Einsame Menschen unbehaust zu Hause
Das Stück "Oh it´s like home" der Schauspielerin und Autorin Sasha Rau wurde von ihrem Ehemann Christoph Marthaler in der Halle Kalk des Kölner Schauspiels inszeniert. Er nähert sich den schattengleichen Figuren mit Zärtlichkeit, Respekt und einem Willen zur Schönheit.
Sie sind hier alle nicht zu Hause. Die Bühne ist eine Art Sanatorium, mit gekacheltem Fußboden, Raufasertapeten an den Wänden und den Marthaler typischen Holzvertäfelungen. Die vier Menschen, die hier wohnen, nehmen sich auch nur selten wahr. Meistens sprechen sie zu sich selbst. Und doch scheint sie etwas zu verbinden, keine Ahnung von Heimat, das wäre zu viel. Aber das Gefühl, dass noch jemand da ist, dem es ähnlich geht wie einem selbst. "Oh it´s like home" heißt das Stück der Schauspielerin und Autorin Sasha Rau. Ihr Ehemann Christoph Marthaler hat die Uraufführung in der Halle Kalk des Kölner Schauspiels inszeniert.
Vor einigen Jahren, als das Marthaler-Ensemble in großer Besetzung das Hotel Waldhaus in Sils bespielte, forderte der große, massige Schauspieler Josef Ostendorf seine Kollegin Sasha Rau auf: "Schreib doch ein Stück für uns!" Die Förderung durch den "Kunstsalon-Autorenpreis für das Schauspiel Köln" holte dann die Uraufführung an Karin Beiers Haus, in dessen erfolgreiches Konzept eines radikalen Künstlertheaters Marthalers Ästhetik perfekt hineinpasst.
Eine Handlung hat der Abend nicht. Sasha Rau, von der bisher zwei Stücke in Frankreich auf die Bühne gekommen waren, zeigt vier einsame, in sich verschlossene Menschen. Egon Richter war ein ungeliebtes Kind, das in ein Heim gesteckt wurde und seelisch dort geblieben ist. Josef Ostendorf spricht die traurigen Erinnerungen, als wären es gar nicht seine Worte. Er hält sie sich vom Leib und leidet doch darunter. Silvia Fenz porträtiert eine alte Dame, die eine Säuglingsstation geleitet hat und sich nun am liebsten unter einer Lampe aufhält, in deren Schein sie sich sonnt. Derbere Töne schlägt Bettina Stucky als Tochter eines Schlachthofbesitzers an, während Sasha Rau eine todes- und liebessehnsüchtige Frau spielt, deren Erinnerungen in einer chemischen Reinigung spielen.
Beim Lesen wirkt der Text melancholisch, depressiv, hoffnungslos. "Wie fühlst du dich?", fragt Gunda Krass (Sasha Rau) in einem der wenigen Dialoge den kaum die Miene verziehenden Egon. "Ach wenn ich nicht so vernünftig wär, tät ich mir was zu leide", lautet seine Antwort. Es ist einer der seltenen Momente, in denen die Menschen aufeinander reagieren. Und doch regiert nicht die Tristesse. Denn Christoph Marthaler nähert sich diesen schattengleichen Figuren mit der feinfühligen Zärtlichkeit, die ihn fast immer auszeichnet. Großer Respekt liegt darin vor den Macken und Wunden dieser Leute, Geduld, Ruhe, ein Wille zur Schönheit. Obwohl sie sprachlich nicht kommunizieren, bilden die vier eine Einheit. Jeder spürt die Präsenz der anderen und braucht sie zum Überleben.
Hinter einem Wandschrank auf Duri Bischoffs Bühne verbirgt sich ein Schlafraum mit Klavier. Dort spielt – manchmal unsichtbar – der Pianist Bendix Dethleffsen eine skurrile Musikmischung von Martin Luther bis John Cage. Zu Beginn klimpert er eine Sonatine von Muzio Clementi, ein Stück, das jeder Klavierschüler kennt, verspielt sich, setzt wieder an. Natürlich ist das Absicht, auch hier ist der Hinweis verborgen, das nicht die Perfektion Schönheit verbreitet, sondern das Akzeptieren der Fehler.
Ob dieser Text ein Leben außerhalb der Marthaler-Familie führen kann, ist nicht vorherzusagen. Zumindest trifft er präzise den Geist dieses außergewöhnlichen Ensembles. "Oh it´s like home" ist ein Abend, in dem minutenlang nichts passiert, außer dass Musikfetzen und Geräusche durch einen abgedunkelten Raum wehen. Die Sinne schärfen sich, die Außenwelt hat keine Bedeutung mehr, das Theater schafft einen Raum aus eigenem Recht. Schließlich wirken ein Augenzucken oder ein angedeutetes Lächeln wie emotionale Erdbeben. Silvia Fenz sitzt im Kamin und raucht, während Bettina Stucky ein Modell des Bühnenbildes an die Rampe trägt, dessen Schornstein plötzlich qualmt. Eine leise Albernheit, scheinbar nutzlos und verspielt. Und doch trägt auch dieser Scherz den Marthaler-Zauber in sich, den lächelnden, liebevollen Umgang mit den Dingen wie mit den Menschen.
Das Kölner Publikum reagierte bei der Premiere verhalten, manche schienen nicht zu wissen, was sie mit diesem seltsamen Abend anfangen sollen. Eben in dieser Fremdheit liegt auch eine Chance. Weil Sasha Raus Text und Christoph Marthalers Inszenierung keine konkreten Geschichten erzählen, Assoziationsfelder und rätselhafte Bilder schaffen, die Schauspieler ebenso entspannt wie choreografisch präzise agieren, ist die Aufführung offen für eigene Sehnsüchte und Erinnerungen. Wir schauen zwei Stunden lang einsamen, ungeliebten Menschen zu und können doch das Theater im Bewusstsein verlassen, dass vielleicht sogar die Verlorenheit nicht wirklich schlimm ist. Weil es anderen genau so geht und man doch nicht so ganz allein ist. Egal wie groß und blöd die eigenen Macken auch sein mögen.
Link zum Thema:
Schauspiel Köln: "Oh it's like home"
Vor einigen Jahren, als das Marthaler-Ensemble in großer Besetzung das Hotel Waldhaus in Sils bespielte, forderte der große, massige Schauspieler Josef Ostendorf seine Kollegin Sasha Rau auf: "Schreib doch ein Stück für uns!" Die Förderung durch den "Kunstsalon-Autorenpreis für das Schauspiel Köln" holte dann die Uraufführung an Karin Beiers Haus, in dessen erfolgreiches Konzept eines radikalen Künstlertheaters Marthalers Ästhetik perfekt hineinpasst.
Eine Handlung hat der Abend nicht. Sasha Rau, von der bisher zwei Stücke in Frankreich auf die Bühne gekommen waren, zeigt vier einsame, in sich verschlossene Menschen. Egon Richter war ein ungeliebtes Kind, das in ein Heim gesteckt wurde und seelisch dort geblieben ist. Josef Ostendorf spricht die traurigen Erinnerungen, als wären es gar nicht seine Worte. Er hält sie sich vom Leib und leidet doch darunter. Silvia Fenz porträtiert eine alte Dame, die eine Säuglingsstation geleitet hat und sich nun am liebsten unter einer Lampe aufhält, in deren Schein sie sich sonnt. Derbere Töne schlägt Bettina Stucky als Tochter eines Schlachthofbesitzers an, während Sasha Rau eine todes- und liebessehnsüchtige Frau spielt, deren Erinnerungen in einer chemischen Reinigung spielen.
Beim Lesen wirkt der Text melancholisch, depressiv, hoffnungslos. "Wie fühlst du dich?", fragt Gunda Krass (Sasha Rau) in einem der wenigen Dialoge den kaum die Miene verziehenden Egon. "Ach wenn ich nicht so vernünftig wär, tät ich mir was zu leide", lautet seine Antwort. Es ist einer der seltenen Momente, in denen die Menschen aufeinander reagieren. Und doch regiert nicht die Tristesse. Denn Christoph Marthaler nähert sich diesen schattengleichen Figuren mit der feinfühligen Zärtlichkeit, die ihn fast immer auszeichnet. Großer Respekt liegt darin vor den Macken und Wunden dieser Leute, Geduld, Ruhe, ein Wille zur Schönheit. Obwohl sie sprachlich nicht kommunizieren, bilden die vier eine Einheit. Jeder spürt die Präsenz der anderen und braucht sie zum Überleben.
Hinter einem Wandschrank auf Duri Bischoffs Bühne verbirgt sich ein Schlafraum mit Klavier. Dort spielt – manchmal unsichtbar – der Pianist Bendix Dethleffsen eine skurrile Musikmischung von Martin Luther bis John Cage. Zu Beginn klimpert er eine Sonatine von Muzio Clementi, ein Stück, das jeder Klavierschüler kennt, verspielt sich, setzt wieder an. Natürlich ist das Absicht, auch hier ist der Hinweis verborgen, das nicht die Perfektion Schönheit verbreitet, sondern das Akzeptieren der Fehler.
Ob dieser Text ein Leben außerhalb der Marthaler-Familie führen kann, ist nicht vorherzusagen. Zumindest trifft er präzise den Geist dieses außergewöhnlichen Ensembles. "Oh it´s like home" ist ein Abend, in dem minutenlang nichts passiert, außer dass Musikfetzen und Geräusche durch einen abgedunkelten Raum wehen. Die Sinne schärfen sich, die Außenwelt hat keine Bedeutung mehr, das Theater schafft einen Raum aus eigenem Recht. Schließlich wirken ein Augenzucken oder ein angedeutetes Lächeln wie emotionale Erdbeben. Silvia Fenz sitzt im Kamin und raucht, während Bettina Stucky ein Modell des Bühnenbildes an die Rampe trägt, dessen Schornstein plötzlich qualmt. Eine leise Albernheit, scheinbar nutzlos und verspielt. Und doch trägt auch dieser Scherz den Marthaler-Zauber in sich, den lächelnden, liebevollen Umgang mit den Dingen wie mit den Menschen.
Das Kölner Publikum reagierte bei der Premiere verhalten, manche schienen nicht zu wissen, was sie mit diesem seltsamen Abend anfangen sollen. Eben in dieser Fremdheit liegt auch eine Chance. Weil Sasha Raus Text und Christoph Marthalers Inszenierung keine konkreten Geschichten erzählen, Assoziationsfelder und rätselhafte Bilder schaffen, die Schauspieler ebenso entspannt wie choreografisch präzise agieren, ist die Aufführung offen für eigene Sehnsüchte und Erinnerungen. Wir schauen zwei Stunden lang einsamen, ungeliebten Menschen zu und können doch das Theater im Bewusstsein verlassen, dass vielleicht sogar die Verlorenheit nicht wirklich schlimm ist. Weil es anderen genau so geht und man doch nicht so ganz allein ist. Egal wie groß und blöd die eigenen Macken auch sein mögen.
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Schauspiel Köln: "Oh it's like home"