"Eine sehr opportunistische und biegsame Politikerin"

Moderation: Matthias Hanselmann |
Der Film "Die Eiserne Lady" kommt heute in die deutschen Kinos. Die starken Szenen des Filmes seien die Teile der Gegenwart, der Demenzkranken, meint Dominik Geppert, Historiker an der Universität in Bonn. Margaret Thatcher sei eine Politikerin gewesen, "die sehr wohl Kreide fressen konnte".
Matthias Hanselmann: Susanne Burg über den Film "Die Eiserne Lady" mit der dafür schon mit einem Oskar ausgezeichneten Meryl Streep in der Hauptrolle. Wir sprechen mit einem Mann, der sich intensiv mit der damaligen Premierministerin Margret Thatcher und ihrer Politik auseinandergesetzt hat, unter anderem auch als Buchautor: der Historiker Dominik Geppert von der Universität Bonn. Guten Tag, Herr Geppert!

Dominik Geppert: Guten Tag! Ich grüße Sie!

Hanselmann: Wir haben es eben gehört, gezeigt wird Margret Thatcher als Mensch, weniger als Politikerin - die Auswirkungen ihrer Politik erscheinen nur am Rande. Wie haben Sie denn den Film erlebt? Ist Frau Thatcher gut getroffen?

Geppert: Die politischen Teile in dem Film sind in der Tat sozusagen bemüht, unkontrovers daherzukommen. Die starken Teile sind die Teile der Gegenwart, der Demenzkranken, auf ihr Leben zurückblickenden, verwirrten, aber dann auch wieder zu Einsichten fähigen, ganz alten, greisenhaften Thatcher. Die rückblendenhaften Einspielungen der Politik haben mich nicht vollkommen überzeugt, nein.

Hanselmann: Alles bleibt hübsch persönlich, schreibt die "Süddeutsche Zeitung", die Auswirkungen der Politik spielen höchstens, wie gesagt, am Rande eine Rolle. Wie haben Sie das eigentlich empfunden, also Sie, der Sie sich mit der Geschichte Margret Thatchers so intensiv befasst haben, dass dort eigentlich das Wesentliche ja weggelassen wurde?

Geppert: Ja, ich habe den Film im Grunde auf zwei Ebenen gesehen: Da ist einmal, ist er sozusagen inszeniert als eine Art zeitlose Parabel, dann aber funktioniert er, glaube ich, doch auch bei all den Schwierigkeiten, die er hat, die Politik ausdrucksstark in den Blick zu nehmen der 80er-Jahre. Man fragt sich, was ist das Timing, warum gerade jetzt - und ich glaube doch, dass es auf eine Weise eine zeitgebundene Interpretation ist, dass wir uns am Ende befinden von 30 Jahren, sozusagen einer Epoche, die sehr stark von Politikern wie Thatcher geprägt gewesen sind, und dass man jetzt versucht, sozusagen aus einer orientierungslosen, aus den Fugen geratenen Gegenwart sich der kämpferischen, selbstgewissen Anfänge dieser Epoche zu versichern.

Hanselmann: Vielleicht wollen ja wegen des Films jetzt wieder mehr Menschen wissen, was damals eigentlich los war, als sie an die Macht kam. Sie startete damals das größte Privatisierungsprogramm in der Geschichte Großbritanniens. Lassen Sie uns ein wenig darüber reden. Vor welchem Hintergrund und mit welchen Folgen passierte das?

Geppert: Ja, der Hintergrund ist ein ganz ausgeprägtes, enormes Krisenbewusstsein gewesen in Großbritannien der 60er-, vor allen Dingen dann der 1970er-Jahre, also da der heutigen Gegenwart gar nicht so unähnlich, nur das die Krise eben ganz anders wahrgenommen wurde, sich an ganz anderen Symptomen festmachte - insbesondere die Sorge, dass der Staat weniger effektiv wäre als der Markt, eine überbordende Staatstätigkeit, Staatsintervention, und gleichzeitig ein Staat, der immer machtloser ist und nicht die Dinge mehr in den Griff bekommt, insbesondere - und das ist mit das wichtigste Problem der Thatcher-Ära in Großbritannien - Gewerkschaften.

Das ist, würde ich sagen, der - sehr stark -, der Hintergrund, vor dem die Brachialreformen der Thatcher-Ära zu sehen sind - also wenn Sie Privatisierung ansprechen -, dann der Versuch, sozusagen hier Bereiche aus dem Verantwortungsbereich des Staates herauszunehmen und dem freien Markt, der Privatwirtschaft zu übertragen, natürlich auch in der Hoffnung, damit die Gewerkschaften, die gerade in den verstaatlichten Industrien besonders stark waren, die Gewerkschaften dadurch zu schwächen.

Hanselmann: Das Ganze wurde schon damals äußerst kontrovers diskutiert. Frau Thatcher und ihre Regierung galten als die meistgehasste Regierung Großbritanniens, die Hauptkritik an Margret Thatcher war, sie habe den Sozialstaat zerstört. Lassen Sie uns vielleicht versuchen, eine Wertung anzustellen, wenn wir die Dinge heute und mit Abstand betrachten, und einordnen: An welchen Punkten könnten Sie die Wirtschaftspolitik Thatchers verstehen und für gut heißen und wo nicht?

Geppert: Also zunächst einmal, der Sozialstaat, der war möglicherweise rhetorisch bei ihr im Fokus. Wenn man sich die eigentlichen Taten anschaut, dann ist der engere Bereich des Sozialstaates erst ganz am Ende ihrer Regierungstätigkeit intensiver in Angriff genommen worden und auch mehr oder weniger folgenlos, was jetzt die Amtszeit Thatchers, die ja bis in den Spätherbst 1990 hinein ging, anbetrifft.

Das, was dann als Verschlankung oder Ausmagerung - je nachdem, wie man es sieht - des Sozialstaates zu sehen ist, das ist dann sehr stark eine Folge der Thatcher-Ära in den 90er-Jahren und nach der Jahrtausendwende, natürlich auf den Gleisen, die in ihrer Zeit gelegt wurden, aber doch auch sehr stark von den Nachfolgern vorangetrieben - wie man überhaupt sagen muss, dass in mancher Hinsicht die Nachfolger sozusagen thatcheristischer gewesen sind als Thatcher, nicht, weil die es nicht gerne gewollt hätte - die hätte sicherlich, wäre in die gleiche Richtung gegangen, sondern weil in den Anfängen noch gar nicht so viel möglich war, und dass erst immer weitere Möglichkeiten sich auftaten, je stärker der - ich will mal sagen - Thatcher-Konsens in Großbritannien dann im Verlauf der 1990er-Jahre und nach der Jahrtausendwende wurde.

Und sicherlich hat sie viele Probleme ihrer Zeit gelöst. Dass sie damit andere Probleme geschaffen hat, ist sicherlich auch klar, aber das ist, glaube ich, doch eher ein Zeichen von Erfolg als von Misserfolg in der Politik, dass man seinen Nachfolgern andere Probleme hinterlässt, als man vorgefunden hat.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Dominik Geppert. Er ist Professor für Geschichte an der Universität in Bonn, wir sprechen über die Eiserne Lady Maggie Thatcher, Anlass natürlich, dass der Film heute in die deutschen Kinos kommt. Herr Geppert, heute ist auch Großbritannien ein wirtschaftliches Problemland: Es steckt in der Wirtschaftskrise, es gibt eine riesige Schuldenlast und ein Heer von Arbeitslosen. Was kann England in seiner heutigen Situation aus den Folgen von Thatchers Politik lernen?

Geppert: Ja, ich glaube, ein großes Paradox der Amtszeit der Regierungstätigkeit von Thatcher ist ja darin zu sehen, dass sie und ihre Tories Ende der 70er-Jahre gerade damit antraten, dass sie die herstellende Industrie Großbritanniens wieder auf die Beine bringen wollten. Was dann in den 80er-Jahren herausgekommen ist, ist das genaue Gegenteil, im Grunde eine brachiale Deindustrialisierung des Landes und eine zunehmend starke Konzentration auf den Finanzdienstleistungssektor. Und daher rührt wahrscheinlich doch die Tatsache, dass Großbritannien gegenwärtig noch stärker als andere Länder von der Finanzkrise betroffen ist.

Hanselmann: Noch mal zurück zur Eisernen Lady: Hat Frau Thatcher ihre Entscheidungen eigentlich immer nach rein sachlichen Kriterien getroffen oder waren es auch manchmal einfach Bauchentscheidungen?

Geppert: Beides. Sie hätte sich selber als eine Bauchpolitikerin bezeichnet. Sie hat mal gesagt, ich bin keine Konsenspolitikerin, ich bin eine Überzeugungspolitikerin, und die Überzeugungen sind tatsächlich die "gut instincts" einer kleinbürgerlichen, methodistischen, nicht aus der Metropole London, sondern aus der mittelenglischen Provinz stammenden jungen Frau, die auch sich zeitlebens gegen die herablassende Art und Weise zur Wehr zu setzen hatte, mit denen die großbürgerlich-aristokratisch dominierende Schicht in Ihrer eigenen Partei sie behandelt hat.

Auf der anderen Seite - und da sehe ich auch den Film ein bisschen kritisch -, auf der anderen Seite war Thatcher in den Jahren ihrer Erfolge eine sehr flexible, sehr präzise, wenn man so will, auch eine sehr opportunistische und biegsame Politikerin, die sehr wohl Kreide fressen konnte, die sehr wohl vorsichtig taktieren konnte. Und das Erfolgsrezept, würde ich sagen, ist die Verbindung von beidem gewesen, also die Fähigkeit, auf der einen Seite entschiedene Überzeugungen zu haben, mehr noch wahrscheinlich den Anschein von Überzeugung auch in der Öffentlichkeit zu erwecken, und auf der anderen Seite doch erfolgreich taktieren, vorsichtig politisch agieren zu können - da setzt der Film doch sehr stark auf die eine Seite, nämlich auf die Überzeugungspolitikerin, und das politische Handwerk, das erfolgreiche Lavieren, das auch zum politischen Geschäft gehört, das kommt in dem Film zumindest nicht sehr gut herüber.

Hanselmann: Professor Dominik Geppert. Danke schön nach Bonn!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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