Eine sinnliche Betrachtung Mexikos
Liest man diese Textsammlung von Carlos Fuentes, dem Grandseigneur der mexikanischen und lateinamerikanischen Literatur, kommt man an einem durchaus problematischen Begriff kaum vorbei: Patriotismus. Denn die Frage, was es mit der Identität Mexikos und der Mexikaner auf sich haben könnte, bildet das energetische Zentrum dieser Kompilation aus erzählenden und essayistischen Texten dieses Schriftstellers.
Fuentes´ Patriotismus ist dabei keine flache Huldigung. Er erscheint vielmehr in der Gestalt eines tief reichenden und problematisierenden Interesses am "Wie" und "Warum" Mexikos, an der Beschaffenheit seines Landes und den Herausforderungen, die ihm bevorstehen könnten. Der Bogen seiner Betrachtungen reicht folglich vom uralten kosmogonischen Mythos von den fünf Sonnen bis zu Überlegungen, welche Rolle, welche geistig-kulturelle und politische Position sein Land im Zeitalter der Globalisierung einnimmt oder einnehmen sollte.
Die Texte dieses Bandes sind dabei so vielfältig wie das Lebenswerk dieses Autors: Romanauszüge und Erzählungen illustrieren jeweils einen Ausschnitt aus der wechselvollen und konfliktiven Geschichte Mexikos. Auf eine surrealistische Weise spielerisch gleich am Beginn des Buches, wenn ein Mann mit einer Leidenschaft für Eingeborenenkunst eine Götzenstatue erwirbt, die allmählich zum Leben erwacht und ihn schließlich tyrannisiert und in den Tod treibt. Oder im Stil einer ungeschminkten Sozialreportage, die die Lebensbedingungen junger Frauen in Ciudad Juárez, an der Grenze zu den USA, schildert.
Den Schwerpunkt dieser Anthologie bilden Texte zur Geschichte Mexikos. Die spanische Invasion unter Hernán Cortés wird da behandelt, der Befreiungskrieg, die Revolution, das Zeitalter der Diktaturen und das Massaker an Studenten von 1968. Fuentes erzählt die Geschichte nicht etwa im Stil eines Schulbuchautors, vielmehr stützt er sich auf skurrile Details wie das unter großem Pomp mehrfach beerdigte (und immer wieder exhumierte) Bein eines Diktators.
Oder auf die genaue Kenntnis der Lebensumstände sozial engagierter – und darum oft genug verfolgter und getöteter – Menschen, deren Schicksale er nachzeichnet. Fuentes´ Erzählwelt bleibt dabei immer eine artifiziell, eine poetisch verfertigte. Die erzählerische Vertiefung in einen Stoff ist für ihn immer auch die Lust am ausufernd genauen Beschreiben, am reflexiven Sich-Entzünden an einem Text, der Sinnlichkeit wachruft.
Natürlich kennt eine solche Textsammlung kein Fazit, auf das alles hinauslaufen würde. Und wenn doch, dann ein ungefähres, von weitem Schnitt: Carlos Fuentes betrachtet Mexiko in seiner geographischen, historischen und politischen Widersprüchlichkeit. Es ist die Quelle einer großen erzählerischen Inspiration.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
Carlos Fuentes: Die fünf Sonnen Mexikos. Ein Lesebuch für das 21. Jahrhundert
Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen u. a.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010
540 Seiten, 22,95 Euro
Die Texte dieses Bandes sind dabei so vielfältig wie das Lebenswerk dieses Autors: Romanauszüge und Erzählungen illustrieren jeweils einen Ausschnitt aus der wechselvollen und konfliktiven Geschichte Mexikos. Auf eine surrealistische Weise spielerisch gleich am Beginn des Buches, wenn ein Mann mit einer Leidenschaft für Eingeborenenkunst eine Götzenstatue erwirbt, die allmählich zum Leben erwacht und ihn schließlich tyrannisiert und in den Tod treibt. Oder im Stil einer ungeschminkten Sozialreportage, die die Lebensbedingungen junger Frauen in Ciudad Juárez, an der Grenze zu den USA, schildert.
Den Schwerpunkt dieser Anthologie bilden Texte zur Geschichte Mexikos. Die spanische Invasion unter Hernán Cortés wird da behandelt, der Befreiungskrieg, die Revolution, das Zeitalter der Diktaturen und das Massaker an Studenten von 1968. Fuentes erzählt die Geschichte nicht etwa im Stil eines Schulbuchautors, vielmehr stützt er sich auf skurrile Details wie das unter großem Pomp mehrfach beerdigte (und immer wieder exhumierte) Bein eines Diktators.
Oder auf die genaue Kenntnis der Lebensumstände sozial engagierter – und darum oft genug verfolgter und getöteter – Menschen, deren Schicksale er nachzeichnet. Fuentes´ Erzählwelt bleibt dabei immer eine artifiziell, eine poetisch verfertigte. Die erzählerische Vertiefung in einen Stoff ist für ihn immer auch die Lust am ausufernd genauen Beschreiben, am reflexiven Sich-Entzünden an einem Text, der Sinnlichkeit wachruft.
Natürlich kennt eine solche Textsammlung kein Fazit, auf das alles hinauslaufen würde. Und wenn doch, dann ein ungefähres, von weitem Schnitt: Carlos Fuentes betrachtet Mexiko in seiner geographischen, historischen und politischen Widersprüchlichkeit. Es ist die Quelle einer großen erzählerischen Inspiration.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
Carlos Fuentes: Die fünf Sonnen Mexikos. Ein Lesebuch für das 21. Jahrhundert
Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen u. a.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010
540 Seiten, 22,95 Euro