"Eine psychische Erkrankung ist oft therapierbar"
Wir müssen, wenn wir psychische Erkrankungen behandeln wollen, sehr früh ansetzen, sagt Stephan Weiler, Betriebsarzt im Audi-Gesundheitszentrum in Ingolstadt. Auch Mitarbeiter, die fit seien, müssten lernen haushälterisch mit ihrer Gesundheit umzugehen.
Jan-Christoph Kitzler: Wenn man eine Grippe hat, oder ein gebrochenes Bein, oder einen Bandscheibenvorfall, dann kann man nicht arbeiten – klare Sache. Es gibt aber auch Erkrankungen, da sieht man den Menschen nicht auf den ersten Blick an, dass sie auch wirklich krank sind. Es gibt immer mehr Fälle von Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer psychiatrischen Diagnose. Jede dritte Frühverrentung in Deutschland ist psychiatrisch begründet.
Dabei wäre für die Kranken eine Fortsetzung des Berufslebens oft im wahrsten Sinne des Wortes gesund und ganz nebenbei blieben den Arbeitgebern kompetente Mitarbeiter erhalten. Das Problem wird heute in Berlin diskutiert, im Haus der Bundesärztekammer. Dabei sind Ärzte, aber auch Vertreter der Wirtschaft und auch einer, der beides ist. Ich bin verbunden mit Stephan Weiler, Betriebsarzt im Audi-Gesundheitszentrum am Standort Ingolstadt. Schönen guten Morgen!
Stephan Weiler: Ja! Schönen guten Morgen, Herr Kitzler.
Kitzler: Allgemein sind Arbeitnehmer in Deutschland in den letzten Jahren weniger krank, es gibt weniger Krankmeldungen. Nur aus psychischen Gründen gibt es mehr Krankmeldungen. Woran liegt das?
Weiler: Das Thema ist inzwischen weniger tabuisiert als noch vor wenigen Jahren. Die Belegschaften werden älter und wie bei vielen Erkrankungen ist es auch bei psychischen und psychiatrischen Erkrankungen so, dass die mit dem Lebensalter eher wahrscheinlich werden, also die Häufigkeit nimmt zu.
Kitzler: Kann man sagen, dass dieses Thema psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt in den letzten Jahren zu kurz gekommen ist?
Weiler: Nein. Es wird nur zunehmend wichtiger und es wird auch viel offener darüber gesprochen als noch vor wenigen Jahren.
Kitzler: Also hat eine Enttabuisierung stattgefunden, das haben Sie gesagt. Liegt das aber vielleicht nicht auch daran, dass man psychische Erkrankungen recht schwer fassen kann, dass man den meisten Menschen eben nicht ansieht, dass sie krank sind?
Weiler: Das ist eines der Probleme, mit denen wir im Betrieb sehr viel zu tun haben. Wir müssen, wenn wir psychische Erkrankungen behandeln wollen, sehr früh ansetzen und sehr viel Sensibilität vor allem bei den noch nicht Betroffenen schaffen, dass sie haushälterisch mit ihrer Gesundheit umgehen, dass sie frühzeitig auch bemerken, wenn sich bei ihnen oder bei Kollegen etwas ändert, weil sehr viele der Betroffenen sind selbst gar nicht in der Lage, Hilfe zu suchen. Ein Depressiver merkt oft erst nach sehr langer Zeit, dass irgendetwas nicht stimmt.
Kitzler: Was passiert denn da ganz konkret? Vielleicht könnten Sie das mal an einem Modellfall schildern.
Weiler: Wir führen dann ein Vorgespräch, schauen, wo liegt denn die Problemlage, ist es tatsächlich eine psychisch-psychiatrische Erkrankung, ist dieser Mitarbeiter überhaupt in der Lage, wieder vielleicht auch nur einen Teil seiner Arbeitskraft einzubringen, und müssen dann entscheiden, ob wir es am alten Arbeitsplatz versuchen können, oder vielleicht sogar einen neuen Arbeitsplatz benötigen, in einer anderen Abteilung, in einem anderen Umfeld.
Das kann man zum Beispiel bei Mobbing-Fällen, die auch unter psychiatrischen Diagnosen geführt werden, und dann tatsächlich der erste Tag kommt, wo der Mitarbeiter zurückgeht zur Arbeit. Der Vorgesetzte weiß meistens nichts von der Diagnose, hat vielleicht etwas bemerkt, dass dieser Mitarbeiter sich verändert hat. Und für uns ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg ist, dass wir regelmäßig dann den Kontakt halten.
Einmal in der Woche sprechen wir mit allen Arbeitsversuchs-Mitarbeitern, so nennen wir diese stufenweisen Wiedereingliederungsprozesse, und schauen, passt das denn. Man arbeitet dann zunächst zwei oder drei Stunden pro Tag sehr häufig nur und steigert dann die Arbeitszeit, horcht in sich hinein, ist das gut, fühlt sich das gut an, wird irgendetwas schlechter, und hat mit dem Betriebsarzt eine geschützte Anlaufstelle, die der Schweigepflicht unterliegt, wo man schauen kann, gibt es vielleicht andere Einsatzmöglichkeiten oder Unterstützungsmöglichkeiten wie zum Beispiel auch Moderationsgespräche, Vermittlungen in Therapien, Netzwerke mit Psychiatern, Psychologen vor Ort, wo man mit unserer Hilfe häufig schneller Termine bekommen kann, als wenn man es auf eigene Faust versucht.
Kitzler: Das heißt, wäre es ideal für den Krankheitsverlauf, für die Wiedereingliederung der Kollegen, wenn der Kollegenkreis, die Mitarbeiter, die gesund sind, davon gar nichts mitbekommen, von der Krankheit, oder setzen Sie da eher auf Offenheit?
Weiler: Ich selbst setze persönlich eher auf Offenheit. Das hängt jetzt aber sehr oft von der Diagnose ab, die man gerade tatsächlich hat. Bei jemandem, der sich selbst wenig steuern kann, der beschreibt eher einen burnoutartigen Verlauf, weil er sich sehr in der Arbeit aufgehoben fühlte, sich eher übermäßig engagiert hat und einfach nicht mehr kann, kombiniert mit einer vielleicht psychiatrischen Erkrankung, der wird die Kollegen brauchen, die ihn steuern, die ihm sagen, hör mal, du machst wieder zu viel.
Kitzler: Das heißt, der Kampf gegen die Stigmatisierung ist ein Kampf, den das ganze Unternehmen irgendwie führen muss?
Weiler: Auf jeden Fall! Deshalb erwähnte ich auch am Anfang die Wichtigkeit von Sensibilisierung. Wir müssen aufklären, dass eine psychische Erkrankung oft therapierbar ist – wahrscheinlich nicht dahin, dass man überhaupt nichts mehr merkt oder ein Mensch keine Medikamente mehr braucht, aber erst mal, dass man behandeln kann, umso besser, wenn man früher anfängt.
Kitzler: Es klingt so, als ob Ihr Unternehmen, als ob Audi da einen großen Aufwand betreiben muss, um die Kollegen wieder einzugleidern, viel Begleitung ist da notwendig. Was hat denn das Unternehmen davon?
Weiler: Wir können sehr erfahrene Mitarbeiter, oft auch sehr, sehr engagierte und dem Unternehmen verbundene Mitarbeiter halten. Wir können auch den nicht betroffenen den Aspekt der Wertschöpfung vermitteln. Wir zeigen, dass sich der Arbeitgeber um die Gesundheit seiner Beschäftigten interessiert, sich darum kümmert, auch den Aufwand nicht scheut, und das ist ein ganz wichtiger Aspekt, auch solche Erkrankungen überhaupt zu vermeiden, dass der Mitarbeiter weiß, meinem Arbeitgeber ist es wichtig, dass ich gesund bleibe, und wenn ich es eben nicht bleibe, bin ich trotzdem nicht verloren für die Firma.
Kitzler: Die Wiedereingliederung psychisch Erkrankter ist eine große Herausforderung – das war Stephan Weiler, Betriebsarzt beim Autohersteller Audi in Ingolstadt. Vielen Dank, einen schönen Tag.
Weiler: Vielen Dank auch und einen schönen Tag noch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Dabei wäre für die Kranken eine Fortsetzung des Berufslebens oft im wahrsten Sinne des Wortes gesund und ganz nebenbei blieben den Arbeitgebern kompetente Mitarbeiter erhalten. Das Problem wird heute in Berlin diskutiert, im Haus der Bundesärztekammer. Dabei sind Ärzte, aber auch Vertreter der Wirtschaft und auch einer, der beides ist. Ich bin verbunden mit Stephan Weiler, Betriebsarzt im Audi-Gesundheitszentrum am Standort Ingolstadt. Schönen guten Morgen!
Stephan Weiler: Ja! Schönen guten Morgen, Herr Kitzler.
Kitzler: Allgemein sind Arbeitnehmer in Deutschland in den letzten Jahren weniger krank, es gibt weniger Krankmeldungen. Nur aus psychischen Gründen gibt es mehr Krankmeldungen. Woran liegt das?
Weiler: Das Thema ist inzwischen weniger tabuisiert als noch vor wenigen Jahren. Die Belegschaften werden älter und wie bei vielen Erkrankungen ist es auch bei psychischen und psychiatrischen Erkrankungen so, dass die mit dem Lebensalter eher wahrscheinlich werden, also die Häufigkeit nimmt zu.
Kitzler: Kann man sagen, dass dieses Thema psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt in den letzten Jahren zu kurz gekommen ist?
Weiler: Nein. Es wird nur zunehmend wichtiger und es wird auch viel offener darüber gesprochen als noch vor wenigen Jahren.
Kitzler: Also hat eine Enttabuisierung stattgefunden, das haben Sie gesagt. Liegt das aber vielleicht nicht auch daran, dass man psychische Erkrankungen recht schwer fassen kann, dass man den meisten Menschen eben nicht ansieht, dass sie krank sind?
Weiler: Das ist eines der Probleme, mit denen wir im Betrieb sehr viel zu tun haben. Wir müssen, wenn wir psychische Erkrankungen behandeln wollen, sehr früh ansetzen und sehr viel Sensibilität vor allem bei den noch nicht Betroffenen schaffen, dass sie haushälterisch mit ihrer Gesundheit umgehen, dass sie frühzeitig auch bemerken, wenn sich bei ihnen oder bei Kollegen etwas ändert, weil sehr viele der Betroffenen sind selbst gar nicht in der Lage, Hilfe zu suchen. Ein Depressiver merkt oft erst nach sehr langer Zeit, dass irgendetwas nicht stimmt.
Kitzler: Was passiert denn da ganz konkret? Vielleicht könnten Sie das mal an einem Modellfall schildern.
Weiler: Wir führen dann ein Vorgespräch, schauen, wo liegt denn die Problemlage, ist es tatsächlich eine psychisch-psychiatrische Erkrankung, ist dieser Mitarbeiter überhaupt in der Lage, wieder vielleicht auch nur einen Teil seiner Arbeitskraft einzubringen, und müssen dann entscheiden, ob wir es am alten Arbeitsplatz versuchen können, oder vielleicht sogar einen neuen Arbeitsplatz benötigen, in einer anderen Abteilung, in einem anderen Umfeld.
Das kann man zum Beispiel bei Mobbing-Fällen, die auch unter psychiatrischen Diagnosen geführt werden, und dann tatsächlich der erste Tag kommt, wo der Mitarbeiter zurückgeht zur Arbeit. Der Vorgesetzte weiß meistens nichts von der Diagnose, hat vielleicht etwas bemerkt, dass dieser Mitarbeiter sich verändert hat. Und für uns ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg ist, dass wir regelmäßig dann den Kontakt halten.
Einmal in der Woche sprechen wir mit allen Arbeitsversuchs-Mitarbeitern, so nennen wir diese stufenweisen Wiedereingliederungsprozesse, und schauen, passt das denn. Man arbeitet dann zunächst zwei oder drei Stunden pro Tag sehr häufig nur und steigert dann die Arbeitszeit, horcht in sich hinein, ist das gut, fühlt sich das gut an, wird irgendetwas schlechter, und hat mit dem Betriebsarzt eine geschützte Anlaufstelle, die der Schweigepflicht unterliegt, wo man schauen kann, gibt es vielleicht andere Einsatzmöglichkeiten oder Unterstützungsmöglichkeiten wie zum Beispiel auch Moderationsgespräche, Vermittlungen in Therapien, Netzwerke mit Psychiatern, Psychologen vor Ort, wo man mit unserer Hilfe häufig schneller Termine bekommen kann, als wenn man es auf eigene Faust versucht.
Kitzler: Das heißt, wäre es ideal für den Krankheitsverlauf, für die Wiedereingliederung der Kollegen, wenn der Kollegenkreis, die Mitarbeiter, die gesund sind, davon gar nichts mitbekommen, von der Krankheit, oder setzen Sie da eher auf Offenheit?
Weiler: Ich selbst setze persönlich eher auf Offenheit. Das hängt jetzt aber sehr oft von der Diagnose ab, die man gerade tatsächlich hat. Bei jemandem, der sich selbst wenig steuern kann, der beschreibt eher einen burnoutartigen Verlauf, weil er sich sehr in der Arbeit aufgehoben fühlte, sich eher übermäßig engagiert hat und einfach nicht mehr kann, kombiniert mit einer vielleicht psychiatrischen Erkrankung, der wird die Kollegen brauchen, die ihn steuern, die ihm sagen, hör mal, du machst wieder zu viel.
Kitzler: Das heißt, der Kampf gegen die Stigmatisierung ist ein Kampf, den das ganze Unternehmen irgendwie führen muss?
Weiler: Auf jeden Fall! Deshalb erwähnte ich auch am Anfang die Wichtigkeit von Sensibilisierung. Wir müssen aufklären, dass eine psychische Erkrankung oft therapierbar ist – wahrscheinlich nicht dahin, dass man überhaupt nichts mehr merkt oder ein Mensch keine Medikamente mehr braucht, aber erst mal, dass man behandeln kann, umso besser, wenn man früher anfängt.
Kitzler: Es klingt so, als ob Ihr Unternehmen, als ob Audi da einen großen Aufwand betreiben muss, um die Kollegen wieder einzugleidern, viel Begleitung ist da notwendig. Was hat denn das Unternehmen davon?
Weiler: Wir können sehr erfahrene Mitarbeiter, oft auch sehr, sehr engagierte und dem Unternehmen verbundene Mitarbeiter halten. Wir können auch den nicht betroffenen den Aspekt der Wertschöpfung vermitteln. Wir zeigen, dass sich der Arbeitgeber um die Gesundheit seiner Beschäftigten interessiert, sich darum kümmert, auch den Aufwand nicht scheut, und das ist ein ganz wichtiger Aspekt, auch solche Erkrankungen überhaupt zu vermeiden, dass der Mitarbeiter weiß, meinem Arbeitgeber ist es wichtig, dass ich gesund bleibe, und wenn ich es eben nicht bleibe, bin ich trotzdem nicht verloren für die Firma.
Kitzler: Die Wiedereingliederung psychisch Erkrankter ist eine große Herausforderung – das war Stephan Weiler, Betriebsarzt beim Autohersteller Audi in Ingolstadt. Vielen Dank, einen schönen Tag.
Weiler: Vielen Dank auch und einen schönen Tag noch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.