Eine neue Welt konzipieren
Der Philosophin und Publizistin Hannah Arendt zu Ehren finden in ihrer Geburtsstadt Hannover schon zum 14. Mal die Hannah-Arendt-Tage statt. Eingeladen war in diesem Jahr auch der südafrikanische Literaturwissenschaftler Neville Alexander, der zehn Jahre lang wegen seines Anti-Apartheid-Kampfes eingesperrt war.
Nein, die Angst vor einem "Untergang des Abendlandes" ging hier nicht um, wohl aber war bei den "Hannah-Arendt-Tagen" von den wirtschaftlichen und politischen Problemen Europas durchgängig die Rede. Dabei ist die Einschätzung der globalen Rolle Europas eine Frage der Perspektive. Neville Alexander, Gelehrter aus Kapstadt, sieht sogar eine Chance darin, dass der hegemoniale Einfluss des alten Kontinents in Afrika schwächer geworden ist und Europa ein Stück weit an die Peripherie rückt. Der wirtschaftliche Einfluss Indiens und vor allem die Bedeutung Chinas wachsen dagegen.
Eine Zeit des Umbruchs. Man befreit sich in Afrika von Überbleibseln kolonialen Denkens, Kunst und Kultur wirken bei dieser Bewusstwerdung mit. Afrika, so hofft Alexander, könnte sogar zur "Wiege einer neuen Menschlichkeit" werden, mit weltweiter Ausstrahlung – gilt es doch, gemeinsam Auswüchsen wie dem Profitdenken, der sozialen Ungerechtigkeit und dem Rassismus zu begegnen und auf ökologische Herausforderungen wie den Klimawandel zu reagieren:
"Das sind Vorboten der apokalyptischen Reiter, die nur durch die Menschheit als einheitliches Wesen besiegt werden können."
Programmatische Worte eines Mannes mit eindrucksvoller Biografie: der in Kapstadt geborene Germanist promovierte 1961 in Tübingen und wurde nach der Rückkehr in die Heimat wegen seines Kampfes gegen die Apartheid verhaftet. Zehn Jahre war er auf "Robben Island" inhaftiert - Seite an Seite mit Nelson Mandela, mit dem er in einem intensiven Gedankenaustausch stand. In Osnabrück nahm Alexander in diesem Sommer eine Gastprofessur wahr – und plädiert in seiner Heimat für Mehrsprachigkeit – für die Gleichberechtigung afrikanischer Sprachen mit europäischen. "Mit der Macht der Sprachen gegen die Sprache der Macht", so der Titel seines neuen Buches in Deutschland.
Wenn er von den Perspektiven Afrikas spricht, mag es idealisiert klingen - zumal bei uns in vielen Köpfen ein anderes Afrika-Bild vorherrscht: eines, das von Zerrissenheit, Hunger, Epidemien und Kriegen geprägt ist. Neville Alexander:
"Das stimmt natürlich, aber gerade das ist die Dialektik der Geschichte - dass sehr oft, wenn Länder und ganze Regionen in einer solchen Misere gelandet sind, sie sich emporarbeiten müssen und zwar auf der Basis ganz anderer Wertsysteme. Und ich glaube, genau das könnte auch in Afrika passieren. Dort gibt es eine Tradition, die wir in Südafrika ‘ubuntu‘ nennen, also einen afrikanischen Humanismus. Auf diese Tradition müssen wir zurückgreifen im Dialog mit Europäern, die auch solchen Werten verpflichtet sind."
Bis dieser zukunftsweisende Dialog zwischen Afrika und Europa zustandekommt – so wie ihn Alexander sieht -, wird noch viel Zeit vergehen. Und wer genau sind die europäischen Akteure, auf die er dabei setzt? Politiker? Geläuterte Wirtschaftseliten? Die Bevölkerung schlechthin?
"Die Ansprechpartner, so wie ich es heute verstehe, sind die Jugendlichen - die Jugend, die keine Zukunft in dieser neuen zivilisatorischen Sackgasse hat. Sie könnte sich in Zusammenarbeit mit Organisationen wie den Gewerkschaften und anderen - bei um sich greifender Arbeitslosigkeit - mit progressiven Leuten in Afrika zusammentun, um eine neue Welt zu konzipieren und daraufhin zu arbeiten."
Sich ein progressiv gewandeltes Europa vorzustellen, fällt zur Zeit allerdings schwer. Rebecca Harms, die im Europäischen Parlament der Grünen-Fraktion vorsteht, benannte konkret die gegenwärtigen Problemfelder: von der bedrohten Meinungs- und Medienfreiheit in einigen Staaten bis zur umfassenden Wirtschafts- und Finanzkrise. Ein Zuviel an Europa kann sie im übrigen nicht erkennen - eher ein Zuwenig, gibt es doch keine einheitliche Klimapolitik und keine gemeinsame Politik nach außen. Dieses Defizit ist im Verhalten gegenüber dem "Arabischen Frühling" offensichtlich geworden. Aber seltsam, resignativ wirkte die Politikerin trotz dieser vielen "Baustellen" nicht:
"Hannah Arendt hat es mal so beschrieben in ihren Vorlesungen darüber, was Politik eigentlich sei: Politik sei auch die Möglichkeit, immer wieder neu anzufangen - auch unter den Bedingungen der Wüste. Und wenn man die Geschichte des europäischen Kontinents in den letzten 100 Jahren betrachtet, muss man schon sagen: was 1945 und danach passiert ist in Europa und was nach 1989 möglich gewesen ist, stellt solch ein politisches Wunder dar. Und Länder mit ihren Bürgerinnen und Bürgern, die die Kraft für einen solchen Neuanfang gefunden haben, können gemeinsam auch mit den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise erfolgreich umgehen."
Europa sei vor allem ein Ziel, unterstrich Neville Alexander. Und verwendete dieselbe Formulierung dann noch einmal für die "Afrikanische Union". Wegweisende Ideen voranzubringen, hatten sich die Redner fest vorgenommen. Alexander läßt sich die Hoffnung auf eine gerechte Weltordnung nicht nehmen:
"Ich bin chronisch optimistisch - aber ich glaube, dass ich auch Grund dazu habe."
Eine Zeit des Umbruchs. Man befreit sich in Afrika von Überbleibseln kolonialen Denkens, Kunst und Kultur wirken bei dieser Bewusstwerdung mit. Afrika, so hofft Alexander, könnte sogar zur "Wiege einer neuen Menschlichkeit" werden, mit weltweiter Ausstrahlung – gilt es doch, gemeinsam Auswüchsen wie dem Profitdenken, der sozialen Ungerechtigkeit und dem Rassismus zu begegnen und auf ökologische Herausforderungen wie den Klimawandel zu reagieren:
"Das sind Vorboten der apokalyptischen Reiter, die nur durch die Menschheit als einheitliches Wesen besiegt werden können."
Programmatische Worte eines Mannes mit eindrucksvoller Biografie: der in Kapstadt geborene Germanist promovierte 1961 in Tübingen und wurde nach der Rückkehr in die Heimat wegen seines Kampfes gegen die Apartheid verhaftet. Zehn Jahre war er auf "Robben Island" inhaftiert - Seite an Seite mit Nelson Mandela, mit dem er in einem intensiven Gedankenaustausch stand. In Osnabrück nahm Alexander in diesem Sommer eine Gastprofessur wahr – und plädiert in seiner Heimat für Mehrsprachigkeit – für die Gleichberechtigung afrikanischer Sprachen mit europäischen. "Mit der Macht der Sprachen gegen die Sprache der Macht", so der Titel seines neuen Buches in Deutschland.
Wenn er von den Perspektiven Afrikas spricht, mag es idealisiert klingen - zumal bei uns in vielen Köpfen ein anderes Afrika-Bild vorherrscht: eines, das von Zerrissenheit, Hunger, Epidemien und Kriegen geprägt ist. Neville Alexander:
"Das stimmt natürlich, aber gerade das ist die Dialektik der Geschichte - dass sehr oft, wenn Länder und ganze Regionen in einer solchen Misere gelandet sind, sie sich emporarbeiten müssen und zwar auf der Basis ganz anderer Wertsysteme. Und ich glaube, genau das könnte auch in Afrika passieren. Dort gibt es eine Tradition, die wir in Südafrika ‘ubuntu‘ nennen, also einen afrikanischen Humanismus. Auf diese Tradition müssen wir zurückgreifen im Dialog mit Europäern, die auch solchen Werten verpflichtet sind."
Bis dieser zukunftsweisende Dialog zwischen Afrika und Europa zustandekommt – so wie ihn Alexander sieht -, wird noch viel Zeit vergehen. Und wer genau sind die europäischen Akteure, auf die er dabei setzt? Politiker? Geläuterte Wirtschaftseliten? Die Bevölkerung schlechthin?
"Die Ansprechpartner, so wie ich es heute verstehe, sind die Jugendlichen - die Jugend, die keine Zukunft in dieser neuen zivilisatorischen Sackgasse hat. Sie könnte sich in Zusammenarbeit mit Organisationen wie den Gewerkschaften und anderen - bei um sich greifender Arbeitslosigkeit - mit progressiven Leuten in Afrika zusammentun, um eine neue Welt zu konzipieren und daraufhin zu arbeiten."
Sich ein progressiv gewandeltes Europa vorzustellen, fällt zur Zeit allerdings schwer. Rebecca Harms, die im Europäischen Parlament der Grünen-Fraktion vorsteht, benannte konkret die gegenwärtigen Problemfelder: von der bedrohten Meinungs- und Medienfreiheit in einigen Staaten bis zur umfassenden Wirtschafts- und Finanzkrise. Ein Zuviel an Europa kann sie im übrigen nicht erkennen - eher ein Zuwenig, gibt es doch keine einheitliche Klimapolitik und keine gemeinsame Politik nach außen. Dieses Defizit ist im Verhalten gegenüber dem "Arabischen Frühling" offensichtlich geworden. Aber seltsam, resignativ wirkte die Politikerin trotz dieser vielen "Baustellen" nicht:
"Hannah Arendt hat es mal so beschrieben in ihren Vorlesungen darüber, was Politik eigentlich sei: Politik sei auch die Möglichkeit, immer wieder neu anzufangen - auch unter den Bedingungen der Wüste. Und wenn man die Geschichte des europäischen Kontinents in den letzten 100 Jahren betrachtet, muss man schon sagen: was 1945 und danach passiert ist in Europa und was nach 1989 möglich gewesen ist, stellt solch ein politisches Wunder dar. Und Länder mit ihren Bürgerinnen und Bürgern, die die Kraft für einen solchen Neuanfang gefunden haben, können gemeinsam auch mit den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise erfolgreich umgehen."
Europa sei vor allem ein Ziel, unterstrich Neville Alexander. Und verwendete dieselbe Formulierung dann noch einmal für die "Afrikanische Union". Wegweisende Ideen voranzubringen, hatten sich die Redner fest vorgenommen. Alexander läßt sich die Hoffnung auf eine gerechte Weltordnung nicht nehmen:
"Ich bin chronisch optimistisch - aber ich glaube, dass ich auch Grund dazu habe."