Einführung in die Geheimnisse des Buchdrucks und der Typografie
Ulf Erdmann Ziegler erzählt in seinem dritten Roman einen weiblichen Bildungsroman und eine Initiationsgeschichte. Seine Protagonistin Marleen Schuller leidet an einer leichten Legasthenie. Und hat sich gerade deshalb der Erfindung einer idealen Schrift verschrieben.
Marleen Schuller, geboren Mitte der sechziger Jahre, leidet an einer leichten Legasthenie, und gerade deshalb hat sie sich der Erfindung einer idealen Schrift verschrieben. Ulf Erdmann Ziegler erzählt in seinem dritten Roman einen weiblichen Bildungsroman und eine Initiationsgeschichte – eine Einführung in die Geheimnisse des Buchdrucks und der Typografie, was einerseits ein abgelegenes, andererseits für einen Roman als Schrift-Werk eben auch sehr zentrales, poetologisch-philosophisch-medientheoretisch aufgeladenes Thema ist.
Marleens Weg führt unter anderem ins Buchdruckmekka Nördlingen und nach Paris zum Meister der Schriftzeichen – Titus Passeraub sein Name, der selbst nach einer noch zu erfindenden Schrift klingt. In den Passagen über Typografie spürt man, dass der Autor sich bestens auskennt. Trotzdem sind Typografen bei der Arbeit nicht gerade literarische Aufreger.
Das Milieu, aus dem die "Buchstabenmönchin" kommt, ist bildungsnah und wohlhabend, weitgehend sorgenfrei. Marleens Mutter illustriert Bücher, Vater Petrus Schuller macht Karriere in einer Werbeagentur und entwirft die Kampagne, die zur Durchsetzung des Tampons gegenüber der herkömmlichen Monatsbinde führt (schön, wenn der Beruf einer Figur nebenbei so viel Sittengeschichte abwirft).
Aber es gibt auch Lebenskrisen in diesem Buch. Petrus verlässt seine Frau und die vier Kinder und geht nach Poona, auf der Suche nach Sinn. Die Schwester hat es frömmelnd mit dem Katholizismus. Marleen wird in schwangerem Zustand von ihrer großen Liebe Franz verlassen, einem großen Verschwinder, der lieber als Franziskus ins Priesterkonvent geht. Später stirbt jemand elend an Aids – wir sind schließlich in den Achtzigern. Aber all dies kommt sehr beiläufig und undramatisch daher. Ein bisschen mehr Pathos möchte man Ziegler für kommende Romane empfehlen.
Verknappte feuilletonistische Ortsbegehungen gehören dagegen zu den Stärken dieses Autors. Er liest die Räume wie Zeichensysteme und dechiffriert Atmosphären von Straßen und Wohnanlagen: die Neubausiedlung Pomona in Neuss, das Düsseldorfer Altbierrevier, die Baguette-Metropole Paris und schließlich, als Krönung jeder kreativen Biografie, New York, wo auch für die beruflich erfolgreiche Marleen das Ende des Gutenberg-Zeitalters anbricht. Nicht aber das Ende der Schrift.
Der Roman hat kulturgeschichtliche Ambitionen: Aufbruch in die zweite Moderne, Ostermärsche und Afri-Cola in den Sechzigern, sexuelle Durchbrüche, Sinnsuche und Ölkrise in den Siebzigern, New Wave in den Achtzigern – die Bebilderung ist jederzeit stimmig, man könnte allerdings auch sagen: verläuft in gewohnten Bahnen. Es ist etwas viel Zeitgeistschnupperei in diesem Roman, und bei manchen Schilderungen (etwa der Wohngemeinschafts- und Kunsthochschulszenen in Kassel) fragt man sich, warum dergleichen nun unbedingt Roman werden musste.
Ziegler schreibt einen eigenständig-eigenwilligen Stil, sowohl verdichtet wie detailsüchtig. Figuren und Dinge, Mienen und Gebärden werden liebevoll, oft geradezu zärtlich beschrieben. Ungewöhnliche sprachliche Bilder und Metaphern (einige sind großartig und epiphanisch, andere weniger) erfordern ein entschleunigtes Lesetempo.
Manches klingt preziös: "Es sind zwei Welten, die Nacht und der Tag, und der Kanal, der sie verbindet, obliegt der Obhut eines umsichtigen Schleusenwärters." Manches verunglückt: "Die Straßen sind plötzlich überfroren, knirschen, als hätte die Erde eine Gänsehaut bekommen."
So bleibt der Gesamteindruck zwiespältig: Ein Buch, das sich wohltuend abhebt vom Romaneinerlei und durch intelligentes Erzählen überzeugt, das bisweilen aber auch gepflegte Langeweile ausstrahlt.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Ulf Erdmann Zieger: Nichts Weißes
Roman
Suhrkamp, Berlin 2012
260 Seiten, 19,95 Euro
Marleens Weg führt unter anderem ins Buchdruckmekka Nördlingen und nach Paris zum Meister der Schriftzeichen – Titus Passeraub sein Name, der selbst nach einer noch zu erfindenden Schrift klingt. In den Passagen über Typografie spürt man, dass der Autor sich bestens auskennt. Trotzdem sind Typografen bei der Arbeit nicht gerade literarische Aufreger.
Das Milieu, aus dem die "Buchstabenmönchin" kommt, ist bildungsnah und wohlhabend, weitgehend sorgenfrei. Marleens Mutter illustriert Bücher, Vater Petrus Schuller macht Karriere in einer Werbeagentur und entwirft die Kampagne, die zur Durchsetzung des Tampons gegenüber der herkömmlichen Monatsbinde führt (schön, wenn der Beruf einer Figur nebenbei so viel Sittengeschichte abwirft).
Aber es gibt auch Lebenskrisen in diesem Buch. Petrus verlässt seine Frau und die vier Kinder und geht nach Poona, auf der Suche nach Sinn. Die Schwester hat es frömmelnd mit dem Katholizismus. Marleen wird in schwangerem Zustand von ihrer großen Liebe Franz verlassen, einem großen Verschwinder, der lieber als Franziskus ins Priesterkonvent geht. Später stirbt jemand elend an Aids – wir sind schließlich in den Achtzigern. Aber all dies kommt sehr beiläufig und undramatisch daher. Ein bisschen mehr Pathos möchte man Ziegler für kommende Romane empfehlen.
Verknappte feuilletonistische Ortsbegehungen gehören dagegen zu den Stärken dieses Autors. Er liest die Räume wie Zeichensysteme und dechiffriert Atmosphären von Straßen und Wohnanlagen: die Neubausiedlung Pomona in Neuss, das Düsseldorfer Altbierrevier, die Baguette-Metropole Paris und schließlich, als Krönung jeder kreativen Biografie, New York, wo auch für die beruflich erfolgreiche Marleen das Ende des Gutenberg-Zeitalters anbricht. Nicht aber das Ende der Schrift.
Der Roman hat kulturgeschichtliche Ambitionen: Aufbruch in die zweite Moderne, Ostermärsche und Afri-Cola in den Sechzigern, sexuelle Durchbrüche, Sinnsuche und Ölkrise in den Siebzigern, New Wave in den Achtzigern – die Bebilderung ist jederzeit stimmig, man könnte allerdings auch sagen: verläuft in gewohnten Bahnen. Es ist etwas viel Zeitgeistschnupperei in diesem Roman, und bei manchen Schilderungen (etwa der Wohngemeinschafts- und Kunsthochschulszenen in Kassel) fragt man sich, warum dergleichen nun unbedingt Roman werden musste.
Ziegler schreibt einen eigenständig-eigenwilligen Stil, sowohl verdichtet wie detailsüchtig. Figuren und Dinge, Mienen und Gebärden werden liebevoll, oft geradezu zärtlich beschrieben. Ungewöhnliche sprachliche Bilder und Metaphern (einige sind großartig und epiphanisch, andere weniger) erfordern ein entschleunigtes Lesetempo.
Manches klingt preziös: "Es sind zwei Welten, die Nacht und der Tag, und der Kanal, der sie verbindet, obliegt der Obhut eines umsichtigen Schleusenwärters." Manches verunglückt: "Die Straßen sind plötzlich überfroren, knirschen, als hätte die Erde eine Gänsehaut bekommen."
So bleibt der Gesamteindruck zwiespältig: Ein Buch, das sich wohltuend abhebt vom Romaneinerlei und durch intelligentes Erzählen überzeugt, das bisweilen aber auch gepflegte Langeweile ausstrahlt.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Ulf Erdmann Zieger: Nichts Weißes
Roman
Suhrkamp, Berlin 2012
260 Seiten, 19,95 Euro