Einem Widerstandskämpfer in die Seele geschaut
Über 20 Jahre arbeitete der Autor Jochen Köhler an einer Biografie über Helmut James von Moltke. Als er 2007 starb, hinterließ er eine ungewöhnliche Biografie von mehreren tausend Seiten über den Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus. Der Rowohlt-Verlag hat nun den Teil über die Kindheit und Jugend Moltkes als Buch veröffentlicht.
Joachim Scholl: Helmuth James von Moltke gehörte zum Deutschen Widerstand gegen Hitler. Er war Begründer des Kreisauer Kreises, er wurde verhaftet und im Januar 1945 hingerichtet. Diesem mutigen Mann hat der Schriftsteller Jochen Köhler sein eigenes Lebenswerk gewidmet. Über 20 Jahre arbeitete er an einer Biografie über Helmuth James von Moltke. Und Jochen Köhler, lebenslang schwer herzkrank, konnte das Buch nicht vollenden, er starb im vergangenen Jahr. Fertiggestellt waren nur der Teil von Moltkes Kindheit und Jugend und diese immerhin 400 Seiten hat der Rowohlt Verlag nun als Buch herausgebracht, betreut und mit einem Vorwort versehen von dem Verlagschef Alexander Fest, den ich jetzt im Studio begrüße. Guten Tag, Herr Fest!
Alexander Fest: Guten Tag!
Scholl: Sie schreiben in Ihrem Vorwort, Herr Fest: "Wenige Bücher habe ich mir als Verleger so hartnäckig gewünscht wie dieses." Warum?
Fest: Weil das sofort sichtbar ein ganz ungewöhnliches Manuskript war und weil ich den Mann kennen lernte 1991 im Herbst und auch aus dieser Begegnung sofort den Eindruck mitnahm, das wird ein großes Buch. Damals war ich noch beim Siedler Verlag. Herr Siedler hatte mir eines Tages einen riesigen Stapel Papier auf den Tisch gelegt und gesagt: Gucken Sie sich das mal an, das hat etwas Genialisches, wird vielleicht ein bisschen lang, aber das ist ein sehr interessantes Buch über Helmuth James von Moltke.
Und dann las ich es und besuchte kurz darauf Jochen Köhler, den Autor, in einem kleinen Ort in Brandenburg, in der Nähe von Neuruppin, Ganzer, wo er in einem alten Pfarrhaus wohnte und schrieb. Und was er mir über das sagte, was er noch schreiben werde und was ich schon gelesen hatte, waren so, dass ich sofort dieses Buch unbedingt veröffentlichen wollte. Das ist mir noch mehrmals in meinem Leben so gegangen, aber vielleicht war das das allererste Mal.
Und obwohl er ein schwieriger Mann war und wir uns damals nicht einigen konnten und auch beim zweiten Anlauf, den ich ein paar Jahre später, als ich einen eigenen kleinen Verlag in Berlin hatte, machte, auch nicht einigen konnten am Ende, habe ich immer dieses Buch weiter im Kopf behalten und daran gedacht und habe ihn deshalb auch 2004, glaube ich, wieder angerufen, 2003 oder 2004, und habe ihn gefragt: Wollen wir es nicht noch mal versuchen und wollen Sie nicht das Buch etwas kürzer schreiben als gedacht? Denn das war das Hauptproblem gewesen vorher. Das Buch schien 3000, 4000 Seiten lang zu werden. Und darüber hatten wir uns mehrmals verstritten.
Scholl: Lassen Sie uns über dieses Genialische sprechen. Bezeichnend ist das glaube ich für Jochen Köhlers Arbeitsweise zum einen, eine unglaubliche akribische Recherche, zum anderen aber eine biografisch-literarische Methode, die Köhler selbst mit der Formulierung "ins Leben starren" umrissen hat. Wie müssen wir uns das vorstellen in diesem Buch?
Fest: Es ist eine Biografie, die sehr stark von innen heraus geschrieben wird. Das ist das auf den ersten Blick vielleicht Paradoxe, denn wenn Sie normalerweise historische Biografien lesen, dann gehört es im Grunde genommen zur strengen wissenschaftlichen Methode, das Innere zu vermuten
vielleicht, aber nicht zur Grundlage des Schreibens, der Darstellung zu machen. Und bei Köhler ist es umgekehrt. Er macht diesen Schritt. Er hat Dokumente zum Beispiel über die Kindheit und Jugend von Helmuth James durch den Briefwechsel der Mutter mit ihren Verwandten und Freunden, die es ihm zusammen mit seiner fantastischen Einfühlungsgabe erlauben, die Entwicklung dieses jungen Menschen von innen zu schildern. Und das macht das Buch so aufregend. Das hat die Arbeit an dem Buch auch so schwer und so langwierig gemacht.
Scholl: Jochen Köhler ist 1944 geboren, er war stark von der 68er-Bewegung geprägt, hat als Lehrer gearbeitet, 1979 kam sein einziges Buch heraus über das Leben einfacher Leute zwischen 1933 und 1945. Wenn man Ihr Vorwort, Herr Fest, liest sowie das porträtierende Nachwort von Jochen Köhlers Ehefrau, bekommt man den Eindruck eines, ja, gewissermaßen sympathischen Besessenen. War er das?
Fest: Ja, das ist nicht schlecht gesagt. Das war er wirklich und das vermittelte sich sofort durch die unglaubliche manchmal ein bisschen gespenstische flackernde Eindringlichkeit, die er hatte. Bei allem, was er machte, erzählte, gerade wenn er von seiner Arbeit sprach natürlich auch.
Scholl: Beim Spargelessen drei Zigaretten geraucht.
Fest: Das war die letzte Begegnung, dazu muss man, das stimmt, das passt einerseits zu dieser Intensität, weil er immerzu Zigaretten drehte und rauchte. Andererseits war er da auch schon sehr schwach. Seine Krankheit hatte ihm zugesetzt, am Ende waren es auch mehrere Krankheiten und er brauchte diesen kleinen Aufwind der Zigarette, um sich weiter konzentrieren und unser Gespräch fortführen zu können.
Scholl: Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist der Verleger Alexander Fest, der jetzt die Biografie von Jochen Köhler über Helmuth James von Moltke veröffentlicht hat. Herr Fest, kommen wir zu diesem Protagonisten der Biografie: Von Moltke, uralter schlesischer Adel, Begründer und zentrale Figur des Kreisauer Kreises. Man hat ihm den besten Kopf des Deutschen Widerstands gegen Hitler bezeichnet, so in der Wochenzeitung "Die Zeit". Was macht ihn als Persönlichkeit so besonders interessant und was hat ihn auch für Jochen Köhler so interessant gemacht?
Fest: Also, das Republikanisch-Demokratische von Anfang an, ist vielleicht am einfachsten gesagt, das, was Moltke so ungewöhnlich macht. Viele andere der großen Figuren der Opposition gegen Hitler waren ja anfangs keine reinen Demokraten, haben vielleicht auch wie Schulenburg zum Beispiel mit dem Regime zeitweilig geliebäugelt, waren dafür gewesen am Anfang, hatten sich dann abgekehrt. Das macht sie vielleicht moralisch nicht schlechter, denn es spricht nichts dagegen, seine Irrtümer zu korrigieren. Aber ungewöhnlich ist doch, dass Moltke von Anfang an so ein klarsichtiger, hellsichtiger Demokrat gewesen ist und genau verstand, was politisch da passierte in Deutschland. Und für Köhler nun wiederum, der 1968 und dann in den 70er-Jahren in die K-Gruppen-Szene in Berlin hineingeraten war und da lange gelebt hatte, war es interessant, hier in einer sozusagen republikanischen Biografie seine eigenen Lebensirrtümer zu korrigieren und noch einmal gespiegelt zu sehen, zu analysieren.
Scholl: Und von Moltke hat sogar seine eigene Karriere als Jurist drangegeben, nur um nicht diesem Regime dienen zu müssen. Wir haben inzwischen eine umfängliche Literatur zum Deutschen Widerstand. Welche Farbe, welche besondere Note fügt Jochen Köhler Ihrer Ansicht nach mit seinem Buch diesem Komplex, auch dieser fortwährenden Diskussion, hinzu?
Fest: Das ist jetzt eine Frage, die man schwer beantworten kann, weil das Buch ja Fragment geblieben ist und die politisch entscheidenden Jahre fehlen in dem Buch. Es geht bis 1933 und da beginnt das politisch Riskante in Moltkes Leben eigentlich erst wirklich. Aber wenn man sehen will, wie eine politische Persönlichkeit sich von Anfang an durch Erziehung, durch das Elternhaus formt, wie außerdem das Leben auf einem Gut wie Kreisau war, was das hieß, in so einer Familie mit dem großen Feldmarschall von Moltke als Vorfahren aufzuwachsen, wenn man sich überhaupt im Einzelnen vorstellen will, wie man damals gelebt, aufgewachsen ist in Berlin, die politischen Ideen der Zeit in sich aufnehmend, dann muss man das Buch von Jochen Köhler lesen, weil es dazu, glaube ich, wie noch nie vorher Neues und Anschauliches liefert.
Scholl: Nun haben wir diese 400 Seiten, "Die Geschichte einer Kindheit und Jugend", wie es im Untertitel heißt. Sie sprachen vorhin, ja, von Manuskriptplänen bis zu mehreren 1000 Seiten. Es muss eine Menge Material geben. Können wir denn vielleicht in irgendeiner Zeit durch die Hilfe eines kundigen Redakteurs und Herausgebers vielleicht noch mehr über Helmuth James von Moltke von Jochen Köhler lesen?
Fest: Das muss man mal gucken. Ich habe versucht, mit den Lektoren und Mitarbeitern, die geholfen haben, das Buch am Ende fertigzustellen, alles durchzupflügen, was soweit fertig war, dass man es jetzt in einem Buch veröffentlichen konnte. Es kann aber wirklich sein, dass unter den vielen, vielen tausend Seiten, die da noch liegen und die auch nicht nur direkt zum Manuskript gehören, sondern auch Reflexion über das Schreiben einer Biografie, eines Geschichtsbuches enthalten, dass da noch sehr viel Gutes drin ist, das man veröffentlichen kann, müssen wir mal sehen.
Scholl: Wie haben Sie es eigentlich geschafft, Jochen Köhler überhaupt zu diesen kondensierten und damit auch umso intensiveren 400 Seiten zu überreden, also, auf den großen Atem zu verzichten?
Fest: Ja, es war schwer, ihn zu irgendwas zu überreden. Ich rief ihn an und dann hat er gleich gesagt: Sie wollen jetzt bestimmt, dass ich noch mal eine kürzere Version der Moltke-Biografie versuche, und dass wir die bei Rowohlt veröffentlichen. Und dann sagte ich: Ja, also das hatte ich jetzt eigentlich Ihnen vorschlagen wollen. Und dann sagte er: Das mache ich! Er war also schon selbst dahin gekommen, das jetzt zu tun. Er hatte auch so viel Zeit in das Buch hineingesteckt, dass er, glaube ich, sah, es wird schwierig, das in diesem gigantischen Umfang, den er sich ursprünglich vorgestellt hatte, mit dieser Ausführlichkeit zu machen.
Scholl: Alexander Fest, der Verleger und Chef des Rowohlt Verlags. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Das Buch "Helmuth James Moltke - Geschichte einer Kindheit und Jugend" ist jetzt bei Rowohlt erschienen, 396 Seiten zum Preis von 22,90 Euro.
Alexander Fest: Guten Tag!
Scholl: Sie schreiben in Ihrem Vorwort, Herr Fest: "Wenige Bücher habe ich mir als Verleger so hartnäckig gewünscht wie dieses." Warum?
Fest: Weil das sofort sichtbar ein ganz ungewöhnliches Manuskript war und weil ich den Mann kennen lernte 1991 im Herbst und auch aus dieser Begegnung sofort den Eindruck mitnahm, das wird ein großes Buch. Damals war ich noch beim Siedler Verlag. Herr Siedler hatte mir eines Tages einen riesigen Stapel Papier auf den Tisch gelegt und gesagt: Gucken Sie sich das mal an, das hat etwas Genialisches, wird vielleicht ein bisschen lang, aber das ist ein sehr interessantes Buch über Helmuth James von Moltke.
Und dann las ich es und besuchte kurz darauf Jochen Köhler, den Autor, in einem kleinen Ort in Brandenburg, in der Nähe von Neuruppin, Ganzer, wo er in einem alten Pfarrhaus wohnte und schrieb. Und was er mir über das sagte, was er noch schreiben werde und was ich schon gelesen hatte, waren so, dass ich sofort dieses Buch unbedingt veröffentlichen wollte. Das ist mir noch mehrmals in meinem Leben so gegangen, aber vielleicht war das das allererste Mal.
Und obwohl er ein schwieriger Mann war und wir uns damals nicht einigen konnten und auch beim zweiten Anlauf, den ich ein paar Jahre später, als ich einen eigenen kleinen Verlag in Berlin hatte, machte, auch nicht einigen konnten am Ende, habe ich immer dieses Buch weiter im Kopf behalten und daran gedacht und habe ihn deshalb auch 2004, glaube ich, wieder angerufen, 2003 oder 2004, und habe ihn gefragt: Wollen wir es nicht noch mal versuchen und wollen Sie nicht das Buch etwas kürzer schreiben als gedacht? Denn das war das Hauptproblem gewesen vorher. Das Buch schien 3000, 4000 Seiten lang zu werden. Und darüber hatten wir uns mehrmals verstritten.
Scholl: Lassen Sie uns über dieses Genialische sprechen. Bezeichnend ist das glaube ich für Jochen Köhlers Arbeitsweise zum einen, eine unglaubliche akribische Recherche, zum anderen aber eine biografisch-literarische Methode, die Köhler selbst mit der Formulierung "ins Leben starren" umrissen hat. Wie müssen wir uns das vorstellen in diesem Buch?
Fest: Es ist eine Biografie, die sehr stark von innen heraus geschrieben wird. Das ist das auf den ersten Blick vielleicht Paradoxe, denn wenn Sie normalerweise historische Biografien lesen, dann gehört es im Grunde genommen zur strengen wissenschaftlichen Methode, das Innere zu vermuten
vielleicht, aber nicht zur Grundlage des Schreibens, der Darstellung zu machen. Und bei Köhler ist es umgekehrt. Er macht diesen Schritt. Er hat Dokumente zum Beispiel über die Kindheit und Jugend von Helmuth James durch den Briefwechsel der Mutter mit ihren Verwandten und Freunden, die es ihm zusammen mit seiner fantastischen Einfühlungsgabe erlauben, die Entwicklung dieses jungen Menschen von innen zu schildern. Und das macht das Buch so aufregend. Das hat die Arbeit an dem Buch auch so schwer und so langwierig gemacht.
Scholl: Jochen Köhler ist 1944 geboren, er war stark von der 68er-Bewegung geprägt, hat als Lehrer gearbeitet, 1979 kam sein einziges Buch heraus über das Leben einfacher Leute zwischen 1933 und 1945. Wenn man Ihr Vorwort, Herr Fest, liest sowie das porträtierende Nachwort von Jochen Köhlers Ehefrau, bekommt man den Eindruck eines, ja, gewissermaßen sympathischen Besessenen. War er das?
Fest: Ja, das ist nicht schlecht gesagt. Das war er wirklich und das vermittelte sich sofort durch die unglaubliche manchmal ein bisschen gespenstische flackernde Eindringlichkeit, die er hatte. Bei allem, was er machte, erzählte, gerade wenn er von seiner Arbeit sprach natürlich auch.
Scholl: Beim Spargelessen drei Zigaretten geraucht.
Fest: Das war die letzte Begegnung, dazu muss man, das stimmt, das passt einerseits zu dieser Intensität, weil er immerzu Zigaretten drehte und rauchte. Andererseits war er da auch schon sehr schwach. Seine Krankheit hatte ihm zugesetzt, am Ende waren es auch mehrere Krankheiten und er brauchte diesen kleinen Aufwind der Zigarette, um sich weiter konzentrieren und unser Gespräch fortführen zu können.
Scholl: Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist der Verleger Alexander Fest, der jetzt die Biografie von Jochen Köhler über Helmuth James von Moltke veröffentlicht hat. Herr Fest, kommen wir zu diesem Protagonisten der Biografie: Von Moltke, uralter schlesischer Adel, Begründer und zentrale Figur des Kreisauer Kreises. Man hat ihm den besten Kopf des Deutschen Widerstands gegen Hitler bezeichnet, so in der Wochenzeitung "Die Zeit". Was macht ihn als Persönlichkeit so besonders interessant und was hat ihn auch für Jochen Köhler so interessant gemacht?
Fest: Also, das Republikanisch-Demokratische von Anfang an, ist vielleicht am einfachsten gesagt, das, was Moltke so ungewöhnlich macht. Viele andere der großen Figuren der Opposition gegen Hitler waren ja anfangs keine reinen Demokraten, haben vielleicht auch wie Schulenburg zum Beispiel mit dem Regime zeitweilig geliebäugelt, waren dafür gewesen am Anfang, hatten sich dann abgekehrt. Das macht sie vielleicht moralisch nicht schlechter, denn es spricht nichts dagegen, seine Irrtümer zu korrigieren. Aber ungewöhnlich ist doch, dass Moltke von Anfang an so ein klarsichtiger, hellsichtiger Demokrat gewesen ist und genau verstand, was politisch da passierte in Deutschland. Und für Köhler nun wiederum, der 1968 und dann in den 70er-Jahren in die K-Gruppen-Szene in Berlin hineingeraten war und da lange gelebt hatte, war es interessant, hier in einer sozusagen republikanischen Biografie seine eigenen Lebensirrtümer zu korrigieren und noch einmal gespiegelt zu sehen, zu analysieren.
Scholl: Und von Moltke hat sogar seine eigene Karriere als Jurist drangegeben, nur um nicht diesem Regime dienen zu müssen. Wir haben inzwischen eine umfängliche Literatur zum Deutschen Widerstand. Welche Farbe, welche besondere Note fügt Jochen Köhler Ihrer Ansicht nach mit seinem Buch diesem Komplex, auch dieser fortwährenden Diskussion, hinzu?
Fest: Das ist jetzt eine Frage, die man schwer beantworten kann, weil das Buch ja Fragment geblieben ist und die politisch entscheidenden Jahre fehlen in dem Buch. Es geht bis 1933 und da beginnt das politisch Riskante in Moltkes Leben eigentlich erst wirklich. Aber wenn man sehen will, wie eine politische Persönlichkeit sich von Anfang an durch Erziehung, durch das Elternhaus formt, wie außerdem das Leben auf einem Gut wie Kreisau war, was das hieß, in so einer Familie mit dem großen Feldmarschall von Moltke als Vorfahren aufzuwachsen, wenn man sich überhaupt im Einzelnen vorstellen will, wie man damals gelebt, aufgewachsen ist in Berlin, die politischen Ideen der Zeit in sich aufnehmend, dann muss man das Buch von Jochen Köhler lesen, weil es dazu, glaube ich, wie noch nie vorher Neues und Anschauliches liefert.
Scholl: Nun haben wir diese 400 Seiten, "Die Geschichte einer Kindheit und Jugend", wie es im Untertitel heißt. Sie sprachen vorhin, ja, von Manuskriptplänen bis zu mehreren 1000 Seiten. Es muss eine Menge Material geben. Können wir denn vielleicht in irgendeiner Zeit durch die Hilfe eines kundigen Redakteurs und Herausgebers vielleicht noch mehr über Helmuth James von Moltke von Jochen Köhler lesen?
Fest: Das muss man mal gucken. Ich habe versucht, mit den Lektoren und Mitarbeitern, die geholfen haben, das Buch am Ende fertigzustellen, alles durchzupflügen, was soweit fertig war, dass man es jetzt in einem Buch veröffentlichen konnte. Es kann aber wirklich sein, dass unter den vielen, vielen tausend Seiten, die da noch liegen und die auch nicht nur direkt zum Manuskript gehören, sondern auch Reflexion über das Schreiben einer Biografie, eines Geschichtsbuches enthalten, dass da noch sehr viel Gutes drin ist, das man veröffentlichen kann, müssen wir mal sehen.
Scholl: Wie haben Sie es eigentlich geschafft, Jochen Köhler überhaupt zu diesen kondensierten und damit auch umso intensiveren 400 Seiten zu überreden, also, auf den großen Atem zu verzichten?
Fest: Ja, es war schwer, ihn zu irgendwas zu überreden. Ich rief ihn an und dann hat er gleich gesagt: Sie wollen jetzt bestimmt, dass ich noch mal eine kürzere Version der Moltke-Biografie versuche, und dass wir die bei Rowohlt veröffentlichen. Und dann sagte ich: Ja, also das hatte ich jetzt eigentlich Ihnen vorschlagen wollen. Und dann sagte er: Das mache ich! Er war also schon selbst dahin gekommen, das jetzt zu tun. Er hatte auch so viel Zeit in das Buch hineingesteckt, dass er, glaube ich, sah, es wird schwierig, das in diesem gigantischen Umfang, den er sich ursprünglich vorgestellt hatte, mit dieser Ausführlichkeit zu machen.
Scholl: Alexander Fest, der Verleger und Chef des Rowohlt Verlags. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Das Buch "Helmuth James Moltke - Geschichte einer Kindheit und Jugend" ist jetzt bei Rowohlt erschienen, 396 Seiten zum Preis von 22,90 Euro.