Einsamkeit
Die Einsamkeit in Deutschland hat zugenommen und auch Menschen mit vielen sozialen Kontakten können sich einsam fühlen © picture alliance / dpa / Matthias Balk
Strategien gegen ein quälendes Gefühl
Jede vierte Person in Deutschland fühlt sich sehr einsam. An dem Gefühl leiden sowohl ältere Menschen als auch insbesondere seit der Corona-Pandemie verstärkt junge Erwachsene. Was hilft gegen die Vereinsamung?
Die Zahl der Menschen, die von Einsamkeit betroffen sind, hat zugenommen. Einen deutlichen Anstieg haben Forscher dabei über die Jahre der Corona-Pandemie verzeichnet, insbesondere junge Menschen sind seitdem häufiger von Einsamkeit betroffen.
Einsamkeit kann viele Gründe habe. Die gute Nachricht: Oft kann einsamen Menschen geholfen werden.
Inhalt
Wer ist von Einsamkeit betroffen?
Vereinsamung ist schon lange kein Randphänomen mehr. Im Gegenteil: Jung und Alt, alle Geschlechter und alle gesellschaftlichen Gruppen sind betroffen. In verschiedenen Studien wurde Einsamkeit untersucht, sie kommen zu leicht unterschiedlichen Zahlen, zeichnen aber ein ähnliches Bild.
Laut dem Deutschland-Barometer Depression 2023 fühlen sich 25 Prozent der Bundesbürger sehr einsam – unabhängig von der Zahl der Sozialkontakte. Bei Menschen mit einer Depression ist die Zahl mehr als doppelt so hoch. 53 Prozent von ihnen geben an, ein Gefühl großer Einsamkeit zu haben.
Interessant an der Studie: Unter den Älteren (60 bis 69 Jahre) gibt es zwar mehr Menschen, die angeben, wenige Sozialkontakte zu haben, dennoch fühlen sie sich seltener sehr einsam als Jüngere (18-59 Jahre). 21 Prozent der über 60-Jährigen fühlen sich sehr einsam, bei den Menschen unter 60 Jahren sind es 26 Prozent.
Die Bertelsmann-Stiftung hat im Dezember 2024 eine Untersuchung veröffentlicht, nach der 51 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 35 Jahren sich zumindest moderat einsam fühlen, zwölf Prozent fühlen sich sogar stark einsam. Bei den älteren Erwachsenen (36 bis 69 Jahre) liegt der Anteil der Menschen, die sich stark einsam fühlen, ebenfalls bei 12 Prozent. Mit insgesamt 37 Prozent leiden allerdings weniger Menschen dieser Altersgruppe an Einsamkeit.
Mehr Einsamkeit während der Pandemie
Die Auswertung zeigt laut Bertelsmann-Stiftung, dass der seit der Covid-19-Pandemie bestehende Trend hoher Einsamkeit junger Menschen in Deutschland anhält und zudem auch in der gesamten EU Bestand hat. Nach einer im Juni 2024 veröffentlichten Umfrage der Bertelsmann Stiftung sind junge Frauen zudem häufiger von Einsamkeit betroffen als junge Männer. Am stärksten seien 19- bis 22-jährige von Einsamkeit betroffen, hieß es.
Ein wichtiger Faktor für diese negative Entwicklung scheint die Corona-Pandemie gewesen zu sein. Hinweise darauf liefert eine Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) vom Mai 2024. Demnach ist die Zahl der sich einsam fühlenden Menschen mit Beginn der Coronapandemie sprunghaft angestiegen. Die Zahl der jungen Menschen, die sich einsam fühlen, hat sich über den Zeitraum zeitweise fast verdreifacht und ist dauerhaft erhöht geblieben.
Neben Alter und Geschlecht können Charaktereigenschaften und weitere demografische Merkmale das Risiko für Einsamkeit erhöhen, sagt die Psychologie-Professorin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum. Menschen, die introvertiert oder emotional instabil sind, seien häufiger von Einsamkeit betroffen. Auch Menschen mit Migrationshintergrund, Arbeitslose oder Menschen mit geringem Einkommen seien tendenziell stärker betroffen.
Ob man in der Stadt oder auf dem Land lebt, beeinflusst das Risiko für Einsamkeit hingegen nicht. Das geht aus dem Einsamkeitsbarometer hervor, das die Bundesregierung im Mai 2024 vorgestellt hat.
Wie entsteht Einsamkeit?
Fast alle Befragten (94 Prozent) glauben laut Deutschland-Barometer, dass Einsamkeit Depressionen auslöst. So einfach ist es aber nicht. Vielmehr sei Einsamkeit eher ein Symptom von Depression und weniger deren Ursache, sagt Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die die repräsentative Umfrage für das Deutschland-Barometer Depression durchgeführt hat. Depressive Menschen ziehen sich dann häufig von ihren sozialen Kontakten zurück – und damit beginnt eine Negativspirale.
Diese Negativspirale kann aber auch ohne Depression in Gang kommen, erklärt die Psychologin Luhmann. Wer sich einsam fühle, versuche häufig erst mal, wieder Kontakte zu knüpfen. Wenn das aber nicht gelinge, dann führe das oft zu Gefühlen der Bedrohung. Betroffene Menschen interpretierten dann die Interaktionen mit anderen Menschen eher negativ, sie befürchteten, dass andere ihnen nichts Gutes wollen und mieden soziale Interaktion zunehmend. „Und das kann natürlich dazu führen, dass wir so richtig reingeraten in diese Einsamkeitsschleife“, sagt Luhmann.
Lebensumbrüche, Todesfälle, Trennungen
Begünstigt wird Vereinsamung von „Einsamkeitsrisiken“, so die Psychologin Susanne Bücker. Aus der Forschung sind einige Lebensumstände bekannt, die zu Vereinsamung führen können.
Das können Umbrüche, Todesfälle und Trennungen, aber auch ein Umzug in eine neue Stadt oder die Geburt des ersten Kindes sein. Die eigene Rolle in den sozialen Gefügen ändere sich dadurch, betont Bücker. Auch Ausgrenzungserfahrungen durch Diskriminierung oder Mobbing könnten Auslöser für Einsamkeitsgefühle sein.
Was ist der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?
Aber was ist mit Menschen, die gern allein sind? Diese Menschen gibt es - doch sie haben kein Einsamkeitsgefühl. Die Wahrnehmung über den Mangel an sozialen Kontakten sei sehr „subjektiv“, sagt die Psychologin Susanne Bücker.
Allein zu sein bedeute nicht, einsam zu sein. Es gebe sehr viele Menschen, die das Alleinsein genössen. Im Gegenzug könne man sich aber auch sehr einsam fühlen, obwohl man eine Paarbeziehung und Freunde habe, erklärt Bücker.
Auch Georg Juckel, Ärztlicher Direktor des LWL-Universitätsklinikums der Ruhr-Universität, weist darauf hin, dass der Grad an Einsamkeit variiert: „Es kommt auf die Qualität an, inwiefern der Einzelne sich einsam und in dem Sinne auch ganz allein und verloren fühlt.“
Einsamkeit begünstigt körperliche Erkrankungen
Ein ernstes Problem der Vereinsamung ist, dass sie sich nicht nur negativ auf die Psyche auswirkt, sondern auch Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck begünstigt, so Juckel: „Es gibt Studien, die sagen, Einsamkeit ist so schlimm wie 20 Zigaretten am Tag zu rauchen.“
So haben laut dem Mediziner Menschen mit einer starken Einsamkeit eine niedrigere Lebenserwartung. Eine aktuelle Studie im Fachmagazin BMC Medicine bestätigt dies. Die Forschenden kamen zu dem Ergebnis, dass Vereinsamung und fehlende Besuche von Freunden oder Verwandten mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden sind.
Was tun gegen Einsamkeit?
Ein Hindernis bei der Bekämpfung von Einsamkeit: Es sei noch immer „ein sehr stigmatisiertes und auch tabuisiertes Thema“, sagt die Psychologin Susanne Bücker. Studien zeigten, dass es Menschen schwerfalle, über Einsamkeitsgefühle zu sprechen.
Dabei sei Einsamkeit erst einmal nichts Schlimmes und ein ganz normales Gefühl. Jeder Mensch erfahre diese negativen Emotionen irgendwann in seinem Leben. Das bedeute aber nicht automatisch, „dass man für immer einsam bleiben wird“, so Bücker. Das sieht auch die Psychologin Luhmann so. Es sei wichtig, die Negativspirale zu kennen, die zu Einsamkeit führe, und dann könne man „irgendwo in diesem Kreis ansetzen“, um die Situation zu verbessern.
Gegen Einsamkeit könnten beispielsweise der Ausbau von Schulsozialarbeit und Familienzentren helfen, sagt Bücker. So wisse man aus der Einsamkeitsforschung, dass Menschen, die sich schon früh einsam fühlen, ein erhöhtes Risiko haben, eine "chronische Einsamkeitsbiografie“ zu entwickeln. Auch die Unterstützung von Alleinerziehenden könne präventiv helfen. Oft falle es dieser Gruppe schwerer als anderen, zufriedenstellende soziale Beziehungen zu gestalten.
Deutschlandweit haben kommunale und soziale Einrichtungen auf die hohen Zahlen vereinsamter Menschen reagiert. So gibt es für junge und ältere Menschen zahlreiche Internetangebote oder Telefonhotlines wie die „Jugendnotmail“ und das „Silbernetz“ in Berlin, „Telefonieren gegen die Einsamkeit“ der Malteser in Deutschland oder die "Telefonseelsorge".
Um aus der Einsamkeit wieder herauszukommen, können auch Sport, Entspannungsverfahren wie autogenes Training, ein neues Hobby, eine Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Initiative sowie der Austausch mit anderen Betroffenen helfen, raten Experten und Expertinnen. Die Aktivierung alter Kontakte könne ebenso hilfreich sein.
Aber auch Familienangehörige und Freunde können die Betroffenen unterstützen. So rät die deutsche Depressionshilfe, auf Menschen, die sich länger nicht gemeldet haben, ohne Scheu zugehen und Vorschläge für Unternehmungen zu machen.
Bundesregierung mit Strategie gegen Einsamkeit
Ein Kompetenznetz gegen Einsamkeit, ein „Einsamkeitsbarometer“ und Aktionstage sowie barrierefreie Angebote: Die Bundesregierung will mit ihrer Ende 2023 beschlossenen „Strategie gegen Einsamkeit“ der Vereinsamung entgegenwirken. Sie setzt dabei vor allem auf die Mithilfe von Freiwilligen und Vereinen.
Aber: „Eine Bundesregierung kann keine Einsamkeit abschaffen“, betont Familienministerin Lisa Paus. Es sei aber wichtig, das Thema aus der Tabuzone zu holen. Das Vorhaben sei begrüßenswert, sagt die Psychologin Susanne Bücker - doch das Problem könne nicht alleine durch Politik gelöst werden.
jad, abu, jk, pto