Eine südafrikanische Stadt im Wandel
Bisher hat Ivan Vladislavic oftmals Metaphern eingesetzt, um über die Apartheid in seiner Heimat Südafrika zu schreiben. Mit viel Humor und Selbstironie schildert er jetzt erstmals den konkreten Alltag in Johannesburg mit seinen kleinen und großen Veränderungen. Die sichtbarste ist dabei die wachsende Kriminalität.
1957 in Pretoria, dem Regierungssitz der weißen Apartheid-Regierung, in eine konservative weiße Familie hineingeboren, hat der südafrikanische Schriftsteller Ivan Vladislavic seine Kindheit und seine Jugend verbracht, ohne sich auch nur einen einzigen Gedanken über die Rassentrennung zu machen.
Erst als er an der Witswaterrand-Universität in Johannesburg anfing zu studieren, begann er über die politische und soziale Situation seines Landes nachzudenken und wurde zu einem radikalen Apartheid-Gegner.
Nach Abschluss des Studiums fand er eine Stelle als Lektor in dem kleinen oppositionellen Raven Verlag in Johannesburg, in dem damals kritische schwarze und weiße Literatur veröffentlicht wurde. Oftmals wurden die Titel von der Regierung gebannt, das heißt verboten. Er selbst fing an, kleine Geschichten zu schreiben und in Literaturmagazinen zu veröffentlichen.
Natürlich waren so wie die Gesellschaft auch alle seine Veröffentlichungen von der Rassenfrage durchdrungen. Man konnte ihr gar nicht entgehen, musste Stellung beziehen. Allerdings hat Ivan Vladislavic in seinen Geschichten und Romanen, von denen nur ein einziger bislang übersetzt wurde ("Der Plan des Baumeisters"), pur realistische Beschreibungen gemieden. Oftmals setzt er Metaphern ein, um über die Apartheid zu schreiben. Insofern sind jetzt seine Geschichten über das Leben in Johannesburg eine Überraschung, denn sie beschreiben den konkreten Alltag eines überzeugten Johannesburgers seit dem Ende der Apartheid.
Mit viel Humor und Selbstironie, einem scharfen Blick für Atmosphärisches, schildert der Autor die kleinen und großen Veränderungen. Die sichtbarste ist die wachsende Kriminalität.
In Kensington, dem Stadtteil, in dem Vladislavic seit 16 Jahren in einer kleinen Villa mit Garten hinter meterhohen Mauern wohnt, lässt niemand mehr sein Auto wie früher auf der Strasse stehen. Es würde geklaut werden. Allerorten sind auf den Grundstücken Garagen gebaut worden - wie die Häuser mit Alarmanlagen gesichert. Nichts, was von Wert scheint, ob Gullydeckel, Zaunverzierungen oder metallene Türschilder, ist vor Dieben sicher.
Auch der Autor bleibt nicht verschont. Er erwischt die Diebe auf frischer Tat, doch es fehlt ihm der Mut, sie zu stellen. Er lässt sie entkommen. Zu seiner Geburtstagsparty muss er einen engagieren, um die Autos seiner Gäste und sie selbst auf der Straße vor unliebsamen Überraschungen zu schützen.
Ohne Schuldzuweisungen auszusprechen, vermag der Autor jenes Gefühl von Beklemmung und Furcht wiederzugeben, das jeder Besucher in Johannesburgs Innenstadt verspürt. Und dabei wohnt Ivan Vladislavic in einem Mittelschichtsviertel, keinem schwarzen Notstandsgebiet. Die Townships sind weit weg.
Gut verdienende Schwarze sind in seine Nachbarschaft gezogen. Weiße ziehen weg. Die ersten Straßenhändler kreuzen auf, ein Quadratmeter Bürgersteig ist ihr Geschäft. Bettler ziehen durch den nahegelegenen Park, verkaufen Schlüsselringe, Baseballkappen, verdienen sich ein paar Rand, indem sie vorgeben, die Autos auf den Parkplätzen zu bewachen.
Die schwarze Armut, früher in die Townships und damit aus dem Blick verbannt, ist in die Stadt eingekehrt, zeigt sich allerorten offen. Die Sammler und Jäger, so heißt es in einer der Geschichten, gewinnen wieder die Oberhand.
Erstaunlich ist, wie der Autor all diese beunruhigenden Entwicklungen mit einer Art heiterer Gelassenheit und wachem Sinn für Absonderlichkeiten, für absurde Details beschreibt. Man ist eher amüsiert denn schockiert.
Und ganz beiläufig entsteht so ein Bild südafrikanischen Wandels, einer Stadt im Umbruch, der bei aller Bedrohlichkeit die ganze Liebe des Autors gilt. Im Unterschied zu vielen anderen Weißen will er nicht in die besonders geschützten Vororte ziehen, hängt an seiner Stoep, seiner Veranda, seinen Bäumen. Wer das heutige Südafrika verstehen will, der sollte zu Ivan Vladislavics Geschichten aus Johannesburg greifen.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Ivan Vladislavic: Johannesburg. Insel aus Zufall
Aus dem Englischen von Thomas Brückner
A 1 Verlag, München 2008
269 Seiten, 19 Euro
Erst als er an der Witswaterrand-Universität in Johannesburg anfing zu studieren, begann er über die politische und soziale Situation seines Landes nachzudenken und wurde zu einem radikalen Apartheid-Gegner.
Nach Abschluss des Studiums fand er eine Stelle als Lektor in dem kleinen oppositionellen Raven Verlag in Johannesburg, in dem damals kritische schwarze und weiße Literatur veröffentlicht wurde. Oftmals wurden die Titel von der Regierung gebannt, das heißt verboten. Er selbst fing an, kleine Geschichten zu schreiben und in Literaturmagazinen zu veröffentlichen.
Natürlich waren so wie die Gesellschaft auch alle seine Veröffentlichungen von der Rassenfrage durchdrungen. Man konnte ihr gar nicht entgehen, musste Stellung beziehen. Allerdings hat Ivan Vladislavic in seinen Geschichten und Romanen, von denen nur ein einziger bislang übersetzt wurde ("Der Plan des Baumeisters"), pur realistische Beschreibungen gemieden. Oftmals setzt er Metaphern ein, um über die Apartheid zu schreiben. Insofern sind jetzt seine Geschichten über das Leben in Johannesburg eine Überraschung, denn sie beschreiben den konkreten Alltag eines überzeugten Johannesburgers seit dem Ende der Apartheid.
Mit viel Humor und Selbstironie, einem scharfen Blick für Atmosphärisches, schildert der Autor die kleinen und großen Veränderungen. Die sichtbarste ist die wachsende Kriminalität.
In Kensington, dem Stadtteil, in dem Vladislavic seit 16 Jahren in einer kleinen Villa mit Garten hinter meterhohen Mauern wohnt, lässt niemand mehr sein Auto wie früher auf der Strasse stehen. Es würde geklaut werden. Allerorten sind auf den Grundstücken Garagen gebaut worden - wie die Häuser mit Alarmanlagen gesichert. Nichts, was von Wert scheint, ob Gullydeckel, Zaunverzierungen oder metallene Türschilder, ist vor Dieben sicher.
Auch der Autor bleibt nicht verschont. Er erwischt die Diebe auf frischer Tat, doch es fehlt ihm der Mut, sie zu stellen. Er lässt sie entkommen. Zu seiner Geburtstagsparty muss er einen engagieren, um die Autos seiner Gäste und sie selbst auf der Straße vor unliebsamen Überraschungen zu schützen.
Ohne Schuldzuweisungen auszusprechen, vermag der Autor jenes Gefühl von Beklemmung und Furcht wiederzugeben, das jeder Besucher in Johannesburgs Innenstadt verspürt. Und dabei wohnt Ivan Vladislavic in einem Mittelschichtsviertel, keinem schwarzen Notstandsgebiet. Die Townships sind weit weg.
Gut verdienende Schwarze sind in seine Nachbarschaft gezogen. Weiße ziehen weg. Die ersten Straßenhändler kreuzen auf, ein Quadratmeter Bürgersteig ist ihr Geschäft. Bettler ziehen durch den nahegelegenen Park, verkaufen Schlüsselringe, Baseballkappen, verdienen sich ein paar Rand, indem sie vorgeben, die Autos auf den Parkplätzen zu bewachen.
Die schwarze Armut, früher in die Townships und damit aus dem Blick verbannt, ist in die Stadt eingekehrt, zeigt sich allerorten offen. Die Sammler und Jäger, so heißt es in einer der Geschichten, gewinnen wieder die Oberhand.
Erstaunlich ist, wie der Autor all diese beunruhigenden Entwicklungen mit einer Art heiterer Gelassenheit und wachem Sinn für Absonderlichkeiten, für absurde Details beschreibt. Man ist eher amüsiert denn schockiert.
Und ganz beiläufig entsteht so ein Bild südafrikanischen Wandels, einer Stadt im Umbruch, der bei aller Bedrohlichkeit die ganze Liebe des Autors gilt. Im Unterschied zu vielen anderen Weißen will er nicht in die besonders geschützten Vororte ziehen, hängt an seiner Stoep, seiner Veranda, seinen Bäumen. Wer das heutige Südafrika verstehen will, der sollte zu Ivan Vladislavics Geschichten aus Johannesburg greifen.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Ivan Vladislavic: Johannesburg. Insel aus Zufall
Aus dem Englischen von Thomas Brückner
A 1 Verlag, München 2008
269 Seiten, 19 Euro