Eine ungewöhnliche Frau

Rezensiert von Hazel Rosenstrauch |
Beginnen wir mit dem Epilog, in dem die Autorin fragt:
"warum Therese in der Geschichtsschreibung bis heute keine deutlicheren Spuren hinterlassen hat. Und das, obwohl zahlreiche ... Nachrufe ... ein differenziertes und überzeugendes Bild ihres Lebens und Wirkens geboten haben. Und obwohl Therese selbst mit einem ebenso reichhaltigen wie wohlgeordneten Material diesem persönlichen Wunsch vorgearbeitet hat".

Hadumod Bußmann hat sich zur Aufgabe gemacht, diese forschende, schreibende, reisende Aristokratin der Vergessenheit zu entreißen. Sie hat bereits durchgesetzt, dass die Prinzessin 1997 Namenspatronin einer "Stiftung zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft" wurde.

Leser, denen die bayerische Hocharistokratie nicht vertraut ist, sollten das Buch ohnehin von hinten lesen, weil auf den letzten Seiten der ganze Stammbaum, der väterliche der Wittelsbacher und der mütterliche habsburgisch-toskanische, abgedruckt ist. Man sieht sofort, dass die Heldin von Königen und Kaiserinnen abstammt.

Auch die Routen ihrer abenteuerlichen Reisen sind im Anhang eingezeichnet: 1881 unternahm Therese eine erste große Forschungsreise nach Skandinavien, über den Polarkreis hinaus bis zum Nordkap, im Jahr darauf fuhr sie quer durch das Zarenreich, 1888 reiste sie in die brasilianischen Tropen, zehn Jahre später, 1898, führte sie ihre zweite Forschungsreise von Mexiko über Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru bis Argentinien. Sie war in Tunis und kannte Griechenland, die Königin von Griechenland war eine Cousine und ihre beste Freundin.

Über all das hat sie ausführlich berichtet. Neben gedruckten Reisebüchern sind Tagebücher, Briefe, 3000 Seiten autobiografische Aufzeichnungen überliefert, und nicht zuletzt: das reiche botanische, zoologische, anthropologische Material, das die Forschungsreisende von ihren Expeditionen mitgebracht hat und das, soweit erhalten, in Münchner Sammlungen aufbewahrt wird: Pflanzen, Tiere, Kultgegenstände der Eingeborenen. Sie sammelte, präparierte, beschrieb und klassifizierte akribisch die Fische und Vögel, Käfer, Wespen, Zecken, Libellen oder auch ein Krokodil.

Eine zweite Frage der Verfasserin bezieht sich auf Thereses Rolle als

"mögliches Vorbild für Emanzipation. Obgleich sich ... kaum programmatische Äußerungen finden, bleibt ... festzuhalten, dass Therese sehr wohl als eine der beispielgebenden Vorreiterinnen für Frauen in der Wissenschaft gelten muss". Sie hat "jedenfalls den ihr nachfolgenden Generationen jene Haltungen vorgelebt, die für einen akademischen Aufstieg notwendig sind: einen unbezähmbaren Wissensdurst, eine ungeteilte Konzentration auf ein als wichtig erkanntes Lebensziel sowie eine furchtlose Bereitschaft, jedwede Widerstände zu überwinden."

Das Anliegen, Therese bekannt und zu einem Modell zu machen, bestimmt den Duktus: Verteidigung der zu Unrecht Vergessenen durchzieht das Buch.

Mitte des 19. Jahrhunderts als Tochter eines Königssohns, des späteren Prinzregenten Luitpold und einer Nachfahrin Maria Theresias geboren zu werden, schloss ein strenges Reglement mit vielen Konventionen ein. Selbstverständlich sollte Therese entsprechend ihrem Stand verehelicht werden, die fürstliche Genealogie bereichern, repräsentieren und sich fügen. Sie aber liest wissenschaftliche Bücher, studiert Karten und geografische Handbücher und lechzt nach Freiheit. Sie beherrscht elf Sprachen: englisch, französisch, italienisch, spanisch, portugiesisch, dänisch, neugriechisch und tschechisch und liest sogar die Hauptwerke der russischen Literatur im Original.

Wenn die Prinzessin vom Familiensitz in Lindau in die Residenzstadt München fährt, ist sie notgedrungen von blaulivrierten Lakaien umgeben und auch wenn sie bei einigen ihrer Unternehmungen inkognito reist, müssen sie stets ein Reisemarschall, eine Hofdame und ein Diener begleiten.

Unglaublich, welche Strapazen diese besessene Forscherin auf sich nahm, die 7.500 Kilometer in vier Wochen oder auch 105 Kilometer in drei Tagen zu Fuß absolvierte, im Zelt oder im Freien übernachtet,

"auf Matratzenlagern ... oder im Lagerraum des Schiffsinneren, ... gelegentlich zusammen mit anderen fremden Reisenden, ... nicht zu vergessen die zusätzliche, nicht unbedingt lautlose nächtliche Gesellschaft von Fledermäusen, Eidechsen, Geckos, Spinnen und anderem Getier".

Die Fahrten auf Schiffen, in Postwägen oder zu Pferd sind kräftezehrend und nicht ungefährlich, zumal Frauen gezwungen sind, im Damensitz zu reiten. Therese stürzt und beschreibt ihre Schmerzen frei von Selbstmitleid, verspeist Gürteltiere und Papageien oder berichtet mit makabrem Humor, dass der Verzicht auf eine Fahrt zu den Crichaná-Indianern am Rio Negro

"unsere Knochen vielleicht vor dem Schicksal [bewahrte], zu Pfeilspitzen oder Flöten verarbeitet zu werden".

Die Verfasserin ist von dem Forscherdrang ihrer Heldin ebenso fasziniert, wie von den königlichen Stammbäumen, die in aller Ausführlichkeit referiert werden. Letztlich wird die Prinzessin von den Herren der Wissenschaft anerkannt, eingeladen und sogar mit einem Ehrendoktorat gewürdigt.

Das ist die eine, sensationelle Facette der Prinzessin. Es gibt noch eine andere, ebenso ausführlich dargestellte Seite dieser ungewöhnlichen Frau. Da ihre Mutter starb, als sie 13 Jahre alt war, musste Therese die Pflichten einer Dame an der Seite des Vaters bei Audienzen, Soiréen, Bällen und Empfängen übernehmen, sie kümmerte sich um ihre Brüder und achtete auf Ordnung und strikten Gehorsam. Zwar hasst sie die 'beengenden Schranken der Hyperzivilisation', aber sie hat der Mutter am Sterbebett versprochen, sie zu ersetzen und spielt ihre Rolle perfekt.

Nur dem Heiraten verweigert sie sich. Der Grund dafür liegt, auch das wird von Hadumod Bußmann mit ausführlichen Zitaten belegt, in ihrer großen Liebe zu Otto von Bayern, ihrem Cousin, dem rechtmäßigen König. Sie liebt ihn seit ihrer Kindheit inniglich und unerfüllt, das vertraut sie allerdings nur ihrem Tagebuch an. Aber Otto, der Bruder von Ludwig II., ist seelisch krank und wird weggesperrt und man liest erstaunt, dass ihr Erfolg als Wissenschaftlerin und Autorin sie ärgert, denn: Sie hätte

"das Reisen und Schreiben nur zu gern gegen eine andere, von ihrem Herzen diktierte Lebensform eingetauscht ... Welch anderes Leben wäre das gewesen als das jetzige! So kalt u. Tod ist de Wissenschaft, so warm der wahre Beruf einer Frau. Wenn ich wenigstens die Gelehrsamkeit gewünscht hätte u. den Frauenberuf von mir gestoßen, so aber sehne ich mich seit 20 Jahren nach letzterem, ... und habe nach ersterem nur gegriffen, mich zu betäuben."

Sie hat den völlig vereinsamten königlichen Patienten in Fürstenried in jedem Frühjahr und Herbst besucht. Öfter war es ihr nicht erlaubt. Diese Diskrepanz zwischen dem Mut und der Eigenwilligkeit der Forscherin auf der einen und der duldend verzichtend Liebenden auf der anderen Seite verwundert, zumindest aus heutiger Sicht.

Die Verfasserin bringt viele und oft zu viele Details, sämtliche Genealogien, den Nachruf auf die Hündin, die Biografien der Hofdamen, sie liegt der Prinzessin zu Füßen - etwas mehr Distanz und weniger Redundanz hätte dem verdienstvollen Buch gut getan.


Hadumod Bußmann: "Ich habe mich vor nichts im Leben gefürchte"'. Die ungewöhnliche Geschichte der Therese Prinzessin von Bayern
Beck-Verlag
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