Eine legendäre Gestalt
Mit dem Roman "Leo Africanus" hat der libanesische Schriftsteller Amin Maalouf einen Bestseller geschrieben und das unglaublich bewegte Leben seines Protagonisten zwischen Orient und Okzident, zwischen Christentum und Islam, zwischen Flucht und Prunk, Diplomatie und Krieg im 16. Jahrhundert fiktional gestaltet.
Nun hat die kanadisch-amerikanische Historikerin Natalie Zemon Davis erforscht, wer dieser Mann tatsächlich war: ein Grenzgänger nicht nur zwischen Religionen, sondern auch zwischen den Genres, wie die von ihm erhaltenen Bücher - eine Beschreibung Afrikas, ebenfalls ein in viele Sprachen übersetzter Bestseller und seine Biographien arabischer Gelehrter - verraten.
Leo Africanus ist keine Erfindung, er hat tatsächlich gelebt. Geboren wurde er in Granada vor der endgültigen katholischen Reconquista des islamisch-jüdisch-christlichen al-Andalus zwischen 1486 und 1488. Sein Name: Al-Hassan bin Muhamed bin Ahmad al-Wazzan Al-Fasi. Seine wohlhabende Familie kehrte zurück nach Fez, wo der wissbegierige junge Mann eine gründliche Ausbildung als Rechtsgelehrter genoss, die ihm später unter anderem den Weg als Diplomat, Militär und Bevollmächtigter in Diensten des Sultans von Fez eröffnete.
Er hatte Handelsbeziehungen zu befördern, komplizierte politische Winkelzüge zu parieren, Aufständische, die mit den Portugiesen paktierten, in Schranken zu halten und Allianzen zu knüpfen angesichts der Bedrohung der islamischen Welt durch christliche Herrscher. Große Reisen innerhalb Marokkos und in das subsaharische Afrika waren damit ebenso verbunden wie Missionen nach Nubien, Kairo, in die Levante, nach Istanbul und auf die Arabische Halbinsel.
Spanische Piraten überfielen sein Schiff 1518 und überstellten ihn Papst Leo X. - als interessante Beute im Kampf gegen den Islam. Zunächst in der Engelsburg in Gefangenschaft, präsentierte sich Al-Hassan al-Wazzan als Universalgelehrter, bildete sich in neuem Wissen – Latein und christliche Dogmenlehre - und erhielt schließlich 1520 vom Papst persönlich im Petersdom die Taufe. Hier erst beginnt das Leben von Johannes Leo oder Giovanni Leo aus Afrika.
Yuhanna al-Asad wird er sich selbst auf Arabisch nennen. Zemon Davis’ "Porträt eines Mannes mit einer doppelten Perspektive, der zwei kulturellen Welten angehört" beginnt mit einer frappierenden Frage: Wieso eigentlich hatte Hanno, der weiße indische Elefant des Papstes, so viel mehr Nachruhm erlangt als jener Patensohn großer Kardinäle, der Wissenschaftler und Übersetzer, der Kulturvermittler und Schriftsteller, zu dem Leo in der heiligen Stadt geworden war?
In Tagebüchern, Korrespondenzen und öffentlichen Akten hat er keine Spuren hinterlassen, war nur Lieferant nützlicher Informationen, doch als Konvertit keine Vertrauensperson - zumal er nicht das Trennende beider Religionen und Kulturen in den Vordergrund stellte, wie zu der Zeit üblich. Zemon Davis’ Spurensuche zeigt, wie sehr Yuhanna al-Asads Kommentare zur Koranübersetzung, sein mit einem jüdischen Mitstreiter begonnenes arabisch-hebräisch-lateinisches Wörterbuch einer eher unparteiischen Haltung zu Religionsfragen geschuldet sind und "Anleitungen zum Verständnis der islamischen Welt" darstellten.
Die 1526 abgeschlossene Kosmographie und Geographie Afrikas holt zwar aufgrund der breiten Perspektive und des Wissens um europäische Vorurteile den Kontinent "auf den Boden der Realität". Interessant sind für Zemon Davis jedoch die Themen, die der Autor verschweigt oder umgeht, wie er arabische Begriffe einführt in sein Werk und nicht als Ich, sondern als Kompilator Distanz herstellt. Er schreibt aus dem "Dazwischen", will zwei Leserkreise zugleich erreichen und beachtet, was er jeweils "nicht sagen sollte". Trotz dieser "strategischen Vorsicht" entfernt er sich aus der üblichen Legitimationskette der Lehrer und überschreitet "legitime Grenzen islamischer Fragestellungen". Sein Schweigen als Schriftsteller nach der im Jahr 1527 vermuteten Rückkehr auf die andere Seite des Mittelmeeres könnte Indiz dafür sein, dass eine Wiedereingliederung nicht möglich war.
Viele biographische Szenen, die die Wissenschaftlerin entwirft, basieren auf Archivmaterial aus der Umgebung al-Asads; es sind durch immense historische Detailkenntnisse unterfütterte spekulative Momentaufnahmen und zugleich lebendige Annäherungen. Mit ihrer genauen Lektüre der Schriften des freiwilligen Grenzgängers unter Zwang findet sie Indizien der Beunruhigung und Verlockung, denen der marokkanische Gelehrte in Rom ausgesetzt war ebenso wie Distanzierungsschritte gegenüber seiner Herkunftskultur. So entsteht nicht nur das Porträt eines ungewöhnlichen Mittlers, sondern eine faszinierende Kultur- und Mentalitätsgeschichte der Mittelmeer-Region im Spannungsfeld eines vielschichtigen frühen "Kulturkampfes". Intellektuelle Debatten um Bibelkritik und Antikenrezeption entwickelten sich als vorsichtige Korrektive des abendländischen Dominanzstrebens - allerdings ohne bleibende Wirkung.
Rezensiert von Barbara Wahlster
Natalie Zemon Davis: Leo Africanus. Ein Reisender zwischen Orient und Okzident, aus dem Englischen von Gennaro Ghiradelli, Wagenbach Verlag, Berlin 2008, 400 Seiten, 36 Euro.
Leo Africanus ist keine Erfindung, er hat tatsächlich gelebt. Geboren wurde er in Granada vor der endgültigen katholischen Reconquista des islamisch-jüdisch-christlichen al-Andalus zwischen 1486 und 1488. Sein Name: Al-Hassan bin Muhamed bin Ahmad al-Wazzan Al-Fasi. Seine wohlhabende Familie kehrte zurück nach Fez, wo der wissbegierige junge Mann eine gründliche Ausbildung als Rechtsgelehrter genoss, die ihm später unter anderem den Weg als Diplomat, Militär und Bevollmächtigter in Diensten des Sultans von Fez eröffnete.
Er hatte Handelsbeziehungen zu befördern, komplizierte politische Winkelzüge zu parieren, Aufständische, die mit den Portugiesen paktierten, in Schranken zu halten und Allianzen zu knüpfen angesichts der Bedrohung der islamischen Welt durch christliche Herrscher. Große Reisen innerhalb Marokkos und in das subsaharische Afrika waren damit ebenso verbunden wie Missionen nach Nubien, Kairo, in die Levante, nach Istanbul und auf die Arabische Halbinsel.
Spanische Piraten überfielen sein Schiff 1518 und überstellten ihn Papst Leo X. - als interessante Beute im Kampf gegen den Islam. Zunächst in der Engelsburg in Gefangenschaft, präsentierte sich Al-Hassan al-Wazzan als Universalgelehrter, bildete sich in neuem Wissen – Latein und christliche Dogmenlehre - und erhielt schließlich 1520 vom Papst persönlich im Petersdom die Taufe. Hier erst beginnt das Leben von Johannes Leo oder Giovanni Leo aus Afrika.
Yuhanna al-Asad wird er sich selbst auf Arabisch nennen. Zemon Davis’ "Porträt eines Mannes mit einer doppelten Perspektive, der zwei kulturellen Welten angehört" beginnt mit einer frappierenden Frage: Wieso eigentlich hatte Hanno, der weiße indische Elefant des Papstes, so viel mehr Nachruhm erlangt als jener Patensohn großer Kardinäle, der Wissenschaftler und Übersetzer, der Kulturvermittler und Schriftsteller, zu dem Leo in der heiligen Stadt geworden war?
In Tagebüchern, Korrespondenzen und öffentlichen Akten hat er keine Spuren hinterlassen, war nur Lieferant nützlicher Informationen, doch als Konvertit keine Vertrauensperson - zumal er nicht das Trennende beider Religionen und Kulturen in den Vordergrund stellte, wie zu der Zeit üblich. Zemon Davis’ Spurensuche zeigt, wie sehr Yuhanna al-Asads Kommentare zur Koranübersetzung, sein mit einem jüdischen Mitstreiter begonnenes arabisch-hebräisch-lateinisches Wörterbuch einer eher unparteiischen Haltung zu Religionsfragen geschuldet sind und "Anleitungen zum Verständnis der islamischen Welt" darstellten.
Die 1526 abgeschlossene Kosmographie und Geographie Afrikas holt zwar aufgrund der breiten Perspektive und des Wissens um europäische Vorurteile den Kontinent "auf den Boden der Realität". Interessant sind für Zemon Davis jedoch die Themen, die der Autor verschweigt oder umgeht, wie er arabische Begriffe einführt in sein Werk und nicht als Ich, sondern als Kompilator Distanz herstellt. Er schreibt aus dem "Dazwischen", will zwei Leserkreise zugleich erreichen und beachtet, was er jeweils "nicht sagen sollte". Trotz dieser "strategischen Vorsicht" entfernt er sich aus der üblichen Legitimationskette der Lehrer und überschreitet "legitime Grenzen islamischer Fragestellungen". Sein Schweigen als Schriftsteller nach der im Jahr 1527 vermuteten Rückkehr auf die andere Seite des Mittelmeeres könnte Indiz dafür sein, dass eine Wiedereingliederung nicht möglich war.
Viele biographische Szenen, die die Wissenschaftlerin entwirft, basieren auf Archivmaterial aus der Umgebung al-Asads; es sind durch immense historische Detailkenntnisse unterfütterte spekulative Momentaufnahmen und zugleich lebendige Annäherungen. Mit ihrer genauen Lektüre der Schriften des freiwilligen Grenzgängers unter Zwang findet sie Indizien der Beunruhigung und Verlockung, denen der marokkanische Gelehrte in Rom ausgesetzt war ebenso wie Distanzierungsschritte gegenüber seiner Herkunftskultur. So entsteht nicht nur das Porträt eines ungewöhnlichen Mittlers, sondern eine faszinierende Kultur- und Mentalitätsgeschichte der Mittelmeer-Region im Spannungsfeld eines vielschichtigen frühen "Kulturkampfes". Intellektuelle Debatten um Bibelkritik und Antikenrezeption entwickelten sich als vorsichtige Korrektive des abendländischen Dominanzstrebens - allerdings ohne bleibende Wirkung.
Rezensiert von Barbara Wahlster
Natalie Zemon Davis: Leo Africanus. Ein Reisender zwischen Orient und Okzident, aus dem Englischen von Gennaro Ghiradelli, Wagenbach Verlag, Berlin 2008, 400 Seiten, 36 Euro.