Eine Oper als Thriller

Von Bernhard Doppler |
Die Oper "Anne Pedersdotter", die von Hexenprozessen im alten Norwegen erzählt, ist bei "Nordische Impulse" in historischer Kulisse in der Festung Bergen zu sehen. Einen weiteren Höhepunkt bietet Calixto Bieitos Stück "Voices - a modern passion play".
Die norwegische Operntradition ist jung, sehr jung, das erste frei stehende Opernhaus wurde in Norwegen erst in diesem Jahrhundert in der Hauptstadt Oslo eröffnet. Opern norwegischer Komponisten sind so gut wie unbekannt. Auch "Anne Pedersdotter", 1972 uraufgeführt, komponiert von Edvard Fliflet Braein, ist kaum außerhalb Norwegens gezeigt worden. Ein Thriller aus der norwegischen Geschichte, aus der Zeit der Hexenprozesse, inszeniert von Knut Hendriksen in historischer Kulisse, in der Festung Bergen.

"Es zeigt eine ganz andere Stadt, als wir Bergen heute kennen, in der Reformationszeit war Bergen ganz schrecklich, fast fundamentalistisch. Ich finde es interessant, dass wir so oft die Mohammedaner, die islamische Welt verurteilen. Wir müssen nachdenken und 300 Jahre zurückgehen. Da hatten wir auch diese furchtbaren Gesetze hier in Norwegen."

Anne Pederdotter wird ausgestoßen und als Hexe verbrannt. Ein Stoff voller Operndramatik, manchmal mit seinen großen Kirchenszenen an Verdis "Don Carlos" erinnernd, ein wenig altmodisch für das 20. Jahrhundert, hin und wieder freilich durch Schostakowitsch-Anklänge ironisch gebrochen. Das Opern-Orchester eine Banda mit Uniformaufschlägen: die Militärmusik des Westchors.

"Nordische Impulse" heißt das Bergen Festival, und sein Leiter Per Boye Hansen bemüht sich fast ausschließlich darum, skandinavischen Künstlern ein Forum zu bieten. Bergen also nicht eine der beliebigen Stationen im internationalen Koproduktionszirkus. Die prominent besetzten Kammerkonzerte führen meist in die großen Künstlervillen der Bergener Komponisten Edward Grieg, Harald Saverud und Ole Bull.

Der Violinvirtuose und Komponist Ole Bull, dessen 200. Geburtstag gefeiert wird, ist ein Begründer norwegischer Musikkultur, und hat zwar nicht in Norwegen, aber in New York, wo er noch mehr gefeiert wurde als in seiner Heimat, ein Opernhaus gegründet. In seine exzentrische Villa auf seiner Insel Lysoen wird das Publikum nach einer einstündigen Schifffahrt gebracht, um dort einem seiner Nachfahren, dem Violinvirtuosen Arne Tellefsen, zu lauschen.

Nordische Impulse versucht das Bergen-Festival auch auf einem anderen Weg zu bieten. Der norwegische Schriftsteller Jon Fosse wird in einer ganz neuen Sicht vorgeführt. Nicht der minimalistische Dramatiker ist zu hören, sondern ein Songschreiber, für eine in Norwegen erfolgreiche, inzwischen in die Jahre gekommene Band– ein Mischung aus Pop und Folk-Musik, die Gruppe von Gabriel Fliflet, hat Jon Fosse Lyrics geschrieben.

"Ich denke, durch diese Mischung, kann man auch ein größeres Publikum gewinnen und man vielleicht auch Menschen, die sich für das Theater von Jon Fosse interessieren, eine andere Richtung zeigen und umgekehrt, das Publikum von Gabriel Fliflet ist sicherlich ein anderes Publikum als das Theaterpublikum."

Festspielleiter Per Boye Hanse stellt auch sonst unverkrampft unterschiedliche künstlerische Ausdrucksformen nebeneinander: Zirkus neben Opernspektakel, Kinderprogramm neben Kammermusik mit Werken von Arnold Schönberg. "Schrecken und Freude" heißt das Motto 2010.

"Wie Kinder sich erschrecken lassen: Sie schreien zuerst, heulen, rennen weg und dann kommen sie in zwei Minuten wieder und sagen "Noch einmal". Und das findet man ja in vielen Kunstwerken wieder, diese Sehnsucht nach dem, was wir nicht gerne haben, uns einlassen auf die dunklen Seiten des Lebens."

Einen Südeuropäer hat Per Boye Hansen bereits in Bergen eingemeindet, den Katalanen Calixto Bietio. Bieito hat in Bergen Ibsens Peer Gynt, aber auch Ibsens Stück über den fundamentalistischen Pfarrer Brand beim Bergen-Festival inszeniert und nun 2010 einen eigenen Text mit dem Ensemble des Betty Nansen Theaters aus Copenhagen vorgestellt, eine moderne Passion: "Voices". Die Passion, das Leiden als Grundlage des antiken Dramas, aber auch des christlichen Rituals, der Passionsgeschichte Christi. "Voices" ist ein theatralisches Oratorium, orientiert an den Klagen der Passion Christi, eine Montage aus unterschiedlichen Texten, Abschiedsbriefen von Selbstmördern, Fritz Zorns Kampf mit dem Krebs, Thomas Bernhard-Texte, eruptiv, aggressiv, obszön. Das eindrucksvolle Bühnenbild von Rebecca Ringst - eine Wand von sich bewegenden Lautsprechern, dazwischen 18 Bildschirme, die meist nur Teile des Gesichts - Mund, Pupillen - zeigen. Ein zarter Kinderchor, Mädchen des St. Anne-Gymnasiums in schwarzen Kostümen, gibt den leidenschaftlichen leidenden Stimmen dieser Passion einen gespenstischen Kontrast. "Furcht und Vergnügen. Nordische Impulse 2010".