Gesine Palmer, geb. 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind "Religion, Psychologie und Ethik" – im Kleinklein der menschlichen Beziehungen wie im Großgroß der Politik.
Nahöstlicher "Regime-Change" ist gescheitert
Die Politik, Regierungswechsel von außen und auf Druck von Großmächten durchzusetzen, sei gescheitert, meint die Religionsphilosophin Gesine Palmer. Deswegen müssten die Gesellschaften des Nahen Osten ihren Frieden selbst finden.
Es war einmal ein Land, das mit einem bestialischen Krieg und einem systematischen Massenmord von bis dahin ungekanntem Ausmaß unsägliches Leid über die Menschheit und über die Welt gebracht hat. Es wurde schließlich verlustreich von einer eigens gegründeten Staatenallianz niedergerungen.
Die Bewohner im Westteil des daraufhin geteilten Landes lernten bald, ihre alliierten Besatzer zu lieben. Allmählich fanden sie wohlwollende Aufnahme in internationalen Bündnissen und Organisationen, zuletzt gar als geeintes Deutschland.
Dies ist die Kurzform der Erzählung von der wundersamen Verwandlung eines Verbrecherstaates in ein Musterländle von Demokratie, Menschenrecht und Wirtschaftskraft.
Deutsche Erzählung vom Regimewechsel ist nicht wiederholbar
Die Westintegration der Westdeutschen gelang, weil auf die militärische Niederlage eine Mischung aus politischem Druck, internationaler Einbindung und finanzieller Hilfe folgte. Seither scheint der Westen zu erwarten, dass erzwungene Regimewechsel so ablaufen. Doch die deutsche Erzählung will sich anderswo auf der Welt nicht wiederholen.
Als Irak, Afghanistan oder Libyen nach westlichen Militäreinsätzen nicht reumütig, tüchtig und strebsam wiederauferstanden wie einst das besiegte Deutschland, sondern nur noch tiefer in Bürgerkrieg, Chaos und Terror abglitten, war das Erstaunen groß und ehrlich.
Denn die Alliierten der Neuzeit meinten offenbar wirklich, nur dem mühselig erarbeiteten Konzept der "Responsibility to Protect" gefolgt zu sein, mit dem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seit 2005 militärische Eingriffe in nationale Konflikte legitimieren kann.
Dieses Konzept aber ist heute schon wieder umstritten wie und eh. Und das nicht ohne Grund. Nicht, weil die ziemlich autoritär geführten Mächte China und Russland immer schon durch ihr Veto Einsätze mit dem Ziel, eine Diktatur zu stürzen, blockierten. Sondern der Skrupel wegen, dass sich ein westliches Bündnis – ob mit oder ohne Mandat der UNO – übernimmt, wenn es fern ab in fremden Welten ordnend einzugreifen versucht. Spätestens, wenn es um die Nachsorge geht.
Interventionen provozieren Flucht nach Europa
Der letzte gestürzte Diktator, Muammar al-Gaddafi in Libyen, hatte vor seinem gewaltsamen Tod vorausgesagt, was die Folge sein werde. Wer wirklich anders leben wolle, der bleibe nicht im Nahen Osten, um abzuwarten, ob ein Islamist, ein Amerikaner oder ein Russe ihn töten werde: Er gehe nach Europa.
So ist es gekommen. Unter dem Ansturm der Flüchtlingswanderung übers Mittelmeer müssen wir auch die "Responsibility to Protect" realistischer definieren. Selbstverständlich dürfen wir dafür sorgen, die eigenen Außengrenzen zu sichern und Flüchtende solidarisch, aber reguliert einreisen zu lassen.
Zu einem sinnvollen Begriff von Schutzverantwortung gehört es sicher auch, in der Region mit UN-Mandat Zonen zu schaffen, zu schützen und zu unterstützen, in denen sich Flüchtlinge vorübergehend aufhalten können. Es gehört dazu ebenfalls die humanitäre und wirtschaftliche Kooperation mit halbwegs soliden Gruppen, die überschaubare Gebiete verteidigen und bewohnbar halten, beispielsweise mit den Kurden.
Nahost muss Frieden ohne Einmischung finden
Jenseits dessen aber sollte europäische Außenpolitik einsehen, dass Gesellschaften des Nahen Ostens ihren eigenen "Westfälischen Frieden" finden müssen. Der Prozess liegt in ihrer Verantwortung. Unsere Verantwortung besteht zuerst darin, tatsächlich nicht mehr als "imperialistische" Macht aufzutreten.
Solange das westliche Bündnis militärisch außerhalb seiner eigenen Grenzen operiert und Regime-Changes ausdrücklich anstrebt, wird es nicht nur zum Blitzableiter lokaler und innerkultureller Konflikte. Es behindert durch eine zu aktive und zu dominante Einmischung wieder nur die dringend nötige Entwicklung der Eigenverantwortung in den arabischen Gesellschaften.