"Eine Welt der Euphemismen"
Mit Stichworten wie Komfort- und Wellness wirbt die Agrarindustrie auf der Messe für Massentierhaltung in Hannover eifrig um Kunden. Dabei gehe es beim Anpreisen von Hühner-Rupfmaschinen und automatischen Melkmaschinen nur "um die letzten Bruchteile einer Leistungsoptimierung", sagt die Journalistin Hilal Sezgin.
Dieter Kassel: Heute geht in Hannover die EuroTier 2012 zu Ende. Vier Tage lang konnten sich dort die Massentierhalter der Welt über neue Trends und neue Techniken informieren, es gab Preise für Innovationen – und wenn man sich die Namen der ganzen Geräte, die da vorgestellt wurden, anguckt, dann könnte man auch das Gefühl haben, das sei vielleicht eine Messe für luxuriöse Kurhotels gewesen. Das ist es aber ganz und gar nicht. Da geht es wirklich um Massentierhaltung. Ich habe schon gesagt, auf Englisch geht es um Animal Production, und wir wollen uns deshalb mal anhören, was da wirklich gezeigt wurde und was dahintersteckt. Für uns ist Hilal Sezgin dort gewesen, eine Journalistin, die sich seit Langem schon mit den Themen Tierschutz und Tierethik beschäftigt und die auch schon seit einigen Jahren auf einem Bauernhof am Rande eines kleinen Ortes in der Lüneburger Heide lebt, zusammen mit ihren Tieren. Von da aus ist es nicht weit nach Hannover, aber für uns sitzt sie jetzt im Studio der Kollegen vom NDR in Lüneburg. Schönen guten Tag, Frau Sezgin!
Hilal Sezgin: Guten Tag, Herr Kassel!
Kassel: Die Website dieser Messe, die zeigt saubere, fröhliche Ferkelchen, schneeweiße Hühner und sanftmütige Kühe vor blauem Himmel. Wie viel davon findet sich denn auch in den Messehallen wieder?
Sezgin: Also die Bilder waren dieselben, das war irgendwie ganz ulkig, also Tiere kamen da so als Deko vor, also glückliche Ferkelchen überall, damit dekoriert man die Messe. Was aber ausgestellt wurde, war in der Tat mehr so was wie, wie soll ich sagen, so Baustoff oder so was, Baustoffe meets Pharma, also ganz viele Metallbügel, mit denen man Sauen fixieren kann, Hühner-Rupfmaschinen, dann automatische Melkmaschinen, dann jede Menge Futteroptimierer, wie finde ich das ideale Protein, wenn man da vielleicht noch ein bisschen Algen beimischt – also es war irgendwie sehr viel Hightech, sehr viel Pharma und ganz viel Metall, und ich habe noch nie in meinem Leben so viele Fußbödenbelege gesehen, weil es geht darum, wie kann man die Ställe komfortabel gestalten, wie es dann heißt, das Wort Komfort ist sehr wichtig, aber tatsächlich geht es nur darum: Welches Plastik legt man in den Stall? Also man sieht irgendwie, ich weiß nicht, Leben, Tiere, Landwirtschaft – das sind alles die falschen Rubriken, man hat das Gefühl, weil man sieht ganz deutlich: Das ist eine Industrie, eine Agrarindustrie ist das.
Kassel: Nun haben Sie Begriffe benutzt wie Hühner-Rupfmaschinen oder irgendwelche Feststellbügel. Das heißt aber doch, wenn ich der Webseite folge, offiziell immer viel schöner.
Sezgin: Ja, also das ist wirklich eine Welt der Euphemismen, das hat mich auch sehr überrascht, das war mir vorher nicht so klar gewesen. Also das Wort Komfort ist ganz wichtig und auch Wellness. Also ich bin dann sehr euphorisch zu einer Abteilung getrabt, die dann "Wellness im Abferkelstall" hieß. Abferkelstall ist da, wo die Sauen ihre Ferkel eben die ersten drei bis vier Wochen säugen. Ja, die werden da einfach fixiert mit diesen Metallbügeln, dann streitet man sich: Macht man auf der anderen Seite auch noch einen, können die Ferkel dann auch mal rumlaufen? Die Sau kann sich einfach nicht um sich selber drehen. Es geht darum: Wie groß sind die Spalten? Sind die breiter, sind die schmaler? Kriegen die Ferkel warmes Wasser zum wärmen oder eine Rotlichtlampe? Und das nennt man dann Wellness, oder man nennt das PORCA relax, das ist dann auch so eine Matte zum Wohlfühlen für Schweine, oder ein Wasserbett für die Kuh, oder eine Matte für Kühe – legt die Weide in den Stall, also ich meine, statt die Kühe auf die Weide zu bringen, legt man Weide in den Stall und das sieht dann aus wie schwarzes Latex.
Kassel: Ist das denn wirklich sinnvoll für die Tiere im Sinne von, geht es ihnen dann besser oder tut man wenigstens so, oder geht es nur darum, zu sagen, na ja, dann steigt die Fleischqualität oder die Qualität der Milch?
Sezgin: Ja, das ist eben auch das Frustrierende. Ich habe dann manchmal die Leute dann detaillierter gefragt, weil mir das als Laiin auch nicht so klar war. Also, zum Beispiel dieses Liegen der Kuh – es ist wohl so: Eine Kuh möchte eigentlich drei Meter Platz haben. Das ist ja auch ein schweres Tier, die will sich nicht stoßen, die kriegt dann Blutergüsse, im Freien will die drei Meter Platz haben, kriegt sie im Stall also nicht. Wie kann man die Kuh jetzt animieren, sich in diesem engen Stall hinzulegen? Man gibt ihr so Bügel, die dann teilweise so mit Latex umformt sind, damit sie sich nicht wehtut. Also, die Kuh wird beim Liegen geführt. Habe ich auch noch gedacht, gut, vielleicht ist es gemütlich. Es geht aber da drum: Je mehr die Kuh liegt, desto mehr Milch gibt sie. Das heißt, das ist dann wirklich ein Verlust für den Bauern, wenn sich die Kuh nicht hinlegen mag. Also, deswegen animiert man sie zum Liegen. Oder es gibt ein anderes, das heißt (…), das ist auch prämiert worden. Da kriegt die Kuh so ein Halfter, das misst jede Schluckbewegung, jede Kaubewegung, jedes Wiederkäuen, und da denkt man auch zuerst, oh, das ist ja gut, da kann die Gesundheit der Kuh gefördert werden oder so. Tatsächlich geht es aber da drum, es geht da drum, dass man die Grenze bestimmen kann: Wie viel Hochleistungsfutter kann man so einer Hochleistungsmilchkuh geben, ohne dass ihr Wiederkäuen kaputtgeht? Wissen Sie, das ist also artungerechtes, artunspezifisches Füttern, das man macht, um möglichst viel rauszuholen. Und um das genau zu bemessen, muss man eben mit Hightech am Maul der Kuh messen genau, wie viel runtergeht, wie viel hochgeht, damit man diese Effizienzsteigerung bemessen kann. Also es sieht erst mal nett aus und dann merkt man: Es geht nur um die letzten Bruchteile einer Leistungsoptimierung, und die Tiere, glaube ich, zahlen einen hohen Preis dafür.
Kassel: Jetzt haben Sie die Preise schon erwähnt, die ja da in der Tat verliehen worden sind. Wer kriegt denn da Preise? Wirklich das technisch Raffinierteste, oder ist es sozusagen das Effizienteste, was die Gewinnmaximierung angeht?
Sezgin: Ich glaube, das Effizienteste lässt sich heute anscheinend nur noch über das Raffinierteste machen. Also, ganz viel Elektronik – zum Beispiel gibt es so digitale Wagen, die Schweine messen, die auch flexibel sind, und die messen dann so ein Schwein durch Abtasten, optisches Abtasten, können dann gleich sagen, so viel Magerfleisch, so viel ist der Schinken, so lang ist das Schwein, das muss jetzt noch ein bisschen mehr gefüttert werden. Wenn es mehr gefüttert werden muss, geht automatisch eine bestimmte Tür auf, da wird das Tier dann zu reicherem Futter geführt, oder wenn es normal ist, so im Rahmen, wie man es will, dann geht es zu einer anderen Tür. Aber sozusagen das lebende Tier wird durch eine ganz ausgefeilte Technik bereits sozusagen als zukünftiges Fleisch, als bestimmte Fleischsorten gesehen. Und diese Leistungsoptimierung, diese Feinheiten, um die geht es heutzutage. Ich glaube, da geht es eigentlich um kleine Beträge, die sich aber erst dann … Also, diese Maschinen, die ja sehr ausgefeilt sind, amortisieren sich erst, wenn man wirklich sehr viele Tiere hat. Das ist also wirklich für Massentierhaltung, das lohnt sich erst, wenn man es jahrelang im Einsatz hat mit vielen tausend Tieren. Und das ist tragisch, weil dadurch befördert man natürlich immer weiter die Konkurrenz hin zu Maststellen mit ganz, ganz vielen Tieren.
Kassel: Wir reden gerade im Deutschlandradio Kultur mit der Journalistin Hilal Sezgin über ihren Besuch bei der EuroTier, der weltweit größten Messe für Massentierhaltung und die Technik, die man dabei braucht. Was für Leute waren denn da unterwegs und standen an den Ständen? Man hat ja sofort das Gefühl, das müssen ja böse Menschen sein. Also rochen die alle nach Schwefel und haben ein bisschen gehinkt?
Sezgin: Nein, Landwirte sind keine bösen Menschen, auch diese Leute der Pharma-Firmen, ich habe mit vielen gesprochen, die reden über die … Also, wissen Sie, von außen, ich meine, oh mein Gott, das ist ja irgendwie ein bisschen lebensverachtend und so, aber … die Produkte, aber die reden da mit Freundlichkeit drüber. Das sind keine bösen Menschen oder so. Die versuchen alle, ihren Job zu machen und denken auch alle für sich, dass sie sogar zu Tieren nett sind. Das ist eigentlich erschütternd. Also zunächst mal zum Publikum: Das sind natürlich fast alles Männer. Also, Frauen scheinen in der Landwirtschaft oder dieser Agrarindustrie, wie ich es nennen würde, noch gar nicht vorzukommen, außer eben bei den Pharma-Firmen gibt es welche. Dann ist es in der Tat ein internationales Publikum, aber vor allem schon Europa und natürlich ganz viel Niederlande, weil gerade im Bereich Schweinezucht und Hühnerzucht kommt sehr viel aus den Niederlanden. Aber auch da – ich habe mit zwei Niederländern gesprochen, die so eine Hühner-Einfangmaschine verkaufen. Das war zuerst ein unglückliches Gespräch, weil sie sagten, gucken Sie mal, was für eine freundliche Methode. Und dann habe ich gesagt, wieso freundlich, die werden da reingewirbelt und dann fahren sie in den Tod. Aber wenn man dann redet – auch das sind nette Leute. Auch die sagen, aber unsere Methode ist doch schonender als eine andere. Stimmt, man kann es immer noch schlechter machen. Und irgendwann haben sie zugegeben: Man kann diese Maschine, die wir verkaufen, auch viel schneller fahren lassen, und dann ist sie grausam. Und dann haben sie gesagt: Leider sind die Maschinen nur so gut wie die Menschen, die sie bedienen. Also denen ist auch klar, dass viel Schlimmes passiert in ihrer Industrie. Es ist irgendwie allen klar. Also böse Menschen sind es ganz gewiss nicht, nach Schwefel hat es auch nicht gerochen. Ja, eher manchmal ein bisschen so nach hoch konzentrierten Futtermitteln, ganz irritierend. Also, die Futteroptimierung fängt schon vor der Pharmaindustrie an. Das ist überall.
Kassel: Was präsentiert denn die Pharmaindustrie da überhaupt? Tun die wenigstens noch so, als ginge es eigentlich darum, Krankheiten zu verhindern, oder geben die zu, dass es eigentlich eher der Mastoptimierung dient?
Sezgin: Ja, ich glaube, Krankheitsverhinderung ist einfach in diesem System Alltag. Das ist dann also nicht sozusagen ein Fehler, der mal passiert, sondern ständig da ist. Man muss sozusagen ständig zum Beispiel die Kuh vor einer akuten Mastitis schützen. Man sagt, 30 Prozent aller Kühe heute haben die Keime für die chronische Mastitis, Euterentzündung schon drin. Ja, das ist einfach normal. Auch bestimmte Skeletterkrankungen sind ganz normal, oder Kalziummangel bei einer Kuh ist auch ganz normal nach der Geburt, das kommt ganz, ganz oft vor. Und dann stellen die einfach Präparate bereit, mit denen man das dann auffangen kann, und dann möglichst halt schnell, ohne dass Verluste stattfinden können. Und da geht sozusagen Futtermittel und Pharma so ineinander über. Das ist nicht so Medizin, wie wir es unter Menschen verstehen. Wir denken, wenn was schiefgeht, dann gehen wir zum Arzt und werden geheilt. Und da ist es so ein ständiges Reparieren im Laufen, weil dieses ganze System … Also, die Tiere sind ja schon so krank gezüchtet, werden so an ihre Leistungsgrenze getrieben, dass Krankheit und Versagen von einzelnen Organen oder Funktionen ja fast Alltag ist. Es muss ständig verhütet und vorgebeugt werden und unterstützt werden. Das ist so dramatisch. Diese Tiere sind eigentlich nie gesund.
Kassel: Was glauben Sie denn, Frau Sezgin, wenn jetzt der durchschnittliche Discounter-Hühnerbrustkäufer durch die Hallen gegangen wäre, wäre der nachdenklich geworden und hätte vielleicht seinen Konsum verändert, oder hätte der sogar das Gefühl, das sieht ja so hübsch und steril hier aus, ist doch alles in Ordnung?
Sezgin: Na ja, nein, es ist sauber, aber wenn man so sieht, wie so eine Sau lebt und einem klar wird, wie eng das ist, also, dass die da wirklich ja ihr ganzes Leben verbringt – das ist schon nicht schön. Ich bin auch … das war noch so eine schöne, prämierte Erfindung, ich bin zum Düsser Wühlturm gelaufen. Das ist so eine Sorte Ferkelspielzeug, da sollen die Schweine dann spielen, weil was sollen die den ganzen Tag machen? Dann guckt man sich das an und erwartet sonst was. Und dann ist das einfach so eine Röhre, da kommt unten ein bisschen Stroh raus, und da soll jedes Schwein 50 Gramm Stroh pro Tag bekommen zum Wühlen. Und da sagt mir der Mann: Aber das brauchen wir gar nicht. 10 Gramm reichen. Und wenn man das so sieht, glaube ich, also auch als Normalverbraucher: Ein Schwein, dem es richtig gut geht, mit richtig Wellness, mit der prämierten Goldmedaille der DLG – das kriegt 10 Gramm Stroh pro Tag zum Wühlen und Spielen. Also, ich glaube, das lässt schon jeden irgendwie bitter werden, oder ich meine, kein Mensch möchte doch, dass die Tiere ein so verarmtes, grauenhaftes Leben haben und dann in die schrecklichen Transporter kommen und dann auch noch mit mangelnder Betäubung geschlachtet werden. Das geht glaube ich jeden an, wenn er es sieht.
Kassel: So gesehen sollten wir tatsächlich dafür werben, die EuroTier geht heute zu Ende, aber dass im nächsten Jahr da möglichst viele Leute hingehen. Die Journalistin Hilal Sezgin war das über ihren Besuch beim, wie es in der Eigenwerbung heißt, weltweit größten Top-Event für Tierhaltungsprofis. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Sezgin: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema bei dradio:
Unser Fleischkonsum ist nicht zu rechtfertigen - Wie Schweine unter Massentierhaltung leiden
Hilal Sezgin: Guten Tag, Herr Kassel!
Kassel: Die Website dieser Messe, die zeigt saubere, fröhliche Ferkelchen, schneeweiße Hühner und sanftmütige Kühe vor blauem Himmel. Wie viel davon findet sich denn auch in den Messehallen wieder?
Sezgin: Also die Bilder waren dieselben, das war irgendwie ganz ulkig, also Tiere kamen da so als Deko vor, also glückliche Ferkelchen überall, damit dekoriert man die Messe. Was aber ausgestellt wurde, war in der Tat mehr so was wie, wie soll ich sagen, so Baustoff oder so was, Baustoffe meets Pharma, also ganz viele Metallbügel, mit denen man Sauen fixieren kann, Hühner-Rupfmaschinen, dann automatische Melkmaschinen, dann jede Menge Futteroptimierer, wie finde ich das ideale Protein, wenn man da vielleicht noch ein bisschen Algen beimischt – also es war irgendwie sehr viel Hightech, sehr viel Pharma und ganz viel Metall, und ich habe noch nie in meinem Leben so viele Fußbödenbelege gesehen, weil es geht darum, wie kann man die Ställe komfortabel gestalten, wie es dann heißt, das Wort Komfort ist sehr wichtig, aber tatsächlich geht es nur darum: Welches Plastik legt man in den Stall? Also man sieht irgendwie, ich weiß nicht, Leben, Tiere, Landwirtschaft – das sind alles die falschen Rubriken, man hat das Gefühl, weil man sieht ganz deutlich: Das ist eine Industrie, eine Agrarindustrie ist das.
Kassel: Nun haben Sie Begriffe benutzt wie Hühner-Rupfmaschinen oder irgendwelche Feststellbügel. Das heißt aber doch, wenn ich der Webseite folge, offiziell immer viel schöner.
Sezgin: Ja, also das ist wirklich eine Welt der Euphemismen, das hat mich auch sehr überrascht, das war mir vorher nicht so klar gewesen. Also das Wort Komfort ist ganz wichtig und auch Wellness. Also ich bin dann sehr euphorisch zu einer Abteilung getrabt, die dann "Wellness im Abferkelstall" hieß. Abferkelstall ist da, wo die Sauen ihre Ferkel eben die ersten drei bis vier Wochen säugen. Ja, die werden da einfach fixiert mit diesen Metallbügeln, dann streitet man sich: Macht man auf der anderen Seite auch noch einen, können die Ferkel dann auch mal rumlaufen? Die Sau kann sich einfach nicht um sich selber drehen. Es geht darum: Wie groß sind die Spalten? Sind die breiter, sind die schmaler? Kriegen die Ferkel warmes Wasser zum wärmen oder eine Rotlichtlampe? Und das nennt man dann Wellness, oder man nennt das PORCA relax, das ist dann auch so eine Matte zum Wohlfühlen für Schweine, oder ein Wasserbett für die Kuh, oder eine Matte für Kühe – legt die Weide in den Stall, also ich meine, statt die Kühe auf die Weide zu bringen, legt man Weide in den Stall und das sieht dann aus wie schwarzes Latex.
Kassel: Ist das denn wirklich sinnvoll für die Tiere im Sinne von, geht es ihnen dann besser oder tut man wenigstens so, oder geht es nur darum, zu sagen, na ja, dann steigt die Fleischqualität oder die Qualität der Milch?
Sezgin: Ja, das ist eben auch das Frustrierende. Ich habe dann manchmal die Leute dann detaillierter gefragt, weil mir das als Laiin auch nicht so klar war. Also, zum Beispiel dieses Liegen der Kuh – es ist wohl so: Eine Kuh möchte eigentlich drei Meter Platz haben. Das ist ja auch ein schweres Tier, die will sich nicht stoßen, die kriegt dann Blutergüsse, im Freien will die drei Meter Platz haben, kriegt sie im Stall also nicht. Wie kann man die Kuh jetzt animieren, sich in diesem engen Stall hinzulegen? Man gibt ihr so Bügel, die dann teilweise so mit Latex umformt sind, damit sie sich nicht wehtut. Also, die Kuh wird beim Liegen geführt. Habe ich auch noch gedacht, gut, vielleicht ist es gemütlich. Es geht aber da drum: Je mehr die Kuh liegt, desto mehr Milch gibt sie. Das heißt, das ist dann wirklich ein Verlust für den Bauern, wenn sich die Kuh nicht hinlegen mag. Also, deswegen animiert man sie zum Liegen. Oder es gibt ein anderes, das heißt (…), das ist auch prämiert worden. Da kriegt die Kuh so ein Halfter, das misst jede Schluckbewegung, jede Kaubewegung, jedes Wiederkäuen, und da denkt man auch zuerst, oh, das ist ja gut, da kann die Gesundheit der Kuh gefördert werden oder so. Tatsächlich geht es aber da drum, es geht da drum, dass man die Grenze bestimmen kann: Wie viel Hochleistungsfutter kann man so einer Hochleistungsmilchkuh geben, ohne dass ihr Wiederkäuen kaputtgeht? Wissen Sie, das ist also artungerechtes, artunspezifisches Füttern, das man macht, um möglichst viel rauszuholen. Und um das genau zu bemessen, muss man eben mit Hightech am Maul der Kuh messen genau, wie viel runtergeht, wie viel hochgeht, damit man diese Effizienzsteigerung bemessen kann. Also es sieht erst mal nett aus und dann merkt man: Es geht nur um die letzten Bruchteile einer Leistungsoptimierung, und die Tiere, glaube ich, zahlen einen hohen Preis dafür.
Kassel: Jetzt haben Sie die Preise schon erwähnt, die ja da in der Tat verliehen worden sind. Wer kriegt denn da Preise? Wirklich das technisch Raffinierteste, oder ist es sozusagen das Effizienteste, was die Gewinnmaximierung angeht?
Sezgin: Ich glaube, das Effizienteste lässt sich heute anscheinend nur noch über das Raffinierteste machen. Also, ganz viel Elektronik – zum Beispiel gibt es so digitale Wagen, die Schweine messen, die auch flexibel sind, und die messen dann so ein Schwein durch Abtasten, optisches Abtasten, können dann gleich sagen, so viel Magerfleisch, so viel ist der Schinken, so lang ist das Schwein, das muss jetzt noch ein bisschen mehr gefüttert werden. Wenn es mehr gefüttert werden muss, geht automatisch eine bestimmte Tür auf, da wird das Tier dann zu reicherem Futter geführt, oder wenn es normal ist, so im Rahmen, wie man es will, dann geht es zu einer anderen Tür. Aber sozusagen das lebende Tier wird durch eine ganz ausgefeilte Technik bereits sozusagen als zukünftiges Fleisch, als bestimmte Fleischsorten gesehen. Und diese Leistungsoptimierung, diese Feinheiten, um die geht es heutzutage. Ich glaube, da geht es eigentlich um kleine Beträge, die sich aber erst dann … Also, diese Maschinen, die ja sehr ausgefeilt sind, amortisieren sich erst, wenn man wirklich sehr viele Tiere hat. Das ist also wirklich für Massentierhaltung, das lohnt sich erst, wenn man es jahrelang im Einsatz hat mit vielen tausend Tieren. Und das ist tragisch, weil dadurch befördert man natürlich immer weiter die Konkurrenz hin zu Maststellen mit ganz, ganz vielen Tieren.
Kassel: Wir reden gerade im Deutschlandradio Kultur mit der Journalistin Hilal Sezgin über ihren Besuch bei der EuroTier, der weltweit größten Messe für Massentierhaltung und die Technik, die man dabei braucht. Was für Leute waren denn da unterwegs und standen an den Ständen? Man hat ja sofort das Gefühl, das müssen ja böse Menschen sein. Also rochen die alle nach Schwefel und haben ein bisschen gehinkt?
Sezgin: Nein, Landwirte sind keine bösen Menschen, auch diese Leute der Pharma-Firmen, ich habe mit vielen gesprochen, die reden über die … Also, wissen Sie, von außen, ich meine, oh mein Gott, das ist ja irgendwie ein bisschen lebensverachtend und so, aber … die Produkte, aber die reden da mit Freundlichkeit drüber. Das sind keine bösen Menschen oder so. Die versuchen alle, ihren Job zu machen und denken auch alle für sich, dass sie sogar zu Tieren nett sind. Das ist eigentlich erschütternd. Also zunächst mal zum Publikum: Das sind natürlich fast alles Männer. Also, Frauen scheinen in der Landwirtschaft oder dieser Agrarindustrie, wie ich es nennen würde, noch gar nicht vorzukommen, außer eben bei den Pharma-Firmen gibt es welche. Dann ist es in der Tat ein internationales Publikum, aber vor allem schon Europa und natürlich ganz viel Niederlande, weil gerade im Bereich Schweinezucht und Hühnerzucht kommt sehr viel aus den Niederlanden. Aber auch da – ich habe mit zwei Niederländern gesprochen, die so eine Hühner-Einfangmaschine verkaufen. Das war zuerst ein unglückliches Gespräch, weil sie sagten, gucken Sie mal, was für eine freundliche Methode. Und dann habe ich gesagt, wieso freundlich, die werden da reingewirbelt und dann fahren sie in den Tod. Aber wenn man dann redet – auch das sind nette Leute. Auch die sagen, aber unsere Methode ist doch schonender als eine andere. Stimmt, man kann es immer noch schlechter machen. Und irgendwann haben sie zugegeben: Man kann diese Maschine, die wir verkaufen, auch viel schneller fahren lassen, und dann ist sie grausam. Und dann haben sie gesagt: Leider sind die Maschinen nur so gut wie die Menschen, die sie bedienen. Also denen ist auch klar, dass viel Schlimmes passiert in ihrer Industrie. Es ist irgendwie allen klar. Also böse Menschen sind es ganz gewiss nicht, nach Schwefel hat es auch nicht gerochen. Ja, eher manchmal ein bisschen so nach hoch konzentrierten Futtermitteln, ganz irritierend. Also, die Futteroptimierung fängt schon vor der Pharmaindustrie an. Das ist überall.
Kassel: Was präsentiert denn die Pharmaindustrie da überhaupt? Tun die wenigstens noch so, als ginge es eigentlich darum, Krankheiten zu verhindern, oder geben die zu, dass es eigentlich eher der Mastoptimierung dient?
Sezgin: Ja, ich glaube, Krankheitsverhinderung ist einfach in diesem System Alltag. Das ist dann also nicht sozusagen ein Fehler, der mal passiert, sondern ständig da ist. Man muss sozusagen ständig zum Beispiel die Kuh vor einer akuten Mastitis schützen. Man sagt, 30 Prozent aller Kühe heute haben die Keime für die chronische Mastitis, Euterentzündung schon drin. Ja, das ist einfach normal. Auch bestimmte Skeletterkrankungen sind ganz normal, oder Kalziummangel bei einer Kuh ist auch ganz normal nach der Geburt, das kommt ganz, ganz oft vor. Und dann stellen die einfach Präparate bereit, mit denen man das dann auffangen kann, und dann möglichst halt schnell, ohne dass Verluste stattfinden können. Und da geht sozusagen Futtermittel und Pharma so ineinander über. Das ist nicht so Medizin, wie wir es unter Menschen verstehen. Wir denken, wenn was schiefgeht, dann gehen wir zum Arzt und werden geheilt. Und da ist es so ein ständiges Reparieren im Laufen, weil dieses ganze System … Also, die Tiere sind ja schon so krank gezüchtet, werden so an ihre Leistungsgrenze getrieben, dass Krankheit und Versagen von einzelnen Organen oder Funktionen ja fast Alltag ist. Es muss ständig verhütet und vorgebeugt werden und unterstützt werden. Das ist so dramatisch. Diese Tiere sind eigentlich nie gesund.
Kassel: Was glauben Sie denn, Frau Sezgin, wenn jetzt der durchschnittliche Discounter-Hühnerbrustkäufer durch die Hallen gegangen wäre, wäre der nachdenklich geworden und hätte vielleicht seinen Konsum verändert, oder hätte der sogar das Gefühl, das sieht ja so hübsch und steril hier aus, ist doch alles in Ordnung?
Sezgin: Na ja, nein, es ist sauber, aber wenn man so sieht, wie so eine Sau lebt und einem klar wird, wie eng das ist, also, dass die da wirklich ja ihr ganzes Leben verbringt – das ist schon nicht schön. Ich bin auch … das war noch so eine schöne, prämierte Erfindung, ich bin zum Düsser Wühlturm gelaufen. Das ist so eine Sorte Ferkelspielzeug, da sollen die Schweine dann spielen, weil was sollen die den ganzen Tag machen? Dann guckt man sich das an und erwartet sonst was. Und dann ist das einfach so eine Röhre, da kommt unten ein bisschen Stroh raus, und da soll jedes Schwein 50 Gramm Stroh pro Tag bekommen zum Wühlen. Und da sagt mir der Mann: Aber das brauchen wir gar nicht. 10 Gramm reichen. Und wenn man das so sieht, glaube ich, also auch als Normalverbraucher: Ein Schwein, dem es richtig gut geht, mit richtig Wellness, mit der prämierten Goldmedaille der DLG – das kriegt 10 Gramm Stroh pro Tag zum Wühlen und Spielen. Also, ich glaube, das lässt schon jeden irgendwie bitter werden, oder ich meine, kein Mensch möchte doch, dass die Tiere ein so verarmtes, grauenhaftes Leben haben und dann in die schrecklichen Transporter kommen und dann auch noch mit mangelnder Betäubung geschlachtet werden. Das geht glaube ich jeden an, wenn er es sieht.
Kassel: So gesehen sollten wir tatsächlich dafür werben, die EuroTier geht heute zu Ende, aber dass im nächsten Jahr da möglichst viele Leute hingehen. Die Journalistin Hilal Sezgin war das über ihren Besuch beim, wie es in der Eigenwerbung heißt, weltweit größten Top-Event für Tierhaltungsprofis. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Sezgin: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema bei dradio:
Unser Fleischkonsum ist nicht zu rechtfertigen - Wie Schweine unter Massentierhaltung leiden