Eine Schule des Müßiggangs

20.07.2009
Von Beruf war Tomasi di Lampedusa nicht nur Schriftsteller, sondern auch Kosmopolit. Reisen war für den 1957 verstorbenen Nachfahren eines sizilianischen Fürstengeschlechts geradezu eine Berufung. Die Briefe, die er Verwandten aus London, Paris, Florenz, Berlin und anderen Städten schrieb, wurden nun unter dem Titel "Ein Literat auf Reisen" veröffentlicht.
Tomasi di Lampedusa war ein Mann von Welt. Als Mann von Welt schrieb er Briefe von Welt - und zwar im buchstäblichen Sinne. Der Abkömmling eines alten sizilianischen Fürstengeschlechts ging standesgemäß auf Reisen und verbrachte in den Zwanzigerjahren seine Sommer in den europäischen Metropolen. Er hielt sich in London, York, Paris, der Schweiz, Brixen, Florenz, Riga und Berlin auf. Von dort schickte Tomasi elegant-spöttische, schwärmende, bildungsgesättigte oder liebenswert-herablassende Erlebnisberichte auf feinem Hotelbütten nach Hause.

Seine Adressaten waren meistens die Cousins Casimiro und Lucio Piccolo di Calanovella. Ob es um den Lunch in einem berühmten Londoner Club geht, wo er freilich nur unter seinesgleichen verkehrt und dennoch staunt über die Summen, die die Lords mit steinerner Miene beim Poker setzen ("Only ten pounds, it's a family game"), oder ob er ein kostbares Sèvres-Service der Vettern von einem Experten schätzen lässt (genau wie Tomasi selbst sind seine Verwandten in ständiger Geldnot und überlegen, Teile ihrer Besitztümer zu veräußern), ob er in köstlichen Teegebäcken oder englischen Marmeladen schwelgt oder die gotischen Glasmalereien der Kathedrale von York bewundert: Tomasi di Lampedusa bewahrt immer die Form und behandelt auch die eigene Person mit wohltuender Ironie. Sich selbst als "Il mostro" ("das Monstrum") bezeichnend, schildert er, was ihm in der Fremde widerfährt.

Er unternimmt eine "automobilistische Rundreise" durch Schottland, er führt Tippfräuleins ins Kino aus, er besucht Restaurants und Cafés, Museen, Galerien und Kirchen. Tomasi di Lampedusa, der erst mit über 50 seinen weltberühmten Roman "Der Leopard" verfasste, entpuppt sich schon hier als ein genauer Beobachter mit einem starken Gespür für Exzentriker. So beschreibt er den Porzellanexperten der Wallace Collection als "Charon des französischen 17. Jahrhunderts": Ein entzückender Herr "mit einem Gesicht in der Farbe von alten Tonziegeln, buschigen Brauen und zwei kindlichen Augen, ausstaffiert mit einem langen, schneeigen Walrossschnauzer; das Ganze wunderbar geschniegelt und nach Pears Seife duftend". Brief um Brief bekommt man stärker den Eindruck, Tomasi di Lampedusa habe sich schon damals auf Motiv- und Figurensuche für sein Hauptwerk befunden.

Einige der Briefe sind von unnachahmlicher Komik. In einem Kaffeehaus am Kurfürstendamm ist einfach alles riesig: der Kuppelsaal, die Gesichter der Stammgäste, die Hinterteile der Damen, die Zigarrenetuis, "so groß wie Koffer" mit Zigarren, "die aussehen wie Schirme", die Bierschoppen, so enorm wie Ozeane, und die Schokoladenkuchenstücke sind "von Sahnewogen gepeitschte Leuchttürme". Aber gerade in den Berliner Briefen stellt der adlige Reisende seine atmosphärische Feinfühligkeit unter Beweis. Im Café Chantant liegen die kommenden Entgleisungen schon in der Luft, die Deutschen, "glaube ich, werden in zehn Jahren allen Nationen ihre Visitenkarte von einem Kellner überbringen lassen", bemerkt er hellsichtig.

Der Kosmopolit Giuseppe Tomasi di Lampedusa (1896-1957) ist als Verfasser von "Der Leopard" in die Literaturgeschichte eingegangen. Erst 1958, nach dem Tod des Verfassers, veröffentlicht, führt der Roman in die Zeit der italienischen Einigung um 1860 zurück und erzählt von dem Bruch zwischen zwei Epochen am Beispiel einer Fürstenfamilie. Die Briefe sind Fundstücke, die erst vor ein paar Jahren auftauchten. Sie verraten viel über den kauzigen Fürsten. Nicht nur seine an Chesterton geschulte Ironie ist aufschlussreich, sondern auch die besitzergreifende Zärtlichkeit seiner Mutter, von der ebenfalls ein Brief abgedruckt ist. Tomasi di Lampedusas Ehefrau Lissy Wolff-Stommersee, eine litauische Gräfin, zog nämlich erst nach dem Tod der Mutter nach Palermo. Die Freud-Schülerin wurde dort die erste Psychoanalytikerin der Stadt. Wer den sizilianischen Fürsten als private Person kennenlernen will, ist mit dieser kuriosen Briefsammlung bestens bedient. Außerdem ist "Ein Literat auf Reisen" eine wunderbare Schule des Müßiggangs.

Besprochen von Maike Albath

Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Ein Literat auf Reisen. Unterwegs in den Metropolen Europas
Aus dem Italienischen übersetzt von Giovanna Waeckerlin-Induni
Piper Verlag, München 2009
237 Seiten, 19,95 Euro