Regie: Cordula Dickmeiß
Technik: Martin Eichberg
Sprecherin: Anke Schaefer und Monika Oschek
Redaktion: Kim Kindermann
Wie Väter ihre Töchter prägen
28:27 Minuten
Mein Vater hat mich sehr geprägt, sagt unsere Autorin Anke Schaefer. Sie fühlte sich geborgen, er unternahm viel mit ihr – der perfekte Vater. Eigentlich. Denn irgendwann wurde klar: So ideal wie sie dachte, war er nicht. Und das hatte Folgen.
Meine früheste Erinnerung. Ich sitze bei meinem Vater auf dem Arm. Er trägt seine braune Wildlederjacke. Dieser feine, leichte Lederduft... Vaterduft... Ich bin zwei Jahre alt. Wir sind hier rein gegangen, in dieses große Krankenhaus, jetzt stehen wir vor einer riesigen Scheibe. Auf der anderen Seite der Scheibe hebt eine Krankenschwester ein Kind hoch, uns entgegen. Meine Schwester. Wir freuen uns beide sehr. Das ist meine früheste Erinnerung. Dieses Sitzen auf dem Arm meines Vaters, dieses Geborgensein.
"Das ist so gewesen, ja stimmt, jetzt wo du das sagst... da habe ich dich auf dem Arm gehabt und da war die Schwester, die hat uns das Kind nicht gegeben."
Warum? Keine Ahnung. Aber in jedem Fall waren wir da zusammen, mein Vater und ich.
"Wir beide haben uns immer gut verstanden, aus meiner Sicht. Wir waren immer ein Herz und eine Seele. Was nicht ausschließt, dass wir Streit hatten, aber ich war dir immer mehr als von Herzen zugetan."
Der perfekte Vater – eigentlich
Mein Vater hat mich sehr geprägt. Und das, obwohl er sehr viel gearbeitet hat. Unter der Woche kam er oft spät nach Hause, aber wenn er früher kam, dann war er für uns da. Am Wochenende haben wir immer etwas unternommen. Im Winter Museen abgeklappert, im Sommer gewandert. Wir haben Frösche und Molche gefangen, haben Papierschiffchen gebastelt und er hat uns lange Stöcke geschnitzt, um sie zu lenken. Das Skifahren hat er uns an einem Hang um die Ecke beigebracht und am Abend hat er uns die Geschichten vom Zwerg Laurin und vom Wassertröpfchen erzählt. Wir konnten nicht genug davon kriegen. Der perfekte Vater. Eigentlich.
"Mein Vater ist für mich ein sehr wichtiger Mensch, er war früher viel zuhause, sehr präsent", sagt Lisa. "Mein Vater ist ein sehr positiver Mensch, er hat der ganzen Familie sehr viel Vertrauen gegeben, er hat selber ein großes Selbstvertrauen, und ich glaube auch mein Vertrauen in die Welt und in mich selber – habe ich von ihm."
"Mein Vater ist eine sehr wichtige Person in meinem Leben", sagt auch Elke, "aber ich habe, glaube ich, mein ganzes Leben lang, nach ihm gesucht. Der stand mir niemals zur Verfügung. Der hat sein eigenes Leben gelebt. Ich als Kind hab mich immer als Ballast gefühlt. immer als Störfaktor empfunden. Wir mussten immer ruhig sein. Und unsere Belange spielten keine Rolle."
"Mein Vater war eine wesentliche Figur in meinem Leben, die immer voraus gegangen ist. Der Vorreiter war, Übervater war. Konnte alles. Als Kind hatte man das Gefühl, er kann alles, er weiß alles, er hat alles schon gesehen, einer, zu dem man hoch geguckt hat", so beschreibt es Natalie. "Man hat sich sicher gefühlt da drin. Beschützt, und wusste schon von Anfang an, dass man froh ist, dass man kein Sohn ist. Weil man das Gefühl hatte, als Mädchen kannst du da hoch gucken. Als Sohn war das eine andere Sache, da hättest du das Gefühl gehabt, du hättest da ran reichen müssen. Du hättest auch das alles können müssen, ebenso gut sein müssen – das weiß ich auch, dass das für meinen Bruder ein großes Thema war. Und das hat ihn auch zerstört."
"Mein Vater war eigentlich bis zu einem gewissen Alter gar nicht präsent", sagt Martina. "Dass ich auch wenig Erinnerungen an ihn habe. Da war so eine Leere eigentlich, das war auch kein Mensch, an dem ich mich orientieren konnte."
"Ich glaube nicht, dass du nicht abgenabelt bist"
Väter. Sie prägen ihre Töchter. Ein Leben lang, sagen manche Forscherinnen und Forscher. Die Botschaften der Väter wirken nach, ihre Verhaltensmuster, ihre Glaubenssätze. Wird das im späteren Leben übermächtig, dann hat man sich nicht gelöst. Dann hat man womöglich Probleme damit, sein eigenes Leben zu leben.
"Also, jetzt ist deine Kindheit – meine ich doch – ganz gut gelaufen und jetzt glaubst du, dich nicht abgenabelt zu haben. Ich glaube nicht, dass du nicht abgenabelt bist", sagt mein Vater.
Bin ich abgenabelt – oder bin ich es nicht? In jedem Fall: Ein missglückter Abschied vom Vater kann Konsequenzen haben, sagt Verena Kast. Sie ist Psychoanalytikerin und hat das Buch "Vater-Töchter / Mutter-Söhne" geschrieben. Sie attestiert mir einen "Vaterkomplex".
"Wenn wir von Vaterkomplex sprechen, dann sprechen wir von einem Sammelbecken, an vielen Erfahrungen, die man mit dem Vater oder vielleicht auch mit Vätern gemacht hat, also es gibt auch vaterähnliche Gestalten und das ergibt das, was wir den Vaterkomplex nennen und sehr global von einem positiven Vaterkomplex sprechen oder einem negativen sprechen", erklärt Verena Kast.
Bei mir sei dieser Vaterkomplex "ursprünglich positiv".
"Es ist natürlich so, wenn Sie eine nahe Beziehung zum Vater haben - dann hat man in der heutigen Welt weitgehend das Gefühl, man ist ganz ok", so Verena Kast weiter. "Man weiß, wie die Welt so ungefähr funktioniert. Man kann gut funktionieren, man ist meistens ganz gut in der Leistung, da hat man meist nicht das Gefühl, ich bin depressiv, ich fühle mich daneben, ich kann in dieser Welt nicht existieren, ich weiß nicht wer ich bin. Weil als richtige Vaterstochter weiß man sehr gut, wer man ist, nämlich die Tochter des Vaters!"
Zitat: Den Grunddialog mit dem männlichen Geschlecht lernen wir nicht mit der Mutter, sondern in der Beziehung mit dem Vater. Diesen Urtext werden wir nie wieder vergessen. Die Begegnung mit dem Vater eröffnet uns zum ersten Mal die männliche Welt. Wir lernen seine Texte. Diese lernen wir mit einer Innbrunst auswendig, als ob es keine anderen Dialogtexte gäbe.
Julia Onken, Vatermänner
Ich war 16 und er hatte eine Geliebte
Gibt man den Begriff "Vater" im Internet ein – steht da bei Wikipedia:
Zitat: Vater bezeichnet den männlichen Elternteil eines Menschen; seine Vaterschaft kann sich auf einen, zwei oder alle drei Teilbereiche der Elternschaft beziehen: Der biologische Vater ist der Erzeuger. Seine männliche Keimzelle, sein Sperma, macht ihn zum Blutsverwandten.
Der rechtliche Vater hat Elternrechte und -pflichten und trägt die rechtliche Verantwortung für den Menschen, auch im Falle einer Adoption.
Und der soziale Vater übernimmt persönliche Verantwortung und umsorgt den Menschen.
Wikipedia
Mein Vater ist das alles. Er hat sich gekümmert, wenn es mir schlecht ging, er hat sich gefreut, wenn ich glücklich war. Er hat mir das Studium bezahlt. Er hat mich bei meiner Hochzeit zum Altar geführt. Er hat mich bei meinem Schritt in die Selbständigkeit unterstützt. Wir sind uns nah, auch heute. Eigentlich ist alles gut. Wenn es da nur diesen Bruch nicht gegeben hätte. Ich war 16 und er hatte eine Geliebte. Er hatte das lange bestritten, aber irgendwann war es dann klar.
"Mit dieser Untreue des Vaters – das ist eine große Problematik. Wieso ist das an Ihnen abgearbeitet worden. Denn eigentlich war er ja der Mutter untreu. Eigentlich wäre das das Problem des Paares gewesen. Da sind viele andere Aspekte damit verwoben", erklärt Verena Kast.
Mein Leben änderte sich damals total. Meine Mutter stürzte in ein tiefes Unglück. Und ich mit. Mein Vater verließ uns nicht, aber er war plötzlich gefühlt komplett abwesend. Meine Schwester ging zum Auslandshalbjahr nach Amerika. In meiner Erinnerung sitzen meine Mutter und ich im Wohnzimmer vor dem Kamin. Sie und ich, in einem Boot. Wir warten. Alles grau. Alles unermesslich traurig. Und keiner da, um uns zu retten. Der, der das sonst getan hat, - nicht mehr verfügbar. Das war ein Vertrauensbruch auf ganzer Linie. Mein Vater also doch kein Held?
Differenz zwischen dem Mütterlichen und dem Väterlichen
"Wir haben heute natürlich auch ein anderes Vaterbild, als noch vor 30, 40 Jahren. Wir haben unterdessen Mütterväter und Vätermütter. Beide Geschlechter haben die Eigenschaften, die man dem anderen Geschlecht so normativ zugeschrieben hat, haben sie integriert, und dann ist das nicht mehr männlich oder weiblich."
Grundsätzlich aber sagen Jugend- und Kindertherapeuten auch heute noch – es ist gut, wenn die Geschlechterrollen nicht etwa verwischt oder gar aufgehoben werden, sondern die Differenz zwischen dem Mütterlichen und dem Väterlichen deutlich bleibt. Väter haben dabei die Aufgabe, der engen Beziehung zwischen Mutter und Kind etwas entgegen zu setzen. Sie geben den Impuls zu eigenständigem, verantwortlichem Handeln, sie regen die Neugier an. Sie machen Mut. Und all das hat mein Vater auch getan.
"Wenn man so sieht: Väter mit kleinen Kindern, die werfen die Babys einfach viel höher in die Luft, als die Mütter es tun, und wenn dann das Kind weint, dann nimmt es wieder die Mutter. Der Vater, der öffnet die Welt, der hilft, dass man in die Welt hinaus darf und bringt auch einen Energieschub. Und wenn wir die ganz alten Väter anschauen zum Beispiel der Zeus, der hat doch eine Wahnsinnsenergie, der ist überall immer in der ganzen Welt herum, vom Wotan weiß man das weniger, aber da ist auch viel Energie."
Auch der christliche Gott ist ein Vater-Gott. Diese Väter-Götter sind also voller Energie und Tatendrang, vor allem aber wissen sie wo’s lang geht.
Für die irdischen Väter gilt das nicht immer, nicht nur für meinen.
"Dadurch, dass er auch beruflich einen großen Misserfolg verbuchen musste und auch die Ehe ist kaputt gegangen, hat er noch weniger Präsenz gehabt, daher war er als Vaterfigur negativ konnotiert", sagt Martina. "Und ich hätte mir schon gewünscht – jemand, an dem ich mich orientieren kann, der mir – der einen Standpunkt vertritt, und das hat er mir gegenüber nie getan. Er hat mir nie Rückendeckung gegeben, ich habe das jedenfalls so nicht empfunden."
"Ich hätte mir einen Vater gewünscht, der sich nach mir erkundigt, der mich überhaupt mal wahrnimmt, der... ja, das Wahrnehmen war das Entscheidende, der mich überhaupt mal sieht, dass es mich gibt. Ich wurde nicht wahrgenommen und das hat mich geprägt, ein Leben lang", sagt Elke.
"Mehr Nähe. Mehr physische Nähe. Mehr emotionale Zuwendung, Hinwendung, mehr Interesse. Andererseits war ich auch so frei. Ich war in dieser gewissen... ‚lass sie mal machen‘... das kann man auch so interpretieren... mangelndes Interesse, darin konnte ich mich aber auch entfalten", sagt Natalie.
"Negativer Vaterkomplex" nach Carl Gustav Jung
Wenn die Beziehungserfahrungen, die eine Tochter macht, eher negativ sind, dann sprechen Analytiker nach dem Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung vom "negativen Vaterkomplex". Wenn Frauen Angst haben, ihr Leben nicht zu schaffen, wenn sie immer wieder einsam sind, das Gefühl haben, nicht richtig zu sein als Frau, in ihrer Weiblichkeit, wenn sie keinen Platz in Gemeinschaften finden, immer nur ihre Pflicht erfüllen, wenn sie unentwegt um Anerkennung kämpfen, dann sind sie vielleicht mit Vätern groß geworden, die ihnen nicht gerecht wurden.
Zitat: Stell dir also ein Kind vor, dessen kleines Herz pulsiert und glüht vor Liebe. Was empfindet es, wenn seine große Liebe nicht beim Vater ankommt? (...) Nicht beantwortet zu werden bedeutet für das Mädchen, ich bin nicht wert, geliebt zu werden – also bin ich wertlos.
Julia Onken, Vatermänner
Töchter aber suchen Wege, um Vaters Interesse zu wecken. Sie beobachten den Vater, um herauszufinden, wie sie ihn erreichen können. Sie sehen, wann seine Augen blitzen und sie beginnen, sich danach auszurichten.
Zitat: Die häufigste Variante ist die Gefall-Tochter. Sie versucht unermüdlich, Vaters Aufmerksamkeit durch optische Gefälligkeit zu erhaschen oder durch besonders gefälliges Verhalten seine Zuneigung zu erwerben. Ich gefalle also bin ich. / Durch besondere Leistungen zeichnet sich die Leistungstochter aus. Sie wählt jene Bereiche aus, von denen sie weiß oder vermutet, diese könnten den Vater interessieren oder erfreuen. Ich bin leistungsfähig und erfolgreich, also bin ich. / Die Trotz-Tochter bringt dem Vater Widerstand entgegen, trotzt, legt sich quer zu allem, besonders zu seinen Ansichten. Ich spüre Widerstand also bin ich.
Julia Onken, Vatermänner
Ich bin wahrscheinlich eine Mischung aus Gefall- und Leistungstochter. Der Bruch in unserer Familiengeschichte hat sich auf mein Selbstbewusstsein ausgewirkt: Es schien ja so, als wären wir, meine Mutter und ich – es nicht wert, dass man offen mit uns redet und bei uns bleibt.
Wenn der Vater abwesend ist, hat das Folgen
Für die Französische Psychoanalytikerin Christiane Olivier lässt sich der Knacks im Selbstbewusstsein vieler Frauen aber schon auf ganz frühe kindliche Erfahrungen zurückführen. In ihrem Klassiker "Jokastes Kinder" bezieht sie sich auf Sigmund Freud, den Vater der Psychoanalyse. Für ihn konstituiert die Sexualität den Menschen. Er hat in seiner Beschreibung des berühmten Ödipus-Komplexes die Beziehung zwischen Mutter und Sohn betrachtet. Die Mutter ist für beide, für Sohn und Tochter die erste Bezugsperson. Der Sohn wird von seiner Mutter begehrt und kann damit satt und selbstsicher in die Welt gehen. Was aber passiert mit der Tochter? Sie wird – weil sie das gleiche Geschlecht hat – von der Mutter im Regelfall nicht begehrt. Sie könnte vom Vater begehrt werden, doch wenn der abwesend ist, hat das Folgen.
Zitat: Beim Mädchen scheint das Fehlen des väterlichen Blickes im frühen Lebensalter ein sexuelles Minderwertigkeitsgefühl zu erzeugen, einen ständigen Zweifel an der Identität, den es im Erwachsenenalter immer auszuräumen, immer wieder durch den Blick eines anderen zu beheben gilt. Welche Frau will behaupten, ihr seien die Blicke gleichgültig, die auf sie gerichtet sind?
Christiane Olivier, Jokastes Kinder
Carl Gustav Jung sagte später, Freud hätte der "sexuellen Libido" zu Unrecht die Rolle eines "deus absconditus, eines verborgenen Gottes" gegeben. Aber egal, ob Therapeuten heute sich auf Freud oder Jung beziehen, sind sie sich jedenfalls darüber einig, dass die Beziehung zum Vater für die Tochter Auswirkungen auf die Partnerwahl hat.
Zitat: Wir suchen uns Lebenspartner, die unserem Vater ähneln. Weil wir Vertrautes bevorzugen und Experimente eher ungern eingehen.
Schreibt Fiona Rohde, auf dem Portal "Go Feminin". Und das ist für mich eine wichtige Erkenntnis. Ich war einmal verheiratet. Hatte dazu fünf langjährige Partnerschaften – alle sind sie in die Brüche gegangen. Das hat mich jeweils sehr geschmerzt. Wie hängt das mit meiner Beziehung zu meinem Vater zusammen? Wie suchen sich Frauen ihre Lebenspartner aus?
"Es gibt beides", sagt Verena Kast. "Es gibt Studien, dass man aussucht, nach – dem Motto ‚wie der Vater‘ oder ‚das Gegenteil vom Vater‘. Und wenn man das Gegenteil sucht, ist es wohl trotzdem wieder sehr nah."
Welchen Einfluss hat die Vaterbeziehung auf die Männersuche?
"Mein Vater hat mir keine Aufmerksamkeit geschenkt und ich habe dann immer nach der Aufmerksamkeit der Männer gesucht. Ob es die Richtigen waren oder nicht!", sagt Elke.
"Auf jeden Fall habe ich immer gedacht, bloß nicht so einen Typen, der immer meint, alles zu können. Ich will eine Wahrheit. Ich will dass der, was er sagt, auch wirklich kann und wenn er es nicht kann, es auch bitte sagt", sagt Natalie.
"Die Männer, die ich als Männer geliebt habe und mein Vater, das sind sehr unterschiedliche Typen. Dass ich die Männer retten möchte, das kenne ich nicht, das Gefühl. Aber das Gefühl, dass man sehr angezogen wird von dem Widerständigen und dem Punk-Dasein und von den Schwierigkeiten und den Reibungspunkten", sagt Lisa.
Ich fasse mir ein Herz und frage meinen Vater: Ob er diese These kennt, dass es irgendwie auch was mit dem Vater zu tun haben kann, wenn eine Frau es nicht so leicht hat, in der Liebe...
"Ja. Aber das, glaube ich, ist eine Entschuldigung. Nicht alle Frauen, die keine Männer gefunden haben oder Männer, die keine Frauen gefunden haben, können das auf ihre Eltern zurückführen!", meint er.
Das stimmt wahrscheinlich. Nicht alle Frauen, die keinen Mann gefunden haben, können das auf ihre Eltern zurückführen. Aber einige vielleicht schon.
"Das ist vor allem eben auch dann, wenn die Vaterbindung noch sehr deutlich ist, wenn eine Reflexion gefehlt hat", erklärt Verena Kast.
Zitat: Töchter helfen ihren Vätern gerne und breiten über den ersten Mann in ihrem Leben milde den Mantel des Schweigens aus, vermeiden Auseinandersetzungen mit ihrer Vergangenheit, mit dem Vater. Hier kommt ihr Forschergeist ins Stocken, hier bleiben Frauen letztlich sittsam bei der Tradition: Ehre deinen Vater. Doch in einem verborgenen Winkel ihrer Seele rumort die Vater-Wahrheit.
Sigrid Steinbrecher, Die Vaterfalle
Der Freund sollte die Ablösung von den Eltern erleichtern
Bei mir ging es darum, sich abzulösen. Genau in der Zeit, in der ich mich als 17-Jährige eigentlich hätte ablösen sollen – und es auch wollte, gerieten meine Eltern in ihre heftige Ehekrise. Mein Vater hatte seine Geliebte, wollte die auch nicht verlassen. Ich saß eines Tages bei ihr vor dem Schreibtisch und sagte: Sie möge doch bitte aus unserem Leben gehen, sie antwortete kurz, das könne sie ja tun, aber mein Vater würde ihr bis an den Nordpol folgen.
Darin hat sie sich zwar getäuscht, aber das konnte ich damals ja nicht wissen. Meine Mutter rutschte immer tiefer ins Unglück – und ich mit ihr. Hoffnung gab mir mein damaliger Freund, meine erste große Liebe. Unterbewusst hoffte ich wahrscheinlich – er würde mich aus diesem familiären Schlamassel erlösen! Mir die Ablöse erleichtern. Ein typischer Verlauf, sagt Verena Kast.
"Es ist ja heute noch so: Ein junges Mädchen war beim Papa, jetzt hat sie einen Freund, dann ist sie normal."
Normal oder nicht? Sicher ist nur: Junge Frauen lösen sich so nicht vom Vaterkomplex ab. Und das wird von der Gesellschaft auch nicht gefordert.
Diese große Frage – wer bin ich eigentlich selber – habe ich mir damals offensichtlich nicht so gestellt, wie ich es hätte tun sollen. Und ich bin da nicht allein. Frauen haben sich über Generationen hinweg diese Frage seltener gestellt, als Männer... Man ist ein Mädchen, eine junge Frau... man trifft die große Liebe, hat einen Freund...
"Und dann heiratet sie vielleicht und dann hat sie Kinder und das ist, was man macht und dann mit 30 wird sie depressiv", sagt Verena Kast. "Weil sie dann das Gefühl hat, wo bleibe ich und wer bin ich? Und da ist die Depression sehr sinnvoll, denn die Depression stellt die Frage nach sich selber."
Zitat: Selbstwert (…) ist kein Geschenk des Mannes an seine Frau. Man muss ihn sich unerlaubt nehmen, und zwar vom Vater und ihn dann verteidigen gegen jedermann.
Sigrid Steinbrecher, Die Vaterfalle
Meine Eltern rauften sich schließlich wieder zusammen. Aber das Geschehen wurde zum Tabu. Sie haben nie mehr miteinander darüber gesprochen.
"Weil wir es nicht geschafft haben, miteinander zu reden!", sagt mein Vater.
Misstrauen gegenüber allen Männern
Ich fand das alles schwer zu ertragen und hätte mir gewünscht, mein Vater wäre ehrlich und treu gewesen. Mich hat diese ganze Geschichte sehr misstrauisch den Männern gegenüber gemacht. Sind sie treu? Können sie überhaupt treu sein? Den Argwohn werde ich nicht los. Mein Vater sieht da aber kein Problem. Er weiß, was er mir in dieser Hinsicht wünscht...
"Mehr Selbstvertrauen, mehr Vertrauen in dich und deine Person."
Genau das geht mir aber manchmal ab. Ihm Vorwürfe machen, das hilft natürlich gar nichts, sagt Verena Kast.
"Solange wir Vorwürfe machen, sagen wir eigentlich, ich habe dich noch nicht als Mensch, der du bist gesehen. Und ich möchte eigentlich immer noch, dass du ein anderer bist, als du bist. Sie möchten retrograd, dass der Vater treu wird. Ich finde es auch nicht toll, wenn Männer untreu sind. Aber ich weiß nicht, was er machen müsste, um das zu befriedigen."
Es geht also nicht um ihn, meinen Vater, er ist ja, wie er ist. Und es ist geschehen, was geschehen ist. Es geht um mich, die Tochter.
Zitat: Das väterliche Defizit wird uns niemals durch geeignete Ersatzväter rückvergütet werden. Die Vater-Wunde heilt dann, wenn wir unseren alten Gefühlen zu begegnen wagen, sie zulassen und durchleiden.
Julia Onken, Vatermänner
"Sie müssen auch dazu stehen. Dass sie keinen idealen Vater haben. Damit sind Sie auch keine ideale Tochter mehr. Sondern wenn man einen gut-genugen Vater hat, dann ist man halt auch nur eine gut-genuge Tochter von einem Vater", so erklärt es Verena Kast.
Damit kann ich leben. Schluss also mit dem Idealisieren.
"Viele Menschen denken noch an den alten Patriarchen"
Liebe, Treue, Zugewandtheit. Das wünschen wir uns vom Vater. Aber vielleicht auch, dass es jemanden geben möge, der den Überblick hat, der kapiert, was los ist. Der Gesetze findet und anwendet, die Sinn machen.
"Viele Menschen denken noch an den alten Patriarchen. Der alte Patriarch war nicht patriarchal, er war der, der für die Familie gesorgt hat. Und diese alten Patriarchen, die haben viel Respekt verlangt, die haben aber auch viel Sicherheit gegeben und haben nicht erlaubt, dass man eigene Ideen hatte. Man musste einfach gehorchen. Man hatte es gut, wenn man gehorcht hat", sagt Verena Kast.
"Mein Vater konnte nicht auf mich eingehen, wir haben auch wenig zusammen gemacht. Was man machen musste, das war das Wandern und das Pilzesammeln, was ich heute noch gerne tue. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass er mich ein einziges Mal umarmt hätte", erinnert sich mein Vater.
Auch Väter haben ihre Geschichte.
"Da gibt es einen Glasschrank aus Kirschholz und oben auf diesem Glasschrank lag so ein ein Meter langer Rohrstock. Und der wurde dann genommen und dann habe ich es auf den Hintern gekriegt. Richtig feste druff. War schlimm, mehr als schlimm."
Das zu sehen bedeutet: Es ist plötzlich alles ganz einfach. Niemand ist ideal. Er nicht, ich nicht, die ganze Familie nicht. Große Erleichterung macht sich breit. Vorwürfe werden überflüssig. Doch: Nicht für alle Töchter mag das möglich erscheinen...
"Es gibt natürlich Kinder, denen wird sehr übel mitgespielt – und die bleiben auf der Vorwurfsebene, und es ist ganz schwer, wenn man so viele Vorwürfe hat, dann zu sagen, ich kann ich nichts dran ändern!", sagt Verena Kast. "Das war mein Vater und das war meine Mutter und dann sich auf sich selber besinnen – und sich sagen, ich bin trotzdem etwas geworden."
Einsehen, dass der Vater so ideal gar nicht war
Es liegt darin eine Chance, zu sehen, dass er, der Vater so ideal und so groß und so mächtig, wie er einem als Kind erschien – nicht war. Als Erwachsene sehen wir: Er ist eigentlich überhaupt nicht so, wie wir ihn sahen...
"Aber das findest du erst viel, viel später raus. Dass war auch ein Komplex aus dem heraus er beweisen musste, was für ein Tausendsassa er ist", sagt Natalie. "Im Alter ist er dann zugewandter geworden. Das war eine richtig schöne Erfahrung. Im Nachhinein zu sehen, dass er da eben auch damit leben musste, dass dieses ganze Bild, das er von sich selbst genau hatte, dann zusammen brach, weil er ein ganz schwacher, kranker Mann war – und das jahrelang. Und dadurch kranker und weicher wurde und hinwendungsvoller und liebevoller wurde. Existentiell wichtig für mich, dass das noch passiert ist."
"Jetzt erst zeigt er den Wunsch, dass wir uns sehen und umarmt mich, das hat er aber früher nie getan, das gab es gar nicht", erzählt Martina. "Da bin ich dankbar drüber, dass es diese Annäherung jetzt gibt. Dass er das wieder gut machen will."
"Ich bin jetzt 68, mein Vater ist vor acht Jahren verstorben und die letzten zwei bis drei Jahre, speziell als er nachher bettlägerig war, da haben wir uns angenähert", sagt Elke.
Meine Mutter ist vor anderthalb Jahren gestorben. Das war für meinen Vater sehr schwer. Inzwischen aber steht er wieder gut im Leben. Er stellt sich alle diese Fragen, die ich zu unserer Vater-Tochter-Beziehung stelle – so nicht. Er wundert sich über mich.
"Ich habe versucht, euch mit viel Liebe und Aufmerksamkeit zu begegnen. Versucht, mein Bestes zu machen, mehr kann ich nicht tun", meint er. "Aber mein Vater hat auch wahrscheinlich versucht, das Beste zu machen. Das zieht sich über Generationen hinweg, was sich in einer Familie abgespielt hat. Weil: Der Großvater im Ersten Weltkrieg gefallen, der Großvater davor im Krieg 71/72 – nicht gefallen, aber jedenfalls an kriegerischen Maßnahmen beteiligt gewesen, war ja alles kein Zuckerschlecken, also alles andere Lebensumstände gewesen, die irgendwo bis heute auf uns durchwirken. Ich halte das für ganz normal. Das ist halt so, bei Menschen."
"Du bist das übergeliebte Kind"
Ich frage ihn, was macht eine gute Vater-Tochter-Beziehung eigentlich aus?
"Wenn du das hast, dann hast du ein erfülltes Leben gehabt, keine Frage."
Wenn wir uns heute sehen, und das tun wir oft, dann radeln wir und schwimmen, steigen auf Berge und diskutieren über Politik und über uns.
"Wenn ich das so richtig verstehe, dann bin ich – um es mal plakativ zu sagen – das ungeliebte Kind und du bist das übergeliebte Kind. Und dann haben wir beide einen... nur ich persönlich, ich sage dir jetzt hier: Ich gebe dir alle Freiheit. Für dich selbst", sagt er.
Ich habe gelernt, den perfekten Vater, den gibt es einfach nicht. Das gilt auch für meinen. So sehr ich mir das auch gewünscht habe. Er hat Ecken und Kanten. Und wenn es um seinen Betrug an meiner Mutter geht, dann akzeptiere ich, dass er das nicht mit mir verhandeln will und kann. Es ging um sie, das Paar – auch wenn ich in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Heute brauch ich niemandem mehr zu gefallen, auf niemanden mehr zu warten. Ich habe alle Freiheit und ich nutze sie. Ich bin seine Tochter. Er mein Vater. Geprägt hat er mich fürs Leben. Vatertochter, Tochtervater. Das bleibt.