Eine Vorliebe für Wörterbücher
Die Feuilletons feierten die 25-jährige Ann Cotten mit ihrem Lyrikdebüt "Fremdwörterbuchsonette" beim Suhrkamp-Verlag als "Wunderkind" und als "Shootingstar des jungen deutschsprachigen Lyrik-Jetsets". Die in den USA geborene und in Wien aufgewachsene Dichterin nennt die alte Form des Sonetts eine "schöne Maschine" und vergleicht ihre Spracharbeit mit der eines Mechanikers.
Ann Cotten liest aus dem Sonett "Loxodrome":
Unerreichbar weilt die Loxodrome
nah am Partner, dem Meridian.
Überspannt entbehrlich die Atome
wo sie, begehrlich, dünner werden kann.
Und unbeleckt vom Wirken der Symptome
schielt hin mit einem Auge der Meridian.
Ann Cotten: " Ich glaub, ich schlug mal etwas mit Loxodrom nach, dann gefiel mir der Eintrag so gut, dass ich auf die Idee kam, das könnte man ja eins zu eins zu einem Gedicht machen. Und freie Verszeilen mag ich nicht, ich mag überhaupt Gedichte nicht so gern, aber Sonette sind okay find ich, deswegen hab ich ein Sonett draus gemacht. "
" Und dann wollte ich versuchen, dieses Modell weiter auszuprobieren, dann habe ich andere Wörter gefunden, die mir gut gefielen, die ich koppeln wollte. Und es hat sich so nach und nach herausgebildet, dass es gut funktioniert, wenn man einen Begriff koppelt mit einer Situation und Wortspielen und Bildern."
Ann Cotten nennt die alte Form des Sonetts aus zwei Vier- und zwei Dreizeilern eine "schöne Maschine" und vergleicht ihre Spracharbeit mit der eines Mechanikers. Dabei bedient sie sich im Ersatzteillager der Dichtung bei Patti Smith, Hölderlin, Hitchcock oder Eichendorff und biegt das Material für ihre Zwecke zurecht – zum Beispiel um die Unmöglichkeiten der Liebe zu beschreiben.
Ann Cotten liest aus dem Sonett "Ellen Blick":
Die Liebe ist voll inkommensurabel,
die Liebe im Gewand kommensurabel,
wo nicht erwidert: inkommensurabel,
wo in Sonetten hergereimt: Parabel.
Sie selbst verweigert das feminine Äußere einer Dichterin. Ihre Frisur ist asymmetrisch: auf der linken Seite kurz bis übers Ohr, auf der rechten Seite kinnlang und am Stirnansatz ausrasiert. Ihr blasses Gesicht hat etwas mädchenhaft Schmales, Zerbrechliches - ihr Auftritt in Anzug oder Jeans und Pullover dagegen etwas Jungenhaft-burschikoses. Zurückhaltend und doch selbstbewusst betritt sie auf ihren Lesungen die Bühne.
Christiane Lange von der Literaturwerkstatt Berlin: " Sie ist eine ganz starke Stimme. Sie ist natürlich, wie alle Dichter, ungeheuer formbewusst, das ist völlig klar. Aber sie hat auch etwas so’was Anarchisches, sowas Anarchisches drunter und sie ist auch eine sehr gute Leserin, Sprecherin, Performerin ihrer eigenen Texte."
Das Haus, in das Ann Cotten vor kurzem in Berlin-Wedding gezogen ist, ist unsaniert. Im Nebenhaus befindet sich eine türkische Bäckerei. Nachdem sie mit einer Freundin zusammengewohnt hat, ist dies ihre erste eigene Wohnung in Berlin. Im 2. Hinterhof. Dort, wo es ruhig ist, die Großstadt weit weg, blickt sie auf einen Friedhof.
Ann Cotten: " Zuerst kommt der Parkplatz vor einem Gemeindebau und dann so eine Art Pfadfindergarten, da kommen so Jugendliche und schießen übern Zaun mit Schießgewehren und ganz dahinter ist der Friedhof. (…) Ich hab das Gefühl, das wird wieder so eine Ann-Wohnung, wie ich sie in Wien hatte, so etwas öd. "
Mit fünf Jahren kam Ann Cotten mit ihren amerikanischen Eltern – beide Biochemiker - aus Iowa nach Wien und erst dort lernte sie Deutsch. Der Zusammenprall der englischen, die sie ihre häusliche Sprache nennt, und der deutschen, mit der sie die Welt entdeckte, war eine Inspirationsquelle für ihr späteres Schreiben.
Später studierte sie Germanistik und schrieb ihre Sonette heimlich während der Arbeit im "British Book Shop". Aus Wien hat sie sich die Gewohnheit mitgebracht, in der "Geräuschblase" eines Kaffeehauses zu schreiben. Und sie hat die Konkrete Poesie der Wiener Gruppe im Sprachgepäck. Dazu hat sie ihre Diplomarbeit geschrieben, die im Herbst 2008 als Buch erscheinen wird.
Ann Cotten: " Ich mag besonders Konrad Bayer, Oswald Wiener, Liesl Ujvary, die dann alles mit so einem Witz, mit Anarchie, dass die ihre eigenen Systeme auch wieder durchbrechen und damit spielen."
Zwischen Umzugskisten, Regalbrettern, Langspielplatten, Oxford-Dictionary und Malereimer sagt Ann Cotten, sie sei froh, wenn sie endlich wieder Telefon und Internet habe. Letzteres wird sie auch dringend brauchen für ihr neues, ungewöhnliches Projekt mit dem Suhrkamp-Verlag, das zunächst nur als Website veröffentlicht wird. Die sogenannten "Glossar Attrappen" sollen wie ein digitaler Karteikasten alphabetisch geordnet Begriffe enthalten, zu denen sie kurze Prosastücke als Pseudo-Erklärungstexte schreibt. Benutzte sie für ihr Debüt noch ein herkömmliches Lexikon, will sie nun ein eigenes, wie sie sagt, "unseriöses Wörterbuch" als work in progress erschaffen.
Ann Cotten liest aus dem Sonett "In der Nacht machbar":
Wir stemmen ohne es zu wissen
die kompliziertesten Prämissen
des Nachts, wenn noch zwei Bier im Kühlschrank sind
und jeder schluckend auslässt, einzuatmen.
Service:
Ann Cotten liest am 30. Januar, um 20 Uhr in der Literaturwerkstatt in der Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg. Bei der Veranstaltung "Debütantenball – Die besten Lyrikdebüts 2007" stellt sie – neben den Dichtern Nora Bossong, Beatrix Neiss und Christian Schloyer – ihren Gedichtband "Fremdwörterbuchsonette" (Suhrkamp 2007) vor.
Unerreichbar weilt die Loxodrome
nah am Partner, dem Meridian.
Überspannt entbehrlich die Atome
wo sie, begehrlich, dünner werden kann.
Und unbeleckt vom Wirken der Symptome
schielt hin mit einem Auge der Meridian.
Ann Cotten: " Ich glaub, ich schlug mal etwas mit Loxodrom nach, dann gefiel mir der Eintrag so gut, dass ich auf die Idee kam, das könnte man ja eins zu eins zu einem Gedicht machen. Und freie Verszeilen mag ich nicht, ich mag überhaupt Gedichte nicht so gern, aber Sonette sind okay find ich, deswegen hab ich ein Sonett draus gemacht. "
" Und dann wollte ich versuchen, dieses Modell weiter auszuprobieren, dann habe ich andere Wörter gefunden, die mir gut gefielen, die ich koppeln wollte. Und es hat sich so nach und nach herausgebildet, dass es gut funktioniert, wenn man einen Begriff koppelt mit einer Situation und Wortspielen und Bildern."
Ann Cotten nennt die alte Form des Sonetts aus zwei Vier- und zwei Dreizeilern eine "schöne Maschine" und vergleicht ihre Spracharbeit mit der eines Mechanikers. Dabei bedient sie sich im Ersatzteillager der Dichtung bei Patti Smith, Hölderlin, Hitchcock oder Eichendorff und biegt das Material für ihre Zwecke zurecht – zum Beispiel um die Unmöglichkeiten der Liebe zu beschreiben.
Ann Cotten liest aus dem Sonett "Ellen Blick":
Die Liebe ist voll inkommensurabel,
die Liebe im Gewand kommensurabel,
wo nicht erwidert: inkommensurabel,
wo in Sonetten hergereimt: Parabel.
Sie selbst verweigert das feminine Äußere einer Dichterin. Ihre Frisur ist asymmetrisch: auf der linken Seite kurz bis übers Ohr, auf der rechten Seite kinnlang und am Stirnansatz ausrasiert. Ihr blasses Gesicht hat etwas mädchenhaft Schmales, Zerbrechliches - ihr Auftritt in Anzug oder Jeans und Pullover dagegen etwas Jungenhaft-burschikoses. Zurückhaltend und doch selbstbewusst betritt sie auf ihren Lesungen die Bühne.
Christiane Lange von der Literaturwerkstatt Berlin: " Sie ist eine ganz starke Stimme. Sie ist natürlich, wie alle Dichter, ungeheuer formbewusst, das ist völlig klar. Aber sie hat auch etwas so’was Anarchisches, sowas Anarchisches drunter und sie ist auch eine sehr gute Leserin, Sprecherin, Performerin ihrer eigenen Texte."
Das Haus, in das Ann Cotten vor kurzem in Berlin-Wedding gezogen ist, ist unsaniert. Im Nebenhaus befindet sich eine türkische Bäckerei. Nachdem sie mit einer Freundin zusammengewohnt hat, ist dies ihre erste eigene Wohnung in Berlin. Im 2. Hinterhof. Dort, wo es ruhig ist, die Großstadt weit weg, blickt sie auf einen Friedhof.
Ann Cotten: " Zuerst kommt der Parkplatz vor einem Gemeindebau und dann so eine Art Pfadfindergarten, da kommen so Jugendliche und schießen übern Zaun mit Schießgewehren und ganz dahinter ist der Friedhof. (…) Ich hab das Gefühl, das wird wieder so eine Ann-Wohnung, wie ich sie in Wien hatte, so etwas öd. "
Mit fünf Jahren kam Ann Cotten mit ihren amerikanischen Eltern – beide Biochemiker - aus Iowa nach Wien und erst dort lernte sie Deutsch. Der Zusammenprall der englischen, die sie ihre häusliche Sprache nennt, und der deutschen, mit der sie die Welt entdeckte, war eine Inspirationsquelle für ihr späteres Schreiben.
Später studierte sie Germanistik und schrieb ihre Sonette heimlich während der Arbeit im "British Book Shop". Aus Wien hat sie sich die Gewohnheit mitgebracht, in der "Geräuschblase" eines Kaffeehauses zu schreiben. Und sie hat die Konkrete Poesie der Wiener Gruppe im Sprachgepäck. Dazu hat sie ihre Diplomarbeit geschrieben, die im Herbst 2008 als Buch erscheinen wird.
Ann Cotten: " Ich mag besonders Konrad Bayer, Oswald Wiener, Liesl Ujvary, die dann alles mit so einem Witz, mit Anarchie, dass die ihre eigenen Systeme auch wieder durchbrechen und damit spielen."
Zwischen Umzugskisten, Regalbrettern, Langspielplatten, Oxford-Dictionary und Malereimer sagt Ann Cotten, sie sei froh, wenn sie endlich wieder Telefon und Internet habe. Letzteres wird sie auch dringend brauchen für ihr neues, ungewöhnliches Projekt mit dem Suhrkamp-Verlag, das zunächst nur als Website veröffentlicht wird. Die sogenannten "Glossar Attrappen" sollen wie ein digitaler Karteikasten alphabetisch geordnet Begriffe enthalten, zu denen sie kurze Prosastücke als Pseudo-Erklärungstexte schreibt. Benutzte sie für ihr Debüt noch ein herkömmliches Lexikon, will sie nun ein eigenes, wie sie sagt, "unseriöses Wörterbuch" als work in progress erschaffen.
Ann Cotten liest aus dem Sonett "In der Nacht machbar":
Wir stemmen ohne es zu wissen
die kompliziertesten Prämissen
des Nachts, wenn noch zwei Bier im Kühlschrank sind
und jeder schluckend auslässt, einzuatmen.
Service:
Ann Cotten liest am 30. Januar, um 20 Uhr in der Literaturwerkstatt in der Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg. Bei der Veranstaltung "Debütantenball – Die besten Lyrikdebüts 2007" stellt sie – neben den Dichtern Nora Bossong, Beatrix Neiss und Christian Schloyer – ihren Gedichtband "Fremdwörterbuchsonette" (Suhrkamp 2007) vor.