Eine Portion poetischer Wahnsinn

Die Schriftstellerin Elke Erb hat dieses Jahr den Ernst-Jandl-Preis für Lyrik erhalten. Aus diesem Anlass sind in einer nur über das Internet zu beziehenden Reihe "roughbooks" Erbs gesammelte Lyrik aus den Jahren 2005 bis 2012 herausgekommen - "poésie pure".
Zum 75. Geburtstag hat die Lyrikerin Elke Erb in diesem Jahr den Ernst-Jandl-Preis bekommen. Ein guter Verleger reagiert natürlich mit einem neuen Buch. Der Schweizer Urs Engeler ist ein guter Verleger. Er hat soeben in seiner nur über das Internet zu beziehenden ISBN-freien Reihe "roughbooks" Erbs gesammelte Lyrik aus den Jahren 2005 bis 2012 herausgegeben, Titel: "Das Hündle kam weiter auf drein".

Und damit sind wir mittendrin: Nicht beim Thema des Bandes, weil auf den 62 Seiten etwa Hunde und andere Haustiere gefeiert würden, sondern bei seiner Technik. Elke Erb ist Sprachlaborantin, ihre Dichtungen sind Näherungsverfahren, und zwar an ihre ganz persönliche Wirklichkeit, zur Kenntlichkeit entstellt. Wie im Gedicht "Sitzplatz". Das beginnt so:

Komme an den Bhf erkenne plötzlich
eine (broschenförmige) Ähnlichkeit meines Hingehns
zu diesem Nichts, einem Bhf


Wen's jetzt schon aus diesem "Sitzplatz" herausschleudert, ist in guter Gesellschaft. Elke Erb liebt die Chiffre, also die Metapher ohne tertium comparationis, ohne den gemeinsamen "Vergleichsmaßstab". Das macht ihre Lyrik oft schwer zugänglich. Wem dazu Paul Celan einfällt, liegt nicht ganz falsch. Beide folgen aber einer noch älteren Tradition, der des russischen Symbolismus und Akmeismus. Das ist kein Zufall, denn Elke Erb hat in den 1960er-Jahren als Übersetzerin von Alexander Blok, Marina Zwetajewa und Ossip Mandelstam begonnen.

Letzterer ist im aktuellen Band gleich mehrfach Trigger dieser datierten Gelegenheitstexte. Daneben lösen Tagebucheinträge, Postkarten, Bahnfahrten, Spaziergänge und andere Alltäglichkeiten den Rückzug in Erbs Gedankengemach aus. Zum Glück ist das nicht immer eine Dunkelkammer wie beim "Sitzplatz".

Am 3. 9. 2007 schreibt sie das Gedicht "Zu gleich":

Das eintretende Alter erheiterte mich
mit einer neuen Neugier und der Lust,

die Nase in Dinge zu stecken, die einen gar nichts angehen,
z. B. Diverses von Pflanzen:

Heimat in Mittelasien. So?
Hat eine Pfahlwurzel, ach?

Eingenommen sein im Alter ist getrennt sein zu gleich.
Ein Ich, das geht - und so kommt, wie es geht.


Prosaisch klar strömen die ersten Verse dahin. Die letzte Strophe hat es dann in sich: eine feine Minimeditation, die zum Wiederlesen einlädt. Davon hat das Buch mehrere in petto, mal bekenntnishaft-beklemmend wie in dem "Was sie will", mal philosophisch-vielschichtig wie in dem großartigen "Ein Bild springt einem Satz bei".

Erb eröffnet dieses Gedicht mit einem hochabstrakten Zitat des Philosophen Theodor W. Adorno und schließt das dann auf faszinierende Weise mit "Strohhalmsträhnen [ ... ] / an den seitlichen Hecken" kurz.

Dazwischen stehen viele Gedichte aus dem, was Volker Braun einmal Erbs "Reservat der poésie pure" genannt hat - schwer zugänglichen Gedankengelände. Lyrikeinsteiger brauchen für diesen Band deshalb Mut. Fortgeschrittenen reicht die übliche Portion poetischen Wahnsinns.

Besprochen von André Hatting

Elke Erb: Das Hündle kam weiter auf drein
roughbooks, Wuischke und Solothurn 2013
62 Seiten, 7,00 Euro
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