Eine magische Tänzerin

Von Wiebke Hüster |
Der Titel, den diese Tänzerin trug, wird denkbar selten vergeben – Primaballerina Assoluta. In mehr als 120 Rollen verzauberte Eva Evdokimova das Publikum weltweit – mit dem London Festival Ballet, dem Ballett der Pariser Oper, in Berlin, New York oder Mailand.
An Superlativen war ihre außergewöhnliche Karriere reich: Sie war die erste Amerikanerin, die den Internationalen Ballettwettbewerb in Varna gewann, die erste nicht-dänische Ballerina, die am Königlich-Dänischen Ballett in Kopenhagen die großen Bournonville-Rollen tanzen durfte, und die erste Amerikanerin, die mit dem Kirov-Ballett in Leningrad auftreten durfte. Als sie 1990 nach Berlin zurückkehrte, wo sie zwölf Jahre lang zum Ballett der Deutschen Oper gehört hatte, dankte man ihr mit 40 Minuten Standing Ovations, während derer sie 67 Mal vor den Vorhang treten musste.

Jetzt ist Eva Evdokimova, in Genf geborene Tochter eines Exilbulgaren und einer Amerikanerin, mit nur 59 Jahren gestorben. Eva Evdokimova war ein sehr zurückgezogen lebender Star. Auf der Bühne war sie eine so auffallend schöne Tänzerin, dass Rudolf Nurejew während 15 Jahren immer wieder mit ihr auftrat. Vor allem in "Giselle" und "La Sylphide", den beiden berühmtesten Balletten der romantischen Epoche, waren die beiden ein unvergleichliches Paar.

Eva Evdokimova wurde zur Primaballerina Assoluta ernannt nicht nur aufgrund ihrer wundervollen Technik. Ihre körperliche Schönheit – die idealen langen Beine, der perfekt gewölbte Spann, ihre freien, grazilen Arme ließen sie wie prädestiniert erscheinen für die Rollen des romantischen Repertoires. Technisch war sie so vollkommen, weil sie sehr hart mit verschiedenen Lehrern studiert hatte – zunächst an der Royal Ballet School in London. Ihre drei Jahre in Kopenhagen gaben ihr ungeheure Kraft, denn die braucht es, um die feinen, leichten, schnellen, battierten Sprünge, an denen Bournonvilles Ballette so reich sind, auszuführen. Sie hatte auch Lehrer, die sie nach der Vaganova-Methode unterrichteten – hierher stammten ihre Eleganz, ihr Kondition und das Epaulement – also die richtige Koordination der Positionen von Kopf, Schultern und Hüften zueinander.

Und doch waren Virtuosität und Schönheit nur ein Teil der Magie. Evdokimova hatte auch durch ihre Arbeit mit zeitgenössischen Choreographen eine ganz eigene Vorstellung davon, wie ihre Rollen – auch die klassischen Rollen – mit Geist und Seele zu erfüllen wären. Sie verstand und sie empfand, was sie tanzte, so deutlich wie kaum eine andere Tänzerin ihrer Generation. 1985 verließ sie die Deutsche Oper im Zorn, die Leitung des Hauses, fand sie, setze sich nicht genug für das Ballett ein. So ging Eva Evdokimova nach New York, und das deutsche Publikum war geschockt.

Evdokimova aber wurde ein gefragter Coach der großen Rollen des Repertoires. Mit den amerikanischen Tänzern, so sagte sie 2005 in einem Interview, müsse sie besonders an Ausstrahlung und Bühnenpräsenz arbeiten. Auch am Epaulement vielleicht, oder daran, wie man organisch atmet, mit der Musik. Aber technisch seien die Tänzer dort sehr gut. Aber sie versuchte, in einem Workshop auch mal einfach eine Dreiviertelstunde zu sprechen, ihnen zu erklären, wie wichtig es sei, dass sie gebildet seien, dass sie Bücher lesen und in Ausstellungen gehen. Sie wollte ihnen zeigen, dass es für ihre Rolleninterpretationen wichtig ist, " tief unter die Oberfläche hinabzutauchen".