Eine Vorliebe für Osteuropa

Von Julia Eikmann · 27.06.2011
Im ukrainischen Kohlerevier Donbas eint die Menschen die Liebe zum örtlichen Fußballclub. Als UN-Wahlbeobachter hat Jakob Preuss vor Ort den Kontrast zwischen den sportlichen Erfolgen und der politischen Stagnation eindrucksvoll in seinem Film "The other Chelsea" festgehalten.
Es ist stockdunkel unter Tage. Ein funzeliges Licht am Helm von Stepanovich, dem Kohlekumpel, springt an den rohen Steinwänden des schmalen Stollens entlang. Die Sicherheit war früher höher, sagt er, als es noch eine Beleuchtung gab, hier, im Schacht Putilowskaja im größten Kohlerevier der Ost-Ukraine.

Mit ihm tief ins Erdreich gefahren ist der Dokumentarfilmer Jakob Preuss. Da er neben der Kamera steht, nicht im Bild ist, kann man nur erahnen, wie sich der Zwei-Meter-Mann in den Schacht ducken muss. Und in den offenen Wagen, der ihn auf rostigen Rädern wieder ans Tageslicht holt.

"Denen geht es wirklich nicht so besonders gut, also die sterben jetzt nicht an Hunger, aber die müssen da wirklich oft zwölf Stunden nachts arbeiten mit ihren 60 Jahren, haben aber eine Lebensfreude, die unglaublich ist."

Valya hat es ihm angetan. Jakob Preuss sitzt entspannt auf seinem hellen Ecksofa, die blonde Ponysträhne fällt immer wieder in die Stirn, und schwärmt von einer seiner Protagonistinnen: Valya, die Frau, die im Leoparden-Shirt und toupiertem Platin-Schopf in die Zeche geht. Authentizität und Herzlichkeit, das vor allem hat der 35-Jährige von seinen Reisen in die Ukraine mitgenommen. Andere Mitbringsel aus allen Teilen der Welt schmücken sein Wohnzimmer: Ein Teppich aus Hebron, Palästina, ein Kissen aus Marrokko ...

" ... mit superorganischer Schafschurwolle ... "

... ein Wandbehang aus dem Kongo und ein Bauhelm aus Donezk.

"Solche modernen Helme haben die meisten da gar nicht und dann verschenken sie die, auch wieder typisch."

Die Bücher in den hohen Regalen sind nach Nationalität der Autoren sortiert: Oben links die Russen, dann die Skandinavier, eine stolze Sammlung spanischer Literatur. Das meiste im Original. Jakob Preuss ist viel rumgekommen.

Als Schüler verlängert er spontan das Austauschjahr in der französischen Provinz, verbringt eine Weile in Irland, ein Jahr in Spanien. Schließlich macht sich doch bemerkbar, dass der gebürtige Berliner aus einer Juristenfamilie stammt:

"Das war eigentlich für mich das Letzte, was ich machen wollte. Und dann hab ich aber irgendwie gedacht, vielleicht muss man doch über seinen eigenen Schatten springen und irgendwie das machen, was am fernsten liegt, was so vielleicht meine Philosophie ist, immer die besondere Herausforderung annehmen, vielleicht ist das jetzt gerade, Jura zu studieren."

Natürlich nicht irgendein Jura-Studium, sondern ein deutsch-französisches: zwei Jahre Köln, zwei Jahre Sorbonne, Paris. Volljurist will er dann doch nicht werden. Lieber seinem Interesse für Osteuropa nachgehen. Ein Praktikum in einer Kanzlei in Moskau, mit 24 der noch immer ausstehende Zivildienst im russischen Nischni Nowgorod mit behinderten Kindern.

"Und das ist da, wo ich dann wirklich angefangen hab', Russisch zu lernen, weil mit diesen Kindern musste man auch Russisch lernen, die haben das gnadenlos ausgenutzt, wenn man sie nicht verstanden hat, und haben sich lustig gemacht."

Mit Mitte 20, nach dem Master am College of Europe in Polen, überlegt Jakob Preuss, ins Auswärtige Amt zu gehen. Er macht den Aufnahmetest ...

"Und da haben wir dann, glaube ich, beide, sowohl die als auch ich, festgestellt, dass ich da wahrscheinlich nicht so gut reinpasse. Weil ich jemand bin, der schon immer Schwierigkeiten mit Hierarchien hat, also, das ist bei mir schon immer, ich hatte vier Schulkonferenzen, bin zwangsversetzt worden in die Parallelklasse. Und als ich nach Frankreich ging, da sind wir auch so ein bisschen dem Schulschmiss zuvor gekommen. Ich war immer ganz gut in der Schule, war auch immer Klassensprecher, aber hab immer Probleme gehabt, mich da einzuordnen. Ich bin sehr ungeduldig, das ist auch, glaube ich, 'n schlechter Zug an mir."

Was also tun? Etwas, was wirklich Spaß macht, wo man all seine Erfahrungen, die Reisen, die Sprachen, den Umgang mit Menschen, sogar die Juristerei einbringen kann, aber gleichzeitig sein eigener Chef ist? Zum Unmut seiner Eltern entscheidet sich Jakob Preuss, einen Film zu drehen. Einen Dokumentarfilm über den Iran.

"Ich fand immer die Briefmarken von Chomeini so spannend, und das war ein Land, über das man sehr wenig wusste, zumindest kam es mir so vor."

Nie eine Filmschule besucht oder ein Drehbuch geschrieben und dann gleich in den Iran? Seine Freunde erklären ihn für verrückt, sagen, er könne ja auch in Berlin üben.

"Nee, wenn schon denn schon, ich brauche da 'ne Herausforderung und es muss für mich Sinn machen, mich interessieren."

In seinem Wohnzimmer in Berlin-Kreuzberg weist nur der große Flachbildfernseher an der Wand auf seine filmische Tätigkeit hin - das müsse jetzt sein, findet Preuss, auf kleinen Bildschirmen könne er keine Filme mehr sehen. Und natürlich der Max-Ophüls-Preis, den er für seinen dritten Film, "The other Chelsea – eine Geschichte aus Donezk", gewonnen hat. "Packend und mit großer Intensität", sagt die Jury. Wichtiger für den unprätentiösen Hobby-Gärtner: Was finden die Menschen, die der Film betrifft? Die, die ihn so nah in ihr Leben gelassen haben: Die Kohlekumpel, mit denen er auf der Betriebsfeier getanzt hat, der Jungpolitiker, mit dem er beim familiären Abendessen saß - was denken die Ukrainer? Das erfährt der Dokumentarfilmer bei einem Filmfest in Kiew, wo "The other Chelsea" als Eröffnungsfilm gezeigt wird.

"Dann war das in einem alten Kino mit 700 Plätzen, und es war gerammelt voll und diese Vorstellung werde ich nie vergessen, die Leute sind da mitgegangen, die haben gelacht, die haben geweint, die haben getuschelt, die haben geklatscht ganz oft während des Films, sodass ich schon dachte: Seid doch mal ruhig, der nächste Satz ist auch wichtig, so ungefähr."


Service:
"The other Chelsea" läuft in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 2011 um 0:20 Uhr im Kleinen Fernsehspiel im ZDF.