Einführung in die Theorie der Vielfalt der Arten

Der Konstanzer Autor von Sachbuch-Bestsellern Ernst-Peter Fischer nähert sich in seinem neuen Buch der Geschichte des Lebens so bunt und lebendig wie die Evolution selbst. Anlässlich des 200. Geburtstags von Charles Darwin präsentiert die historische Einführung optisch aufwändig das Werk des Evolutionstheoretikers.
"Die Schöpfung ist niemals vollendet. Sie ist immer geschäftig, neue Dinge und neue Welten hervorzubringen." Mit diesem Kant-Zitat beginnt programmatisch das neue Buch des bekannten Konstanzer Wissenschaftshistorikers Ernst Peter Fischer. Zum Darwin-Jahr 2009 fächert "Das große Buch der Evolution" eine Vielzahl an Themen auf, die zu einem tieferen Verständnis der Geschichte des Lebendigen beitragen sollen. Ganz Autor populärwissenschaftlicher Werke nähert sich Ernst-Peter Fischer der Geschichte des Lebens so bunt und lebendig wie die Evolution selbst - in assoziativen Wellen und Schlenkern:

Die historische Einführung präsentiert nicht nur Darwins Leben und Denken, sondern beschreibt auch den allgemeinen Stand der damaligen Wissenschaft - zum Beispiel die große Begeisterung für die Geografie - und macht mit Darwins Vordenkern bekannt. Erfreulich viel Platz widmet Fischer hier Jean Baptiste Lamarck. Dem französischen Naturforscher wird von der Nachwelt Unrecht getan, wenn sie ihn nur als denjenigen erinnert, der von einer Vererblichkeit erworbener Eigenschaften ausging. Einmal davon abgesehen, dass Charles Darwin bis zum Ende seines Lebens ebenfalls davon ausging, dass sich erworbene Eigenschaften durchaus hier und da vererben können - was auch im Licht moderner Epigenetik möglicherweise gar nicht so falsch ist -, gebührt Lamarck die Ehre, als Erster eine Evolution des Lebens über lange Zeiträume hinweg überhaupt ins Auge gefasst zu haben.

"Wunder der Natur" heißt der zweite Teil des Evolutionsbuches. Hier geht es um die ganze Pracht dessen, was die Geschichte des Lebens an Vielfalt, an Erstaunlichem und Absonderlichem hervorgebracht hat. Mit leuchtendem Tiefsee-Getier macht der Autor bekannt, mit Orchideenblüten und dem ausgeklügeltem Sozialleben in Bienenstöcken. Dazwischen streut er mit leichter Hand Grundsätzliches zum Verständnis der Evolutionstheorie. Die Evolution des Soziallebens Staaten bildender Insekten etwa lässt sich nur erklären, wenn man sich genau darüber Gedanken macht, an welchem Punkt die Selektion eigentlich zum Tragen kommt. Mit dem Weitblick desjenigen, der die Wissenschaft aus der Vogelperspektive betrachtet und sich nicht in Detailfragen aufreiben muss, wagt sich Fischer sogar daran, der Wissenschaft Vorschläge für künftige Forschungsprogramme zu unterbreiten - so mahnt er die Integration vorhandenen Detailwissens, beispielsweise über genetische Prozesse, in übergeordnete, neu zu fassende Konzepte an.

Ein besonderes Lob hat die Auswahl der Bilder verdient, für die Simone Fischer verantwortlich zeichnet. Was dieses Buch optisch bietet, geht weit über eine schlichte Illustrierung hinaus und hebt sich auch von einem ausschließlich ästhetisierenden Umgang mit der Natur ab, wie man ihn im großformatigen Natursachbuch derzeit häufig findet. Die 400 Abbildungen in "Das große Buch der Evolution" bieten einen eigenen Schauplatz, auf dem Ironie, Hintersinn, offene Fragen und mitunter ein großes Staunen verhandelt werden: Das beginnt mit dem weitwinklig fotografierten Mitarbeiter eines Naturkundemuseums, der sich zwischen endlosen Reihen aufgespießter Käfer bewegt - die ungeheure Vielfalt des Lebens wirkt hier geradezu erdrückend. Es geht weiter mit dem pechschwarzen Fregattvogel, der zur Balz seinen aufgeblähten, scharlachroten Kehlkopf präsentiert - gleich daneben das Foto eines amerikanischen Multimilliardärs im schwarzen Anzug vor seiner knallroten Luxuskarosse. Und mancher Inhalt wurde wohl vor allem deshalb in das Buch aufgenommen, weil sich optisch so viel daraus machen lässt - "Im Reich der Sinne" oder "Die Welt der Farben" heißen die entsprechenden Kapitel.

Der fließende Übergang zwischen Biologie, Kultur, Tier und Mensch gehört zum kurzweiligen Konzept des Buches. Leider gerät Fischer vor allem an diesen Schnittstellen viel zu häufig ins Spekulieren. Mit dem Gestus des arrivierten Autors, der viel weiß und deshalb meint, sich nicht näher begründen zu müssen, redet er über die Schönheit von Frauen und den Affen im Manne, über zu viel Fernsehgenuss als quasi-biologische Ursache zunehmender Depressionen (laut Fischer sind wir auf Konkurrenz in der Horde getrimmt und können beim TV-Vergleich mit Superstars nur kläglich scheitern) und präsentiert die Evolutionäre Erkenntnistheorie von Konrad Lorenz wie den letzten Schrei - mit solider Sachbuchinformation haben solche Plaudereien nicht mehr viel zu tun. Besonders im Schlussteil fehlt die klärende Hand des Lektorats - schade für ein ansonsten schönes Buch.

Rezensiert von Susanne Billig

Ernst P. Fischer: Das große Buch der Evolution,
Fackelträger Verlag Köln, 416 Seiten, 400 Abbildungen, 39,95 €