Einflussreicher Gestalter der Moderne
Unter dem Titel "Leidenschaft, Funktion und Schönheit" ist eine umfassende Werkschau des belgischen Künstlers Henry van de Velde in Weimar zu sehen. In der Stadt hatte er Anfang des letzten Jahrhunderts seine produktivsten Jahre. Fazit: eine grandiose Ausstellung über den Wegbereiter der Moderne.
Unglaublich, was es in Weimar zu sehen gibt. Henry van de Velde steht für einen ganzen Kosmos der frühen Moderne. Jedes Exponat, jeder Tisch und jeder Stuhl ist ein sinnliches Vergnügen. Möbel zum Anfassen.
Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar: "Ja, man möchte sie gerne benutzen, das ist schon so. Und ich glaube, Van de Velde wäre derjenige, der am meisten Verständnis dafür hätte, denn genau deswegen hat er sie ja so schmeichlerisch für den Körper gestaltet, das gilt für die Bestecke, das gilt aber auch für die Stühle. Und es ist ja schade, dass wir sie jetzt ins Museum bannen, ja, aber das ist wirklich jetzt mal der Lauf der Zeit."
Henry van der Velde wurde vor 150 Jahren, am 3. April 1863, in Antwerpen geboren. In seiner Heimatstadt und später in Paris wurde er zunächst Maler. Doch er war unzufrieden und orientierte sich neu.
"Die Kunst ist aus dem Leben heraus. Sie ist im Museum, sie ist bei den reichen Leuten. Man muss sie dorthin bringen, wo wir leben. Und deswegen hört Van de Velde auf zu malen, weil er will zu den Menschen, wo die sind, wo die leben. Und deswegen muss er Stühle machen und nicht schöne Rückenakte malen. Er will den Lebensraum des Menschen zu einem Gestaltungsereignis machen. Und ich glaube, das sieht man in dieser Ausstellung, obwohl man sich auf die Sofas nicht mehr drauf werfen darf."
Van de Velde konnte einfach alles: Bilder, Kinderzimmer, Essgeschirr, Häuser, Mode und Sitzbänke für die Eisenbahn. Ein "Alleskünstler", ein Mensch im Fadenkreuz der aufkeimenden Moderne, die durch ihn in Weimar ein Zentrum hatte. Ein Künstler mit einer ganz besonderen Kunstauffassung, erklärt Wolfgang Holler, Generaldirektor der Museen der Klassik Stiftung Weimar.
"Die Linie ist das Fundament der Gestaltung, und die Linie ist natürlich per se autonom, sie hat ihren eigenen Charakter, ihre eigene Emotionalität, sie kann sehr, sagen wir mal, ondulierend sein, aber sie wird dann auch ganz streng bei ihm. Die Kunst ist eigentlich dekorativ, die ist nicht l’art pour l‘art, sondern sie ist etwas, was immer einen Zweck hat. Sie muss etwas Funktionales haben, sie muss Schönheit und Zweck verbinden."
Im Laufe der Jahre wird seine Kunst immer abstrakter, aber stets bleibt diese unbändige Sinnlichkeit. An die 800 Einzelstücke werden in Weimar gezeigt: Teile des Berliner Friseursalons Haby, das ist noch reinster Jugendstil, Möbel des Bankiers Wolff und viel Silber und viel Porzellan. Exponate aus eigenen Beständen und Leihgaben aus Zürich und Bern, aus ganz Deutschland, aus den Niederlanden und natürlich aus Belgien.
Die Architektur kommt zu kurz. Vier Architekturmodelle werden gezeigt, und wer mehr wissen will, muss in der Stadt auf Spurensuche gehen. Sein Wohnhaus "Hohe Pappeln", das "Nietzsche Archiv" und natürlich die Hochschulbauten können besichtigt werden. Dort wird am kommenden Wochenende der Architekt Van der Velde mit einer weiteren Ausstellung geehrt. Im Oberlichtsaal sind dann 24 virtuelle Gebäude des Architekten zu sehen.
1917 musste Henry van de Velde Weimar verlassen. Der ungeliebte Ausländer wurde aus der Stadt getrieben. Ein trauriges Kapitel, das Christoph Matschie, Kulturminister in Thüringen, nicht verschweigen will.
"Henry van de Velde hat hier seine vielleicht wichtigste Schaffens-periode gehabt, aber er ist auch aus Weimar vertrieben worden. Wir wollen ihn jetzt würdigen als großen Künstler, als Wegbereiter des Bauhauses und damit auch ein Stück Wiedergutmachung an diesem Menschen leisten."
Eine erste Wiedergutmachung fand schon 1957 statt, damals wurde Henry van der Velde Ehrendekan der Weimarer Hochschule für Architektur und Bauwesen. Zu dieser Zeit war in der DDR das Bauhaus verfemt und kein Mensch hätte behauptet, dass Van de Velde ein Wegbereiter des Bauhauses sei. Jetzt hört man das an jeder Ecke. Doch die behauptete Kontinuität ist vor allem ein Marketing-Trick, um das Weimarer Bauhaus neben Dessau und Berlin ins rechte Licht zu rücken.
Das wirkt bisweilen penetrant. Sicher, 1915 hatte Van de Velde Walter Gropius als seinen Nachfolger ins Spiel gebracht, doch das begründet noch lange nicht die behauptete Kontinuität. Schließlich zeigt die Ausstellung ein Potential, das in Weimar damals keiner nutzen wollte. Nach dem Inferno des Ersten Weltkrieges standen die Zeichen auf Neubeginn, auch das Bauhaus wollte noch einmal ganz von vorn anfangen, während Henry van de Velde jenseits vom Bauhaus noch ein langes, produktives Künstlerleben hatte.
Wolfgang Holler, Generaldirektor der Weimarer Museen: "Sie müssen einfach verstehen, das Bauhaus wird hier sehr stark pointiert. Uns war wichtig, Van de Velde natürlich aus eigenem Recht zu zeigen, in seinem eigenen Kosmos zu zeigen. Und was ganz schön ist, Sie sehen ja, wie er sich von Jugendstil weg entwickelt, und er geht immer weiter weg und entwickelt sich zu einem internationalen Stil, sehr versachlicht, der natürlich gar nichts Lokales hat, sondern eine europäische Formensprache ist, aber immer auf eine sehr individuelle Weise, also der Gedanke des Humanen, und was immer wieder betont, dass der Künstler auch ethisch denken muss, spiegelt sich immer wieder. Also hier soll Van de Velde schon Van de Velde sein und kein Vorläufer des Bauhauses."
Der europäische Freigeist Van de Velde ist in Weimar am Nationalismus gescheitet. Er musste an anderen Orten weiterarbeiten. Das Bauhaus wurde ein paar Jahre später auch aus Weimar vertrieben, doch das ist eine ganz andere Geschichte.
Links auf dradio.de:
Der Großmeister des Jugendstils- Ursula Muscheler: "Möbel, Kunst und feine Nerven. Henry van de Velde und der Kultus der Schönheit 1895-1914"
Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar: "Ja, man möchte sie gerne benutzen, das ist schon so. Und ich glaube, Van de Velde wäre derjenige, der am meisten Verständnis dafür hätte, denn genau deswegen hat er sie ja so schmeichlerisch für den Körper gestaltet, das gilt für die Bestecke, das gilt aber auch für die Stühle. Und es ist ja schade, dass wir sie jetzt ins Museum bannen, ja, aber das ist wirklich jetzt mal der Lauf der Zeit."
Henry van der Velde wurde vor 150 Jahren, am 3. April 1863, in Antwerpen geboren. In seiner Heimatstadt und später in Paris wurde er zunächst Maler. Doch er war unzufrieden und orientierte sich neu.
"Die Kunst ist aus dem Leben heraus. Sie ist im Museum, sie ist bei den reichen Leuten. Man muss sie dorthin bringen, wo wir leben. Und deswegen hört Van de Velde auf zu malen, weil er will zu den Menschen, wo die sind, wo die leben. Und deswegen muss er Stühle machen und nicht schöne Rückenakte malen. Er will den Lebensraum des Menschen zu einem Gestaltungsereignis machen. Und ich glaube, das sieht man in dieser Ausstellung, obwohl man sich auf die Sofas nicht mehr drauf werfen darf."
Van de Velde konnte einfach alles: Bilder, Kinderzimmer, Essgeschirr, Häuser, Mode und Sitzbänke für die Eisenbahn. Ein "Alleskünstler", ein Mensch im Fadenkreuz der aufkeimenden Moderne, die durch ihn in Weimar ein Zentrum hatte. Ein Künstler mit einer ganz besonderen Kunstauffassung, erklärt Wolfgang Holler, Generaldirektor der Museen der Klassik Stiftung Weimar.
"Die Linie ist das Fundament der Gestaltung, und die Linie ist natürlich per se autonom, sie hat ihren eigenen Charakter, ihre eigene Emotionalität, sie kann sehr, sagen wir mal, ondulierend sein, aber sie wird dann auch ganz streng bei ihm. Die Kunst ist eigentlich dekorativ, die ist nicht l’art pour l‘art, sondern sie ist etwas, was immer einen Zweck hat. Sie muss etwas Funktionales haben, sie muss Schönheit und Zweck verbinden."
Im Laufe der Jahre wird seine Kunst immer abstrakter, aber stets bleibt diese unbändige Sinnlichkeit. An die 800 Einzelstücke werden in Weimar gezeigt: Teile des Berliner Friseursalons Haby, das ist noch reinster Jugendstil, Möbel des Bankiers Wolff und viel Silber und viel Porzellan. Exponate aus eigenen Beständen und Leihgaben aus Zürich und Bern, aus ganz Deutschland, aus den Niederlanden und natürlich aus Belgien.
Die Architektur kommt zu kurz. Vier Architekturmodelle werden gezeigt, und wer mehr wissen will, muss in der Stadt auf Spurensuche gehen. Sein Wohnhaus "Hohe Pappeln", das "Nietzsche Archiv" und natürlich die Hochschulbauten können besichtigt werden. Dort wird am kommenden Wochenende der Architekt Van der Velde mit einer weiteren Ausstellung geehrt. Im Oberlichtsaal sind dann 24 virtuelle Gebäude des Architekten zu sehen.
1917 musste Henry van de Velde Weimar verlassen. Der ungeliebte Ausländer wurde aus der Stadt getrieben. Ein trauriges Kapitel, das Christoph Matschie, Kulturminister in Thüringen, nicht verschweigen will.
"Henry van de Velde hat hier seine vielleicht wichtigste Schaffens-periode gehabt, aber er ist auch aus Weimar vertrieben worden. Wir wollen ihn jetzt würdigen als großen Künstler, als Wegbereiter des Bauhauses und damit auch ein Stück Wiedergutmachung an diesem Menschen leisten."
Eine erste Wiedergutmachung fand schon 1957 statt, damals wurde Henry van der Velde Ehrendekan der Weimarer Hochschule für Architektur und Bauwesen. Zu dieser Zeit war in der DDR das Bauhaus verfemt und kein Mensch hätte behauptet, dass Van de Velde ein Wegbereiter des Bauhauses sei. Jetzt hört man das an jeder Ecke. Doch die behauptete Kontinuität ist vor allem ein Marketing-Trick, um das Weimarer Bauhaus neben Dessau und Berlin ins rechte Licht zu rücken.
Das wirkt bisweilen penetrant. Sicher, 1915 hatte Van de Velde Walter Gropius als seinen Nachfolger ins Spiel gebracht, doch das begründet noch lange nicht die behauptete Kontinuität. Schließlich zeigt die Ausstellung ein Potential, das in Weimar damals keiner nutzen wollte. Nach dem Inferno des Ersten Weltkrieges standen die Zeichen auf Neubeginn, auch das Bauhaus wollte noch einmal ganz von vorn anfangen, während Henry van de Velde jenseits vom Bauhaus noch ein langes, produktives Künstlerleben hatte.
Wolfgang Holler, Generaldirektor der Weimarer Museen: "Sie müssen einfach verstehen, das Bauhaus wird hier sehr stark pointiert. Uns war wichtig, Van de Velde natürlich aus eigenem Recht zu zeigen, in seinem eigenen Kosmos zu zeigen. Und was ganz schön ist, Sie sehen ja, wie er sich von Jugendstil weg entwickelt, und er geht immer weiter weg und entwickelt sich zu einem internationalen Stil, sehr versachlicht, der natürlich gar nichts Lokales hat, sondern eine europäische Formensprache ist, aber immer auf eine sehr individuelle Weise, also der Gedanke des Humanen, und was immer wieder betont, dass der Künstler auch ethisch denken muss, spiegelt sich immer wieder. Also hier soll Van de Velde schon Van de Velde sein und kein Vorläufer des Bauhauses."
Der europäische Freigeist Van de Velde ist in Weimar am Nationalismus gescheitet. Er musste an anderen Orten weiterarbeiten. Das Bauhaus wurde ein paar Jahre später auch aus Weimar vertrieben, doch das ist eine ganz andere Geschichte.
Links auf dradio.de:
Der Großmeister des Jugendstils- Ursula Muscheler: "Möbel, Kunst und feine Nerven. Henry van de Velde und der Kultus der Schönheit 1895-1914"