Die erste gesamtdeutsche Folkband
Schon in den 1980er Jahren war die Ostberliner Band JAMS Volkstanzwütigen und Folkenthusiasten ein Begriff. Nach der Wende wurde sie zur ersten gesamtdeutschen Folkband, wobei sie strenggenommen eigentlich eine norddeutsche Band ist.
Volkstanzwütigen und Folkenthusiasten ist die Ost-Berliner Band "Jams" immer noch ein Begriff. Ihre Geschichte geht bis weit in die 80er-Jahre zurück und erfuhr eine ungeahnte Wendung, als JAMS nach dem Mauerfall 1989 das erste gesamtdeutsche Folkprojekt werden sollte. Das war in erster Linie das Verdienst der Folkmusiker Wolfgang Meyering und Jo Meyer. Holger Beythien hat die beiden Musiker 25 Jahre nach ihrer ersten Begegnung getroffen.
Der eine, Jo Meyer kommt aus Mecklenburg. Der andere, Wolfgang Meyering, aus Ostfriesland.
Die beiden Nordlichter sind seit den 70er-Jahren als Folkmusiker unterwegs: Jo Meyer in Ostberlin, in den 80er-Jahren bei der Gruppe JAMS, und Wolfgang Meyering in Ostfriesland, u.a. bei der Gruppe Spillwark. Für ihn blieb die sich Mitte der 70er-Jahre in der DDR etablierende Folkszene lange Zeit verborgen.
"Da, wo ich gewohnt habe, an der holländischen Grenze, hat man davon überhaupt nichts wahrgenommen. Einfach deswegen auch, weil: Das war so weit weg. Also, die DDR war für uns so ein bisschen fast wie die andere Seite des Mondes."
Ost- und Westfolkies
Ganz anders in Ostberlin. Da hatte man ein recht genaues Bild von dem, was in der westdeutschen Folkszene passierte. Allein schon durch das westdeutsche Folkrevival, das mit dazu beigetragen hatte, Mitte der 70er-Jahre in der DDR ein ostdeutsches Pendant zu etablieren. Doch die Ost-Folkies erkannten schnell die Unterschiede.
"Aufgrund der Lebensumstände und der wirtschaftlichen Strukturen, die es für Musiker im Osten eigentlich relativ leichter machte, von der Musik zu leben, gab es in der ostdeutschen Szene ein wesentlich höheres Maß an Professionalisierung, man konnte von der Musik leben, man konnte ausschließlich diese Musik machen, man konnte sich auch, wenn man wollte, in dieser Musik handwerklich weiterbilden. Die Breite professioneller Folkmusiker war eigentlich im Osten zu der Zeit größer."
Allgemeine Ermüdungserscheinungen in der westdeutschen Folkszene lösten dort Mitte der 80er-Jahre ein zunehmendes Interesse an der DDR-Folkszene aus.
"Ich habe das erst wahrgenommen Mitte der 80er-Jahre, als es so wurde, dass im Westen eigentlich die Folkszene extrem abflaute.
Da kamen dann Kollegen, die ich kannte, und erzählten, dass sie in der DDR gewesen wären und da wäre wahnsinnig was los, es gäbe eine total lebendige Szene, tolle Musiker, tolle Bands, von denen wir im Grunde genommen überhaupt nichts mitbekommen haben. Wir saßen da ein stückweit in unserem eigenen Kokon und haben gar nicht wahrgenommen, was also überhaupt jenseits der Grenze in dieser Art von Musik im Osten eigentlich auch passierte. Weil wir waren sehr westorientiert. Insofern war das für uns dann auch sehr spannend, in den 80er-Jahren zu beobachten, was da in der DDR los war. Wir hatten so das Gefühl, das, was wir in den 70er-Jahren gemacht haben, das findet jetzt mit zehn Jahren Verzögerung in der DDR statt."
Eine dieser Bands, die die ostdeutsche Folkszene hervorbrachte, war JAMS. Im Sommer 1980 als instrumentale Folk-Session-Band gegründet, wuchs sie schnell und republikweit zur professionellen Tanzband. Mit eigener Volkstanzgruppe als "Jams Tanzhaus" und eigenen Veranstaltungsreihen in Ost-Berlin stach JAMS mit rein instrumentalem, improvisatorischem Folkrepertoire, darunter auch selbst komponierte Stücke, aus der DDR-Folkszene heraus.
Treffen mit Nachwirkung
Wenige Tage vor dem Mauerfall konnte JAMS nach vier Jahren Wartezeit auf die begehrten Reisepässe schließlich die erste Konzertreise in den Westen antreten. Und bei einem der Konzerte trafen sie das erste Mal auf Wolfgang Meyering.
"Da landeten wir in Kevelaer und da saß Wolfgang Meyering und wie sich dann ziemlich schnell rausstellte, dass die Art von Instrumentalmusik eigentlich auch genau auf dem Level lag, auf dem Wolfgang sonst unterwegs war, war es also Backstage Liebe auf den ersten Blick. Und Liebe auf den ersten Blick heißt ja, die kann relativ schnell verfliegen – ist sie aber nicht. Hat bis heute gehalten."
"Musikalisch war's für mich auch total spannend, weil Musik auf diesem technischen Level im Westen bei Folkbands relativ selten zu finden war. Dass man Leute dabei hatte, die technisch wirklich sehr gut waren, die genau wussten, was sie wollten, die ein Konzept hatten, musikalisch, was sie da machen wollten. Davon gab's im Westen in der Folkszene nicht so viele.
Und dann auch noch ein Konzept mit reiner Instrumentalmusik ? Auch das war relativ ungewöhnlich. Und das hat mich sehr, sehr beeindruckt und wir haben uns musikalisch gleich auf derselben Wellenlänge befunden, haben da, ich glaub' den ganzen Abend, gesessen und gedaddelt und gespielt und gemacht und getan und erzählt und getrunken ... Es war ein wunderbarer Abend, sodass ich nach 25 Jahren immer noch mit einer gewissen Wehmut daran zurückdenke."
Nur wenige Wochen später reiste Wolfgang Meyering zu Jams nach Ost-Berlin. Der Kollege aus Ostfriesland packte seine Mandolinen aus, stellte sich auf die Bühne und spielte mit. Einfach so. Einfach so ?
"Das war wiederum eine Art Abenteuer für uns, weil einerseits einen Kollegen zu haben, der sich da reinfindet und dann war es so: Er fiel gar nicht auf als Wessi. Er war eben ein Musiker, der da hingehört und es ging dann relativ schnell, dass er selbstverständlich in die Band integriert wurde und es war dann auch schon Wolfgang, der sich da relativ konkret eingebracht hat und dadurch funktionierte das und hat so lange gehalten."
Ostsozialisierung bei einem Wessi
Wolfgang Meyering blieb bei Jams. Er zog nach Ostberlin und machte seine ersten Erfahrungen mit "dem Osten".
"Also für mich war das so, dass ich bei Jams so eine Art 'Ostsozialisation' nachgeholt habe. Also das, was ich heute über die DDR weiß, all diese kleinen Dinge wie 'Bestecktasche innen' – welcher Wessi weiß, was 'Bestecktasche innen' bedeutet und solche Sachen ... Das ist etwas, was man dann alles immer so am Rande mitkriegte, so Kleinigkeiten, wie das Leben eben wirklich in der DDR gewesen ist, gerade auch für Musiker, was das bedeutete, Musiker zu sein in der DDR und insofern war das für mich total spannend und ich hab musikalisch wahnsinnig viel bei Jams gelernt. Mal abgesehen davon, dass es unheimlich viel Spaß gemacht hat, mit den Kollegen auch freundschaftlich zusammenzuarbeiten, war's auch für mich eine sehr intensive und spannende Zeit."
Eine Zeit, in der die Band nicht nur in Deutschland immer gefragter wurde, sondern auch in Europa. Unter dem maßgeblichen Einfluss von Sänger und Songschreiber Wolfgang Meyering begann JAMS auch vokal zu arbeiten und bis weit in die 90er-Jahre hinein machte die Band, in der auch andere Musiker aus den alten Bundesländern mitspielten, im Ausland immer wieder ähnliche Erfahrungen, wenn es darum ging, die Herkunft der Band zu beschreiben.
"Da war's dann auch immer gut zu sagen, wir sind schon eine deutsch-deutsche Band. Und wenn wir jetzt dieser Band eine Himmelsrichtung zuordnen müssen, dann sind wir eher eine norddeutsche Band als eine ostdeutsche im Endeffekt. Und das haben wir natürlich ganz stark selbst beeinflusst, in dem wir das Songmaterial und die traditionelle Basis, auf die wir uns berufen haben, eben ganz stark auf Norddeutschland fokussiert hatten."
Höhepunkt dieser Arbeit war 1997 das Album "Fisch". Es sollte das letzte und wohl beste Album der Band werden, auf dem sich Eigenkompositionen sehr innovativ mit traditionellem Material mischten.
Heute spielen die Jams-Mitglieder in anderen, sehr bekannten und auch außerhalb Deutschlands gefragten Folk-Formationen, wie etwa Polkaholix oder Malbrook und nur noch ein, zweimal im Jahr ist JAMS auf einer Bühne zu erleben. Dass JAMS die erste gesamtdeutsche Folkband war und dass der internationale Erfolg der Band letztlich dem Mauerfall geschuldet ist, das ist beiden Musikern mehr als nur bewusst: Dem Ostfriesen Wolfgang Meyering und dem Mecklenburger Jo Meyer.