Einsamkeit

Strategien gegen ein quälendes Gefühl

Eine ältere Frau sitzt einsam auf einer Parkbank.
Der Tod des Partners oder der Partnerin, eine Trennung oder auch Mobbing: Einsamkeit kann viele Gründe haben. Sie zu überwinden, ist für viele nicht einfach. © imago / Westend61 / FL
18.06.2024
Jeder vierte Mensch in Deutschland fühlt sich sehr einsam. Mit einer Aktionswoche und einer Strategie gegen Einsamkeit widmet sich die Bundesregierung dem Problem. Wie sieht die aus? Und was kann noch getan werden, um Betroffenen zu helfen?
Die Zahl der Menschen, die von Einsamkeit betroffen sind, nimmt weltweit zu. Zugleich wächst aber auch die Zahl der Initiativen dagegen.
Die Bundesregierung hat eine Strategie gegen Einsamkeit auf den Weg gebracht. Mit einer Aktionswoche soll das Thema in die Öffentlichkeit geholt und die vielen Initiativen, die Einsamkeit bekämpfen, gestärkt werden.  
Auch andere Länder adressieren das Problem. So wurde im US-Bundesstaat New York die in Deutschland geborene Psychologin und Sexualtherapeutin Ruth Westheimer zur ersten Anti-Einsamkeitsbotschafterin ernannt, um der wachsenden „Einsamkeitsepidemie“ im Bundesstaat entgegenzuwirken, wie Gouverneurin Kathy Hochul mitteilte. Großbritannien gründete schon 2018 als erstes Land der Welt ein Ministerium gegen Einsamkeit. Japan folgte im Jahr 2021.
Einsame Menschen haben nur wenige oder gar keine sozialen Kontakte und leiden darunter. Die gute Nachricht: Oft kann ihnen geholfen werden.

Wer ist von Einsamkeit betroffen?

Vereinsamung ist schon lange kein Randphänomen mehr. Im Gegenteil: Jung und Alt, alle Geschlechter und alle gesellschaftlichen Gruppen sind betroffen.
Laut dem Deutschland-Barometer Depression 2023 fühlen sich 25 Prozent der Bundesbürger sehr einsam – unabhängig von der Zahl der tatsächlichen Sozialkontakte. Bei Menschen mit einer Depression ist die Zahl mehr als doppelt so hoch. 53 Prozent von ihnen geben an, ein Gefühl großer Einsamkeit zu haben.
Interessant an der Studie: Obwohl eine Mehrheit (40 Prozent) der älteren Menschen (60 bis 69 Jahre) weniger Sozialkontakte an einem Wochentag hat als jüngere Personen (22 Prozent, 18 bis 59 Jahre), fühlen sich Ältere seltener sehr einsam (21 Prozent versus 26 Prozent) als junge Menschen.
Nach einer im Juni veröffentlichten Umfrage der Bertelsmann Stiftung fühlen sich viele junge Menschen einsam. Etwa jeder zehnte Befragte (elf Prozent) im Alter zwischen 16 und 30 Jahren gab in der Studie an, sehr einsam zu sein. Weitere 35 Prozent fühlten sich demnach "moderat einsam".
Je nach Geschlecht und Altersgruppe schwanken die Werte dabei zwischen 33 Prozent und 51 Prozent. So seien junge Frauen häufiger von Einsamkeit betroffen als junge Männer. Am stärksten sei die Einsamkeit zwischen 19 bis 22 Jahren, hieß es.

Mehr Einsamkeit während der Pandemie

Ein wichtiger Faktor für diese negative Entwicklung scheint die Corona-Pandemie zu sein. Hinweise darauf liefert eine Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) vom Mai 2024. Demnach ist die Zahl der sich einsam fühlenden Menschen mit Beginn der Coronapandemie sprunghaft angestiegen. Lag der Anteil der Einsamen unter jungen und mittelalten Personen vor der Pandemie bei rund 16 Prozent, waren es im Jahr 2020 plötzlich knapp 41 Prozent. Ein Jahr später erreichte der Anteil sogar fast 47 Prozent. Analysen aus dem Winter 2022/2023 zufolge sank das Gefühl der Einsamkeit zwar wieder auf 36 Prozent – es liegt damit aber noch deutlich über dem Niveau vor der Pandemie. 

Wie entsteht Einsamkeit?

Fast alle Befragten (94 Prozent) glauben laut Deutschland-Barometer, dass Einsamkeit Depressionen auslöst. So einfach ist es aber nicht. Vielmehr sei Einsamkeit eher ein Symptom von Depression und weniger deren Ursache, sagt Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die die repräsentative Umfrage für das Deutschland-Barometer Depression durchgeführt hat.
Krankheitsbedingt ziehen sich Menschen von ihren sozialen Kontakten zurück. Für Betroffene entsteht ein Teufelskreis, der nur schwer zu durchbrechen ist.

Lebensumbrüche, Todesfälle, Trennungen

Allerdings kann Einsamkeit auch psychisch und körperlich krank machen, sagt die Soziologin Lea Ellwardt: „Leute, die vielleicht anfänglich gesund sind, die sich langfristig einsam fühlen, können als Folge davon gesundheitliche Beeinträchtigungen haben."
Begünstigt wird Vereinsamung von „Einsamkeitsrisiken“, so die Psychologin Susanne Bücker. Aus der Forschung sind vielfältige Ursachen bekannt.
Das können Lebensumbrüche, Todesfälle und Trennungen, aber auch ein Umzug in eine neue Stadt oder die Geburt des ersten Kindes sein. Die eigene Rolle in den sozialen Gefügen ändere sich dadurch, betont Bücker. Auch Ausgrenzungserfahrungen durch Diskriminierung oder Mobbing könnten Auslöser für Einsamkeitsgefühle sein.

Was ist der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?

Aber was ist mit Menschen, die gern allein sind? Diese Menschen gibt es - doch sie haben kein Einsamkeitsgefühl. Die Wahrnehmung über den Mangel an sozialen Kontakten sei sehr „subjektiv“, sagt die Psychologin Susanne Bücker.
Allein zu sein bedeute nicht, einsam zu sein. Es gebe sehr viele Menschen, die das Alleinsein genössen. Im Gegenzug könne man sich aber auch sehr einsam fühlen, obwohl man eine Paarbeziehung und Freunde habe, erklärt Bücker.
Auch Georg Juckel, Ärztlicher Direktor des LWL-Universitätsklinikums der Ruhr-Universität, weist darauf hin, dass der Grad an Einsamkeit variiert: „Es kommt auf die Qualität an, inwiefern der Einzelne sich einsam und in dem Sinne auch ganz allein und verloren fühlt.“

Einsamkeit begünstigt körperliche Erkrankungen

Ein ernstes Problem der Vereinsamung ist, dass sie sich nicht nur negativ auf die Psyche auswirkt, sondern auch Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck begünstigt, so Juckel: „Es gibt Studien, die sagen, Einsamkeit ist so schlimm wie 20 Zigaretten am Tag zu rauchen.“
So haben laut dem Mediziner Menschen mit einer starken Einsamkeit eine niedrigere Lebenserwartung. Eine aktuelle Studie im Fachmagazin BMC Medicine bestätigt dies. Die Forschenden kamen zu dem Ergebnis, dass Vereinsamung und fehlende Besuche von Freunden oder Verwandten mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden sind.

Was tun gegen Einsamkeit?

Ein Hindernis bei der Bekämpfung von Einsamkeit: Es sei noch immer „ein sehr stigmatisiertes und auch tabuisiertes Thema“, sagt die Psychologin Susanne Bücker. Studien zeigten, dass es Menschen schwerfalle, über Einsamkeitsgefühle zu sprechen.
Dabei sei Einsamkeit erst einmal nichts Schlimmes und ein ganz normales Gefühl. Jeder Mensch erfahre diese negativen Emotionen irgendwann in seinem Leben. Das bedeute aber nicht automatisch, „dass man für immer einsam bleiben wird“, so Bücker.
Gegen Einsamkeit könnten beispielsweise der Ausbau von Schulsozialarbeit und Familienzentren helfen, sagt Bücker. So wisse man aus der Einsamkeitsforschung, dass Menschen, die sich schon früh einsam fühlen, ein erhöhtes Risiko haben, eine "chronische Einsamkeitsbiografie“ zu entwickeln. Auch die Unterstützung von Alleinerziehenden könne präventiv helfen. Oft falle es dieser Gruppe schwerer als anderen, zufriedenstellende soziale Beziehungen zu gestalten.
Deutschlandweit haben kommunale und soziale Einrichtungen auf die hohen Zahlen vereinsamter Menschen reagiert. So gibt es für junge und ältere Menschen zahlreiche Internetangebote oder Telefonhotlines wie die „Jugendnotmail“ und das „Silbernetz“ in Berlin, „Telefonieren gegen die Einsamkeit“ der Malteser in Deutschland oder die "Telefonseelsorge".
Um aus der Einsamkeit wieder herauszukommen, können auch Sport, Entspannungsverfahren wie autogenes Training, ein neues Hobby, eine Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Initiative sowie der Austausch mit anderen Betroffenen helfen, raten Experten und Expertinnen. Die Aktivierung alter Kontakte könne ebenso hilfreich sein.
Aber auch Familienangehörige und Freunde können die Betroffenen unterstützen. So rät die deutsche Depressionshilfe, auf Menschen, die sich länger nicht gemeldet haben, ohne Scheu zugehen und Vorschläge für Unternehmungen zu machen.

Bundesregierung mit Strategie gegen Einsamkeit

Ein Kompetenznetz gegen Einsamkeit, ein „Einsamkeitsbarometer“ und Aktionstage sowie barrierefreie Angebote: Die Bundesregierung will mit ihrer Ende 2023 beschlossenen „Strategie gegen Einsamkeit“ der Vereinsamung entgegenwirken. Sie setzt dabei vor allem auf die Mithilfe von Freiwilligen und Vereinen.
Ende Mai 2024 stellte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) das Einsamkeitsbarometer vor. Aus dieser umfassenden Analyse geht unter anderem hervor, dass ältere und jüngere Menschen am häufigsten betroffen sind - sowie beispielsweise Menschen, die intensive Pflege-Arbeit leisten.

Weitere Ergebnisse der Analyse

  • Frauen sind häufiger betroffen als Männer
  • Erwerbslose Menschen fühlen sich häufiger einsam
  • Kein großer Unterschied in der Einsamkeitsbelastung bei Menschen in der Stadt und auf dem Land
  • Einsame Menschen haben weniger Vertrauen in politische Institutionen  

Die Daten liefern auf Grundlage des Sozioökonomischen Panels Erkenntnisse für fast 30 Jahre (1992 bis 2021). Erstmals liegt damit nach Angaben des Familienministeriums eine Langzeitanalyse zu Menschen vor, die in Deutschland von Einsamkeit betroffen sind.
„Mit dem Einsamkeitsbarometer haben wir nun die nötigen Daten, um noch gezielter handeln zu können“, erklärte Paus. Vom 17. bis zum 23. Juni 2024 soll es nun eine Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ geben, um zusätzlich auf das Thema aufmerksam zu machen. 
Aber: „Eine Bundesregierung kann keine Einsamkeit abschaffen“, betont Familienministerin Lisa Paus. Es sei aber wichtig, das Thema aus der Tabuzone zu holen. Das Vorhaben sei begrüßenswert, sagt die Psychologin Susanne Bücker - doch das Problem könne nicht nur politisch gelöst werden.

jad / abu /jk
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