Einmal Geheimdienst, immer Geheimdienst

Von Gesine Dornblüth |
Wladimir Putin ist noch keine hundert Tage im Amt, da ist der außen- und innenpolitische Kurs seiner Präsidentschaft schon klar, meint Gesine Dornblüth. Nötig sei jetzt der Dialog mit anderen Nationen - bei so viel Misstrauen sei dieser aber kaum zu erwarten.
Am Montag, exakt fünf Wochen nach seiner Amtseinführung und einen Tag vor einer geplanten Großdemonstration von Regierungsgegnern, durchsuchten Ermittler die Wohnungen der Anführer dieser Proteste und luden sie zu stundenlangen Verhören vor. Sondereinheiten mit Maschinenpistolen im Anschlag bewachten die Hauseingänge. Die Ermittler gaben Fotos und Filmaufnahmen aus den Wohnungen der Regimegegner sogleich an das staatlich gelenkte Fernsehen weiter. Eine Einschüchterungsmaßnahme erster Güte. Und vermutlich ein Racheakt.

Denn die Ermittler kamen zu denjenigen, die den Protestmarsch gegen Putin am Vorabend von dessen Amtseinführung Anfang Mai organisiert hatten. Die Fernsehbilder dieses Protestzuges gingen um die Welt, und sie ließen die bis ins letzte Detail durchgeplante Fahrt Wladimir Putins in den Kreml durch menschenleere Straßen völlig absurd aussehen. Um es salopp zu sagen, Alexej Nawalnyj und die anderen haben dem Präsidenten die Schnitte versaut. Das könnte sie noch teuer zu stehen kommen, dafür werden die "Apparate" sorgen.

Die Apparate sorgen auch dafür, dass Putins Verbündete ihre Macht demonstrieren können, unter anderem die Kirche. So arbeitet sich das System derzeit an den jungen Frauen der Punk-Band "Pussy Riot" ab. Im Februar sprangen sie in der Christ Erlöser Kathedrale in Moskau mit Stromgitarren herum. Punkgebet nannten sie das: "Mutter Gottes, erlöse uns von Putin". Das mag geschmacklos sein, grober Unfug und eine Verletzung religiöser Gefühle; vielleicht auch einfach nur Kunst. Aber es ist sicher kein Grund, die Frauen bis heute in Untersuchungshaft zu halten. Ihnen drohen 7 Jahre Haft, eine hat ein kleines Kind.

Es werden also Exempel statuiert. Das System Putin zeigt, dass es zurückschlagen kann und wird. Viele Kommentatoren schwören jetzt das Jahr 1937 herauf, in dem der Stalinsche Terror seinen Höhepunkt erreichte. Jeder konnte damals verhaftet, verbannt, erschossen werden. Der Vergleich ist Unsinn. Soweit ist es noch nicht, und so weit wird es nicht kommen. Russland ist nicht mehr abgeschottet wie einst die Sowjetunion, die Welt hat sich geändert.

Aber: der Geheimdienst, der Putin ausgebildet hat, hat sich dieser mörderischen Vergangenheit nie gestellt. Alles, was die Ordnung gefährdet, ist zu vernichten - das ist die Devise dieser Organe. Und was die Ordnung ist, bestimmen in diesem Fall Putin und sein Umfeld.

Auch die Außenpolitik Russlands unter Vladimir Putin ist von verletzter Eitelkeit geprägt. Russland leidet immer noch unter den Phantomschmerzen einer ehemaligen Großmacht, deren Einflussbereich beschnitten wurde. Für Putin war das Auseinanderbrechen der Sowjetunion eine Katastrophe. Das hat er immer wieder betont. Deshalb will er Russland mit knallharter Interessenpolitik zu alter Größe zurück verhelfen.

Dazu kommt ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Westen. Zum Teil hat es objektive Gründe: Insbesondere bei der NATO-Osterweiterung hat der Westen Russland schlichtweg getäuscht. Der Auslandsaufklärer Putin dürfte sich bestätigt fühlen.

Gekränkte Ehre und Misstrauen sind denkbar schlechte Voraussetzungen für einen internationalen Dialog. Genau der ist jetzt aber gefragt: In der Syrienkrise ebenso wie im Streit um das Atomprogramm des Iran und in vielen anderen Konflikten.

Anfang nächster Woche finden in Moskau die Atomgespräche mit dem Iran statt. Und Russland hat angekündigt, eine internationale Syrienkonferenz einzuberufen. Wenn Russland ernst genommen werden will, nutzt es die Chance und ermöglicht einen echten Dialog. Solange aber gekränkte Ehre und Misstrauen die russische Außenpolitik bestimmen, nützen die größten Konferenzen nichts.

Putin möchte Russland in den nächsten Jahren den Platz in der Weltpolitik zurückerobern, den es seiner Meinung nach verdient. Das alles wird nicht funktionieren ohne Konsolidierung im Inneren. Putin aber hat die russische Gesellschaft gespalten. Er hat immer wieder betont, dass Russland von Feinden umzingelt sei. Er hat die Geheimdienstparanoia in sowjetische Höhen getrieben. Das steht vernünftigen Lösungen im Inneren und Äußeren nun im Weg.

Und hier schließt sich der Kreis. Vielleicht sind Geheimdienstler einfach keine geeigneten Staatsoberhäupter. Putins Unwillen zum Dialog mit Andersdenkenden jedenfalls kann schlimme Folgen haben. Innerhalb Russlands, weil er die unzufriedene Elite des Landes vergrault; weltweit, weil Russland die Lösung von Konflikten behindert.
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