"Eine sehr, sehr, sehr schlechte Situation"

Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami hat mit "Die Liebesfälscher" seinen ersten Film im Ausland gedreht, und zwar Italien - mit Juliette Binoche und William Shimell in den Hauptrollen. Die Situation für Regisseure sei im Iran derzeit so schlecht, dass er auch sein nächstes Projekte fern der Heimat in Japan realisieren werde, sagt er.
Ulrike Timm: Abbas Kiarostami gehört zu den großen Filmemachern unserer Zeit. Der iranische Altmeister des Films besticht immer mit einer ganz eigentümlichen Bildsprache, er hat viel Spaß an Improvisation und eigentlich eine Vorliebe für Laiendarsteller. Jetzt kommt sein erster im Ausland realisierter Film in unsere Kinos, ganz anders gemacht: "Die Liebesfälscher" heißt dieser Film. Und meine Kollegin Waltraud Tschirner hatte Gelegenheit, Abbas Kiarostami am Telefon ein paar Fragen zu diesem Film zu stellen.

Waltraud Tschirner: Juliette Binoche – diese Frau ist die Sinnlichkeit schlechthin. Sogar als heterosexuelle Frau kann man oft den Blick nicht von ihr wenden. Hatten Sie diese Schauspielerin von Anfang an im Hinterkopf, als Sie an diesen Film dachten?

Abbas Kiarostami: Das ist, glaube ich, mein letztes Interview zu diesem Film, "Die Liebesfälscher". Und bisher war noch nie die Rede von Juliette Binoche als sozusagen Verkörperung von Sinnlichkeit. Ich glaube, sie würde sich vermutlich darüber freuen zu hören, dass sie hier im Film als eine Ikone der Sinnlichkeit betrachtet wird. Das war zwar nicht mein Motiv, sie für diesen Film zu besetzen, aber es stimmt schon: Die Grundkonstellation des Films hat es durchaus erfordert, dass da eine Frau mit erotischer, sinnlicher, ja, vielleicht auch sexy Ausstrahlung agierte. Und es ist auch so, dass sie diese beiden Waffen, wenn man es so nennen will, nämlich Erotik und Emotion, gut einsetzt und hervorragend mit ihnen zu spielen versteht.

Tschirner: Sie sind nie ein Missionar, Sie sind auch nie ein Dogmatiker, sondern, wenn ich Sie recht verstehe, so wie Ihre Filme bei mir ankommen, sind Sie eher so etwas wie ein Anreger von Gedankengängen und haben mit "Die Liebesfälscher" eine wunderbare Projektionsfläche geschaffen, an der sich jeder Zuschauer mit seinen Gedanken und Befindlichkeiten in puncto Liebe, Beziehung, Lebensform messen, reiben, abarbeiten kann. Ist das für Sie damit – wenn ich das so auffasse – eine Art Idealfall von gutem Kino geworden?

Kiarostami: Sie wollen doch jetzt nicht wirklich, dass ich diese Aussage, die so voll von Lob war für mich, bestätige? Das ist natürlich sehr schwierig!

Tschirner: Das wäre der Idealfall jetzt für mich!

Kiarostami: Lassen Sie mich etwas ausführen, was möglicherweise indirekt eine Antwort auf diese Frage ist: Als ich mit dem Drehbuch fertig war, habe ich es Juliette Binoche zum Lesen geschickt. Als sie es gelesen hatte, hat sie mir gesagt, dass sie einerseits viel lachen musste, sich aber andererseits auch aufgeregt hat. Und dann hat sie erzählt, dass sie ihren Freund, nachdem er den Stoff gelesen hatte, erst einmal beschwichtigen und ihm geradezu schwören musste, keine Details aus ihrem gemeinsamen Alltag weitergegeben zu haben. Das sei einzig und allein aus meiner eigenen Lebenserfahrung geschöpft, aus meinem Wissen über die Dinge des Lebens.

Und die Geschichte geht dann noch weiter: Die Rolle des Manns in dem Film sollte ursprünglich Robert De Niro spielen. Ich habe also das Drehbuch an Martin Scorsese geschickt mit der Bitte, es De Niro weiterzugeben. Scorsese hat es erst einmal selbst gelesen, mir danach eine kurze Notiz zukommen lassen. Er schrieb: Ich habe erst sehr viel gelacht und am Ende war ich sehr traurig, denn ich habe die Frau meines eigenen Lebens beim Lesen vor mir gesehen. – Dazu muss man allerdings wissen, dass Scorcese nicht besonders wenige Frauen hatte.

Tschirner: Sie haben sozusagen mit diesem Teil eigentlich mir meine nächste Frage verdorben: Es ist ja nicht dazu gekommen, dass Robert De Niro diese Rolle gespielt hat, sondern William Shimell. Und da hätte sich für mich angeboten zu denken: Aha, Shimell ist zwar bekannt von Opernbühnen, allerdings hat er bisher weniger vor der Kamera gestanden. Deshalb ihn bestimmt Kiarostami genommen und besetzt, weil er ja bekannt dafür ist, dass er gerne mit Laiendarstellern arbeitet. Und ein bisschen Laiendarsteller ist dann William Shimell in diesem Film doch. Also war das für Sie dann doch eine gute Wahl, mit genau ihm zu arbeiten, wenn schon nicht mit Robert De Niro?

Kiarostami: Also, ich muss Sie jetzt erst einmal für diese wirklich schöne Frage loben: Ja, ich fand es tatsächlich gut, dass es nicht Robert De Niro wurde. Klar konnte ich erst einmal den Wunsch von Juliette nach einer Art männlichem Pendant, einem ebenso bekannten Schauspieler verstehen. Aber es hat dann nicht geklappt und mich hat's gefreut, genau, wie Sie sagen. Zwar ist Shimell ein sehr bekannter Opernbariton, aber eben kein professioneller Schauspieler. Ich dachte mir, das kann genau deshalb ein gutes Gegengewicht zu Juliette Binoche sein. Was ich allerdings nicht geahnt hatte: Am Ende war er so brillant, dass ich Juliette gefragt habe, na, wie war's, hättest du immer noch lieber De Niro an deiner Seite gehabt? – Und sie hat geantwortet, nein, nein, er sei ein wunderbares Gegenüber für sie gewesen.

Tschirner: Sie haben in einem Interview gesagt, mit der Kreativität ist es wie mit einer Frau, die schwanger wird. Sie weiß auch nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird und ob das Kind ihr ähnlich sieht oder dem Vater. Und ich füge jetzt hinzu, oder ob es am Ende Zwillinge werden, eineiige, zweieiige. – Wollen Sie, Abbas Kiarostami, selbst immer überrascht werden, wollen Sie spontanen Eingebungen Platz einräumen und sind Sie deshalb auch so ein ganz großer Freund der Improvisation?

Kiarostami: Ja, aber es ist mittlerweile leider so, dass der Film, dass das Kino nicht mehr genügend Raum hat für die wahre Kreativität. Bei so einem Projekt muss alles schon vorher feststehen: Beginn des Drehs, das Drehende, der Etat sowieso, die Schauspieler und alles andere auch. Und das geschieht alles auf der Grundlage kommerzieller Erwägung. Das heißt, der richtigen Kreativität ist der Raum genommen, sie bleibt auf der Strecke.

Tschirner: Hätten Sie eine Idee, wie sich das ändern könnte? Sie haben ja immer wieder Versuche, trotzdem zu improvisieren.

Kiarostami: Ja, das ist durchaus möglich. Aber durch sehr feinsinnige Überlegungen und trotzdem derart, dass das Gesetz des Kinos nicht beeinträchtigt wird. Es ist ja so: Als das Kino entstand, sollte es eine Kunst sein, die siebte Kunst. Mittlerweile ist das Kino zu einer Industrie geworden. Sehen Sie doch einfach in die USA, Richtung Hollywood, dann wissen Sie, was ich damit meine.

Es stimmt schon, dass die Zeit der Drehbuchentwicklung, der Dreharbeiten einer Schwangerschaft ähneln. Und wie Sie es gesagt haben, weiß man auch hier nicht so genau, was am Ende herauskommt. Aber man kann durch gewisse feinsinnige Improvisation das Ganze für den Filmemacher selbst etwas erträglicher machen, genau so, wie man versucht, den Frauen die Schwangerschaft erträglicher zu machen. Aber natürlich kann man gegen die ehernen Gesetze des Filmemachens nicht verstoßen, aber eben mit kleinen, pfiffigen Improvisationen doch alles ein wenig unterwandern und, ja, letztlich verändern.

Tschirner: Sie lassen sich nicht gern als Geisel nehmen für politische Interviews zur Situation in Ihrem Land, das weiß man. Im letzten Jahr, beim Festival in Südkorea, waren Sie jetzt ungehalten, als Sie zum Beispiel nach Jafar Panahi gefragt wurden. Aber auch unsere Hörer erwarten vermutlich, dass Sie die aktuelle Situation im Iran kommentieren. Also: Wie kann man, wie können Sie derzeit als Filmemacher im Iran arbeiten?

Kiarostami: Zunächst einmal kann ich ja den ersten Teil Ihrer Frage nicht unbeantwortet lassen. Also, diese immer und immer und immer gestellte Frage nach meinem Kollegen Jafar Panahi. Dann kann ich Ihnen antworten. Also: Was Jafar Panahi betrifft, da gab es einen Zeitpunkt, als er bereits aus der Haft entlassen war, was eigentlich hätte bekannt sein können, aber ich wurde jedes Mal wieder nach ihm gefragt.

Was mich ärgert und aufregt, das ist die Reaktion des Westens, die Reaktion von Panahi selbst und auch die Reaktion der iranischen Regierung. Es ist, als ob keiner aussprechen will, dass Panahi schon längst aus der Haft entlassen worden ist. Er ist aber frei, er hat sogar einen Film gemacht, der in Cannes gezeigt wurde, und er führt bereits Gespräche über Verträge zu möglichen weiteren Filmen.

Ich verstehe einfach nicht, warum keiner das so konkret und offen sagt. Es ärgert mich, dass der Westen nicht zur Kenntnis zu nehmen scheint, dass er nicht mehr im Gefängnis ist. Und deshalb reagiere ich so ärgerlich, weil ich immer wieder mit dieser Frage konfrontiert werde, als habe sich da nichts verändert. Es ist wirklich einfach keiner bereit, die simple Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen, dass Panahi nicht mehr in Haft ist.

So, und jetzt beantworte ich Ihre Frage, wie man derzeit als Filmemacher im Iran arbeiten kann. Ganz konkret: Es ist eine sehr, sehr, sehr schlechte Situation. Es kommt nicht von ungefähr, dass ich diesen Film in Italien gemacht habe, in einer Sprache, die ich überhaupt nicht verstehe. Und ich werde meinen nächsten Film in Japan drehen. Wie kommt das: Es hängt natürlich mit der ausgesprochen komplizierten Situation für Filmemacher im Iran zusammen. Das ist die Antwort. Ich mache meine Filme jetzt im Ausland, in Italien und in Japan.

Timm: Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami, und sein neuer in Italien gedrehter Film "Die Liebesfälscher" erreicht uns in dieser Woche in den Kinos.


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