Eine Stadt in der Stadt

Von Daniela Kahls |
Acht Hallen allein fürs Gemüse, sieben Hallen fürs Fleisch: Rungis vor den Toren von Paris ist größer als Monaco. Der Großmarkt versorgt 18 Millionen Menschen in aller Welt mit Lebensmitteln. Ein Rundgang durch die Markthallen, wo es geschäftig, humorvoll und locker zugeht.
"Herzlichen Glückwunsch, Sie sind sehr früh aufgestanden für Ihre Entdeckung."

... begrüßt uns Rungis-Pressesprecherin Régine Sanschaise im Reisebus. Früh ist es tatsächlich, wer Rungis entdecken will, der muss sich spätestens um 4 Uhr morgens ins Marktgetümmel werfen. Und er braucht ein Auto oder einen Bus. Das Gelände, auf dem die unterschiedlichen Markthallen untergebracht sind, ist extrem weitläufig. Straßenschilder lotsen einen in Richtung Gemüse-, Fleisch- oder Käsehallen. Der größte Markt der Welt ist eine Welt für sich, bestätigt auch Pressesprecher Philippe Stisi:

"Rungis ist eine Stadt in der Stadt. Hier gibt es Banken, Restaurants, Geschäfte - alles wie in einer Stadt, nur dass niemand hier lebt. Rungis ist so groß wie Monaco, 234 Hektar, also wirklich eine Stadt in der Stadt."

Als normaler Besucher oder Privatperson hat man in den Markthallen von Rungis keinen Zutritt. Das Treiben hier ist Sache von Profis, von Großhändlern und feinen Restaurants in der ganzen Welt. In weißen Kitteln laufen die zum Beispiel durch die Geflügelhalle. Ganze Kartons voll mit Wachteln, Bresse-Hühnern, Gänsen, Eiern und Gänsestopfleber stapeln sich hier auf einer Länge von mehr als hundert Metern. In vielen Kartons sind auch Hühner zu sehen, denen mit einem blau-weiß-rot gestreiften Band die Krallen auf den Bauch gebunden sind. Jaja, nickt Philippe Stisi sachkundig, das ist die traditionelle Präsentation von Geflügel:

"Diese Hühner liegen auf dem Rücken und man zeigt ihre Füße, die voll mit Erde sind. Eine Präsentation à l’ancienne ist das. Bei diesen Tieren ist man sogar stolz auf ihre Fußnägel, weil sie zeigen, dass sie gelaufen sind und Charakter haben."

Wuselig und trubelig ist es in jeder der Markthallen. Die Händler machen zwischen ihren Verhandlungen hier ein Scherzchen, lassen dort einen lockeren Spruch vom Stapel, grüßen links und rechts.

Und das, obwohl sie mitten in der Nacht arbeiten, zu Zeiten also, in denen der Großteil Frankreichs noch im Bett liegt. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb hat man das Gefühl, hier dem Herzen von Frankreich sehr nahe zu sein.

In einer Fleischhalle zum Beispiel hängen nicht nur Rinder- und Schweinehälften von der Decke. Fast jeder der Fleischhändler hatte auch ganze Kalbsköpfe im Angebot, die säuberlich abgebrüht an den Fleischerhaken hängen. Für das berühmte Gericht tête de veau. Philippe Stisi klärt auf:

"Es ist eigentlich auch das beliebteste Gericht in Rungis, das tête de veau. Das wird hier zubereitet. Hier haben sie also den ganzen Kopf. Mit speziellen Messer wird die Gesichtshaut abgetrennt. In diese werden dann ein Teil der Zunge und andere Innereien eingewickelt und diese spezielle Bratenrolle ergibt dann das berühmte tête de veau."

Jeden Tag neuer Käse
Genau so französisch geht es in der Käsehalle zu. Käsehändler Jean-Marie hat sich auf Comté-Käse spezialisiert und klopft einen der hunderten Käselaibe, die in seinem Verkaufskeller lagern, mit einer Käsesonde ab. Der Käse, der hier auf deckenhohen Regalen lagert, wird innerhalb der nächsten zwei Wochen von Käsehändlern in aller Welt aufgekauft werden. Um das Angebot allein in der Käsehalle zu überschauen, muss man ein Profi sein. Selbst Philippe Stisi gibt zu, nicht alle Käse zu kennen, die hier verkauft werden:

"Jeden Tag werden in Frankreich neue Käse geboren, andere werden nicht mehr hergestellt. Ich kann deshalb nur schätzen: in der Käsehalle werden zwischen 500 und 600 Käsesorten angeboten."

Doch in Rungis zu arbeiten, bedeutet nicht nur, all die Lebensmittel zu kennen und ihre Qualitäten beurteilen zu können. Auch das mit den Preisen ist eine heikle Sache. Denn in Rungis gibt es keine festen Preise, alles wird verhandelt. In den acht Obst- und Gemüsehallen fahren die Käufer deshalb beispielsweise mit Fahrrädern zwischen den Händlern hin und her, um Preise zu vergleichen und zu handeln. Und in der Fischhalle, in der Frische noch mal ganz besonders zählt, hängen die Preise auch mit der Uhrzeit zusammen, erzählt Fischhändler Claude Taussac:

"Kurz vorm Ende des täglichen Handels, so gegen 6 Uhr, nehmen die Preisverhandlungen besonders Fahrt auf. Es gibt Rabatte wie auf einem normalen Markt, nur hier im großen, professionellen Maßstab."

Und handeln, das tun die 12.000 Menschen, die jeden Tag in Rungis arbeiten, nicht nur in den großen Hallen, neben ihren Kisten stehend. Auch in den 20 Bars und Restaurants von Rungis sieht man in den frühen Morgenstunden schon die Männer in ihren weißen Kitteln an der Theke stehen, vor sich einen Kaffee, ein Glas Wein oder ein dampfendes Essen. Auch das ist Arbeit in Rungis, schmunzelt Philippe Stisi:

"Die Bar ist Arbeitsort in Rungis. Hier wird verhandelt. Wenn Sie mich im Café sehen, heißt das, dass ich arbeite."

Vor 40 Jahren haben Männer wie Philippe Stisi im Herzen von Paris gearbeitet. Damals war der zentrale Markt nämlich mitten in der Stadt, im Hallenviertel. Weil das jedoch aus allen Nähten platzte, ist Rungis geboren worden. Und dort wurde der Umschlagplatz für Lebensmittel aus ganz Frankreich und aus der ganzen Welt zum größten Markt der Welt.