Einmalig wie eine Schneeflocke

Von Antonia Kreppel |
Im Leben des 50-jährigen Wieners Erwin Perzy dreht sich alles um die Schneekugel. Der Großvater hat sie erfunden, der Vater verbessert und nun hütet Erwin Perzy III. das Geheimnis des federleichten Schnees in der Kugel. Was in der kleinen Schneekugelmanufaktur im 17. Gemeindebezirk am Rande Wiens hergestellt wird, ist einzigartig auf der Welt.
Perzy: "Nein, nein, nein, nein, nein, da hinein..."

Im Verpackungsraum der Wiener Schneekugelmanufaktur herrscht wundersames Chaos: Schneekugeln auf dem Boden, in halboffenen Kartons. Zwischen lieblichen Miniaturwelten aus Palmen, Kakteen und Tirolerhäuschen wuselt aufgeregt Hund Lucky, begleitet von seinem Herrn: ein umtriebiger schmaler Mann in blauer Arbeitskleidung. Direktor Erwin Perzy III. rückt die großen Brillengläser zurecht und wirbelt mit einer geschickten Handumdrehung den Schnee in der Kugel auf.
"Ja, in unseren Schneekugeln schneit's natürlicher, find ich. Das ist, wie gesagt, unser Firmengeheimnis und wir wissen wie’s schneit."

Der Firmenchef schwört auf das original Wiener Hochquellwasser, in dem die Schneeflocke besonders langsam auf den Boden sinkt. "In Dubai lernen die Kinder im Naturkundeunterricht anhand der Wiener Schneekugel wie das ist, wenn es schneit", versichert Erwin Perzy III. mit spitzbübischem Lachen. Die Aufzeichnungen über die Konsistenz der federleichten Flocke hütet er wie einen Schatz im Familientresor. Fest steht: Der Großvater nahm Gries, dann Hartwachs mit Magnesiumpulver.

"Heute besteht er auch noch aus Hartwachs, aber wir nehmen Kunststoff dazu. Und da kommt's drauf an, wie dieser Schnee verarbeitet wird. Mein Vater hat das noch händisch gemacht, und ich hab mir eine Maschine gebaut dafür, wo ich die ganzen Zutaten hinein gebe und diese Maschine stellt das vollautomatisch her in einem eigenen Raum."

"Zutritt verboten" steht an der grauen Falttüre. Ein junger Mann in schwarzem T-Shirt, bedruckt mit Totenköpfen, bringt ein Sortiment Kugeln mit "Pinguinfamilie" und "Weihnachtsmann mit Hirsch". Der Chef krault Lucky zerstreut hinter den kurzen Ohren. Kein Hundehaar darf in die hauchdünne Glaskugel gelangen. Das kontrolliert streng Frau Andrea, eine von zehn Angestellten der Schneekugelmanufaktur. Sorgfältig schüttelt sie jede einzelne Kugel, bevor sie verpackt wird.

Perzy: "Wir haben hier in der Firma ein eher familiäres Klima und ich stehe auf dem Standpunkt: Wenn sich die Leute wohl fühlen, dann kommen sie auch gerne zur Arbeit."

An der Wand hängt ein Spruch: "Als Gott die Gehälter der Mitarbeiter dieses Raumes sah, drehte er sich um und weinte bitterlich".

"Ich stelle auch ans Leben keine Gewaltansprüche. Mir genügt ein Auto mit vier Rädern, die alle bis an Boden reichen, ein Auto, das halbwegs betriebssicher ist."

...und als Eigenheim ein altes Fuhrwerkhaus in der Wiener Vorstadt; die abgeschlagenen Pferdeköpfe in der Wandnische sollen durch leuchtende Schneekugeln ersetzt werden. Bescheiden wirkt der Firmenchef in seinem karierten Wollhemd. Er setzt auf hohes Qualitätsniveau und versucht möglichst viel in Wien selbst zu machen; von den Stahlformen für den Druckguss bis zur Verpackung. Ganz kann er sich allerdings dem Globalisierungsdruck nicht entziehen. Die Glaskugeln lässt er in Ungarn fertigen; Fliegenpilz, Maus und Stephansdom werden in Rumänien von Hand bemalt.

40% der Jahresproduktion geht nach Amerika. Kein Wunder, gelang doch einer Original Wiener Schneekugel ein prominenter Hollywoodauftritt in Orson Welles Film "Citizen Kane".

Perzy: "Wir haben - darauf bin ich ganz besonders stolz - zwei amerikanische Präsidenten auch mit unseren Schneekugeln versorgt."

Der Republikaner Ronald Reagan orderte eine Schneekugel mit Elefant, der Demokrat Bill Clinton hatte eine mit Esel auf seinem Schreibtisch stehen; Elefant und Esel - die Symbole der Parteien. Erwin Perzy grinst breit; seine Grübchen vertiefen sich.

"Wir sind eigentlich, kann man eigentlich sagen, neutral."

Friede, Freude, Schneekugel. Der Mikrokosmos der Zauberkugel ist dem Erzeuger heilig:

"Ich möchte doch wirklich sagen, dass es in meiner Schneekugel eine in sich geschlossene heile Welt gibt; diese Kugel hat weißen Schnee, also keinen grauen, wie's hier in Wien manchmal vorkommt. Und die Szenen, die da drinnen dargestellt sind, haben nichts mit Mord und Totschlag zu tun; also, wenn heute jemand zu mir kommt, er möchte eine Sonderserie mit z.B. einem Panzer oder einem Schiessgerät, dann würd‘ ich das ablehnen. Na ja, Arnold Schwarzenegger könnt ich mir schon vorstellen, aber ohne Maschinengewehr. Ich bin Pazifist und das spiegelt sich auch in unseren Schneekugeln wieder und so ist es auch im Leben."

Auch Zähne, Uhren, Katzenfutter, Dessous, Goldbarren und architektonische Highlights wie die "Wiener Gasometer" finden sich im Schneegestöber der Wiener Kugel wieder - Spezialanfertigungen in geringer Auflage! Einfach alles, was dem Erhalt des Lebens dient.

"Ich habe auf Wunsch einer meiner Kunden einen kleinen Penis in die Schneekugel gegeben und eine Überproduktion dieser Kugel im Rahmen eines Weihnachtsmarkts verkauft."

Am Modell legt der Meister selbst Hand an, fräst die Hohlformen; Engellippen und Mäusenasen fordern höchste Präzision. Die Hälfte seiner Modelle entwirft er inzwischen am Computer.

"Der Gegenstand ist durch seine offenbare Nutzlosigkeit doppelt anziehend", behaupten Liebhaber dieser "Aquarien der Sehnsucht". Erwin Perzys Erfindergeist hat sogar seinen Schneekugeln einen Gebrauchswert zugedacht - als Schachfiguren. Die stehen in seinem kleinen Firmenmuseum, wo auch - standesgemäß - gerahmte Porträts von vier Perzys hängen; darunter auch das mit seiner attraktiven geschiedenen Frau.

"Aber Glück und Glas, leicht bricht das und gegen Glas kann man an und für sich nichts machen, dass das nicht leichter bricht."