Einsamkeit und Freiheit
Die Debatte um die amerikanische Sekte Scientology und ihr prominentestes Mitglied, Tom Cruise, ist wieder ruhiger geworden. Ehe sie vor Erscheinen des Films "Valkyrie" im Oktober dieses Jahres wieder aufflammt, ist noch Zeit, sich etwas zu besinnen. Jenseits der Frage, wie Cruise den Grafen Stauffenberg verkörpern wird, bleibt die andere Frage spannend, wer der Graf selbst gewesen ist. Gehört er zu einem besonderen Typus des Widerstandshelden, dem des preußischen Militäradels?
Wir sind vielleicht immer noch gewohnt, den Widerstand gegen Hitler in größere gesellschaftliche Gruppen einzuteilen. Da war der Widerstand der Offiziere, da war der zivile Widerstand des Kreisauer Kreises, nicht zu vergessen der kommunistische Widerstand. Da war der studentische Widerstand der Geschwister Scholl und ihrer Freunde in München, um nur die uns vertrautesten Gruppen aufzuzählen. Wenn man an München denkt, darf natürlich Georg Elser nicht fehlen.
Als jüngst in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand die von Rolf Hochhuth stammende Anregung diskutiert wurde, Elser ein Denkmal in der Nähe der ehemaligen Reichskanzlei zu setzen, ging mir wieder Enzensbergers vor kurzem erschienene Lebensbeschreibung Kurt von Hammersteins durch den Kopf. Beide waren große Einzelgänger oder, um Enzensbergers treffende Bezeichnung zu gebrauchen: Leute mit Eigensinn - Hammerstein als preußischer General, der andere als schwäbischer Schreiner. Aber während der General einem Attentat auf Hitler eher reserviert gegenüberstand, weil er die Entstehung einer neuen Dolchstoßlegende befürchtete, ging der Handwerker Elser entschlossen zu Werke. Und zwar bereits fünf Jahre vor dem berühmter gewordenen Attentat vom 20. Juli, sodass, ich zitiere, "möglicherweise Millionen Juden und Millionen späterer Kriegsopfer die NS-Herrschaft überlebt (hätten)." Mit diesen Worten unterstützte der Berliner Kulturstaatssekretär, André Schmitz, die Initiative Hochhuths während der Diskussion.
Zwar wählte Elser kommunistisch, sodass man versucht wäre, ihn dieser Gruppe zuzuordnen, er folgte aber, so Schmitz weiter, nicht der Parteilinie. Ein Christ war er auch, allerdings ohne großen Bezug zur Amtskirche. Da er sich offensichtlich niemandem außer sich selbst zugehörig fühlte, wurde er erst spät, eigentlich so richtig erst jetzt als Widerständler anerkannt.
Wie gut, dass wir inzwischen von der Orientierung an den kompakten Größen eher abgekommen sind und uns mehr für den Widerstand Einzelner interessieren. Auf diese Weise wird die gesellschaftliche Gruppe klein, das Individuum dagegen, das den Widerstand ausübte, entsprechend groß. Elsers Tat, so lang geringgeschätzt, ragt nun fast wie ein Monolith aus den verschiedenen Widerstandsformen heraus, bedenkt man nur, wie ausdauernd er tätig sein musste, ehe er die von ihm gelegte Sprengladung am Ende zünden konnte. Schon dafür gebührte ihm ein eigenes Denkmal.
Aber wird dadurch nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und der Einfluss, zum Beispiel der der Kommunisten, unterschätzt? Kehrt man zu Hammerstein zurück und denkt an seine Töchter, von denen zwei, anders als Elser, der Linie der Partei gefolgt sind, zumindest eine Zeit lang, kommt man ins Grübeln. Es sei denn, man betrachtete ihre Abkehr von dem Vater als eine frühe feministische Versuchung, die in der Zuflucht zu einem – politischen – Übervater endete.
Ehe es zu spekulativ wird, sollte man vielleicht beide Figurationen des Widerstands nebeneinander bestehen lassen: die des einzelnen und die der größeren Gesamtheit. Graf Stauffenbergs Attentat würde folglich zugleich als Großtat eines Individuums gelten, wie auch seinem politischen Milieu zugeordnet werden können. Kein Zweifel, dass er die Tat als Offizier beging. Es ist jedoch bekannt, dass er zum Schluss allein, auch alleingelassen, handelte. Vollkommen frei und ganz in Würde.
Heute, da wir auf ein Ereignis warten, das uns diese historische Situation im Hollywoodfilm vor Augen führt, sollten wir diese Konfiguration im Blick behalten. Selbst ein Kurt von Hammerstein, der sich als General gegen ein Attentat aussprach und auf den insofern nicht der Glanz eines preußischen Widerstandskämpfers fällt, müsste gewürdigt werden, auch wenn er unspektakulär seine Fäden gezogen hat. Wir würden dann auch jenen Normalbürgern mehr Beachtung schenken, die dem NS-Regime ganz im Stillen zuwiderhandelten, indem sie etwa politisch Verfolgte auf eigene Gefahr versteckten. Auch das ganz individuell. Je mehr wir uns mit diesen Widerstandsformen auseinandersetzen, desto eher wird es uns möglich sein, im Notfall ähnlich zu handeln.
Erik von Grawert-May, 1944 in Lauban/Niederschlesien geboren, studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Paris, Tübingen und Berlin. Er habilitierte sich über den Barockbegriff "Theatrum Belli", ist seit 1994 Professor für Unternehmensethik und -kultur an der Fachhochschule Lausitz und leitet seit 1999 das "Hanns von Polenz Institut für regionalgeschichtliche Studien, Senftenberg".
Als jüngst in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand die von Rolf Hochhuth stammende Anregung diskutiert wurde, Elser ein Denkmal in der Nähe der ehemaligen Reichskanzlei zu setzen, ging mir wieder Enzensbergers vor kurzem erschienene Lebensbeschreibung Kurt von Hammersteins durch den Kopf. Beide waren große Einzelgänger oder, um Enzensbergers treffende Bezeichnung zu gebrauchen: Leute mit Eigensinn - Hammerstein als preußischer General, der andere als schwäbischer Schreiner. Aber während der General einem Attentat auf Hitler eher reserviert gegenüberstand, weil er die Entstehung einer neuen Dolchstoßlegende befürchtete, ging der Handwerker Elser entschlossen zu Werke. Und zwar bereits fünf Jahre vor dem berühmter gewordenen Attentat vom 20. Juli, sodass, ich zitiere, "möglicherweise Millionen Juden und Millionen späterer Kriegsopfer die NS-Herrschaft überlebt (hätten)." Mit diesen Worten unterstützte der Berliner Kulturstaatssekretär, André Schmitz, die Initiative Hochhuths während der Diskussion.
Zwar wählte Elser kommunistisch, sodass man versucht wäre, ihn dieser Gruppe zuzuordnen, er folgte aber, so Schmitz weiter, nicht der Parteilinie. Ein Christ war er auch, allerdings ohne großen Bezug zur Amtskirche. Da er sich offensichtlich niemandem außer sich selbst zugehörig fühlte, wurde er erst spät, eigentlich so richtig erst jetzt als Widerständler anerkannt.
Wie gut, dass wir inzwischen von der Orientierung an den kompakten Größen eher abgekommen sind und uns mehr für den Widerstand Einzelner interessieren. Auf diese Weise wird die gesellschaftliche Gruppe klein, das Individuum dagegen, das den Widerstand ausübte, entsprechend groß. Elsers Tat, so lang geringgeschätzt, ragt nun fast wie ein Monolith aus den verschiedenen Widerstandsformen heraus, bedenkt man nur, wie ausdauernd er tätig sein musste, ehe er die von ihm gelegte Sprengladung am Ende zünden konnte. Schon dafür gebührte ihm ein eigenes Denkmal.
Aber wird dadurch nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und der Einfluss, zum Beispiel der der Kommunisten, unterschätzt? Kehrt man zu Hammerstein zurück und denkt an seine Töchter, von denen zwei, anders als Elser, der Linie der Partei gefolgt sind, zumindest eine Zeit lang, kommt man ins Grübeln. Es sei denn, man betrachtete ihre Abkehr von dem Vater als eine frühe feministische Versuchung, die in der Zuflucht zu einem – politischen – Übervater endete.
Ehe es zu spekulativ wird, sollte man vielleicht beide Figurationen des Widerstands nebeneinander bestehen lassen: die des einzelnen und die der größeren Gesamtheit. Graf Stauffenbergs Attentat würde folglich zugleich als Großtat eines Individuums gelten, wie auch seinem politischen Milieu zugeordnet werden können. Kein Zweifel, dass er die Tat als Offizier beging. Es ist jedoch bekannt, dass er zum Schluss allein, auch alleingelassen, handelte. Vollkommen frei und ganz in Würde.
Heute, da wir auf ein Ereignis warten, das uns diese historische Situation im Hollywoodfilm vor Augen führt, sollten wir diese Konfiguration im Blick behalten. Selbst ein Kurt von Hammerstein, der sich als General gegen ein Attentat aussprach und auf den insofern nicht der Glanz eines preußischen Widerstandskämpfers fällt, müsste gewürdigt werden, auch wenn er unspektakulär seine Fäden gezogen hat. Wir würden dann auch jenen Normalbürgern mehr Beachtung schenken, die dem NS-Regime ganz im Stillen zuwiderhandelten, indem sie etwa politisch Verfolgte auf eigene Gefahr versteckten. Auch das ganz individuell. Je mehr wir uns mit diesen Widerstandsformen auseinandersetzen, desto eher wird es uns möglich sein, im Notfall ähnlich zu handeln.
Erik von Grawert-May, 1944 in Lauban/Niederschlesien geboren, studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Paris, Tübingen und Berlin. Er habilitierte sich über den Barockbegriff "Theatrum Belli", ist seit 1994 Professor für Unternehmensethik und -kultur an der Fachhochschule Lausitz und leitet seit 1999 das "Hanns von Polenz Institut für regionalgeschichtliche Studien, Senftenberg".