"Eine Problematik steckt schon in seinem Leben"

Carl Friedrich von Weizsäcker hat vor 1945 am Uranprogram der Nazis gearbeitet - und das später bereut.
Carl Friedrich von Weizsäcker hat vor 1945 am Uranprogram der Nazis gearbeitet - und das später bereut. © picture alliance / dpa / Roland Witschel
Dieter Hoffmann im Gespräch mit Matthias Hanselmann |
Die Atomexplosionen von Hiroshima und Nagasaki seien für Weizsäcker ein Erweckungserlebnis gewesen, sagt Dieter Hoffmann vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Er habe dann alles daran gesetzt, der Menschheit zu zeigen, dass Atombomben verwerflich seien.
Matthias Hanselmann: Heute vor 100 Jahren wurde der deutsche Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker geboren. Vor fünf Jahren ist er verstorben. Keine Frage, Weizsäcker war eine Jahrhundertgestalt, aber sein Lebensweg war auch von einer gewissen Tragik begleitet. Gleich sprechen wir über Carl Friedrich von Weizsäcker mit dem Wissenschaftshistoriker Dieter Hoffmann aus Berlin, er arbeitet am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte dort und ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Vorher wirft Winfried Sträter ein paar Schlaglichter auf das Leben von Weizsäckers.

Winfried Sträter. Bei uns ist Professor Doktor Dieter Hoffmann vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Guten Tag, Herr Hoffmann, schön, dass Sie gekommen sind! Würden Sie dem zustimmen, dass in der Figur Carl Friedrich von Weizsäcker eine gewisse Tragik steckt?

Dieter Hoffmann: Tragisch würde ich schon übertrieben nennen, aber eine Problematik steckt schon in seinem Leben, und vor allen Dingen das vor 1945.

Hanselmann: Und das er, wie eben gehört, vielleicht gar eine zwielichtige Gestalt war?

Hoffmann: Zwielichtig würde ich ihn nicht bezeichnen, denn das würde sozusagen die wirklich zwielichtigen Gestalten des Dritten Reiches oder auch der deutschen Geschichte etwas relativieren.

Hanselmann: Vielleicht etwas näher ran ans Mikrofon, bitte schön, dann kann man Sie besser verstehen.

Hoffmann: Ja.

Hanselmann: Gut. Er hat später die Mitarbeit im NS-Uranprogramm, von dem wir eben gehört haben, als große Schuld bezeichnet und bereut. Aber wie ehrlich war das?

Hoffmann: Ich weiß nicht, ob er die Mitarbeit am Uranprogramm bereut hat oder als Schuld bezeichnet hat, weil dieses Programm auch in seiner eigenen Wertung natürlich war ja kein Programm, das direkt auf die Atombombe zielte, sondern man wollte einen Reaktor herstellen. Und von der Atombombe war man nicht beliebig, aber sehr weit entfernt. Und das ist sozusagen das Problem unter anderem.

Hanselmann: Aber es gibt Dokumente, aus denen hervorgeht, dass von Weizsäcker bekannt war, dass dort daraus eine Bombe gebaut werden könnte, und dass sie, wenn erst mal das Prozedere bekannt ist, irgendwo auf der Welt auch gebaut werden würde.

Hoffmann: Das ist richtig, er hat sogar ein Patent 1941 angemeldet, dass das Plutonium ein Kernsprengstoff sei, den man zum Bombenbau verwenden könne. Aber das Programm selbst war aus ökonomischen und auch wissenschaftlich-technischen Gründen noch nicht so angelegt, dass daraus eine Atombombe hätte werden können in den Zeiten, in denen man operiert. Da war ja der Reaktor, war noch gar nicht sozusagen realisiert. Und das ist die Voraussetzung für die weitere Entwicklung einer Atombombe.

Hanselmann: Aber wie kommt von Weizsäcker dann auf dieses Mea Culpa?

Hoffmann: Ja, ...

Hanselmann: Wenn er sich keiner Schuld hätte bewusst sein müssen?

Hoffmann: Das Mea Culpa - es gibt ja eine andere Geschichte: Wie in dem einführenden Beitrag dargestellt wurde, zählte Weizsäcker zu der Gruppe von Kernphysikern, die sich mit Kernforschung beschäftigten, und da war ihm sofort klar, als Otto Hahn die Entdeckung der Uran-Kernspaltung machte, dass daraus weitreichende Konsequenzen zu folgern sind, bis hin zu einer Bombe. Und er glaubte damals mit diesem Wissen, die Politik belehren zu können, dass mit dieser Bombe die Institution des Krieges im Grunde abgeschafft werden müsse, weil sich sonst die Menschheit selbst vernichten könne.

Und er hatte damals die Hybris, damit sozusagen zu Hitler zu gehen und ihn überzeugen zu wollen, sozusagen den aufgeklärten Monarchen. Und das ist vielleicht das, was er später immer gesagt hatte, das war eine totale Überschätzung der Möglichkeiten, und es war eine gottgegebene Sache, dass er sozusagen nicht zu Hitler vorgelassen wurde. Und dann haben sich natürlich die deutschen Kernphysiker in diesem Kernforschungsprogramm durchaus auch die Frage gestellt, wie man das militärtechnisch nutzen könnte. Aber die ökonomischen Voraussetzungen, auch die wissenschaftlich-technischen in Deutschland waren nicht gegeben, diese Entwicklung wirklich realistisch werden zu lassen.

Hanselmann: Carl Friedrich von Weizsäcker sagte, er habe damals am Nazi-Uranprogramm mitgemacht, um politisch Einfluss nehmen zu können.

Hoffmann: Ja, ja, das ist das, was ich eben gesagt hatte, nicht?

Hanselmann: Ja, aber er ist ja sehr schnell auch an seine Grenzen gestoßen, das sagten Sie auch gerade.

Hoffmann: Ja, sicherlich, aber die ...

Hanselmann: Also die Einflussnahme war dann letztlich doch nicht vorhanden.

Hoffmann: Sie war nicht vorhanden, einfach ...

Hanselmann: Welche Möglichkeiten hätte er denn gehabt mit dem Wissen, was er hatte, von der Gefährlichkeit der Atombombe, innerhalb der Nazizeit zu sagen, ich mache da nicht mehr mit?

Hoffmann: Na, er hätte sagen können, ich will da nicht dran beteiligt sein.

Hanselmann: Warum hat er es nicht gesagt?

Hoffmann: Ja, sicherlich erst mal war das Projekt interessant, nicht? Es ging ja auch um physikalische Grundlagenforschung. Dann auch aus karrieretechnischen Gründen, und zum Zweiten, die Mitarbeit an diesem Programm bewahrte ihn vor der Ostfront.

Hanselmann: Also auch praktische Gründe durchaus?

Hoffmann: Ja, opportunistische - muss man ganz klar sagen.

Hanselmann: Wie kann es geschehen, dass ein solcher Mann dann nach 1945 quasi nahtlos an der wissenschaftlichen Karriere anschließen kann?

Hoffmann: Na, diese Karrieren sind ja üblich in Deutschland. Es gab ja Leute, die viel stärker in das politische System des Dritten Reiches direkt immer Nazis waren, das war Weizsäcker zweifelsohne nicht. Er war nicht mal Mitglied der Partei, davon hielt ihn sozusagen der Hochmut, oder nicht der Hochmut, sondern sein elitäres Verständnis ab, und eben auch die Verfolgung von seinen jüdischen Kollegen, die er nicht billigte. Das heißt, er hatte sich viel weniger vorzuwerfen als andere Leute, die auch ihre Karriere fortsetzen konnten. Also insofern ist das für die deutsche Nachkriegssituation etwas ganz normales, dass Leute wie Weizsäcker praktisch ihre wissenschaftliche oder auch andere Karrieren faktisch nahtlos fortsetzen konnten.

Hanselmann: Wie oder warum wurde er dann später eine Stimme des Gewissens in der Bundesrepublik, ein Friedenskämpfer, ein Pazifist?

Hoffmann: Na, er war ja schon - der Weg zur Physik ging ja im Grunde über die Philosophie. Er wollte Philosophie studieren, und Heisenberg sagte ihm wenn du philosophieren willst, musst du erst sozusagen Physik verstanden haben, weil das ist sozusagen eine der zentralen, interessanten Fragen. Und dann kam er aus einer politischen Familie, nicht? Sie wissen ja, der Vater war Staatssekretär im Auswärtigen Amt, sein Bruder wurde später Bundespräsident, also es war eine sehr politische Familie, und dann dieses Erlebnis der Atomexplosionen von Hiroshima und Nagasaki, das war eine Art Erweckungserlebnis für ihn, jetzt alles dranzusetzen, um der Menschheit und auch der Politik klarzumachen, dass Atombomben und auch der Krieg etwas Verwerfliches sei. Und da geht dann der direkte Weg eben zum politischen Mahner der frühen Bundesrepublik.

Hanselmann: Und wir wollen das noch mal festhalten, aus Ihrer Sicht auch, zum politischen glaubwürdigen Mahner.

Hoffmann: Er war glaubwürdig!

Hanselmann: Also er hat ja doch, ich sage es mal ganz salopp, eine ziemliche Wende hingelegt, vom Mitbastler an der Atombombe zum Gegner.

Hoffmann: Er hat nicht an der Atombombe gebastelt. Er hat da die Grundlagen ...

Hanselmann: Mitgearbeitet, an den Grundlagen.

Hoffmann: ... sozusagen mitgearbeitet ...

Hanselmann: Aber es war ihm klar, dass er an der Bombe mitarbeiten würde. So hat es Heisenberg selber gesagt. Ich habe das gerade nachgelesen.

Hoffmann: Das weiß ich nicht, ob das klar war, aber die Frage hat sich für die deutschen Atomphysiker oder Kernphysiker nicht gestellt, das muss man ganz klar sagen. Sie waren eben nicht so weit wie in Amerika. Und auch das Programm wurde nicht so gepusht. Insofern stand die Frage nicht. Und insofern ist das auch, was er dann später sagte, wir haben nicht gewollt, im Grunde, eine Lüge oder zumindest eine Verdrängung der tatsächlichen Umstände. Sie standen gar nicht vor dieser Frage.

Hanselmann: Sie haben ja selbst an ihrem Institut eine Tagung veranstaltet zum Thema Carl Friedrich von Weizsäcker. Wie würden Sie ihn abschließend in kurzen Worten bewerten, würdigen?

Hoffmann: Diese Tagung hat die Leopoldina veranstaltet, und sie hat ihn in seiner Widersprüchlichkeit gezeigt, als einen großen Physiker, als einen bedeutenden Philosophen und auch einen anerkannten Friedensforscher, hat aber auch gezeigt, dass diese Verwebung zwischen Politik und Wissenschaft in seinem Leben sich exemplarisch wiederspiegeln und damit auch sein Leben problematisieren. Also er ist keineswegs jemand, den man sozusagen vergötternd oder anhimmelnd auf das Podest stellen sollte. Sondern und man kann hier sehr klar die Fragen stellen, die uns heute alle bewegen und die sozusagen existentiell für die Menschheit sind.

Hanselmann: Ganz herzlichen Dank! Dieter Hoffmann vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin über Carl Friedrich von Weizsäcker, der heute seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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