Einsiedler in Brandenburg

Als Eremit im Garten der Mystik

Von Vanja Budde |
Einsam, aber offen für Begegnungen: Etwa 80 Männer und Frauen in Deutschland führen heute noch ein Eremitendasein nach alter christlicher Tradition. Einer von ihnen ist Pater Jürgen Knobel, der einzige katholische Eremit in Brandenburg.
Als Jürgen Knobel im Sommer 2014 ins beschauliche Örtchen Lindow zieht, hat er den Rasen um seine Klause am Hang zwischen Gudelacksee und Wutzsee neu eingesät. Nach viereinhalb Jahren wächst das Grün üppig. An diesem sonnigen Vormittag fegt Pater Knobel auf dem großen, parkähnlichen Grundstück bergeweise trockenes Herbstlaub zusammen.
In Lindow in der Prignitz, 60 Kilometer nördlich von Berlin, stand vom 13. bis zum 16. Jahrhundert ein Zisterzienserkloster. Als Einsiedler knüpft der ehemalige katholische Pfarrer Jürgen Knobel an diesem ebenso historischen wie idyllischen Ort an eine uralte Tradition an: Das Eremitendasein war die Urform des Mönchtums.
Gastfreundlich setzt Knobel in der Küche einen grünen Tee auf. Auf dem Tisch liegt ein dicker Foliant über Heilige. Über der Spüle hängt das Foto eines Eremiten-Kollegen in den Tessiner Bergen mit langem weißem Bart. Knobel, 56 Jahre alt, ist glatt rasiert und Brillenträger. Er hat eine weiße Kappe auf dem Kopf, trägt eine weite weiße Baumwollhose und eine graue Fleece-Jacke. Seine Klause hat er im Anbau der 1931 erbauten Kirche St. Joseph eingerichtet. Jahrelang gab es hier kein kirchliches Leben mehr. Nun hält Pater Knobel sonntags wieder den Gottesdienst: Der Priester-Eremit ist auch Seelsorger.

Sehnsucht nach Einsamkeit

Er trägt den Tee hinaus in den Garten, dem Gast überlässt er den Stuhl in der Sonne. Er war etwa zwölf Jahre alt, ein stilles, nachdenkliches Kind, als er zum ersten Mal die Sehnsucht nach Rückzug spürte, erzählt Jürgen Knobel. In seiner Heimat in Meersburg am Bodensee stieß er damals an einem Sommerabend auf eine Höhle im Hang einer Waldlichtung.
Jürgen Knobel: "So einen kurzen Moment stieg in mir der Gedanke auf: ‚Wenn du hier bleiben würdest, in dieser Höhle, ich sah das schon so wie Robinson Crusoe, die Filme, die man damals kannte, dann wirst du alles finden‘."
Knobel studiert Kunst, arbeitet als Maler und Restaurateur. Im Alter von 30 Jahren wendet er sich wieder der katholischen Kirche zu, die schon seine Kindheit stark geprägt hat. Knobel lässt Familie, Freunde und Frauen hinter sich und studiert Theologie an der Hochschule des österreichischen Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz. Mit 40 Jahren wird er in Berlin zum Priester geweiht. Zwölf Jahre später zieht es ihn in die Wüste: Denn das ist die Bedeutung des griechischen Wortes "Eremo".
Knobel: "Ich glaube an eine Bestimmung und dass der Weg zu Gott über viele Wege geht und der Weg durch die Einsamkeit, durch die Stille, den Rückzug ein Geschenk ist, das der Mensch schon, möchte ich fast sagen, in die Wiege gelegt bekommt."

Gäste suchen geistliche Begleitung

Einsamkeit und Stille sind hier in Lindow aber relativ: Gleich neben Kirche und Klause steht eine große Kita, bei dem schönen Wetter heute toben die Kinder kreischend mit Bobbycars herum. Stört es ihn? Freut er sich dran? Er nimmt das alles als Übung, meint Eremit Knobel und lächelt fein.
Knobel: "Das Ziel ist es, einfach nur stehenzulassen, alles so zu lassen, wie es ist, und als das, was es ist, wahrzunehmen, es nicht zu beurteilen, nicht zu kritisieren, nicht zu loben. Ein inneres waches gespanntes Verharren in sich selber, das sich aber nicht mehr von äußeren Dingen irritieren, beeinflussen oder steuern lässt. Darum geht es eigentlich. Und darum geht es im Letzten: um die Freiheit."
Der Weg zu diesem Ziel ist ein innerer. Knobel beginnt den Tag mit Meditation und Gebet, betreibt Studien, betet wieder. Nachmittags werkelt er im Garten, lauscht dem Tropfen des Wasserhahns in die Gießkanne, während über Lindows Seen die Kraniche ziehen. Doch die Welt brandet heran an seine Klause: Zwar hat er kein Fernsehen, hört keine Nachrichten, surft nur mäßig im Internet. Doch die Menschen kommen und suchen geistliche Begleitung, wollen Antworten. Knobel gibt Kurse und leitet Exegesen.
Knobel: "Auch die Einzelgäste, die hier mal kommen und mal mitleben ein paar Tage, bringen die Welt mit, und wir schauen sie an. Und die Dinge, die belastend sind, die auch von einem Großteil der Gesellschaft als belastend empfunden werden, das kommt hier an."

Stiller Dienst im Rücken der Welt

Aber der Kontakt zur Außenwelt, die Seelsorge, habe schon immer zum Eremitentum gehört, erzählt Knobel. Der Rückzug war noch nie ein absoluter.
Knobel: "Das ist im Grunde genommen der stille Dienst, der verborgene Dienst des Eremiten: Dass der mit seiner Klarheit, die er durch Meditation erreicht, zu einer schärferen Durchdringung der Dinge kommt und dann einzeln auch sehr effektiv Menschen helfen kann."
Trump-Getwitter, Selfie-Wahn, Konsum- und Leistungsdruck: Immer mehr Menschen leiden unter einem Schwund des geistlichen Lebens, der Spiritualität, sind auf Sinn-Suche, hat Knobel festgestellt. Ihnen rät er, im "Garten der Mystik", den er angelegt hat, zu meditieren: Fußball- und faustgroße Steine hat er aufeinander getürmt, nicht fest gefügt, aber in ein harmonisches Gleichgewicht gebracht.

Spirituelles Wachstum

Knobel: "Das Entscheidende ist das innere Leben, ist das geistige Leben, ist das innere spirituelle Wachstum. Das heißt die Verwandlung des Menschen auf den erlösten Menschen hin, der frei ist von Angst, der in einer wirklich großen inneren Freiheit in der Kenntnis seiner Würde lebt, vor dem Hintergrund des großen Geheimnisses, von dem wir sagen, dass es Liebe ist, uns angenommen hat. Und das ist ein Weg des Ganzwerdens des Menschen"
Ihn selbst haben die Jahre als Eremit näher zu Gott gebracht, sagt Knobel. Die Welt fehle ihm nicht.
Knobel: "Es geht darum, immer klarer und immer leichter zu werden auf das göttliche Geheimnis hin, das natürlich den Eremit oder die Eremitin gerufen oder angesprochen hat und ihn in eine Zweisamkeit, in ein Beziehungsleben, und zwar ein immer tieferes Leben in der Beziehung mit dem göttlichen Geheimnis führen möchte."
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