Eine Reise voller Überraschungen
Werner Nell und Steffen Hendel haben mit "Atlas der fiktiven Orte" eine Entdeckungsreise zu den Orten unserer Fantasie vorgelegt. Mit dem Buch geht der Leser auf Spurensuche: 30 fiktive Orte werden in der Manier einer Länderkunde mit geografischen Steckbriefen und ihren Geschichten vorgestellt.
Vom Karl May'schen Ardistan bis zum Thomas Mann'schen Zauberberg erstreckt sich die fantastische Welt, die der Literaturprofessor Werner Nell und der Literaturwissenschaftler und Grafiker Steffen Hendel zu einem im Wortsinn bildschönen Atlas zusammengestellt haben. In jedem der dreißig beschriebenen und illustrierten fiktiven Orte steckt jeweils eine ganz eigene, vielschichtige Welt aus Wünschen, Träumen, Schrecken und Befürchtungen, aus Fakten und historischen und kulturellen Kontexten.
Es sind überwiegend, aber nicht nur literarisch verbriefte Landschaften, Städte, Inseln und Berge wie Liliput und die Schatzinsel, Mahagonny und Mittelerde. Viele der Orte sind über die Jahrhunderte, sogar Jahrtausende so tief ins kollektive Bewusstsein der realen Welt eingesickert, dass sie zu Topoi geworden sind und unabhängig von ihren Schöpfern ein Eigenleben führen. Fallen uns bei Avalon heute noch auf Anhieb Geoffrey of Monmouth und das 12. Jahrhundert ein oder doch eher moderne Fantasy-Romane oder Roxy Music?
Denkt der ältere Zeitgenosse bei Xanadu noch an Samuel Coleridge und den Beginn des 19. Jahrhunderts oder hört er automatisch Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich? Weiß man, dass Nimmerland (Neverland) nicht Michael Jackson, sondern ein schottischer Schriftsteller der vorletzten Jahrhundertwende erfunden hat? Und dass die Smaragdstadt OZ mit dem Zauberer nicht in Hollywood gebaut worden und auch nicht von Muppets bevölkert ist?
Andere Topoi entspringen dem über lange Zeiträume entwickelten, immer wieder variierten kollektiven Bedürfnis, die große unbekannte Welt und das eigene kleine Leben in eine Balance zu bringen. Dem Wunsch nach Ordnungssystemen, die die Bedrohlichkeiten bannen, und nach Glücksversprechen, die die Mühsal belohnen können. Der Olymp, das Paradies, Walhalla und Schilda haben keinen Urheber, aber auch sie beflügeln umgekehrt die Fantasie etlicher Schriftsteller, Musiker und bildender Künstler. Ihr kreatives Potenzial findet sich im Springfield der Simpsons wie im Entenhausen der Ducks, in Metropolis wie in Lummerland. Gold-Nuggets aus Träumen, Wünschen und Ängsten.
Sie funkeln auch aus der Buchkomposition. Steffen Hendel hat für jeden Ort eine Landkarte erstellt, mit allen recherchierbaren Daten und Fakten und oft komischen Details - Schlaraffenland sieht aus wie ein Ausschnitt vom Magen-Darm-Trakt, Liliput hat die Kreuzworträtselstruktur von Mannheim. Viele sind zusätzlich bebildert mit Collagen aus selbst-gezeichnetem und Einkopiertem quer durch die Genres. Werner Nell erzählt auf mehreren Textseiten, seit wann es die jeweilige Schein-Welt gibt, wer sie sich ausgedacht, weiter bearbeitet, auch konterkariert hat, er sortiert viele der Fäden aus Fiktionen und Realitäten, aus denen das Netz menschlichen Erfindungsreichtums gewoben ist.
Mit diesem Atlas kann man wunderbar auf Reisen gehen. Man braucht weder Pass noch Fremdsprachenkenntnisse, nur die Lust, vorübergehend auszuwandern, erfahrungsreich zurückzukommen und wieder loszuziehen.
Besprochen von von Pieke Biermann
Werner Nell und Steffen Hendel: "Atlas der fiktiven Orte"
Meyers Lexikonverlag, Mannheim 2011
160 Seiten, 29,95 Euro
Es sind überwiegend, aber nicht nur literarisch verbriefte Landschaften, Städte, Inseln und Berge wie Liliput und die Schatzinsel, Mahagonny und Mittelerde. Viele der Orte sind über die Jahrhunderte, sogar Jahrtausende so tief ins kollektive Bewusstsein der realen Welt eingesickert, dass sie zu Topoi geworden sind und unabhängig von ihren Schöpfern ein Eigenleben führen. Fallen uns bei Avalon heute noch auf Anhieb Geoffrey of Monmouth und das 12. Jahrhundert ein oder doch eher moderne Fantasy-Romane oder Roxy Music?
Denkt der ältere Zeitgenosse bei Xanadu noch an Samuel Coleridge und den Beginn des 19. Jahrhunderts oder hört er automatisch Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich? Weiß man, dass Nimmerland (Neverland) nicht Michael Jackson, sondern ein schottischer Schriftsteller der vorletzten Jahrhundertwende erfunden hat? Und dass die Smaragdstadt OZ mit dem Zauberer nicht in Hollywood gebaut worden und auch nicht von Muppets bevölkert ist?
Andere Topoi entspringen dem über lange Zeiträume entwickelten, immer wieder variierten kollektiven Bedürfnis, die große unbekannte Welt und das eigene kleine Leben in eine Balance zu bringen. Dem Wunsch nach Ordnungssystemen, die die Bedrohlichkeiten bannen, und nach Glücksversprechen, die die Mühsal belohnen können. Der Olymp, das Paradies, Walhalla und Schilda haben keinen Urheber, aber auch sie beflügeln umgekehrt die Fantasie etlicher Schriftsteller, Musiker und bildender Künstler. Ihr kreatives Potenzial findet sich im Springfield der Simpsons wie im Entenhausen der Ducks, in Metropolis wie in Lummerland. Gold-Nuggets aus Träumen, Wünschen und Ängsten.
Sie funkeln auch aus der Buchkomposition. Steffen Hendel hat für jeden Ort eine Landkarte erstellt, mit allen recherchierbaren Daten und Fakten und oft komischen Details - Schlaraffenland sieht aus wie ein Ausschnitt vom Magen-Darm-Trakt, Liliput hat die Kreuzworträtselstruktur von Mannheim. Viele sind zusätzlich bebildert mit Collagen aus selbst-gezeichnetem und Einkopiertem quer durch die Genres. Werner Nell erzählt auf mehreren Textseiten, seit wann es die jeweilige Schein-Welt gibt, wer sie sich ausgedacht, weiter bearbeitet, auch konterkariert hat, er sortiert viele der Fäden aus Fiktionen und Realitäten, aus denen das Netz menschlichen Erfindungsreichtums gewoben ist.
Mit diesem Atlas kann man wunderbar auf Reisen gehen. Man braucht weder Pass noch Fremdsprachenkenntnisse, nur die Lust, vorübergehend auszuwandern, erfahrungsreich zurückzukommen und wieder loszuziehen.
Besprochen von von Pieke Biermann
Werner Nell und Steffen Hendel: "Atlas der fiktiven Orte"
Meyers Lexikonverlag, Mannheim 2011
160 Seiten, 29,95 Euro