslang "in der Bredouille", verspielt sogar seine Apotheke in Neuruppin, Theodors Geburtsort.
Sieben Jahre alt ist Theodor Fontane, als die Familie nach Swinemünde umzieht. Hier in der Provinz wird die Ehe der Eltern nicht besser. Fontane wächst auf im Spannungsverhältnis zwischen einer strengen, sicherheitsbedürftigen Mutter und einem gutmütigen, aber leichtsinnigem und wenig verantwortungsbewusstem Vater.
Emilie wird sich später von ihrem Mann trennen, Sohn Theodor bleibt beiden Eltern bis an deren Lebensende liebevoll verbunden.
Wie der Vater wird auch Theodor Fontane Apotheker. In seinem zweiten autobiografischen Roman "Von Zwanzig bis Dreissig" beschreibt er, wie er noch während der Apotheker-Lehre in Berlin zum Dichten gekommen sei.
"So saß ich denn, tagaus tagein, mit einem kleinen Ruder in der Hand, an einem großen eingemauerten Zinnkessel, in dem ich, unter beständigem Umherpätscheln, die Queckensuppe kochte. Schönere Gelegenheit zum Dichten ist mir nie wieder geboten worden."
Schon damals in Berlin sucht Fontane Anschluss an literarische Kreise, als er später nach Leipzig geht, verkehrt er im sogenannten Herwegh-Club, dichtet Freiheitslieder im Herweghschen Stile und veröffentlicht Gedichte und Novellen in der fortschrittlichen Leipziger Zeitschrift "Die Eisenbahn". Der Offizier und Schriftsteller Bernhard von Lepel, einer der ältesten und engsten Freunde Fontanes, führt ihn 1844 in den "Tunnel über der Spree" ein.
Fünf Jahre nach seinem Eintritt entschließt sich Fontane 1849, den Apothekerberuf aufzugeben. Fortan ist er, der nicht studiert und nicht einmal Abitur hat, immer wieder auf Stellenvermittlung durch die einflussreichen Freunde angewiesen.
Fontane, der Wanderer
Die Idee für die "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" bringt er aus dem Vereinigten Königreich mit, wo er im preußischen Auftrag eine Presseagentur leitete. Die Wanderungen beschäftigen Fontane seit seiner Rückkehr aus England bis an sein Lebensende. Noch drei Tage vor seinem Tod bittet er brieflich um Material.
"Die Wanderung sind auch tatsächlich von Fontane so geschrieben als Gegenprogramm gegen die herrschende Geschichtsschreibung der Zeit, vor allem gegen die herrschende akademische Geschichtsschreibung der Zeit, die ja eben Geschichte großer Männer war, Schlachtbeschreibung, Hofnachrichten." (Literaturwissenschaftler Iwan-Michelangelo D‘Aprile, Autor der Biografie "Fontane. Ein Jahrhundert in Bewegung.")
Aber die wirklich kleinen Leute kommen bei Fontane kaum zu Wort. Und wenn, dann als Erzähler von allerhand Schnurren, Gerüchten, Legenden und Tratsch. In Fontanes Fokus stehen die Itzenplitze, Schlabrendorfs, Bredows, Quitzows oder Zietens. Die aber mit durchaus kritischem Blick:
"Der alte Graf Zieten auf Wustrau war der Sohn des berühmten Generals von Zieten, und ein größerer Abstand als der zwischen seinem gefeierten und beinah ehrwürdigen Namen und seiner persönlichen Erscheinung war nicht denkbar. Eins ist ihm unbedingt zu lassen: er war, von Übernahme des Guts an, ein guter Landwirt und ein noch besserer Financier. Man darf vielleicht sagen, ein zu guter. Er galt für geizig, und fast darf man sagen, seine Taten auf diesem Gebiet übertrafen noch seinen Ruf. Es wäre lohnend, hier Details zu geben, aber das Beste davon entzieht sich der Möglichkeit der Mitteilung."
Über 30 Jahre lang entstehen immer neue Episoden der märkischen Wanderungen. Fontane schreibt Texte um, streicht Passagen und setzt neue hin. Das erprobte Schema der Wanderungen, sich vorurteilsfrei und neugierig fortzubewegen, nutzt Fontane auch für seine Kriegsbücher.
Kriegsbücher Fontanes
Fontane ist stolz auf seine "von Refugié-Traditionen erfüllte Franzosen-Colonie-Familie". Selbstverständlich lernt er schon im Elternhaus die Sprache der Vorfahren. So hat er keine Probleme, 1870 als Kriegsberichterstatter durch die preußisch besetzten Gebiete Frankreichs zu reisen.
Für den Ausflug zur Heiligen Johanna begibt er sich in ein Gebiet, das Anfang Oktober 1870 nicht mehr von preußischen Truppen, sondern von französischen Freischärlern kontrolliert wird.
"Ich klopfte eben mit meinem spanischen Rohr an der Statue umher, um mich zu vergewissern, ob es Bronze oder gebrannter Ton sei, als ich vom "Café de Jeanne d'Arc" her eine Gruppe von acht bis zwölf Männern auf mich zukommen sah, ziemlich eng geschlossen und untereinander flüsternd. Ich stutzte, ließ mich aber zunächst in meiner Untersuchung nicht stören und fragte, als sie heran waren mit Unbefangenheit, aus welchem Material die Statue gemacht sei. Man antwortete ziemlich höflich: "aus Bronze", schnitt aber weitere kunsthistorische Fragen, zu denen ich Lust bezeugte, durch die Gegenfrage nach meinen Papieren ab. Ich überreichte ein rotes Portefeuille, in dem sich meine Legitimationspapiere befanden, selbstverständlich nur preußische. Man suchte sich darin zurechtzufinden, kam aber nicht weit und forderte mich nunmehr auf, zu besserer Feststellung sowohl meiner Person wie meiner Reiseberechtigung ihnen in das Wirtshaus zu folgen."
Theodor Fontane wird als vermeintlicher preußischer Spion in Kriegsgefangenschaft genommen und auf der Île d’Oléron interniert. Die Haftbedingungen sind anfangs schlecht, schlimmer noch: Dem Häftling droht die Todesstrafe. Die ganze Geschichte hätte leicht ein böses Ende nehmen können, wenn nicht Fontanes Frau Emilie Alarm geschlagen und einflussreiche Freunde der Fontanes eine konzertierte Rettungsaktion gestartet hätten. Unter anderem hatte sich auch der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck für ihn eingesetzt.
In den Kriegsbüchern, vor allem im letzten über den deutsch-französischen Krieg, versucht sich der Journalist Fontane an etwas Neuem: der literarischen Gestaltung des Stoffes.
Fontanes "Romanschriftsteller-Laden"
"Meine Arbeit muss zum Mindesten so gut sein, dass ich auf sie hin einen kleinen Romanschriftsteller-Laden aufmachen und auf ein paar treue, namentlich auch zahlungsfähige Käufer rechnen kann."
Als er beinahe 60 Jahre alt ist, quittiert Theodor Fontane seinen Dienst beim preußischen Staat und gibt den Großteil seiner journalistischen Brotarbeit auf. Er stürzt sich in das Wagnis der freien Schriftstellerei. Einen Roman jährlich muss er schreiben, um die Familie ernähren zu können. Und die Familie ist an der schriftstellerischen Arbeit beteiligt. Vor allem Ehefrau Emilie Fontane, die seine Manuskripte oft ein dutzendmal abschreibt und sich um die Buchhaltung kümmert.
Elf der siebzehn Romane Fontanes spielen in Berlin. Die Gründerzeit-Metropole wird unter seiner Feder zur "Fontanopolis" Fontane verwendet präzise Ortsangaben, beschreibt sehr genau den Wandel der Stadt. Der bürgerlichen Stadt. Die Mietskasernen und das Elend der Fabrikarbeiter hingegen bleiben außen vor, das proletarische Milieu ist Fontane eher fremd.
Roman "Der Stechlin"
Als Theodor Fontane im Mai 1897 mit 78 Jahren seinem Verleger seinen Roman "Der Stechlin" vorlegt, hat er zwei Jahre daran gearbeitet. Es ist der mit Abstand umfangreichste seiner Altersromane.
"Fontane liebt es, den Menschen fast ausschließlich durch seine Reden zu charakterisieren und zur Anschauung zu bringen. Was er tut, gehört ihm nur zum Teil, viel davon ist Zwang der Verhältnisse, anderes mechanische Gewohnheit. Das Handeln wird deshalb bei Fontane ganz nebensächlich behandelt." (Richard Moritz Meyer, ein Zeitgenosse Fontanes, in seiner "Geschichte der Deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts")
Ein Vermächtnisroman wird "Der Stechlin" oft genannt. Und tatsächlich ist es der Roman eines fast 80-jährigen Mannes, der auf sein Jahrhundert zurückblickt und mit großer Klarheit vorhersieht, dass das kommende 20. Jahrhundert politische, soziale, technische und kulturelle Umbrüche gewaltigen Ausmaßes mit sich bringen wird.