Wiedersehen in TUNIX!
Kurz nach dem "Deutschen Herbst" kam 1978 in Berlin die Spontiszene zu einem Treff zusammen: TUNIX hieß der Kongress, von dem zahlreiche Impulse ausgingen. Nun gab es den Versuch einer Neuauflage samt Rückschau.
Tunix 1978 – da liefen Hymnen etwa vom Linksradikalen Blasorchester. Tunix 2018 dagegen – da läuft irgendetwas zwischen Punk und Afro, Jazz und reichlich Elektro, etwa vom Agitprop-Kollektiv und der Gruppe Arrivati. Und das klingt dann auch komplizierter und hört sich auch komplizierter an.
"Heute andere Betriebstemperatur", sagt mein Kollege Michael Sontheimer beim Tunix 2018, der auch schon bei Tunix 1978 dabei war. Die Gegenwart von heute kam dabei dann doch etwas kurz bei Tunix 2018. Da interessierte zwar, was aus alternativen Projekten in neoliberalen Zeiten geworden ist. Welche komplexen und höchst komplizierten Theorien da zu entwickeln sind.
Politisch milde Temperatur
Aber bei Tunix 1978 hatte es auch einen Programmpunkt mit der Frage gegeben: "Gibt es einen neuen Faschismus in der BRD?" Bei Tunix 2018 stand die Frage nach rassistischen und nazistischen Tendenzen in unserer Gegenwart nicht auf dem Programm und kam, wenn überhaupt, nur mal in Nebensätzen vor. Politisch betrachtet, hatte Tunix 2018 eine sehr milde Temperatur.
Ich habe Tunix 1978 aus der Ferne erlebt: in Frankfurt, wo ich gerade Junior-Redakteur beim "Spiegel" geworden war. Zuvor hatte ich ein zweijähriges Volontariat bei der "Frankfurter Rundschau" absolviert und durfte dort während meiner dreimonatigen Station in der Nachrichtenredaktion auf Anweisung des Ressortleiters keine Termine wahrnehmen, weil ich zu lange Haare hatte und ihm meine Jeans und meine Lederjacke nicht gefielen.
Die "Frankfurter Rundschau" galt damals als die "links-liberale" überregionale Tageszeitung.
Tunix 1978 - tausende Langhaarige; Tunix 2018 - hundert Leute
Tunix 1978 – da konnten sich noch tausende Langhaarige in Jeans an die Hände fassen. Bei Tunix 2018 saßen gerade 'mal hundert Leute im Berliner "HAU - Hebbel am Ufer", als dort auf der Bühne eine Frau und fünf Männer sich an Tunix 1978 erinnerten.
"Man traute sich wieder was", sagte dabei etwa der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele vor einem Publikum, bei dem fast alle Männer Jeans trugen und die meisten doch schon recht ergraute und nicht mehr besonders lange Haare auf dem Kopf hatten.
"Es hat ungeheur Mut gemacht", sagt Ströbele dann noch. Und Michael Sontheimer sagt über Tunix 1978, dass es "sich gelohnt hat". Und er sagt das, nachdem er nun bei Tunix 2018 auf der Bühne saß.
Sontheimer gehörte zu den Gründern der taz, wo Redakteure in Schlips und Anzug so selten waren wie bei der "Frankfurter Rundschau" solche mit langen Haaren. Heute arbeitet Sontheimer beim "Spiegel". Zwischendurch war er bei der "Zeit", wo es egal war, ob man Schlips oder Lederhose trug, und für die ich in den achtziger Jahren aus dem alternativen Berlin berichten durfte von grünen Gründungsjahren und Hausbesetzern und allen möglichen Alternativen – samt lauter Kongressen als Kindern von Tunix 1978.
"Man traute sich wieder was"
Und Ströbele sagt beim Blick zurück: "Man traute sich wieder was!" – Ja, die Schwulen trauten sich und gingen beim Christopher Street Day auf die Straße. Dann kam der erste schwule Regierende Bürgermeister in Berlin.
Heute kandidiert in der CDU - als einer der Heroen der Anti-Merkel-Fraktion - für den Parteivorsitz ein Schwuler. Selbst Donald Trumps Botschafter in Berlin lebt offen schwul. Und die Grünen sind dabei, die zweitstärkste Partei zu werden.
Und wer hat die Politik gemacht und hat Tunix-Gedanken aufgegriffen und letztlich umgesetzt? Wer hat später die Hausbesetzungen in Berlin legalisiert? Wer hat die widerwärtige Gewissensprüfung für Kriegsdienstverweigerer abgeschafft? Wer hat den antischwulen Paragraphen 175 endgültig beerdigt?
Der liberale Flügel der CDU, von dem leider keiner auf dem Podium von Tunix 2018 saß – der Flügel, der mit Angela Merkel dann die Macht übernommen hat. Aber das ist eine andere Geschichte …