Eine musikalische Heimat bieten

Von Caroline Kuban |
Wenn sich der "Chor International" in Potsdam trifft, kommt die halbe Welt zusammen. Denn nicht nur sein Repertoire ist "international", sondern auch die Chormitglieder. War es am Anfang eine eher überschaubare Gruppe, zählt der Chor heute um die 50 Sängerinnen und Sänger.
35 Sängerinnen und Sänger sitzen im holzgetäfelten Konferenzraum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in Potsdam. Konzentriert lauschen sie ihrem Chorleiter, der rhythmisch mit den Fingern schnipst. Sprechübung für das südamerikanische Volkslied "Un pocito cantas.

Wolfgang Puwalla, 66-jähriger Hannoveraner und von Hause aus Jurist, kam nach der Wende berufsbedingt nach Potsdam. 1995 gründete der leidenschaftliche Hobbymusiker, der auch Klavier und Gitarre spielt, den "Chor International"-in Kooperation mit der Volkshochschule:

"Gleichzeitig kamen hier so '94/'95 die ersten Ausländerkontingente nach Potsdam. Das war man ja gar nicht so gewohnt-bis auf die Vietnamesen, die hier schon zu DDR-Zeiten waren. Da hab ich gedacht: Versuch doch mal, das zu kombinieren. Aber nicht in der Weise, dass wir hier ein Sonderprojekt für die Ausländer machen, wie das ja meistens bei den Integrationsprojekten ist, sondern sie einfach bei unseren Aktivitäten mit beteiligen. Wer Lust hat. Ja, so ist das dann entstanden."

Die Mitglieder des Chores kommen aus allen Teilen der Welt: aus Russland und der Ukraine, aus Spanien, Italien, Kenia und Nigeria oder aus Ungarn. Auch Sänger aus Frankreich und Jamaica, Finnland und Schweden waren schon mit dabei. Viele kommen als Austauschschüler, Geschäftsleute mit Zeitvertrag oder Studenten:

"Es ist ein gemischter Chor: Männer Frauen, Ossis Wessis, Christen Nichtchristen, Ausländer Inländer, von allem was, und der einheimische Kern sorgt natürlich bis heute für Kontinuität, denn die Ausländer bleiben oft nicht so lange, so zwei Jahre, und dann gehen sie wieder. Aber auf diese Weise rankt sich immer so ein bunter Kranz um den einheimischen Kern herum."

Zu diesem Kranz gehört auch Hai Bluhm aus Vietnam. In den 70er-Jahren kam sie als Studentin für Wirtschaft und Informatik nach Deutschland. Seit drei Jahren singt sie im Sopran und versäumt seither keine Probe. Besonders gern singt die Vietnamesin deutsche Volkslieder. Bereits als Kind lernte sie sie in ihrer Heimat kennen. Allen voran: "Komm lieber Mai und mache ..."

"1966, mein Lehrer hat uns das Lied beigebracht, 1. Strophe, und er hat gesagt, wenn Krieg zu Ende, dann lernen wir 2. Strophe, aber er war dann zur Front, und er kam nicht zurück. Dann, viele Jahre später, als ich in Deutschland bin, wusste ich erst, dass es ein deutsches Volkslied ist."

Rund 200 Lieder aus allen Ecken der Welt hat das Ensemble in den vergangenen 17 Jahren einstudiert. Mitgebracht haben die Stücke die Sänger aus ihren Heimatländern. Volksweisen und Kinderlieder zählen dazu, aber auch anspruchsvolle Werke von Bach oder Bearbeitungen moderner Klassiker wie der Beatles. Gesungen wird grundsätzlich in der Originalsprache.

Da hat sich der Chor dran gewöhnt, das klappt bestens, freut sich Wolfgang Puwalla. Die Schwierigkeiten sind ganz anderer Natur. Zum Beispiel bei diesem finnischen Liebeslied:

"Der Duktus der Melodie, ich muss den Chor dazu bringen, die Bögen zu singen, also dass das nicht alles gleichmäßig klingt und die gleiche Dynamik ist und bei langsamen Stücken wie diesem ist das natürlich immer angesagt."

Spontanität wird groß geschrieben im Chor International; und so haben auch immer einige Chormitglieder ihre Instrumente dabei, um zum Beispiel ein kleines Zwischenspiel einzubauen. In diesem Fall mit Wolfgang am Klavier, Roberto an der Geige und Sabine an der Mandoline:

Gerade die langsamen Stücke haben für Roberto aus Apulien einen besonderen Reiz:

"Es macht ganz Spaß, es ist nur ab und zu mal etwas schwer mit der Sprache ... dann man schaut immer noch auf Wikipedia nach, wer hat was geschrieben, und wer hat was gesungen, und dann lernt man immer so viele Sachen."

"Cielito Lindo", der Gassenhauer aus Mexiko, gehört zu den Lieblingsliedern von Christine Stach aus Kenia. Da schunkelt sie mit den Chorschwestern dann auch gerne mal mit:

"Ich hab den Chor singen hören und dann gleich den Chorleiter angesprochen, ob ich mitsingen darf."

Genau wie Christine Stach lernt auch Dagmar Irmer gerne neue Stücke aus fremden Ländern kennen. Auf diese Weise erfährt man viel über anderen Kulturen, sagt die Altistin der ersten Stunde und erinnert sich an die Lieder aus Jamaica, die vom bunten Markttreiben erzählen:

"Gerade in der heutigen Zeit, wo doch Ausländerfeindlichkeit überall in den Medien präsent ist, ist das eine Beruhigung, dass man selber was dafür tun kann, dass Menschen hier sich auch wohlfühlen, die hier nicht zuhause sind."


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.