Ionel Tudorache glaubt an die Zukunft des Genres
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Ionel Tudorache gehört zu den berühmtesten Vertretern der Muzica Lautareasca Rumäniens. In Bukarest erreicht der 65-jährige Roma mit seiner Musik auch wieder junge Leute. Zum Beispiel im Club Apollo 111.
Es ist später Abend, als der Sänger Ionel Tudorache die Bühne betritt. Der Saal im Keller des Palatul Universul ist brechend voll. Schon bei den ersten Takten singen viele Leute im Publikum mit. Lieder aus dem Repertoire kleiner Romakapellen, Tarafuri genannt, entstanden an den Rändern südrumänischer Städte, wo sich nach dem Ende der Sklaverei viele Roma ansiedelten. Lautarimusik sind vor allem Melodien, die den Schmerz von der Seele nehmen. Muzica Lautareasca, erzählt Ionel Tudorache, spiele er seit seiner Kindheit:
"Das Akkordeon war Liebe auf den ersten Blick, obwohl ich anfangs Geige lernen wollte. Weil mein Vater aber Geige gespielt hat, sollte ich lieber Akkordeon lernen, damit ich ihn auf Hochzeiten begleiten kann. Ich habe von vielen Leuten etwas gelernt, aber das meiste habe ich mir selbst beigebracht. Alles was wir singen, hat seine Wurzeln im Leben der Menschen, ihrem Alltag. All die Ärgernisse oder Freuden, die man erleben kann, sprechen wir aus, und wir singen über die Liebe."
Romamusiker unter Ceaușescu
Heute spielt auf Hochzeiten in Rumänien kaum noch ein Taraf mit Zimbalom, Geige, Akkordeon, Kontrabass, Klarinette und einem Sänger wie Ionel Tudorache. Er stammt aus einer Romafamilie aus Buzău, in der Musik über Generationen mündlich weitergegeben wurde. Vor dem Sturz von Nicolae Ceaușescu verdienten Romamusiker bei Hochzeiten, die bis zu drei Tage dauerten, soviel wie ein Fabrikarbeiter im Monat. Ionel Tudorache erinnert sich auch an Zensur.
"Man musste einem Musikwissenschaftler aus der betreffenden Stadt, in der man spielen wollte, eine vollständige Repertoireliste vorlegen. So an die 150 bis 200 Titel. Trinklieder wurden zensiert, einfach gestrichen. Bei Hochzeiten hatten wir keine Probleme, aber in den Restaurants. Auch bei privaten Feiern haben wir oft etwas zurückhaltend gesungen."
Diskriminiert und doch Botschafter der Musik aus Rumänien
In Privathäusern entstanden in den siebziger und achtziger Jahren spannende Bootlegs mit Aufnahmen urbaner Musik. Unterm Zimbalom von Toni Iordache lag oft ein Tonband, wenn Romamusiker wie Romica Puceanu, Gabi Lunca oder Ionel Tudorache sangen. Trotzdem hat der Sänger auch Diskriminierung von rumänischer Seite erlebt.
"Sie respektieren dich, wenn sie sehen, wer du bist und was du machst. Das gibt es aber nicht, dass man noch nie beleidigt worden wäre. Dieser Nationalismus verschwindet nicht so einfach in Rumänien. Wir, die Roma, Zigeuner, wie man sagt, haben unser Land mit Musik immer ehrenvoll vertreten. Auf dem ganzen Globus. Bis heute ist das so."
Weltstars sind aber nur die Gruppen Taraf de Haidouks und die Fanfare Ciocarlia geworden.
Moderne Manele versus Tradition
Zuhause brachte die neue Freiheit nach 1989 viel Armut, aber auch eine Liberalisierung des Musikmarktes und junge Bands spielten elektrisch verstärkte Musik – orientalisch klingende Manele.
"Das war ein sehr großer Umbruch.", sagt Ionel Tudorache. "Die jungen Leute heute wollen alle kommerzielle Musik machen, wie diese Manele, wo man schnell und viel Geld verdient. Ich hätte auch sehr leicht in dieses Genre wechseln können, ich könnte alles spielen, aber ich komme nicht aus meiner Haut heraus, ich spiele diese alte Musik sehr gern."
Ionel Tudorache fand Arbeit als Restaurantmusiker in Konstanza. Für private Feiern wurde er immer seltener gebucht. Der Musiker ging nach Deutschland, spielte vier Jahre in Passau in einem Restaurant Kaffeehausmusik – keine Muzica Lautareasca. Doch dann zog er einen Schlussstrich… .
Das Lied "La Chilia in Port" beschreibt das Schicksal Gefangener in den Arbeitslagern an der Donau und am Donau-Schwarzmeerkanal: Vor der Revolution durfte man dieses Lied nicht auf einer Bühne singen. Heute ist es eines der beliebtesten im Repertoire von Ionel Tudorache und der Titel seiner ersten CD. Bei Konzerten hat der Sänger Keyboard und E-Bass in seiner Band, nicht ganz die traditionelle Besetzung, aber passend zur Clubkultur in Bukarest.
Lebendige Lautarimusik
Vom viel beschworenen Ende der Lautarimusik, der Muzica Lautareasca, möchte der Romamusiker Ionel Tudorache vorerst nichts hören.
"Heute sind hier im Publikum nur junge Leute. Sie haben begonnen, diese Musik zu entdecken und ich sehe, dass sie ihnen gefällt. Ein 17-jähriger junger Mann hat mich vor dem Saal erwartet und hat mir gezeigt, dass er alle meine CDs hat und alle meine Lieder kennt. Ich war sehr überrascht und habe mich sehr gefreut. Ja, sie sind hier und wollen mich hören."