Antoine Volodine: „Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher“  

Literatur ohne Kompromisse

05:57 Minuten
Buchcover von "Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher": Ein Mann umarmt einen großen Hasen, der ein rotes Kleid trägt.
© Edition Converso

Antoine Volodine

Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Holger Fock

Einige Einzelheiten über die Seele der FälscherEdition Converso, Karlsruhe 2023

304 Seiten

25,00 Euro

Von Thomas Wörtche · 18.01.2023
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Eine stringente Geschichte fehlt in diesem zum ersten Mal ins Deutsche übersetzten, 30 Jahre alten Roman. Irgendwie geht es um die RAF. Vor allem hat der Autor ein Buch geschrieben, das sich dem literarischen Mainstream widersetzt und damit auch Systemkritik übt.
Gerade beklagte sich der Literaturwissenschaftler Peter Brooks, dass wir zunehmend den Sinn für die „Fiktionalität von Fiktion“ verlieren, weil alles nur noch in „Narrativen“ verhandelt werde, selbst und gerade Geschichte. Dem würde der enigmatische, französische Autor Antoine Volodine sicher zustimmen, und könnte auf sein schon 1990 entstandenes Werk „Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher“ verweisen, das nach mehr als 30 Jahren endlich auch auf Deutsch zu lesen ist.
Über die komplexe Entstehungsgeschichte dieser Ausgabe in der kleinen, exquisiten Edition Converso informiert das Nachwort von Holger Fock, der diesen im besten Sinne wahnsinnigen Roman grandios übersetzt hat.

BKA-Mann verliebt sich in RAF-Terroristin

Der Fiktionalisierungsgrad dieses Textes ist so hoch und komplex, dass man ihn kaum auf eine nacherzählbare Story herunterbrechen kann. Nur so viel: Der BKA-Mann Kurt Wellenkind verliebt sich in die RAF-Terroristin Ingrid Vogel und flieht mit ihr zusammen nach Lissabon, von wo aus sie sich irgendwo nach Asien absetzen soll, vor dem Zugriff der Behörden für immer sicher.

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Ingrid Vogel wiederum schreibt an einem Schlüsselroman über den „bewaffneten Kampf“, der jedoch so verschlüsselt ist, dass kein Analytiker und kein Kryptologe je brauchbare Informationen daraus gewinnen kann. Mehr „Plot“ bietet uns Volodine nicht.

Text alles andere als ein Narrativ

Der Text, den wir dann lesen, ist folgerichtig alles andere als ein Narrativ, sondern ein Kaleidoskop verschiedener Textsorten, losgelöst von jeder zeitlichen und räumlichen Festlegbarkeit. Die Welt des Romans ist radikal fiktional, gerade da, wo er auf die Historie der RAF anspielt: Manche Figuren tragen die echten Nachnamen bekannter TerroristInnen – Vieth, Rollnik, Raspe, Dellwo, aber mit „falschen“ Vornamen in Kontexten, die sich mit der fiktionalen Aufarbeitung einer fiktionalen Geschichte befassen.
Aber das ist nur ein gleichberechtigter Aspekt unter vielen anderen. Volodine, der auch Science Fiction verfasst hat, und die Romane der sowjetischen Avantgardisten Arkadi und Boris Strugatzki übersetzt hat, bedient sich der Grammatiken von Fantasy, Roman Noir, Science Fiction, Abenteuerroman und Action Thriller – alles Textsorten, die er ironisch als „Mülleimer-Literatur“ bezeichnet und die er subversiv gegen den Mainstream setzt, wobei Mainstream vermutlich auch die gesamten „Klassiker der Moderne“ mitmeint.

Total fiktionales Universum

Und so steht ein total fiktionales Universum, eine Zukunft- oder Parallelwelt mit eigener, keinesfalls konsistenter Geschichte, mit eigenen fiktiven literarischen Gattungen wie die „Schaggå“, mit Kunstsprachen und virtuos gehandhabten Fachsprachen (besonders aus der Biologie, vornehmlich Fische und Pflanzen), mit höllenbreughel´schen Monstrositäten, bizarren Entitäten und grotesken Schauplätzen.
Einzelne Passagen sind straight nach den Maßgaben der jeweiligen Textsorte durcherzählt, stehen aber in keinem Zusammenhang, der ein einzelnes großes Narrativ sichtbar werden lassen könnte. Und dennoch schimmern immer wieder reale Diskurse durch – über die Sinnlosigkeit des „bewaffneten Kampfes“, der keinen Rückhalt in der Bevölkerung hat, über die Wirkmacht kapitalistischer Strukturen, über den anfänglichen Idealismus einer Person wie Ulrike Meinhof etwa. An solchen Stellen allerdings könnte die verspätete Publikation des Textes problematisch sein, denn wer sich nicht mehr in der Thematik auskennt, muss vermutlich ratlos zurückbleiben.

Verständlichkeit spielt keine Rolle

Das ist aber nicht arg schlimm, weil das ganze Buch ein einziges Insistieren auf der Literarizität von Literatur ist, die keine Kompromisse macht: Leichte Konsumierbarkeit, Lesbarkeit, Transport von Diskurs und selbst Verständlichkeit spielen in diesem Konzept keine Rolle, im Gegenteil: Das kommunikative Potenzial „populärer“ Textsorten wird zwar ausgereizt, aber konventionelle Kommunikation damit radikal verweigert. Selbst einen biografischen Zugriff blockiert der Autor: Über Volodine weiß man wenig, er lebt zurückgezogen und publiziert unter anderen Pseudonymen, darunter Eli Kronauer, Manuela Draeger oder Lutz Bassmann Texte, die ebenfalls nicht rubrizierbar sind.
„Post-Exotismus“ nennt Volodine sein Schaffen, und natürlich ist das auch Avantgarde von vorgestern. Angesichts der aktuellen Situation allerdings, siehe Peter Brooks, ist es sehr sinn- und verdienstvoll, auch auf solche, nicht gerade „marktgängigen“ literarischen Konzepte und ihre Traditionen hinzuweisen. Literarische Abenteuer garantiert.

 
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