Eine Messe für Julian Assange

Von Alexander Kohlmann |
Angela Richter hat Julian Assange getroffen und daraus einen Abend gemacht, an dem Gut und Böse eindeutig verteilt sind. Ihr naives Stück "Assassinate Assange" beschäftigt sich vor allem mit verrutschten Kondomen, aber nicht mit WikiLeaks oder den unheimlichen Möglichkeiten des Internet.
Nein, Julian Assange wurde nicht live zugeschaltet an diesem Abend, und er hätte mutmaßlich auch am intellektuellen Niveau dieser Veranstaltung wenig Freunde gehabt.

Alles beginnt wie eine Szene in Stanley Kubricks Weltraumepos "2001". Auf der mit Nebel gefluteten Bühnenfläche, auf der nur einige Apple Computer das schwache Markenlicht der Computer-Nerds verbreiten, hat sich eine Horde von Affen versammelt. Acht Schauspieler mit Masken simulieren eine Art Urschleim der Menschheit, keine normalen Affen allerdings, sondern weiße Albinos. Wie eine Mischung aus Eisbär und Schimpanse sehen die aus, oder, mag sich Angela Richter gesagt haben, wie Julian Assange. Dazu wird im Hintergrund die Milchstraße projiziert und aus den Lautsprechern blubbern einige Gemeinplätze über das Internet, das ja wieder eine moderne Form der urtümlichen Horde evozieren würde. Bei Kubrick trägt ein außerirdischer Monolith die Intelligenz in diese vormenschliche Versammlung und auch bei Richter kommt die Erlösung aus dem Weltraum. Ein riesiges Bild von Julian Assange schwebt über die Leinwand und unter der Maske von einem der Affen-Albinos kommt Angela Richter höchstselbst zum Vorschein, den Blick fest in den digitalen Himmel gerichtet.

Ein Bild, mit dem eigentlich alles gesagt ist über diesen Abend. Denn der mythische Einstieg ist mitnichten ironisch gemeint, sondern nimmt nur vorweg, was in den folgenden 80 Minuten immer bizarrere Formen annimmt: ein krasser Fall von Heldenverehrung ohne jeden Bruch, ohne jede kritische Distanz. Zunächst dürfen wir nacherleben, wie Angela Richter Assange oder vertrauensvoll Julian, wie er den ganzen Abend genannt wird, in der Botschaft in London besucht hat. Eins zu eins wird von ihr selbst das Gespräch nachgespielt, welches sie veranlasste, ihre ursprüngliche Konzeption eines Abends über Supernerds zu Gunsten eines einzigen Protagonisten aufzugeben: Julian Assange.

Schon hier fällt die Distanzlosigkeit auf, wenn sie im weißen Affenfell locker die Argumentation des ecuadorianischen Botschafters (!) übernimmt. Ein Giftgasangriff der Briten habe kurz bevor gestanden. Sie habe derweil mit ihren Freunden mit selbstgedruckten T-Shirts protestiert, erfahren wir später. "I had sex with Julian Assange and I liked it", na klar.

Von der Botschaft ist der Weg kurz nach Schweden, dem Reich des Bösen in Richters Universum. Fast ein Drittel des Abends dreht sich um die Frage, welches Kondom wem wie verrutscht ist, und ob die Frauen nun wollten (na klar!) oder nicht. In Affenkostümen werden die Verhörprotokolle der schwedischen Assange-Groupies nachgestellt und dabei von der Inszenierung als offensichtliche Lügen entlarvt. Während die Frauen nein sagen, kommen sie stöhnend zum Orgasmus, manchmal zweimal, wie nach genauer Recherche in Assanges (Julians) Aussagen stolz berichtet wird.

Man mag von der schwedischen Rechtssprechung speziell im Fall Assange halten, was man will, hier wird derart einseitig zu Ungunsten der Frauen in einem laufenden Verfahren Partei genommen, dass man sich schon sehr wundern muss. Gibt es keinerlei andere Stimmen außer Assanges, die man hier zu Wort kommen lassen hätte? Und überhaupt, ist der Fall-Assange im Wesentlichen die Frage eines oder mehrerer verrutschter Kondome?

Natürlich nicht. Die wesentlichen Fragen werden an diesem Abend nicht mal angeschnitten. Was ist WikiLeaks? Hat auch ein Staat ein Recht auf Geheimnisse und Vertraulichkeiten, um arbeitsfähig zu bleiben? Was treibt einen Super-Nerd, wie Richter Assange nennt, an? Und vielleicht gerade im Kontext dieses Abends die wichtigste: Warum suchen wir auch in unseren modernen Zeit nach Heldenfiguren? Welche Bedürfnisse befriedigen diese modernen "Robin Hoods" in uns?

Wohin blinde Heldenverehrung führen kann, das wenigstens war schön zu beobachten. Auch nach der Vorstellung: Im Foyer versteigerte Angela Richter WikiLeaks-T-Shirts, handbemalt von ihrem Mann Daniel Richter. Ab 200 Euro konnte man seinen Beitrag leisten. Unter dem Motto "Support Freedom" wurden Spenden gesammelt für die vor der Pleite stehende WikiLeaks-Filiale in Deutschland. Naiver und distanzloser geht es nicht.

Informationen zu "Assassinate Assange" von Kampnagel Hamburg
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