Eine Liebe ohne Zukunft
Ein verheirateter Schriftsteller trifft eine verheiratete Theologieprofessorin, daraus entsteht ein lustvoll-intimer und dennoch aussichtsloser Briefwechsel. Martin Walser hat ein Buch über Macht und Ohnmacht, Kraft und Schwäche der Liebe geschrieben.
Es geht wohl sowieso immer nur um das eine. Wenn der Apostel Paulus, der protestantische Kirchenlehrer Karl Barth und der Autor Martin Walser an einem Tisch sitzen würden, wäre ihr wichtigstes Thema die Liebe. Paulus hätte gleich die Priorität betont – "Glaube, Liebe, Hoffnung, aber die Liebe ist die größte unter ihnen." Karl Barth würde die lebenslange Liebe, den Römerbrief kommentierend, auf zwei Frauen gleichzeitig anwenden und vielleicht von einem "Glauben ohne Hoffnung auf Hoffnung" sprechen. Und Martin Walser, um Kommentare zur Liebe in allen Lebenslagen nie verlegen ("Die meisten leiden ohne Gewinn") und mit der Briefliteratur virtuos vertraut, würde ein neues 13. (Römerbrief)-Kapitel der Vergeblichkeit schreiben.
Er hat es getan. Nach seinen drei letzten Büchern "Mein Jenseits", "Muttersohn" und "Über Rechtfertigung" hat der zum Literatur-Theologen aufgestiegene Altersweise vom Bodensee ein Buch über Macht und Ohnmacht, Kraft und Schwäche der Liebe geschrieben; er bezieht sich auf das 13. Kapitel des Römerbriefs und nennt seinen Briefroman "Das dreizehnte Kapitel".
Der verheiratete Schriftsteller Basil Schlupp lernt die verheiratete Theologieprofessorin Maja Schneilin auf einem Empfang des Bundespräsidenten in Berlin kennen und verfällt ihr. Er muss ihr einfach schreiben.
Ich schob meinen Stuhl weiter weg vom Tisch, dass meine Tischdame und die Frau des Bundespräsidenten nicht bemerken sollten, wie ich hinüberschaute zur Frau des Gefeierten. Ich kann mich an keinen Augenblick erinnern, in dem ich so traurig, so niedergeschlagen, so erledigt war wie in diesem Augenblick. Weil sie so unvergesslich aussah. Damit würde ich leben müssen. Dass das verlangbar ist, wusste ich. Aber diese Konstellation! Ein Mann wie der! Eine Frau wie die! Noch nie hatte ich erlebt, was für eine windige Figur ich war. Strandhafer! Und der da vorne hatte sich losgesagt von allen Karrieresprüngen, um der Menschheit direkt zu helfen. Adlershof, Medikamente nach Maß, schneller lernen als die schnellsten Viren. Das Gesicht der ihrem Mann zuhörenden Frau leuchtete. Vor Glück. Aber ohne buchstabierbare Stimmung.
Deutlich wird: Diese Liebe hat keine Zukunft, keiner der beiden zunehmend lustvoller, intimer und verbindlicher schreibenden Briefpartner will den jeweiligen Ehepartner düpieren, teilt aber intime Details aus deren Leben mit; keiner aber kann diese Liebe einfach als Episode der Gegenwart ablegen und damit Vergangenheit werden lassen. Maja Schneilins wichtigster geistlicher Lehrer, der Schweizer Theologe Karl Barth (ihr "Meister"), wirft mit seiner "Theologie der Unmöglichkeit", wie sie es nennt, einen Schatten auf jeden Brief der liebenden Theologin:
Also: Eine Rechtfertigung kann es nur geben, sofern weder vor Gott noch vor den Menschen eine Rechtfertigung gesucht wird. Es ist keine mögliche, sondern die unmögliche Möglichkeit.
Unmöglich ist die Möglichkeit einer Tischrunde mit Paulus, Barth und Walser. Aber mit diesem Alterswerk des 85-Jährigen dank seiner Verknüpfung von Theologie, Literatur und wirklichem Leben eine doch mögliche Unmöglichkeit.
Martin Walser: Das dreizehnte Kapitel
Rowohlt, Hamburg 2012
272 Seiten, 19,95 Euro
Er hat es getan. Nach seinen drei letzten Büchern "Mein Jenseits", "Muttersohn" und "Über Rechtfertigung" hat der zum Literatur-Theologen aufgestiegene Altersweise vom Bodensee ein Buch über Macht und Ohnmacht, Kraft und Schwäche der Liebe geschrieben; er bezieht sich auf das 13. Kapitel des Römerbriefs und nennt seinen Briefroman "Das dreizehnte Kapitel".
Der verheiratete Schriftsteller Basil Schlupp lernt die verheiratete Theologieprofessorin Maja Schneilin auf einem Empfang des Bundespräsidenten in Berlin kennen und verfällt ihr. Er muss ihr einfach schreiben.
Ich schob meinen Stuhl weiter weg vom Tisch, dass meine Tischdame und die Frau des Bundespräsidenten nicht bemerken sollten, wie ich hinüberschaute zur Frau des Gefeierten. Ich kann mich an keinen Augenblick erinnern, in dem ich so traurig, so niedergeschlagen, so erledigt war wie in diesem Augenblick. Weil sie so unvergesslich aussah. Damit würde ich leben müssen. Dass das verlangbar ist, wusste ich. Aber diese Konstellation! Ein Mann wie der! Eine Frau wie die! Noch nie hatte ich erlebt, was für eine windige Figur ich war. Strandhafer! Und der da vorne hatte sich losgesagt von allen Karrieresprüngen, um der Menschheit direkt zu helfen. Adlershof, Medikamente nach Maß, schneller lernen als die schnellsten Viren. Das Gesicht der ihrem Mann zuhörenden Frau leuchtete. Vor Glück. Aber ohne buchstabierbare Stimmung.
Deutlich wird: Diese Liebe hat keine Zukunft, keiner der beiden zunehmend lustvoller, intimer und verbindlicher schreibenden Briefpartner will den jeweiligen Ehepartner düpieren, teilt aber intime Details aus deren Leben mit; keiner aber kann diese Liebe einfach als Episode der Gegenwart ablegen und damit Vergangenheit werden lassen. Maja Schneilins wichtigster geistlicher Lehrer, der Schweizer Theologe Karl Barth (ihr "Meister"), wirft mit seiner "Theologie der Unmöglichkeit", wie sie es nennt, einen Schatten auf jeden Brief der liebenden Theologin:
Also: Eine Rechtfertigung kann es nur geben, sofern weder vor Gott noch vor den Menschen eine Rechtfertigung gesucht wird. Es ist keine mögliche, sondern die unmögliche Möglichkeit.
Unmöglich ist die Möglichkeit einer Tischrunde mit Paulus, Barth und Walser. Aber mit diesem Alterswerk des 85-Jährigen dank seiner Verknüpfung von Theologie, Literatur und wirklichem Leben eine doch mögliche Unmöglichkeit.
Martin Walser: Das dreizehnte Kapitel
Rowohlt, Hamburg 2012
272 Seiten, 19,95 Euro