Eine Wiederentdeckung
Hauptfigur in "Murmeljagd" ist ein kopfverletzter Kampfflieger des Ersten Weltkriegs, der sich ständig verfolgt fühlt. Ob er paranoid ist oder mit seinem Misstrauen richtig liegt, bleibt lange offen. Der 1969 erschienene Roman kann anlässlich des 100. Geburtstags des vergessenen Autors Ulrich Becher wiederentdeckt werden.
Ulrich Bechers "Murmeljagd" hätte ein großer Erfolg werden können. Aber leider ist er zur falschen Zeit erschienen. Becher erzählt von Exilanten, Flüchtlingen aus Österreich nach dem "Anschluss", die sich in der Schweiz, zeitweise im Oberengadin, irgendwie durchschlagen. Sie erhalten ab und zu Nachrichten aus Graz, Wien oder Dachau, schlechte Nachrichten. Hauptfigur ist ein kopfverletzter Kampfflieger des 1. Weltkriegs und Journalist aus Wien, der sich mitten in der friedlichen Bergwelt um Sils Maria von irgendjemandem verfolgt fühlt.
Rund um diesen Albert Trebla und seine Frau Xane geschehen seltsame Dinge: Alte Familiendramen und düstere Dorfgeschichten kommen ans Licht, es gibt Tote und unerklärliche Zufälle. Vielleicht bildet er sich alles ein, aber die blonden österreichischen Burschen, die immer wieder seinen Weg kreuzen, sind womöglich Nazis und Menschenjäger, auch wenn sie vorgeben, nur Murmeltiere zu fotografieren.
Albert Trebla, der Flüchtling, hat den festen Boden unter den Füßen verloren. Ob er paranoid ist oder mit seinem Misstrauen ganz richtig liegt, bleibt lange offen. Das ist guter, üppiger Romanstoff: psychologisch, moralisch und zeitgeschichtlich aufgeladen, voller Leben, schräger Charaktere, merkwürdiger Details und nicht zuletzt furios geschrieben.
Doch genau das wurde dem Buch zum Verhängnis. Es erschien 1969 und ging am Zeitgeschmack völlig vorbei. Es war die Zeit der strengen Dokumentationen, es herrschte der Kult des Schnörkellosen und der Wahrheit. Der Roman mit seiner barocken Deftigkeit und gelegentlichen Frivolität, mit seinen verspielten und weitschweifigen wörtlichen Reden wirkte befremdlich in einer Zeit, als die deutsche Literatur, sogar der Fernsehfilm, den sprachlichen und moralischen Stelzengang pflegte.
Mit 40 Jahren Abstand und pünktlich zum 100. Geburtstag des mittlerweile vergessenen Autors Ulrich Becher kann man dieses Buch nun im Geltungsbereich sehr veränderter Geschmackskriterien wieder lesen. Und siehe da: Figuren wie der Zirkusreiter Giaxa, der Ulrich Bechers Schwiegervater Alexander Roda Roda nachempfunden ist, oder Pola Polari, die gewisse Ähnlichkeiten mit einem bekannten Stummfilmstar aufweist, besitzen inzwischen genug historische Exotik, um vor allem unterhaltsam zu sein. Und auch Bechers aufgekratzter Erzählgestus überfordert im Zeitalter schnell geschnittener Filme niemanden mehr.
Die "Murmeljagd" ist ein pralles Erzählwerk, eigentlich genau die Art Buch, die immer wieder lauthals gefordert wird, von denen es aber in der deutschen Literatur so wenige gibt: ein sprachlich wagemutiges, unterhaltsames, engagiertes und skurriles Epos.
Besprochen von Katharina Döbler
Ulrich Becher, "Murmeljagd", Roman,
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2009, 704 Seiten, 24,90 EUR
Rund um diesen Albert Trebla und seine Frau Xane geschehen seltsame Dinge: Alte Familiendramen und düstere Dorfgeschichten kommen ans Licht, es gibt Tote und unerklärliche Zufälle. Vielleicht bildet er sich alles ein, aber die blonden österreichischen Burschen, die immer wieder seinen Weg kreuzen, sind womöglich Nazis und Menschenjäger, auch wenn sie vorgeben, nur Murmeltiere zu fotografieren.
Albert Trebla, der Flüchtling, hat den festen Boden unter den Füßen verloren. Ob er paranoid ist oder mit seinem Misstrauen ganz richtig liegt, bleibt lange offen. Das ist guter, üppiger Romanstoff: psychologisch, moralisch und zeitgeschichtlich aufgeladen, voller Leben, schräger Charaktere, merkwürdiger Details und nicht zuletzt furios geschrieben.
Doch genau das wurde dem Buch zum Verhängnis. Es erschien 1969 und ging am Zeitgeschmack völlig vorbei. Es war die Zeit der strengen Dokumentationen, es herrschte der Kult des Schnörkellosen und der Wahrheit. Der Roman mit seiner barocken Deftigkeit und gelegentlichen Frivolität, mit seinen verspielten und weitschweifigen wörtlichen Reden wirkte befremdlich in einer Zeit, als die deutsche Literatur, sogar der Fernsehfilm, den sprachlichen und moralischen Stelzengang pflegte.
Mit 40 Jahren Abstand und pünktlich zum 100. Geburtstag des mittlerweile vergessenen Autors Ulrich Becher kann man dieses Buch nun im Geltungsbereich sehr veränderter Geschmackskriterien wieder lesen. Und siehe da: Figuren wie der Zirkusreiter Giaxa, der Ulrich Bechers Schwiegervater Alexander Roda Roda nachempfunden ist, oder Pola Polari, die gewisse Ähnlichkeiten mit einem bekannten Stummfilmstar aufweist, besitzen inzwischen genug historische Exotik, um vor allem unterhaltsam zu sein. Und auch Bechers aufgekratzter Erzählgestus überfordert im Zeitalter schnell geschnittener Filme niemanden mehr.
Die "Murmeljagd" ist ein pralles Erzählwerk, eigentlich genau die Art Buch, die immer wieder lauthals gefordert wird, von denen es aber in der deutschen Literatur so wenige gibt: ein sprachlich wagemutiges, unterhaltsames, engagiertes und skurriles Epos.
Besprochen von Katharina Döbler
Ulrich Becher, "Murmeljagd", Roman,
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2009, 704 Seiten, 24,90 EUR