Eine verrückte Geschichte aus Albanien
Der große albanische Romancier Ismail Kadare erzählt in "Spiritus" von der Spätphase der Diktatur. Politisch Verdächtige sollen mit einer neuen Wanze überführt werden, die "Prinzessin" genannt wird. Der "Diktator" beschäftigt einen gruseligen Doppelgänger als "Schatten". Die Geschichte ist so verrückt, dass sich darin die ganze albanische Wirklichkeit abbildet.
"Die Geschichten, mit denen wir es zu tun hatten, waren noch zu unfertig. Unreif sozusagen. Es würde mindestens zweihundert, vielleicht sogar dreihundert Jahre dauern, bis die nötige Ausdörrung und Schrumpfung zur Legende erreicht war." Der Berichterstatter gehört zu einem Team westlicher Experten, das irgendwann in den 90er Jahren die ehemals sozialistischen Länder Osteuropas bereist, um Vergangenes aufzudecken. In einer albanischen Kleinstadt werden sie fündig.
Ausgerechnet im paranoiden, atheistischen Staat Enver Hoxhas soll es eine spiritistische Verschwörung gegeben haben, die dazu führte, dass der Geheimdienst ein Gespenst verhaftete und die Stimme eines Toten aus seinem Grab heraus aufzeichnete. Doch was die Experten finden, sind nur Dossiers, Aktennotizen und Tonbandaufzeichnungen mit rätselhaftem Lallen und Lustgestöhn. Die Geschichte selbst will nicht zu ihnen sprechen.
Nach diesem Prolog erzählt Ismail Kadare, der große albanische Romancier, die Geschichte aber doch, so wie sie sich zugetragen hat. Im Mittelpunkt des bizarren, aufregenden Geschehens im Roman "Spiritus" steht der Chef des örtlichen Geheimdienstes, der einen Satz nagelneuer Wanzen, "Prinzessinnen" genannt, erhält. Sie sind so fein gearbeitet, dass sie sich in den Kleidungsstücken der zu Observierenden unterbringen lassen.
Es ist bereits die Spätphase der Diktatur. Der Diktator droht zu erblinden und intensiviert deshalb das staatliche Lauschen. Das Sprichwort vom Raben, der noch schwärzer wird, wenn er erblindet, ist plötzlich verboten im Land. Warum das so ist, ist aber so geheim, dass selbst die Geheimdienstleute es nicht wissen.
Zu den Verdächtigen, die mit der neuen Wanze überführt werden sollen, gehört auch ein Ingenieur, der als Begleiter einer französischen Delegation angeblich einen Hilferuf ans Ausland übermitteln will. Er wird kurz darauf von einer Planierraupe überfahren und, weil die Leiche kein schöner Anblick ist, in den Kleidern begraben. Die Wanze hat nicht nur seine letzte Liebesnacht getreulich aufgezeichnet, sondern auch seinen Todesschrei. Sie bewahrt das Poltern der Erde auf den Sarg und schließlich das, was man "Grabesstille" nennt.
Kadare beweist rabenschwarzen Humor und treibt ein raffiniertes Spiel mit dem Motiv des Lauschens und des Verstummens, des Vergrabens und Hervorbrechens. Während Tote zu sprechen scheinen, schweigen die Lebenden, aus Angst vor der allgegenwärtigen Macht. Der Orpheus-Mythos klingt an. Selbst "der Diktator" wirkt wie ein Abgesandter aus dem Totenreich, schon deshalb, weil er einen gruseligen Doppelgänger als "Schatten" beschäftigt.
Auch wenn kein Name genannt wird, ist in ihm unschwer der verrückte Enver Hoxha zu erkennen. Er hockt mit seinem einzigen Freund, einem Psychiater, in seinem Palast und betrachtet Röntgenbilder der Politbüromitglieder, um sich an deren Krebsgeschwüren zu erfreuen. Wer von allein stirbt, muss nicht ermordet werden. "Zwei Tode", heißt es einmal, "gibt ein einzelner Leib nicht her."
Die Geschichte ist so verrückt, dass sich darin die ganze wahnsinnige albanische Wirklichkeit abbildet. Aber das ist Kadare nicht genug. Er schildert zugleich, wie sich aus den alten Ereignissen allmählich Legenden und Mythen entwickeln, die es in ihrer kompakten Form den Menschen überhaupt erst erlauben, über das zu sprechen, was sie schreckensstarr erlebten. Im Mythos ist die Geschichte da und doch fern. Am Ende aber, nach den westlichen Experten, kommen die Journalisten, dann die Drehbuchschreiber und schließlich die Touristen. Die zur Legende gewordene Geister-Geschichte dient als werbeträchtiger Imagefaktor. Das ist die Gegenwart: "Die einzige Möglichkeit für eine Stadt auf dem Balkan, mit den grauen Barockstädten Mitteleuropas gleichzuziehen, ist die Ersetzung der fehlenden Türme und Kathedralen durch archaische Verbrechen und Ängste".
Rezensiert von Jörg Magenau
Ismail Kadare: Spiritus. Roman
Aus dem Albanischen von Joachim Röhm.
Ammann Verlag, Zürich 2007, 292 Seiten, 19,90 Euro
Ausgerechnet im paranoiden, atheistischen Staat Enver Hoxhas soll es eine spiritistische Verschwörung gegeben haben, die dazu führte, dass der Geheimdienst ein Gespenst verhaftete und die Stimme eines Toten aus seinem Grab heraus aufzeichnete. Doch was die Experten finden, sind nur Dossiers, Aktennotizen und Tonbandaufzeichnungen mit rätselhaftem Lallen und Lustgestöhn. Die Geschichte selbst will nicht zu ihnen sprechen.
Nach diesem Prolog erzählt Ismail Kadare, der große albanische Romancier, die Geschichte aber doch, so wie sie sich zugetragen hat. Im Mittelpunkt des bizarren, aufregenden Geschehens im Roman "Spiritus" steht der Chef des örtlichen Geheimdienstes, der einen Satz nagelneuer Wanzen, "Prinzessinnen" genannt, erhält. Sie sind so fein gearbeitet, dass sie sich in den Kleidungsstücken der zu Observierenden unterbringen lassen.
Es ist bereits die Spätphase der Diktatur. Der Diktator droht zu erblinden und intensiviert deshalb das staatliche Lauschen. Das Sprichwort vom Raben, der noch schwärzer wird, wenn er erblindet, ist plötzlich verboten im Land. Warum das so ist, ist aber so geheim, dass selbst die Geheimdienstleute es nicht wissen.
Zu den Verdächtigen, die mit der neuen Wanze überführt werden sollen, gehört auch ein Ingenieur, der als Begleiter einer französischen Delegation angeblich einen Hilferuf ans Ausland übermitteln will. Er wird kurz darauf von einer Planierraupe überfahren und, weil die Leiche kein schöner Anblick ist, in den Kleidern begraben. Die Wanze hat nicht nur seine letzte Liebesnacht getreulich aufgezeichnet, sondern auch seinen Todesschrei. Sie bewahrt das Poltern der Erde auf den Sarg und schließlich das, was man "Grabesstille" nennt.
Kadare beweist rabenschwarzen Humor und treibt ein raffiniertes Spiel mit dem Motiv des Lauschens und des Verstummens, des Vergrabens und Hervorbrechens. Während Tote zu sprechen scheinen, schweigen die Lebenden, aus Angst vor der allgegenwärtigen Macht. Der Orpheus-Mythos klingt an. Selbst "der Diktator" wirkt wie ein Abgesandter aus dem Totenreich, schon deshalb, weil er einen gruseligen Doppelgänger als "Schatten" beschäftigt.
Auch wenn kein Name genannt wird, ist in ihm unschwer der verrückte Enver Hoxha zu erkennen. Er hockt mit seinem einzigen Freund, einem Psychiater, in seinem Palast und betrachtet Röntgenbilder der Politbüromitglieder, um sich an deren Krebsgeschwüren zu erfreuen. Wer von allein stirbt, muss nicht ermordet werden. "Zwei Tode", heißt es einmal, "gibt ein einzelner Leib nicht her."
Die Geschichte ist so verrückt, dass sich darin die ganze wahnsinnige albanische Wirklichkeit abbildet. Aber das ist Kadare nicht genug. Er schildert zugleich, wie sich aus den alten Ereignissen allmählich Legenden und Mythen entwickeln, die es in ihrer kompakten Form den Menschen überhaupt erst erlauben, über das zu sprechen, was sie schreckensstarr erlebten. Im Mythos ist die Geschichte da und doch fern. Am Ende aber, nach den westlichen Experten, kommen die Journalisten, dann die Drehbuchschreiber und schließlich die Touristen. Die zur Legende gewordene Geister-Geschichte dient als werbeträchtiger Imagefaktor. Das ist die Gegenwart: "Die einzige Möglichkeit für eine Stadt auf dem Balkan, mit den grauen Barockstädten Mitteleuropas gleichzuziehen, ist die Ersetzung der fehlenden Türme und Kathedralen durch archaische Verbrechen und Ängste".
Rezensiert von Jörg Magenau
Ismail Kadare: Spiritus. Roman
Aus dem Albanischen von Joachim Röhm.
Ammann Verlag, Zürich 2007, 292 Seiten, 19,90 Euro