100 Jahre politischer Mord in Deutschland

Eine Polizeitruppe als Sicherheitsrisiko

05:18 Minuten
Unter den Linden während des Kapp-Putsches: Auch die Sicherheitspolizei unterstützte die rechtsradikalen Umstürzler.
Blick auf die Berliner Allee Unter den Linden am 13. März 1920 während des Kapp-Putsches. © picture-alliance / dpa
Von Elke Kimmel |
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Die 1919 gegründete Sicherheitspolizei (SiPo) sollte Schutz vor Unruhen und Umsturz gewähren. Beim Kapp-Putsch unterstützte die Einheit jedoch die Putschisten, legte außerdem ein geheimes Waffenlager an.
„Auf Anordnung des Berliner Polizei-Präsidenten ist die in Berlin stationierte Hundertschaft zur besonderen Verwendung am Freitag aufgelöst worden. Bekanntlich wurde diese Hundertschaft der verschiedensten Vergehen beschuldigt.“ Das meldet der sozialdemokratische „Lübecker Volksbote“ am 21. November 1921. „Mit der Auflösung der Hundertschaft ist ein Brandherd verschwunden, der monatelang eine Gefahr für die Republik und für die persönliche Sicherheit von Arbeiterführern bildete.“
Die militärisch organisierten und kasernierten Einheiten der Berliner Polizei waren im Frühjahr 1919 gegründet worden – auf Initiative von hochrangigen Freikorpsangehörigen. Die sogenannte Sicherheitspolizei (SiPo) sollte Schutz vor Unruhen und Umsturz gewähren. Zum besonderen Schutz des Regierungsviertels wurde innerhalb dieser SiPo die Hundertschaft zur besonderen Verwendung eingerichtet. Ihre Leitung übernahm Oberleutnant a. D. Walther Stennes.

Sicherheitspolizei unterstützt Putschisten

Während des Kapp-Putsches jedoch, als Militärs im Frühjahr 1920 versuchten, die Regierung zu stürzen, unterstützte die Berliner Sicherheitspolizei nicht die Regierung, sondern die Putschisten.
„Dass eine Mannschaft, die unter so schweren Anklagen steht, zum Schutz des Regierungsviertels eingesetzt werden soll, heißt, den Bock zum Gärtner machen“, bemerkte das „Berliner Tageblatt“. Trotzdem wurde die Polizeitruppe nach der Niederschlagung des Kapp-Putsches nicht zur Rechenschaft gezogen.

Geheimes Waffenlager wird angelegt

Mehr noch: Der verantwortliche Polizeihauptmann Stennes konnte in den kommenden Monaten illegal, aber ungehindert umfangreiche Summen aus dem Budget der Hundertschaft abzweigen, um „politische Agenten“ anzustellen. Er wies den Kassenführer der Einheit Johannes Buchholz an, die dafür notwendigen Zahlungen vorzunehmen. Allem Anschein nach legte die Berliner Hundertschaft außerdem geheime Waffenlager an – Maschinengewehre, Flammenwerfer und Kanonen wurden gehortet.

100 Jahre politischer Mord in Deutschland
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Im Juni 1921 kommen erste Details über diese Machenschaften ans Licht, als die Kriminalpolizei wegen eines Mordes ermittelt. Buchholz, der Kassenführer, ist umgebracht worden. Der Verdacht: Er sollte als Verräter mundtot gemacht werden.

Die Auflösung der Polizeitruppe

Den letzten Anstoß zur Auflösung der Polizeitruppe gibt ein Vorfall, der sich im Februar 1921 ereignet hat und der im November vor Gericht kommt. Der 20-jährige Kaufmann Robert Dickfach war nach einem Abend mit Freunden auf dem Heimweg, als er eine Frau um Hilfe rufen hörte. Er sah, wie ein Mann auf die Frau einschlug und eilte ihr zu Hilfe.
Dann erst bemerkte er, dass es sich um einen anscheinend angetrunkenen Polizisten handelte. Ein weiterer zu Hilfe gerufener Beamter unterstützte nicht den jungen Kaufmann, sondern seinen Polizeikollegen – beide brachten Dickfach in die Kaserne der besagten Polizeitruppe, der Hundertschaft zur besonderen Verwendung.

„Dort wurde Dickfach nach seiner Vernehmung in ein abgelegenes Zimmer geführt, in gemeinster Weise beschimpft und dann von einer größeren Zahl Schupobeamten mit einem Stock, mit Gummiknüppeln und mit zusammengedrehten nassen Handtüchern schwer misshandelt.“
Dickfach wurde durch die Misshandlungen mehrfach ohnmächtig. Die Polizisten zwangen ihn, ein Protokoll seiner angeblichen „Vernehmung“ unbesehen zu unterschreiben, bevor sie ihn gehen ließen. Doch der junge Mann ließ sich nicht einschüchtern – er erstattete umgehend Anzeige gegen die Einheit und angesichts seiner sichtbaren Verletzungen wurde dem Vorfall auch nachgegangen.
Die Staatsanwaltschaft beantragt Freiheitsstrafen zwischen vier und 15 Monaten gegen fünf der Angeklagten. Tatsächlich verurteilt werden nur drei Beamte. Die „Hundertschaft zur Verübung besonderer Verbrechen“, wie die linke „Freiheit“ sie nennt, wird wenige Tage nach dem Urteil aufgelöst. Ihr führender Kopf, Polizeihauptmann Stennes, der die Gelder abgezweigt hatte, ist bereits seit dem Sommer suspendiert. Er scheidet aus dem Polizeidienst aus, wechselt zur „Schwarzen Reichswehr“ und übernimmt ab 1927 eine leitende Funktion bei der SA, der Sturmabteilung der NSDAP.
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