Eine veritable Künstler-Satire

Von Michael Laages |
Zum Auftakt der neuen Intendanz am Düsseldorfer Schauspielhaus kommt Michel Houellebcqs Roman "Karte und Gebiet" auf die Bühne. Neben einem Maler ist der Autor selbst eine zentrale dramatische Figur im Stück über die Mechanismen des Kunstbetriebs.
Es mag auf Dauer ein wenig erstaunen, mit welcher Energie sich die Theater immer wieder gerissen haben um die jeweils neuen Texte des französischen Romanciers Michel Houellebecq: um "Ausweitung der Kampfzone" vor allem, aber auch um "Plattform" und "Elementarteilchen". Theatertexte waren das eigentlich nie; aber da ja auch Elfriede Jelinek zur viel gespielten Dramatikerin werden konnte, ohne jemals wirklich Texte fürs Theater zu schreiben, passen Houellebecqs erzählerische Visionen vielleicht ja doch vor allem auf zeitgenössische Bühnen. "Karte und Gebiet", der jüngste Text des Franzosen, macht da keine Ausnahme – aber in der Bearbeitung durch den Regisseur Falk Richter zu Spielzeitbeginn am Düsseldorfer Schauspielhaus des neuen Intendanten Staffan Valdemar Holm wird dem Roman immerhin eine außerordentliche taugliche Theater-Idee übergestülpt – Richter destilliert aus der wie immer stark vor sich her mäandernden Geschichte eine veritable Künstler-Satire.

Den Maler Jed Martins nämlich, zentrale dramatische Spiel-Figur neben dem Autor Hoellebecq selber, gibt's gar nicht. Wie frei er erfunden ist, zeigen schon einige erstaunliche Daten im Programm – 1975 geboren, hatte (!) Martin die erste große Ausstellung in Deutschland im Jahre 2018; und gestorben ist der Maler anno 2048. Lange hin, lange her. Der Maler hatte sich zunächst auf Landkarten und später auf Porträts prominenter Köpfe aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kunst kapriziert; als wir ihn auf der Bühne kennen lernen, ist er gerade mit der Herstellung eines Bildes beschäftigt, das zwei große Kollegen fotorealistisch im Gespräch zeigt und den neckischen Titel trägt "Jeff Koons und Damien Hirst teilen den Kunstmarkt unter sich auf". Das Werk bleibt unvollendet; die Ironie ist kompakt. Statt der beiden Über-Künstler malt Martin nun lieber den berühmten, wenn nicht weltberühmten Schriftsteller Houellebecq, von dem Martins Galerist eigentlich nur ein Vorwort zu einer Martin-Ausstellung haben wollte. Nun führt die Künstler-Kumpanei prompt zu Hoellebecqs Tod; und zu Martins spätem Rückzug in die Einsiedelei. Hier sind ihm Landkarten nicht genug, hier braucht er gleich ein ganzes "Gebiet", aus möglichst vielen Ländereien.

Unübersehbar spielt der Text (und noch mehr Richters Inszenierung) mit der polternden Hybris des Kunst- und Literaturbetriebs; Martins Karrieresprünge zeigt die Inszenierung in ziemlich ulkigen Video- und Puppenspielen, und wenn Houellebcq (der Arme!) plötzlich tot ist, bricht gar ein richtig albernes kleines Krimistückchen los, der legendären "Olsen-Bande" aus dem dänischen Kino nicht ganz unverwandt. Die letzten großen Fragen über Leben und Philosophie kommen durch des Malers Vater ins Spiel, den der Darmkrebs so sehr leiden lässt, dass er die Hilfe einer Schweizer Sterbehilfe-Agentur in Anspruch nimmt – und der fiktive Maler seinerseits immer stärker vereinsamt und schließlich selber auf das Ende zudriftet. Wie gesagt: 2048.

Spuren sind also reichlich ausgelegt. Und Regie wie Ensemble ist die Lust am Spiel mit all diesen Tricksereien durchaus anzusehen. Aber mehr als Spuren sind es dann eben doch nicht – über weite Strecken besitzt der Text einfach viel zu wenig szenische Fantasie; und es wäre ziemlich viel verlangt von Richters Team, die komplett hinzuzuerfinden. So raschelt sehr lange und sehr laut sehr viel Papier; und nach der Pause (und dem kleinen Dänen-Krimi) wirkt das Spiel gar wie abgerissen. Mit Christoph Luser und Olaf Johannessen als Maler und Autor hat die Aufführung aber immerhin ein hinreichend verschrobenes Protagonisten-Duo zu bieten, und auch Karin Pfammatter und Moritz Führmann, Werner Rehm und der live (und auch sonst) mitspielende Musiker Malte Beckenbach formen durchaus eine einigermaßen handfeste Geschichte. Nur gibt die eben letztlich nicht sehr viel mehr her als ein szenisches Mosaik; auf Katrin Hoffmanns Bühne und mit Chris Kondeks wie immer sehr pfiffigen Videos. Ein Theaterstück wird nicht daraus; bestenfalls ein "Projekt".

Staffan Valdemar Holm, neuer Chef am Düsseldorfer Gustaf-Gründgens-Platz (und derzeit noch ein wenig geschlagen durch die Verzögerungen bei der Renovierung des Großen Hauses), will alsbald wieder mitspielen in der internationalen, zumindest europäischen Theater-Liga. Das ist ein achtbares Ziel. Und es ist lange her, dass das in Düsseldorf gelang. Mit Houellebecqs "Karte und Gebiet" ist jetzt jedoch noch kein wirklicher Etappensieg auf diesem Weg gelungen.

Düsseldorfer Schauspielhaus: "Karte und Gebiet"

Links bei dradio.de:

Kultur heute: Satire auf den Kunstbetrieb
Deutschsprachige Erstaufführung von Michel Houellebecqs Roman "Karte und Gebiet" (DLF)


Büchermarkt: Clowneske Kunstkomödie
Michel Houellebecq: "Karte und Gebiet". Dumont Buchverlag, Köln. *
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