Eine Ost-Familiensaga
Eugen Ruge schlägt in seinem Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" einen Bogen von Mexiko über Sibirien bis in die neu gegründete DDR und macht so Vergangenheit über eine Familiengeschichte greifbar.
Es gab viele Vorschusslorbeeren für den 57-jährigen Debütanten Eugen Ruge. Das Manuskript des Romans "In Zeiten des abnehmenden Lichts" wurde 2009 bereits mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet. Man sprach von einem neuen Uwe Tellkamp. Aber Ruges nun erschienener Roman ist ganz anderes. Die Geschichte der DDR wird hier sehr bodenständig erzählt. Eugen Ruge ist keinesfalls ein neuer Tellkamp, eher ein wiedergeborener Alfred Döblin. Sein Ton ist burlesk, umgangssprachlich, frei von Manierismen.
Der im Ural geborene Mathematiker Ruge, der an der Berliner Humboldt-Universität studierte und sein Geld am Zentralinstitut für "Physik der Erde" verdiente, arbeitete nach seiner Umsiedlung 1988 im Westen beim Theater, schlug sich als Autor und Übersetzer durch.
Seine Ost-Familiensaga spielt zwischen 1952 und 2001 mit Abschweifungen in die fernere Vergangenheit. Wilhelm, der Großvater der Hauptfigur Alexander, war 1919 in die Kommunistische Partei eingetreten, an seinem 90. Geburtstag wird man ihm zu seiner 70-jährigen Parteizugehörigkeit den vaterländischen Verdienstorden überreichen. Großmutter Charlotte schrieb manchmal von humanitären Überzeugungen durchdrungene Rezensionen für das "Neue Deutschland". Bis 1952, bis die Partei sie "zurück rief", lebten Wilhelm und Charlotte im mexikanischen Exil. Alexanders Vater Kurt, ein leicht verstockter Intellektueller, der im Arbeitslager litt, schuftete sich jahrzehntelang an der "Geschichte der Deutschen Arbeiterpartei" ab. Alexanders Mutter Irina stammte aus Russland, beide waren 1956 aus der Sowjetunion in die DDR gekommen.
Zu Beginn des Romans klaut Alexander seinem dementen Vater die Ersparnisse aus dem Safe. Alexander ist krank und will nach einem als gescheitert zu betrachtenden Leben in Mexiko, dem Land der Erzählungen seiner Großmutter, seinem Tod entgegen leben.
Eugen Ruge erzählt die Lebensläufe der einzelnen Familienmitglieder durch fünf Jahrzehnte in vielen Schnitten, damit deutlich wird, dass weder die politische noch die private Vergangenheit von der Gegenwart zu trennen sind. In diesen Zeitblenden entsteht ein dichtes familiäres Alltagsbild, geprägt von den Differenzen zwischen den Generationen. Eugen Ruge ist seinen Personen nah, will vor allem erklären, warum sie wie denken, wie sie mit ihrer sozialistischen Gesinnung durch ihre Leben holpern und wie sich die Überzeugungen mit dem Einbruch des Westens in den Osten verwässern. "Der Kapitalismus modert, der Kapitalismus frisst diese Erde auf", solche Sätze legt Ruge seinen Figuren in den Mund. Alle suchen nach der Wahrheit.
Als der alt gewordene Kurt in die Runde fragt: "Wer bestimmt, was die Wahrheit ist", wird er keine Antwort bekommen. Jemand murmelt: "nicht zu glauben", und das ist die Botschaft dieses vielseitigen und faszinierenden Romans, der frei von Verklärungen die deutsche Geschichte des vergangenen 20. Jahrhunderts noch einmal gründlich nach seinen Ideologien befragt. Ruge hat ein umfassendes Stimmungs- und Milieubild der DDR mitsamt ihren Illusionen verfasst.
Besprochen von Verena Auffermann
Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
432 Seiten, 19,95 Euro
Links bei dradio.de
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Seine Ost-Familiensaga spielt zwischen 1952 und 2001 mit Abschweifungen in die fernere Vergangenheit. Wilhelm, der Großvater der Hauptfigur Alexander, war 1919 in die Kommunistische Partei eingetreten, an seinem 90. Geburtstag wird man ihm zu seiner 70-jährigen Parteizugehörigkeit den vaterländischen Verdienstorden überreichen. Großmutter Charlotte schrieb manchmal von humanitären Überzeugungen durchdrungene Rezensionen für das "Neue Deutschland". Bis 1952, bis die Partei sie "zurück rief", lebten Wilhelm und Charlotte im mexikanischen Exil. Alexanders Vater Kurt, ein leicht verstockter Intellektueller, der im Arbeitslager litt, schuftete sich jahrzehntelang an der "Geschichte der Deutschen Arbeiterpartei" ab. Alexanders Mutter Irina stammte aus Russland, beide waren 1956 aus der Sowjetunion in die DDR gekommen.
Zu Beginn des Romans klaut Alexander seinem dementen Vater die Ersparnisse aus dem Safe. Alexander ist krank und will nach einem als gescheitert zu betrachtenden Leben in Mexiko, dem Land der Erzählungen seiner Großmutter, seinem Tod entgegen leben.
Eugen Ruge erzählt die Lebensläufe der einzelnen Familienmitglieder durch fünf Jahrzehnte in vielen Schnitten, damit deutlich wird, dass weder die politische noch die private Vergangenheit von der Gegenwart zu trennen sind. In diesen Zeitblenden entsteht ein dichtes familiäres Alltagsbild, geprägt von den Differenzen zwischen den Generationen. Eugen Ruge ist seinen Personen nah, will vor allem erklären, warum sie wie denken, wie sie mit ihrer sozialistischen Gesinnung durch ihre Leben holpern und wie sich die Überzeugungen mit dem Einbruch des Westens in den Osten verwässern. "Der Kapitalismus modert, der Kapitalismus frisst diese Erde auf", solche Sätze legt Ruge seinen Figuren in den Mund. Alle suchen nach der Wahrheit.
Als der alt gewordene Kurt in die Runde fragt: "Wer bestimmt, was die Wahrheit ist", wird er keine Antwort bekommen. Jemand murmelt: "nicht zu glauben", und das ist die Botschaft dieses vielseitigen und faszinierenden Romans, der frei von Verklärungen die deutsche Geschichte des vergangenen 20. Jahrhunderts noch einmal gründlich nach seinen Ideologien befragt. Ruge hat ein umfassendes Stimmungs- und Milieubild der DDR mitsamt ihren Illusionen verfasst.
Besprochen von Verena Auffermann
Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
432 Seiten, 19,95 Euro
Links bei dradio.de
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