In der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1944 begann im Zweiten Weltkrieg die Landung der Alliierten in der Normandie: Um den sogenannten "Atlantikwall" des Deutschen Reiches zu erstürmen. Keine 24 Stunden hielt das Bollwerk dem Angriff stand.
Ziel dieser noch heute in der Weltgeschichte größten Streitmacht war der sogenannte Atlantikwall der deutschen Wehrmacht. Über eine Länge von 2685 Kilometern sollte dieser "Gürtel aus Bollwerken" (Adolf Hitler), bestehend aus insgesamt 8119 Bunkern, das Deutsche Reich an der Atlantikküste vor Angreifern schützen. Mehr als 1000 Kriegsschiffe, 3100 Landungsboote, unterstützt von 7500 Flugzeugen, mit insgesamt mehr als 150.000 US-amerikanischen, britischen und kanadischen Soldaten setzten vom Ärmelkanal zur Küste der Normandie über.
Die Nazi-Bollwerke hielten dem Angriff der alliierten Streitkräfte keine 24 Stunden stand.
Mit einem blutigen Preis. Auf beiden Seiten fielen an diesem Tag mehr als 20.000 Männer, manche noch fast Kinder. Der D-Day, wie der Tag in den Geschichtsbüchern später bezeichnet werden sollte, eröffnete zur Ostfront eine zweite Front, die Westfront. Das Ende des Nazireiches zwischen diesen zwei Fronten hatte am 6. Juni 1944 begonnen.
Heute wird dieser gewaltigen Schlacht an der normannischen Küste in den Museen an den Landungsstränden wie etwa Utah Beach, Omaha Beach oder Juno Beach unterschiedlich gedacht. Stehen im Landungsmuseum der Juno Beach die Frauen inmitten der Kampfhandlungen, im sogenannten Frauen-D-Day, im Mittelpunkt einer Ausstellung, so sind andere Museen etwa um die Wehrmachtsbunker gebaut worden, zum Teil noch mit den originalen Geschützen. Und es gibt überall geführte Battlefield-Touren, Schlachtfeldtouren an der HKL, der Hauptkampflinie.
Dazu kommen noch das Merchandising mit T-Shirts, Sweatshirts, Baseballcaps, Tassen, Tellern, Regenschirmen und vielem mehr. Es scheint, als sei das große Sterben für die Freiheit Europas vor 75 Jahren eher ein Geschäft geworden.
"Ich meine, es ist schwer zu verstehen, wie unsere Großeltern gelebt haben, eigentlich ist es unmöglich. Man kann Gegenstände sehen und berühren, aber Krieg zu verstehen ist sehr, sehr schwierig. Eines meiner Probleme ist, der jungen Generation, die nichts anderes als eine Friedenszeit kennt, ein Geschichtsbewusstsein für diese Zeit zu vermitteln. Sie haben das verloren, wir alle haben das verloren, weil Materialistisches wichtiger ist." (Stephane Grimaldi, Generaldirektor des Mémorial de Caen, welches in Caen in der französischen Normandie die Landung der Allierten dokumentiert)
Das Gebäude, das auf dem Befehlsbunker der 716. Deutschen Infanterie-division errichtet wurde, bietet auf Französisch, Deutsch und Englisch einen tiefen Einblick in die Abläufe von Konflikten, die zu Kriegen werden. Fast schon folgerichtig befindet sich im Untergeschoss eine Galerie der Friedensnobelpreisträger.
Über Jean Lenoir: Jean Lenoir ist Anfang 50 und ausgebildeter Offizier. Er organisiert in der Normandie individuelle Ausflüge für Touristen.
"Roosevelt wollte einen großen Angriff, eine riesige Operation gegen die Wehrmacht in Europa. Der Churchill für die Briten hatte eine völlig andere Meinung. Churchill wusste, was Kampf ist, er war selbst Soldat, Offizier, im Ersten Weltkrieg. Er war an der Front, er war im Kampf, er wusste, was Blut heißt. Und Churchill wollte keine große Operation. Er hat gedacht, das Risiko ist einfach zu groß. Er wollte einfach Deutschland auf mehreren Fronten Schritt für Schritt abnutzen. Deswegen die Landung in Nordafrika, deswegen Sizilien, deswegen Italien, deswegen die Ostfront in Verbindung mit Stalin. Er hat seine Meinung geändert, als seine Nachrichtendienste ihn informiert haben, dass an der Küste entlang, Ärmelkanal bis hoch Belgien, Niederlande überall V1- und V2-Abschussrampen fast einsatzbereit sind. Und da hat Churchill sofort verstanden, da ist wieder London unter Bomben. Und da hat er seine Meinung geändert und gesagt: Wir müssen jetzt los und landen, und das massiv." (Jean Lonoir)
Wer D-Day sagt und damit nur die Landung der Alliierten in der Normandie meint, so ist das ungenau, meint Peter Lieb, Militärhistoriker, Oberstleutnant und wissenschaftlicher Oberrat am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam:
"Der D-Day selbst unterteilt sich in eine Vielzahl von Operationen, darunter kommen erst mal die Luftbombardements, die Seebombardements, die Luftlandungen mit Fallschirmjägern, und als größter Teil die sogenannte Operation Neptune, die amphibischen Landungen an den Stränden der Normandie. Man muss auch den D-Day als Teil eines größeren Feldzuges begreifen. Nachdem die Alliierten am 6. Juni 1944 gelandet sind, war es ja nicht vorbei. Es folgten Tage und Wochen an verlustreichen Kämpfen auf beiden Seiten in der Normandie, und bis Mai 1945 auf Reichsgebiet dann zum Schluss. Briten und Amerikaner haben unterschiedliche Konzepte gehabt, wie man das Deutsche Reich besiegen sollte. Im Ersten Weltkrieg haben die Briten unglaublich hohe Verluste an Toten und Verwundeten. Und die britische Gesellschaft ist im Zweiten Weltkrieg, so zumindest glauben Politiker wie Churchill, nicht bereit, noch einmal so hohe Opfer zu bringen. Daher geht der britische Ansatz, das Deutsche Reich zu bekämpfen, davon aus, man greift den Gegner immer an der Peripherie an, der schwächsten Stelle an, an den Rändern Europas."
Für die amerikanischen Streitkräfte war diese militärische Strategie jedoch nicht tragfähig. Sie sagten:
"Nein, der Gegner soll nicht an der schwächsten Stelle angegriffen werden, sondern wir gehen gleich aufs Ganze, und greifen ihn an der stärksten Stelle an. Wenn es nach den Amerikanern gegangen wäre, hätten die am liebsten schon 1942 in Frankreich angegriffen. Also man mobilisiert seine gesamten Kräfte, und mit einem großen Schlag, "Knockout"- Schlag, besiegt man den Gegner. Zum Glück für die Alliierten haben sich die Briten durchgesetzt, weil wenn die Alliierten 1942 in Frankreich angegriffen hätten, wäre das wahrscheinlich eine große Niederlage für sie geworden."
Dimension der deutschen Abwehreinrichtungen
"An Europas Nord-West- und Südküste ist eine gewaltige Abwehrfront entstanden. Zahllose Geschütze aller Kaliber richten sich gegen den Feind. Die Atlantik-, Kanal- und Mittelmeerküste starrt in Waffen. Beton, Stahl und Eisen prägen heute das Bild dieser Landschaften. Grenadiere beziehen ihre Posten. Aufklärer überwachen ständig das Küstenvorfeld. Millionen Kilometer Stacheldraht sind zu Sperren verflochten. Flakartillerie schützt die Baustellen gegen feindliche Luftangriffe." (Wochenschau "Der Atlantikwall von Nord nach Süd" im Mai 1943)
Batterie in Longues-sur-mer Die Batterie in Longues-sur-mer, genau zwischen Omaha und Gold-Beach, ist die einzige Wehrmachts-Batterie in der gesamten Normandie, in der noch heute erhaltene Geschütze stehen. Diese Batterie besteht aus vier Bunkern. Aus einem dieser Bunker ragt eine gewaltige Kanone mit dem Kaliber 15,2 Zentimeter heraus. Das rostige Rohr richtet sich auf die Badenden, auf Strandmuscheln, Surfer und Schnorchler.
Der Atlantikwall war eine 2685 Kilometer lange Verteidigungslinie entlang der Küsten des Atlantiks, Ärmelkanals und der Nordsee mit insgesamt 8119 größeren und kleineren Bunkeranlagen. Etwas mehr als die Hälfte der von Adolf Hitler im September 1942 geforderten 15.000 Befestigungswerke, also pro Kilometer 15 bis 20 Bunker. Die Bauten wurden von der zur Zwangsarbeit verpflichteten Bevölkerung aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen, den britischen Kanalinseln sowie dem Deutschen Reich errichtet. Durch diese Länder verlief der Atlantikwall. Die "Organisation Todt" – eine paramilitärische Bautruppe, benannt nach ihrem Führer Fritz Todt - betrieb die Baustellen weitgehend ohne große Maschinen und schwerem Werkzeug wie Bohrmaschinen.
Nachdem Fritz Todt im Februar 1942 bei einem Flugzeugabsturz umgekommen war, reorganisierte Reichsrüstungsminister Albert Speer die Organisation neu. In Nordfrankreich wurden nun die Abschussbasen für die Flugbomben V1 und V2 gebaut, sowie die Langrohrkanone V3. Ab November 1943 befehligte Generalfeldmarschall Erwin Rommel, von den Deutschen aufgrund seiner Einsätze in Nordafrika ehrfürchtig mit "Wüstenfuchs" betitelt, die Bauten am Atlantikwall. Mangels Truppenstärke hielt er eine Truppenreserve im Hinterland für nicht möglich. Sein Fazit war daher: "Die Hauptkampflinie ist der Strand."
Generalfeldmarschall Erwin Rommel ließ die Strände und die Brandungszonen regelrecht verbarrikadieren. Mehrere Reihen sogenannter "Tschechenigel", also Hemmbalken, an denen Minen und Sprenggranaten befestigt waren, sollten die Angreifer in Stücke reißen. Mehrere Millionen Kilometer Stacheldraht umzäunten den Atlantikwall in seiner Gesamtlänge. In den Küstenzonen gab es zusätzlich Widerstandsnester, geschützte und ungeschützte MG-Stellungen. Die vielgerühmten "Rommelspargel" – Hindernisse aus Masten und dazwischen gespanntem Draht – sollten potentielle Flugzeuglandungen am Strand verhindern. Insgesamt arbeiteten ab November 1943 291.000 Mann am Atlantikwall, manchmal bis zu 1000 Mann in fieberhafter Geschwindigkeit an einem Bollwerk.
Bunkerkomplex in Plougonvelin Der Bunkerkomplex in Plougonvelin liegt an der Route de la Pointe Saint Mathieu. Die zwei Brüder Aurélien und Clément Coquil haben über 20 Jahre lang die Erinnerungen, Fotografien und Gegenstände der zivilen französischen Bevölkerung während der deutschen Besatzungszeit gesammelt. Dann bekamen sie von der Gemeinde den deutschen Kommandobunker in Plougonvelin als Ort für ihre Sammlung überlassen. Dieser Kommandostand der Batterie Graf Spee ist zu 90 Prozent unterirdisch und einer der größten in der gesamten Region. 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche bilden den Alltag der 25 hier stationierten Wehrmachtssoldaten ab. Puppen in Wehrmachtsuniformen, voll ausgestattete Funkstationen, Mannschaftsunterkünfte, Küche, Lazarett, die Filteranlage für Kampfgase- alles ist fast lebensecht vor einem, und interaktiv. Auf der tiefsten Etage wartet die Kellerinstallation mit dem simulierten Angriff. Vor der Tür ist ein kleines Display mit der britischen, deutschen und französischen Flagge angebracht. Man drückt auf die entsprechende Flagge, dann taucht man in die Installation mit der passenden Sprache ein.
Der D-Day
Trailer zum Film "Der Soldat James Ryan" auf Youtube:
Der US-Schauspieler Tom Hanks verkörpert in Steven Spielbergs 1998 uraufgeführten D-Day-Film: "Der Soldat James Ryan" die Figur des Captain John Miller, der mit der Suche nach dem Soldaten James Ryan beauftragt wird, um ihn nach Hause zu bringen. Da drei Brüder Ryans gefallen sind, will man der Mutter nicht die Todesnachricht ihres vierten Sohnes überbringen. Im Nachspann des Filmes kommen Zeitzeugen zu Wort, sowie der Historiker Steven E. Ambrose.
"Diese 17-, 18-, 19-jährigen Kids wollten nicht dort sein. Sie wollten mit 22er-Schrotflinten auf Kaninchen schießen, nicht mit M1er-Gewehren auf andere junge Männer. Die wollten Softballs werfen, nicht Handgranaten. Aber eine böse Kraft war in der Welt entfesselt worden, und es war ihr Los, sich darum zu kümmern. Und als die Gesellschaft sagte: 'Ihr müsst gehen und kämpfen', taten sie es."
Soldatenfriedhof in Bayeux Auf dem englischen Soldatenfriedhof in Bayeux in Frankreich, dem größten britischen Soldatenfriedhof in Frankreich, liegen über 4000 Soldaten aus verschiedensten Nationen begraben. Die meisten sind Briten, aber auch polnische Soldaten liegen hier, kanadische, australische, neuseeländische, russische, französische, italienische und es gibt 466 deutsche Gräber. Am Ende des Friedhofs ist ein Monument, das von den Briten gebaut wurde, und in dem auch die Namen der Soldaten eingemeißelt sind, die nicht gefunden wurden. Es sind mehr als 1800 Namen. Eine Inschrift erinnert an Wilhelm den Eroberer, Herzog der Normandie, im Jahr 1066 König von England: "Wir, die wir einst von Wilhelm besiegt wurden, haben nun das Heimatland des Siegers befreit."
"Soldaten, Seeleute und Piloten der alliierten Invasionstruppen. Ihr beginnt den großen Kreuzzug, den wir so viele Monate vorbereitet haben. Die Augen der Welt und alle Hoffnungen ruhen auf Euch. Ihr werdet die deutsche Kriegsmaschine zerstören, die Nazi-Tyrannei über die unterdrückten Völker Europas vernichten und Sicherheit für uns in der freien Welt schaffen." (Dwight D. Eisenhower, Rede vor dem D-Day)
Der eigentliche "D-Day" begann schon am Vorabend des 6. Juni 1944. Judge John Harrison von der 4. Infanterie Division landete an der Utah Beach.
"Die Nacht vor dem D-Day war wohl die aufregendste Nacht in unserer Geschichte. Flugzeuge starteten etwa gegen neun, zehn Uhr abends, und sie flogen etwa 150 Meter über uns hinweg mit ihren blinkenden Scheinwerfern. Und in einem von denen war mein Bruder, ein junger Oberleutnant in der 101. Fallschirmjäger-Division. Überflüssig zu sagen, dass ich ein langes Gebet sprach, nicht nur für ihn, auch für die Tausenden von Jungs, die eine halbe Stunde vor ihrem Kampfeinsatz waren."
Die Operation Overlord war in ihrer Größe, ihrem Ziel, und der Strategie etwas vollkommen anderes als nur eine weitere amphibische Landung.
"Bei amphibischen Landungen ist das Schwierige, dass man die drei Teilstreitkräfte von Heer, Marine und Luftwaffe optimal koordinieren muss. Wer ist wann für was verantwortlich?" (Peter Lieb)
Operation Overlord war die größte militärische Operation in der gesamten Weltgeschichte. Um 175.000 Mann, tausende Flugzeuge, Landungsboote, Zerstörer, Minenschiffe und anderes optimal zu koordinieren, bedurfte es eines nie zuvor dagewesenen Invasionstrainings an der englischen Küste, südlich von Devon, und in der Salisbury-Ebene. Um für die besonders schwierige Landung an der normannischen Omaha Beach zu üben, trainierten die Einheiten in der wie in der Normandie dünn besiedelten Gegend südlich von Dartmouth in Devonshire.
Eine Linie aus Sand, etwas hügelig im Hinterland, Kies, Gras im Wind, jetzt im Morgengrauen mit fahlem Licht, 6.00 Uhr. Der 6. Juni 1944. Dieses morbid-fragile Bild sehen die GIs. Viele von ihnen nur eine Sekunde lang.
"MG-42", Maschinengewehr 42 der Wehrmacht, Spitzname "Hitlersense". Eine Innovation der NS-Waffenhersteller "Mauser" und anderer Waffenfabriken. Neuartig ist: Das MG-42 besteht nicht mehr aus massivem Stahl, sondern wird in einem Blechprägeverfahren gefertigt, darum ist es kostengünstig und in hoher Stückzahl schnell lieferbar. Zudem ist es extrem leistungsfähig. 25 Schuss pro Sekunde ergeben 1500 Schuss pro Minute, mit einer Schusskadenz im Überschallbereich.
Diese Waffen machten ihrem Spitznamen alle Ehre. Die meisten GIs in den Landungsbooten hörten den Feuerknall des Maschinengewehrs nicht, weil sie schon tot waren.
Über Leon Gautier: Der heute über 90-jährige Leon Gautier war 75 Jahre zuvor einer jener 177 Männer des Kommandos, das nach Philippe Kieffer benannt war, und die aus aller Herren Länder zusammengekommen waren, um mitzuhelfen, die Welt von der Naziherrschaft zu befreien. Leon Gautier kämpfte in der gesamten Normandieschlacht.
Bei der Operation Overlord ging Philippe Kieffer mit seinen Männern bei Colleville-sur-Orne an Land. Hier begann die Spezialoperation. Denn von hier aus, im Rücken, also von der Landseite, bewegten sie sich auf die deutschen Wehrmachtsstellungen in Quistreham vor. Im kleinen Küstenstädtchen Quistreham hatten die Deutschen das Casino zu einem Bunker mit schwerem Geschütz ausgebaut. Es gelang den Männern, das Geschütz auszuschalten, und stattdessen einen alliierten Brückenkopf einzurichten.
30 schwerbewaffnete Männer pro Landungsboot, die meisten am Morgen des 6. Juni 1944 seekrank von der Überfahrt. Das Boot misst zwölf Meter in der Länge, Breite drei Meter, mit 70 Zentimetern Tiefgang schwankt es beim geringsten Wellengang. Zwei Stunden hat die Überfahrt gedauert, nun liegt die Küste vor mehr als 5300 Schiffen, Booten und Transportern aller Art. Die 175.000 Männer in den Booten und Schiffen sehen den Atlantikwall in diesem Teilabschnitt. Sie erkennen im Morgengrauen die tödliche Befestigungslinie mit dicht gespanntem Stacheldraht, den reihenweise aufgepflanzten "Rommelspargel", also Hindernisse mit gespanntem Draht. Dazu die "Tschechenigel", Hemmbalken, an denen Minen und Sprenggranaten befestigt sind. Und Bunker. Mit jetzt auf sie gerichteten Artilleriegeschützen.
"Die Situation für Nacht des 6. Juni ist folgende: Die Wettersituation ist nicht wirklich gut. Die müssen eine fürchterliche Nacht auf hoher See verbringen, und die Ironie ist, die Deutschen haben natürlich auch ihren Wetterbericht, und wissen auch, das Wetter wird schlecht. Und rechnen deswegen für den 6. Juni nicht mit einem alliierten Angriff. Deswegen sind zentrale Persönlichkeiten am Morgen des 6. Juni nicht vor Ort." (Peter Lieb)
"Aufgeschreckt durch Radar-Meldungen von der Küste, beorderte Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt die 12. SS-Panzer-Division 'Hitlerjugend' und die Panzer-Lehr-Division gegen 4:30 Uhr sofort nach Saint-Sever-Calvados, etwa 70 Kilometer westlich von Falaise. Generaloberst Alfred Jodl im Oberkommando der Wehrmacht, der über diesen Befehl verärgert war, da beide Divisionen als OKW-Reserve dem Führerhauptquartier unterstanden, nahm zwei Stunden später die Order wieder zurück."
Jodl hatte nämlich Anweisungen nichts, zu tun, bis der "größte Feldherr aller Zeiten", inzwischen per Akronym mit "GröFaz" betitelt, bis also Adolf Hitler auf dem Obersalzberg in Berchtesgaden vom Schlaf erwacht war. Doch da war es dann schon zu spät.
Tausende Gefallene in den ersten Minuten
Der Countdown beginnt um 6.30 Uhr am 6.Juni 1944. Utah Beach, H-Hour, die Landung selbst. Die Amerikaner stürmen aus den Booten heraus ins Wasser, und die Utah Beach hoch, ebenso wie die Omaha Beach. Gold, Juno und Sword-Beach sind die Ziele britischer, kanadischer und anderer Einheiten. Omaha-Beach ist ein 200 Meter tiefer Strand, der bei Flut fast unter Wasser ist. Dahinter eine leicht ansteigende Kies-Böschung, begrenzt von einer 30 Meter hohen Steilklippe. Dieser Teil der 90 Kilometer langen Küste, die an diesem Tag angegriffen wird, ist der schwierigste und unzugänglichste Strandabschnitt. Hier allein fallen in den ersten Minuten der Landung etwa 4000 Soldaten.
Der Strand ist dicht, wenige Meter nur entfernt, manche Boote laufen voll Wasser, die GIs stürmen heraus, etliche der Farmjungs haben nie schwimmen gelernt. Sofort gehen sie mit dem 40 Kilo Kampf- und Marschgepäck unter. Auch die CO2-Patronen ihrer Rettungswesten helfen nicht. Viele Soldaten erreichen dadurch nie den Strand, denn die anderen Landungsboote dürfen wegen der Gefährlichkeit keinen Halt auf der Fahrt zum Strand machen, um Schiffbrüchige zu retten und aufzunehmen.
Dann sind die ersten Landungsboote am Ufer, nicht immer dort, wo sie sein sollen. Wo auch immer sie sind, empfängt die jungen Männer eine mörderische Wand aus tödlichem Stahl. "Tak, Tak, Tak" – MG-Feuer, ununterbrochen, wie Hagel auf Blech. Dazu Mörser-Schrapnellgranaten in einem heulenden Ton. Im Rücken explodierende Boote und Panzer, überall das Schreien der Verwundeten, manche rufen hilfesuchend nach ihrer Mutter - insgesamt ein infernalischer Lärm.
7.00 Uhr, die zweite Landungswelle. Nach General Eisenhowers Plan hätten die Soldaten bereits den Strand an der Omaha-Beach und anderen Abschnitten sichern und nun die Stellungen in den Klippen sowie im Hinterland angreifen sollen. Doch an dem mit über zehn Kilometern Länge ausgedehntesten Strandabschnitt Omaha-Beach, später "Bloody Omaha" genannt, findet ein Gemetzel ohnegleichen statt.
Hier kämpften sich die Männer der 716. und 352. Infanteriedivision Meter um Meter vor. Und hier erlitten sie die höchsten Verluste, da die Bomber zuvor aufgrund schlechter Sicht die deutschen Bunker verfehlt hatten. Alles war dort intakt. Und wehrbereit.
Die britischen, französischen und kanadischen Einheiten begannen zwischen 7.25 Uhr und 7.45 Uhr die Landungen an den Strandabschnitten Gold, Juno und Sword. Von deutscher Seite aus wurden die Anlandungen mit größter Härte zu verhindern versucht, doch die Alliierten überrannten alle Widerstände. Bald waren sämtliche Strandabschnitte in alliierter Hand. Über Mulberry Harbour A und B begann mit Panzern der Vormarsch ins Landesinnere.
Am Ende des D-Day waren die Amerikaner an der Omaha Beach zweieinhalb Kilometer ins Landesinnere vorgedrungen. Im Abschnitt Utah Beach hatte der Landekopf eine Breite von vier Kilometern und eine Tiefe von sechs Kilometern. Briten, Franzosen und Kanadier waren in ihren Strandabschnitten Juno, Gold und Sword auf einer Frontbreite von 32 Kilometern durchschnittlich neun Kilometer tief vorgestoßen. Die schwachen deutschen Kräfte waren machtlos gegen diese Überzahl an Alliierten.
Die genaue Zahl an Verlusten lässt sich nicht mehr korrekt rekonstruieren. In der Gesamtoperation Overlord, einschließlich der Vorbereitungsphasen, kostete "der längste Tag" die Alliierten 53.700 Menschenleben. 18.000 Soldaten werden bis heute vermisst, mehr als 155.000 Männer wurden verwundet.
Die Deutschen verloren 200.000 Soldaten, vermisst werden rund 25.000 Männer, verwundet wurden über 175.000 Wehrmachtssoldaten. Später werden Historiker übereinstimmend sagen, dass sich der Atlantikwall als nutzlos erwiesen hat.
Die Aufarbeitung nach dem Krieg
Dass schon nach wenigen Stunden am 6. Juni 1944 die Anlandung der Alliierten unumkehrbar war, und die Tage des Deutschen Reiches gezählt, all das wurde natürlich den deutschen Normalbürgern verschwiegen. Vielmehr wurde ihm das Bild des standhaften Wehrmachtssoldaten vermittelt, der Teil einer ausstehenden militärischen Entscheidung war, mit der Option eines möglichen Sieges über die Alliierten.
"Panzer nach vorn. Auch im Raum von Bayeux treffen die Aggressoren auf einen Widerstand, der ihnen ungeheure Verluste bereitet. In den kleinen Küstenorten toben erbitterte Straßenkämpfe, die unter Einsatz aller Waffen von Deutschen mit heiligem Ernst geführt werden. Der entscheidende Kampf um Europas Zukunft hat begonnen." (Wochenschau / "Invasionsfront – Vorstoß von SS-Grenadieren in der Normandie", Juni 1944)
75 Jahre später ist es in der einst so umkämpften ländlichen Gegend fast paradiesisch friedlich. Eine der Hauptaufgaben der 82. US-Luftlandedivision war die Einnahme der Brücke über den Fluss Merderet. Die Brücke selbst ist vielleicht nur vier Meter lang, mit einem Mittelstreifen für die enge Straße darüber. Heute ist die kleine Brücke unscheinbar, die Gegend ländlich verschlafen, ein Garten Eden an der Küste der Normandie. Doch vor 75 Jahren landeten in der Nacht zum 6. Juni 1944 im tiefen Sumpf rechts und links der Brücke 15000 US-Fallschirmjäger.
Doch warum diese schweren Kämpfe vom 6. bis 9. Juni 1944, warum war dieses Gebiet, dieses Brückchen, strategisch so wichtig?
"Frühmorgens, als die 5000 Schiffe an die Küste kamen, da haben die Deutschen verstanden, jetzt geht es los, darum Fallschirmjäger im Hinterland. Und da haben die Deutschen versucht, die Brücke wieder zu nehmen." (Jean Lenoir)
1958 halfen erstmals Jugendliche aus mehreren Nationen unter dem Motto "Versöhnung über den Gräbern" bei der Anlage der Kriegsgräberstätten in La Cambe in Frankreich. 1996 begann man auch mit der Anpflanzung der ersten Bäume für den sogenannten "Friedenspark", als ein lebendiges Zeichen für den Frieden. Inzwischen stehen 1220 Ahornbäume auf einer Fläche von drei Hektar in La Cambe, und gestalten das Gelände des deutschen Soldatenfriedhofes.
In Polen und in der Sowjetunion wurde diese Idee kopiert. Auch dort wachsen Bäume in "Friedensparks".
"Die fünf Kreuze sind unser Logo, also für die Aufgaben vom Volksbund. Also die gefallenen Soldaten versammeln auf einem Ort, also hier auf dem Friedhof. Dann muss man auch der Familie helfen. (Marie-Annick Wieder)
Über Marie-Annick Wieder: Marie-Annick Wieder ist die Friedhofsverwalterin des deutschen Soldatenfriedhofs in La Cambe. Zugleich ist sie Mitarbeiterin im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, einer humanitären Organisation, die sich im Auftrag der deutschen Bundesregierung der Aufgabe widmet, die Gräber deutscher Kriegstoter im Ausland zu erfassen, zu erhalten und zu pflegen. Noch heute bearbeiten die Volksbund-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jährlich 35.000 Suchanfragen nach Vermissten beider Weltkriege.
Nach sechs Tagen mit 30 Kilometern Tiefe, 100 Kilometern auf der Breite steht die neue Westfront gegen das Hitlerreich. Die Normandieschlacht tobt in voller Härte. Eigentlich hatte General Bernhard Montgomery vor, die strategisch wichtige Stadt Caen schon in den ersten Nachfolgetagen des D-Day einzunehmen. Aber daraus wurde nichts. Trotz der weitgehend erfolgreichen alliierten Anlandung an der Küste konnte Caen nicht eingenommen werden. Starke Panzerverbände der Wehrmacht und der Waffen-SS verwickelten die alliierten Einheiten in einen gnadenlosen Stellungskrieg und in eine Materialschlacht ohnegleichen.
Erst am 19. Juli 1944 war Caen unter der Kontrolle der Amerikaner, Briten, Kanadier und Franzosen, und zu einem Großteil durch die Kämpfe zerstört. Wenige Tage nach der Befreiung Caens versuchten die Alliierten, nach Falaise zu kommen. Anfang August 1944 entstand in Folge der Kämpfe der sogenannte "Kessel von Falaise." Patricia Lengyel führt Besucher durch das "Le Memorial de Falaise – La Guerre de Civils":
"Mit dem Zweiten Weltkrieg hatten wir mehr Opfer in der Bevölkerung als in den Armeen. Wir sind in der Normandie, und nach der Landung der Alliierten hat die Schlacht um die Normandie 100 Tage gedauert. Die Region wurde zu 80 Prozent zerstört. Und 20.000 Zivilisten sind getötet worden. Die Franzosen verstehen die militärische Strategie der Bombardierungen nicht. Sie hatten Häuser, die Häuser werden zerstört, sie verlieren manchmal einen Bruder, einen Vater, eine Frau, eine Tochter. Und wir haben viele Aufnahmen, sie zeigen Zivilisten mit alliierten Soldaten, und die Gesichter sind sehr seriös, ja."
Centre Juno Beach Juno Beach ist nur rund eine Autostunde von Falaise entfernt. Hier landeten am D-Day rund 14.000 Kanadier. Jetzt informieren im Centre Juno Beach kanadische Museumspädagogen die Besucher über die Geschehnisse vor 75 Jahren. Wie war der Alltag in einer derart sich in Aufruhr befindenden Welt? Im "Centre Juno Beach" versucht man, diesen Fragen nachzugehen, zum Beispiel mit der Ausstellung "Great Woman During the War 1939- 1945", die hier seit dem 2. März 2019 zu sehen ist.
Viele Fotografien illustrieren die meist ungeheuer schwierigen Positionen und Lebensumstände der Frauen - egal, von welcher kriegsführenden Seite. Wer durch die Ausstellung geht, erfährt vom Krieg eine zumeist in allen konfliktführenden Ländern unterbelichtete Seite, die der Unbewaffneten, der hilf- und zumeist wehrlosen Frauen.
An allen Landungsstränden sind riesige Museen entstanden, in denen der Kriegsgräuel auf vielfältigste Weise, multimedial und technisch raffiniert gedacht wird. Filme werden gezeigt, die das Kriegsgeschehen mit originalen Aufnahmen und schauspielerischen Sequenzen den Besuchern nahebringen.
Und heute?
Vor den Museen hüpfen Kinder an den Stränden entlang, bauen Sandburgen, suchen Muscheln. Die Eltern sonnen sich hinter Strandmuscheln, auf bunten Badetüchern und Matten, Eisverkäufer schieben klingelnd und rufend ihre weißen Eiskarren die Strände rauf und runter - Frieden.
Und doch geht im Hintergrund dieses Friedens der grauenhafte Krieg auf eine seltsame Art weiter, gut, wie ungut. Gut, weil seiner in den Museen gedacht wird, und den Opfern fast ausnahmslos hoher Respekt und tiefe Achtung widerfährt. Und vielleicht ungut, oder zumindest schwierig, sagt der Ex-Offizier Jean Lenoir. Er hat den Krieg wirklich auf dem Balkan erlebt. Jean Lenoir fürchtet, Krieg verkomme hier zu einer Art Show:
"Es gibt sogar Leute, die sich deutsche Uniformen anziehen. Warum ist das so? Warum diese Entwicklung? Meine Erklärung ist, die Zeitzeugen verschwinden langsam. Das ist auch in Ordnung, die Zeit läuft. Und die jetzt kommen, die junge Generation, die wollen immer etwas Konkretes sehen. Und das ist konkret. So, die verkleiden sich und spielen Krieg, aber das ist kein Spiel."
So gibt es Baseball-Caps mit Divisionsaufdruck, Regenschirmen in Tarnfarben, D-Day-Blechtassen, Sweat-Shirts mit Nummern der US-Einheiten, Kugelschreiber, in denen die Codenamen des jeweiligen Landungsstrandes eingeprägt sind, Mouse-Pads mit Eisenhower-, Churchill-, de Gaulle- oder Montgomery-Portraits und vieles andere.
So jährt sich also der D-Day: Nur noch wenige, die ihn erlebt, die mitgekämpft, ihn erlitten haben, leben heute noch. Doch ihre Erlebnisse gilt es weiterzugeben, wie eine Staffel bei einem Wettlauf. Damit wir nie vergessen, dass wir aufgrund ihrer Opfer in Freiheit leben dürfen.
Produktion dieser Langen Nacht: Autor: Peter Kaiser, Sprecher: Frank Arnold, Jan Uplegger, Birgit Paul, Gilles Chevalier, Christiane Guth,Redaktion: Dr. Monika Künzel, Regie: Beate Ziegs, Webproduktion: Jörg Stroisch
Über den Autoren: Peter Kaiser, geboren in Berlin, Abendstudium Industriefachwirt, war in der Industrie tätig, bis er anfing, für den Rundfunk zu arbeiten. Seitdem Feature, Reportagen, Kritiken, Beiträge und Reiseberichte in allen ARD-Sendern, sowie im SPIEGEL. Verschiedene Texte haben inzwischen Eingang in Abitur-Schulbücher gefunden. Dazu kommen etliche Buchpublikationen, zuletzt: "Element 17" und "Tief unten. Tief im Flughafen. Tief im BER".