"Einer der erfolgreichsten und besten deutschen Krimischriftsteller"
Jakob Arjouni habe Erzählweisen amerikanischer Detektivliteratur "kongenial ins Deutsche übertragen", sagt der Autor Ulrich Noller. Sein Wortwitz, seine Situationskomik und seine Dialoge hätten Arjouni zu einem Krimiautor von Weltrang gemacht.
Andreas Müller: Ja, Sie haben es gerade gehört: Jakob Arjouni ist tot. Der war nicht nur Krimiautor, sondern der schrieb auch Theaterstücke, Kurzgeschichten und Romane. Im Deutschlandradio Kultur wurde im Jahr 2010 sein Roman "Der heilige Eddy" als Hörspiel produziert. Hier ein Ausschnitt daraus:
"Im Grunde keine große Sache: Ich schlug ihm kräftig auf die Hoden, er kam ins Torkeln, versuchte sich zu stützen, rutschte ... "
"Tollen Anzug hat der."
" ... und stürzte dummerweise gegen das Modell einer Walfängerharpunenkanone."
Müller: Jakob Arjounis Hörspiel "Der heilige Eddy", eine Produktion im Deutschlandradio Kultur damals. Für Jakob Arjouni war sein Detektiv Kemal Kayankaya ein Held, wie er ihn sich selbst wünschte. Im Jahre 1996 hat er bei einer Lesung erzählt, wie ihm die Eingebung für seine Hauptfigur kam.
Jakob Arjouni: "Ein türkischer Privatdetektiv, das kam mir irgendwann. Da gibt es sicher viele Gründe. Vielleicht ein Auslöser war zum Beispiel, warum der auch Kemal heißt: Damals gab es einen türkischen Flüchtling, der sich in Berlin aus dem Gefängnisfenster gestürzt hat oder aus dem Gerichtssaal, weil er abgeschoben werden sollte, und das hat mich damals sehr beeindruckt und sehr durcheinandergebracht."
Müller: Wir erinnern jetzt zusammen mit dem Krimiautor und Kritiker Ulrich Noller an Jakob Arjouni. Schönen guten Tag, Herr Noller!
Ulrich Noller: Guten Tag!
Müller: Bekannt wurde er vor allem mit seinen Kriminalromanen - was sind das für Romane?
Noller: Das sind Romane, die Erzählweisen amerikanischer Detektivliteratur, wie ich finde, kongenial ins Deutsche übertragen haben. Was ja nicht so leicht ist, weil wir hier in Deutschland eher eine polizeigeprägte Ermittlerkultur haben, Detektive spielen keine große Rolle im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten. Man musste also irgendwie einen Dreh finden, um so was hier ansiedeln und glaubwürdig authentisch erzählen zu können. Und da kam dann eben dieser Detektiv mit türkischem Hintergrund ins Spiel, schon in den 1980er-Jahren, der so per se, per definitionem ein Underdog war, der zwischen allen gesellschaftlichen Sphären hin- und hergeworfen war, gebeutelt war und trotzdem sehr selbstbewusst durchs Leben ging, wie so Detektive das eben machen. Und daraus konnten sich interessante, spannende und sehr alltagsrelevante Geschichten entwickeln, von dieser Figur ausgehend. Und das war einzigartig damals.
Müller: Inwiefern verabschiedet sich denn jetzt mit Arjouni auch ein großer Stilist der zeitgenössischen deutschen Literatur?
Noller: Na ja, zum einen eben dadurch, dass er es geschafft hat, diese Erzählweisen zu erneuern und in hiesige Gefilde zu übertragen - das war schon mal ‛ne Leistung an sich. Aber in allen seinen Prosawerken und natürlich auch in seinen Dramen war es so, dass er einfach eine ganz, ganz frohe Dialogkunst produziert hat. Also, es gab Stücke von ihm, die an wirklich die besten Screwball Comedies erinnert haben. Es war mal sehr stark geprägt von einem großen Wortwitz, von einer Situationskomik. Der Mann konnte das einfach, der hatte das drauf, Dialoge zu schreiben wie kaum ein anderer, und dadurch glänzten und lebten diese Romane, auch wenn sie nicht immer von, na ja, unbedingt lustigen Themen erzählt haben. Es ging da um Rassismus, es ging um Antisemitismus, es ging um den wachsenden Nationalismus dann in den 90er-Jahren. Also, er griff da durchaus gesellschaftskritisch Themen auf, aber er hat es eben geschafft, das immer mit so einer gewissen leichten Note rüberzubringen durch seine Dialogkunst.
Müller: Er bringt seinen Hintergrund da auch mit ein, hat er eben auch in diesem O-Ton erklärt, der Migrationshintergrund natürlich, und er galt lange als der erfolgreichste deutsche Schriftsteller mit diesem Migrationshintergrund. Zu Recht?
Noller: Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Jakob Arjouni hat für sein Künstler-Alter-Ego den Nachnamen seiner ehemaligen Frau angenommen, die Marokkanerin war, er selber war Deutscher, hieß mit bürgerlichem Namen Jakob Bothe, wollte sich aber gegen seinen Vater so ein bisschen abgrenzen, der Dramatiker war, nicht von diesem Namen profitieren, und hat deswegen diesen Namen Arjouni gewählt, und er hat ja gerade eben selber schon erzählt, wie er zu dem türkischstämmigen Privatdetektiv kam. Also es war einer, der der sogenannten Migrantenliteratur schon in den 80ern mit seinen großen Erfolgen den Weg ebnete. Aber er selber hatte eigentlich - bis auf seine Sichtweisen - so gar nichts Migrantisches an sich. Das finde ich sehr ironisch, wird auch verstärkt dadurch, dass in der sehr erfolgreichen Verfilmung von "Happy Birthday, Türke!" von Doris Dörrie nicht ein Türke die Hauptrolle spielte, nicht diesen Kemal Kayankaya spielte, sondern Hansa Czypionka, das war ein oder ist ein Schauspieler schlesischer Abstimmung.
Müller: Im letzten Herbst erschien "Kismet", Arjounis erster Kayankaya-Roman nach über zehn Jahren Pause. Ist dem Buch die Todesnähe seines Autors vielleicht schon anzumerken?
Noller: Überhaupt nicht, erstaunlicherweise. Es ist ein Buch, das mit einer wirklich unglaublichen Leichtigkeit diesen Detektiv nach über zehn Jahren Pause, wie Sie eben schon sagten, in ein späteres Lebensalter versetzte, in die Gegenwart versetzte, und ermittelt jetzt, mit Mitte 50, mit einer festen Freundin, mit einer gediegenen Altbauwohnung im Frankfurter Westend, aber er hat wieder genau den sarkastischen bösen Blick auf die Gesellschaft und schafft es so, der Autor, mithilfe seines Detektivs mit so einer ganz großen Leichtigkeit wieder und einer wirklich tollen Situationskomik gesellschaftliche Prozesse zu kommentieren, ein Blick auf die Buchmesse und das ganze Gewese drumrum zu werfen, wo man wirklich immer wieder in sich hineingluckst und vor sich hin lächelt, weil es einfach eine komische Literatur ist, der die tragische Note nicht fehlt, aber von hoher Qualität im Gegensatz zu diesen ganzen Comedy-Romanen, die den Markt derzeit überschwemmen - wirklich richtig gute komische Literatur.
Müller: Wenn Arjouni jetzt als Person Vergangenheit ist, was wird bleiben von ihm? Zum Beispiel dieser Humor?
Noller: Das wird auf jeden Fall bleiben, und es wird einfach bleiben einer der, würde ich sagen, erfolgreichsten und besten deutschen Krimischriftsteller, vor allem in den 80er Jahren. Damals gab es einen Paradigmenwechsel in der Kriminalliteratur, das war nicht mehr nur Genre, sondern verschiedene Erzählweisen, Schreibfertigkeiten aus allen möglichen Arten der Literatur wurden integriert ins Genre. Und das fand weltweit statt, dieser Paradigmenwechsel. Neben Pieke Biermann, der Berliner Autorin, war, würde ich sagen, Jakob Arjouni einer der wichtigen Vertreter hierzulande davon. Er ist auch in 23 Sprachen übersetzt worden, also ein Krimiautor von Weltrang, und das wird er sicher bleiben.
Müller: Mit gerade mal 48 Jahren ist Jakob Arjouni gestorben. Wir erinnerten zusammen mit dem Kritiker und Autor Ulrich Noller an den großen Schriftsteller. Haben Sie vielen Dank!
Noller: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
"Im Grunde keine große Sache: Ich schlug ihm kräftig auf die Hoden, er kam ins Torkeln, versuchte sich zu stützen, rutschte ... "
"Tollen Anzug hat der."
" ... und stürzte dummerweise gegen das Modell einer Walfängerharpunenkanone."
Müller: Jakob Arjounis Hörspiel "Der heilige Eddy", eine Produktion im Deutschlandradio Kultur damals. Für Jakob Arjouni war sein Detektiv Kemal Kayankaya ein Held, wie er ihn sich selbst wünschte. Im Jahre 1996 hat er bei einer Lesung erzählt, wie ihm die Eingebung für seine Hauptfigur kam.
Jakob Arjouni: "Ein türkischer Privatdetektiv, das kam mir irgendwann. Da gibt es sicher viele Gründe. Vielleicht ein Auslöser war zum Beispiel, warum der auch Kemal heißt: Damals gab es einen türkischen Flüchtling, der sich in Berlin aus dem Gefängnisfenster gestürzt hat oder aus dem Gerichtssaal, weil er abgeschoben werden sollte, und das hat mich damals sehr beeindruckt und sehr durcheinandergebracht."
Müller: Wir erinnern jetzt zusammen mit dem Krimiautor und Kritiker Ulrich Noller an Jakob Arjouni. Schönen guten Tag, Herr Noller!
Ulrich Noller: Guten Tag!
Müller: Bekannt wurde er vor allem mit seinen Kriminalromanen - was sind das für Romane?
Noller: Das sind Romane, die Erzählweisen amerikanischer Detektivliteratur, wie ich finde, kongenial ins Deutsche übertragen haben. Was ja nicht so leicht ist, weil wir hier in Deutschland eher eine polizeigeprägte Ermittlerkultur haben, Detektive spielen keine große Rolle im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten. Man musste also irgendwie einen Dreh finden, um so was hier ansiedeln und glaubwürdig authentisch erzählen zu können. Und da kam dann eben dieser Detektiv mit türkischem Hintergrund ins Spiel, schon in den 1980er-Jahren, der so per se, per definitionem ein Underdog war, der zwischen allen gesellschaftlichen Sphären hin- und hergeworfen war, gebeutelt war und trotzdem sehr selbstbewusst durchs Leben ging, wie so Detektive das eben machen. Und daraus konnten sich interessante, spannende und sehr alltagsrelevante Geschichten entwickeln, von dieser Figur ausgehend. Und das war einzigartig damals.
Müller: Inwiefern verabschiedet sich denn jetzt mit Arjouni auch ein großer Stilist der zeitgenössischen deutschen Literatur?
Noller: Na ja, zum einen eben dadurch, dass er es geschafft hat, diese Erzählweisen zu erneuern und in hiesige Gefilde zu übertragen - das war schon mal ‛ne Leistung an sich. Aber in allen seinen Prosawerken und natürlich auch in seinen Dramen war es so, dass er einfach eine ganz, ganz frohe Dialogkunst produziert hat. Also, es gab Stücke von ihm, die an wirklich die besten Screwball Comedies erinnert haben. Es war mal sehr stark geprägt von einem großen Wortwitz, von einer Situationskomik. Der Mann konnte das einfach, der hatte das drauf, Dialoge zu schreiben wie kaum ein anderer, und dadurch glänzten und lebten diese Romane, auch wenn sie nicht immer von, na ja, unbedingt lustigen Themen erzählt haben. Es ging da um Rassismus, es ging um Antisemitismus, es ging um den wachsenden Nationalismus dann in den 90er-Jahren. Also, er griff da durchaus gesellschaftskritisch Themen auf, aber er hat es eben geschafft, das immer mit so einer gewissen leichten Note rüberzubringen durch seine Dialogkunst.
Müller: Er bringt seinen Hintergrund da auch mit ein, hat er eben auch in diesem O-Ton erklärt, der Migrationshintergrund natürlich, und er galt lange als der erfolgreichste deutsche Schriftsteller mit diesem Migrationshintergrund. Zu Recht?
Noller: Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Jakob Arjouni hat für sein Künstler-Alter-Ego den Nachnamen seiner ehemaligen Frau angenommen, die Marokkanerin war, er selber war Deutscher, hieß mit bürgerlichem Namen Jakob Bothe, wollte sich aber gegen seinen Vater so ein bisschen abgrenzen, der Dramatiker war, nicht von diesem Namen profitieren, und hat deswegen diesen Namen Arjouni gewählt, und er hat ja gerade eben selber schon erzählt, wie er zu dem türkischstämmigen Privatdetektiv kam. Also es war einer, der der sogenannten Migrantenliteratur schon in den 80ern mit seinen großen Erfolgen den Weg ebnete. Aber er selber hatte eigentlich - bis auf seine Sichtweisen - so gar nichts Migrantisches an sich. Das finde ich sehr ironisch, wird auch verstärkt dadurch, dass in der sehr erfolgreichen Verfilmung von "Happy Birthday, Türke!" von Doris Dörrie nicht ein Türke die Hauptrolle spielte, nicht diesen Kemal Kayankaya spielte, sondern Hansa Czypionka, das war ein oder ist ein Schauspieler schlesischer Abstimmung.
Müller: Im letzten Herbst erschien "Kismet", Arjounis erster Kayankaya-Roman nach über zehn Jahren Pause. Ist dem Buch die Todesnähe seines Autors vielleicht schon anzumerken?
Noller: Überhaupt nicht, erstaunlicherweise. Es ist ein Buch, das mit einer wirklich unglaublichen Leichtigkeit diesen Detektiv nach über zehn Jahren Pause, wie Sie eben schon sagten, in ein späteres Lebensalter versetzte, in die Gegenwart versetzte, und ermittelt jetzt, mit Mitte 50, mit einer festen Freundin, mit einer gediegenen Altbauwohnung im Frankfurter Westend, aber er hat wieder genau den sarkastischen bösen Blick auf die Gesellschaft und schafft es so, der Autor, mithilfe seines Detektivs mit so einer ganz großen Leichtigkeit wieder und einer wirklich tollen Situationskomik gesellschaftliche Prozesse zu kommentieren, ein Blick auf die Buchmesse und das ganze Gewese drumrum zu werfen, wo man wirklich immer wieder in sich hineingluckst und vor sich hin lächelt, weil es einfach eine komische Literatur ist, der die tragische Note nicht fehlt, aber von hoher Qualität im Gegensatz zu diesen ganzen Comedy-Romanen, die den Markt derzeit überschwemmen - wirklich richtig gute komische Literatur.
Müller: Wenn Arjouni jetzt als Person Vergangenheit ist, was wird bleiben von ihm? Zum Beispiel dieser Humor?
Noller: Das wird auf jeden Fall bleiben, und es wird einfach bleiben einer der, würde ich sagen, erfolgreichsten und besten deutschen Krimischriftsteller, vor allem in den 80er Jahren. Damals gab es einen Paradigmenwechsel in der Kriminalliteratur, das war nicht mehr nur Genre, sondern verschiedene Erzählweisen, Schreibfertigkeiten aus allen möglichen Arten der Literatur wurden integriert ins Genre. Und das fand weltweit statt, dieser Paradigmenwechsel. Neben Pieke Biermann, der Berliner Autorin, war, würde ich sagen, Jakob Arjouni einer der wichtigen Vertreter hierzulande davon. Er ist auch in 23 Sprachen übersetzt worden, also ein Krimiautor von Weltrang, und das wird er sicher bleiben.
Müller: Mit gerade mal 48 Jahren ist Jakob Arjouni gestorben. Wir erinnerten zusammen mit dem Kritiker und Autor Ulrich Noller an den großen Schriftsteller. Haben Sie vielen Dank!
Noller: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.