Einheitsprozess als Paargeschichte
Ein Panorama deutsch-deutscher Beziehungen liefert Angelika Klüssendorf mit dem Band "Amateure". Charakteristisch für ihre miteinander verwobenen Erzählungen: Es gelingt der Autorin immer wieder, die Tragik eines ganzen Lebens in einem einzigen Satz zu verdichten.
Daniel Kehlmann hätte dieses Buch vielleicht als "Roman in elf Geschichten" bezeichnet. Angelika Klüssendorf bleibt bei der schlichten Benennung "Erzählungen". Doch auch ihre Geschichten sind - wie die von Kehlmann - miteinander verwoben. Paare kommen in unterschiedlichen Konstellationen vor, die Eltern tauchen auf, Bruder, Freunde und Jugendfreunde und ein Sohn aus erster Ehe.
Die Zusammenhänge sind dezent in die Texte eingewoben, man muss sie aus den Andeutungen selbst herstellen - oder auch nicht: Jede der Erzählungen ist auch für sich lesbar. Doch zusammen bilden diese Short Cuts ein Panorama deutsch-deutscher Beziehungen.
"Amateure" heißt das neue Buch von Angelika Klüssendorf, die 1958 in Ahrensburg geboren wurde, 1961 in die DDR kam, dort aufwuchs und 1985 in die Bundesrepublik übersiedelte. Auch ihre Erzählungen sind ganz dem Ost-West-Kontext verbunden und reichen vom Tag des Mauerfalls, dem 9. November 1989, bis zu einer seltsamen Feier des Tags der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 und tiefer hinein in die 90er-Jahre.
In immer neuen Anläufen wird der Einheitsprozess als Paargeschichte erzählt. Stets sind die Männer die Westler. Sie sind Zahnärzte oder Fernsehmacher, Jaguar fahrende Großkotze die Sätze sagen wie: "Sie wissen wohl nicht, wer ich bin." Und wenn sie ihrer Ost-Frau die weite Welt in Gestalt der Wüste Nevada zeigen, sagen sie: "Da staunst du, was?", bevor die Frau hitzegeschwächt in Ohnmacht fällt.
Dass das Ganze trotzdem nicht ins Klischee abrutscht, hat mit der genauen Sprache Klüssendorfs zu tun. Das Deutsch-Deutsche gibt nur den Hintergrund, doch wichtiger ist ihr die Analyse der Gefühle, die präzise Beschreibung der Annäherungen und der Verfehlungen und der kalte Blick auf die immer wieder neu und anders scheiternden Liebesversuche.
Gerade hier, in der Liebe und in der Regieführung über das eigene Leben sind ihre Figuren unverbesserliche "Amateure". Die Metamorphosen, die ihre Körper und ihre Empfindungen durchlaufen, erstaunen auch sie selbst.
Die Geschichte über ein altes, seit 50 Jahren verheiratetes Ehepaar beginnt mit dem Satz:
"Er konnte sie nicht mehr riechen."
Und das ist ganz wörtlich gemeint. Die Geschichte von Steffen und Katharina endet mit dem Satz:
"Aus den Augenwinkeln sah sie einen Mann schnell auf sich zukommen, und es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass es Steffen war."
Jedes der insgesamt vier Paare kommt in zwei verschiedenen Geschichten vor. Klüssendorf wechselt dabei die Perspektive, und erzählt einmal aus seiner, dann aus ihrer Sicht. So lässt sich gerade aus der Differenz, aus dem Ungesagten und Ausgesparten ablesen, woran Beziehungen scheitern.
Angelika Klüssendorf schreibt straff und klar, ihre Geschichten sind mit wenigen Linien scharf konturiert. Die Augenblicke, die sie auswählt, machen die Figuren transparent. Darin besteht die große Kunst der Kurzgeschichte, die sie meisterhaft beherrscht. Es gelingt ihr immer wieder, die Tragik eines ganzen Lebens in einem einzigen Satz zu verdichten. So wie im Fall des Mannes, der gewissermaßen aus Todessehnsucht zum Bankräuber wird und über den es heißt:
"Er spürte, dass er die Luft anhielt, und plötzlich wusste er, dass er seinen Atem immer flach gehalten hatte, sein ganzes Leben lang."
Als er schließlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt, erinnert er sich als Letztes an seine Jugendliebe Pawel, und es wird klar, dass er, der mit Frauen nichts anfangen konnte, sein Leben und seine Liebe verpasst hat.
Das verpasste Leben, die vertane Möglichkeit, das Aneinandervorbeigehen und Nebeneinanderherleben sind die großen Themen dieser Erzählungen. Dass es zugleich Ost-West-Geschichten sind, lädt sie vielleicht zu sehr mit politischer Bedeutung auf, was gar nicht nötig wäre.
Es sind Szenen, die sich manchmal hart am Rand des Kitschverdachts bewegen. Aber Angelika Klüssendorf trotzt auch dieser Gefahr, weil die Erzählerin nie ihre nüchterne, sachliche Beobachtungsposition verlässt.
Rezensiert von Jörg Magenau
Angelika Klüssendorf: Amateure. Erzählungen
S.Fischer, Frankfurt/Main 2009
144 Seiten, 16,95 Euro
Die Zusammenhänge sind dezent in die Texte eingewoben, man muss sie aus den Andeutungen selbst herstellen - oder auch nicht: Jede der Erzählungen ist auch für sich lesbar. Doch zusammen bilden diese Short Cuts ein Panorama deutsch-deutscher Beziehungen.
"Amateure" heißt das neue Buch von Angelika Klüssendorf, die 1958 in Ahrensburg geboren wurde, 1961 in die DDR kam, dort aufwuchs und 1985 in die Bundesrepublik übersiedelte. Auch ihre Erzählungen sind ganz dem Ost-West-Kontext verbunden und reichen vom Tag des Mauerfalls, dem 9. November 1989, bis zu einer seltsamen Feier des Tags der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 und tiefer hinein in die 90er-Jahre.
In immer neuen Anläufen wird der Einheitsprozess als Paargeschichte erzählt. Stets sind die Männer die Westler. Sie sind Zahnärzte oder Fernsehmacher, Jaguar fahrende Großkotze die Sätze sagen wie: "Sie wissen wohl nicht, wer ich bin." Und wenn sie ihrer Ost-Frau die weite Welt in Gestalt der Wüste Nevada zeigen, sagen sie: "Da staunst du, was?", bevor die Frau hitzegeschwächt in Ohnmacht fällt.
Dass das Ganze trotzdem nicht ins Klischee abrutscht, hat mit der genauen Sprache Klüssendorfs zu tun. Das Deutsch-Deutsche gibt nur den Hintergrund, doch wichtiger ist ihr die Analyse der Gefühle, die präzise Beschreibung der Annäherungen und der Verfehlungen und der kalte Blick auf die immer wieder neu und anders scheiternden Liebesversuche.
Gerade hier, in der Liebe und in der Regieführung über das eigene Leben sind ihre Figuren unverbesserliche "Amateure". Die Metamorphosen, die ihre Körper und ihre Empfindungen durchlaufen, erstaunen auch sie selbst.
Die Geschichte über ein altes, seit 50 Jahren verheiratetes Ehepaar beginnt mit dem Satz:
"Er konnte sie nicht mehr riechen."
Und das ist ganz wörtlich gemeint. Die Geschichte von Steffen und Katharina endet mit dem Satz:
"Aus den Augenwinkeln sah sie einen Mann schnell auf sich zukommen, und es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass es Steffen war."
Jedes der insgesamt vier Paare kommt in zwei verschiedenen Geschichten vor. Klüssendorf wechselt dabei die Perspektive, und erzählt einmal aus seiner, dann aus ihrer Sicht. So lässt sich gerade aus der Differenz, aus dem Ungesagten und Ausgesparten ablesen, woran Beziehungen scheitern.
Angelika Klüssendorf schreibt straff und klar, ihre Geschichten sind mit wenigen Linien scharf konturiert. Die Augenblicke, die sie auswählt, machen die Figuren transparent. Darin besteht die große Kunst der Kurzgeschichte, die sie meisterhaft beherrscht. Es gelingt ihr immer wieder, die Tragik eines ganzen Lebens in einem einzigen Satz zu verdichten. So wie im Fall des Mannes, der gewissermaßen aus Todessehnsucht zum Bankräuber wird und über den es heißt:
"Er spürte, dass er die Luft anhielt, und plötzlich wusste er, dass er seinen Atem immer flach gehalten hatte, sein ganzes Leben lang."
Als er schließlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt, erinnert er sich als Letztes an seine Jugendliebe Pawel, und es wird klar, dass er, der mit Frauen nichts anfangen konnte, sein Leben und seine Liebe verpasst hat.
Das verpasste Leben, die vertane Möglichkeit, das Aneinandervorbeigehen und Nebeneinanderherleben sind die großen Themen dieser Erzählungen. Dass es zugleich Ost-West-Geschichten sind, lädt sie vielleicht zu sehr mit politischer Bedeutung auf, was gar nicht nötig wäre.
Es sind Szenen, die sich manchmal hart am Rand des Kitschverdachts bewegen. Aber Angelika Klüssendorf trotzt auch dieser Gefahr, weil die Erzählerin nie ihre nüchterne, sachliche Beobachtungsposition verlässt.
Rezensiert von Jörg Magenau
Angelika Klüssendorf: Amateure. Erzählungen
S.Fischer, Frankfurt/Main 2009
144 Seiten, 16,95 Euro