Einstein on the Beach
Oper von Robert Wilson und Philip Glass
Inszenierung am Opernhaus Dortmund
Assoziatives Bildtheater
"Einstein on the Beach" – das bahnbrechende Stück von Robert Wilson und Philipp Glass hat Kay Voges jetzt in Dortmund inszeniert. Mit Hilfe von sieben Licht- und Videokünstlern schafft er eindrucksvolle Bildwelten und zeigt zugleich den subversiven Humor dieses Werkes.
Einstein on the Beach – und zum ersten Mal sind seine geistigen Väter nicht in Sichtweite. Schauspieldirektor Kay Voges und sein Team und der Dirigent Florian Helgath haben im Theater Dortmund die erste Produktion des bahnbrechenden Werks realisiert, bei der weder der Komponist Philipp Glass noch der szenische Erfinder Robert Wilson ihre Hände (oder ihre beaufsichtigenden Blicke) im Spiel hatten.
Ein ultimativer Test auf die Repertoire- und Stadttheater-Tauglichkeit des Stücks, das bisher vor allem in Festivalproduktionen und auf anschließenden Tourneen zu sehen war, gleich mehrmals in einer Neuauflage der Uraufführung von 1976.
In Dortmund ist das Experiment geglückt. Dafür spricht nicht nur die musikalische und szenische Qualität der Aufführung, sondern auch die begeisterte Resonanz bei einem ganz normalen Premierenpublikum.
"Einstein on the Beach" kann ein normales Theater spielen, allerdings muss man dazu einen außergewöhnlichen Einsatz von Licht und Videotechnik ermöglichen und wohl auch musikalische Spezialisten zur Verstärkung holen.
In Dortmund war das vor allem das Ensemble ChorWerk Ruhr – ein Chor von jungen Profisängerinnen und -sängern, die sich in den letzten Jahren auch durch ihre Produktionen für die Ruhrtriennale an die internationale Spitze gesungen haben, phänomenal sicher in Intonation und Rhythmus und dabei spielfreudig bis zur Waghalsigkeit.
Der Gründer und Leiter Florian Helgath hatte in Dortmund zugleich die musikalische Gesamtleitung und dirigierte auch das kleine Ensemble aus Bläsern und Keyboardspielern, auf das Philipp Glass sein monumentales Werk aufgebaut hat. Zwei Schauspielerinnen und ein Schauspieler, zwei Sängerinnen und ein Sänger aus dem Dortmunder Haus machten ihre Sache in diesem spartenübergreifenden Ensemble ebenfalls ausgezeichnet.
Assoziatives Bildtheater
Regisseur Kay Voges hat lange Erfahrung am Schnittpunkt von Theater, Film und Videokunst. Seit Jahren arbeitet er mit seinem Dortmunder Ensemble immer wieder in diese Richtung. Eine dieser Produktionen, die "Borderline Prozession", ist gerade in der aktuellen Auswahl des Berliner Theatertreffens vertreten.
Philipp Glass und Robert Wilson haben ein großes, assoziatives Bildertheater entworfen, ein handlungsloses Stück ohne identifizierbare Rollen, der einzige konkrete Bezug zum Hobbygeiger Einstein ist ein Solopart für Violine, der in Dortmund von Önder Baloglu in realistischer Einstein-Maske gespielt wird.
Der gesungene Text besteht aus Zahlwörtern und den Silben der italienischen Notennamen, die Schauspieler haben einige fragmentarische und durchaus kryptische Sätze. Das Prinzip des Werks ist ein dichtes Gewebe aus Wiederholungen und Variationen, in denen sich Bewegung, Text und Musik verschränken.
So wie Einstein die Grundlagen der Physik verändert hat, wollten Philipp Glass und Robert Wilson 1976 mit diesem performativen, quasi abstrakten Theater die Bühne revolutionieren.
Kay Voges, die Ausstatterinnen Pia Maria Mackert (Bühne) und Mona Ulrich (Kostüme) und ein Team von sieben Licht- und Videokünstlern, die aus dem halb hoch gefahrenen Orchestergraben ihre Computer steuern, schaffen eindrucksvolle Bildwelten, die sich im Rhythmus und in der Stimmung der visuellen Veränderungen ganz eng an die Musik anlehnen.
Voges geht dabei durchaus ökonomisch zu Werke, beginnt mit dem fast leeren Bühnenraum und schwarz-weißen Kostümen und steigert den Abend allmählich in einen Rausch von Farben und Dynamik. Die überwiegend abstrakten Videobilder eröffnen kosmische Räume, lassen die farbigen Pixel explodieren, bringen unendliche Strudel zum Kreisen oder zerhacken den Raum in geometrische Muster.
Theaterspaß mit tieferer Bedeutung
Was den Dortmunder "Einstein" besonders auszeichnet, ist die Entdeckung eines subversiven Humors in diesem Werk. Hier erstarrt niemand in Ehrfurcht vor einem historischen Theaterereignis, hier wird die Übertitelungsanlage benutzt für ironisch doppelbödige Kommentare. Und die Reise, die am Ende im "Raumschiff" (so der Titel des vierten Teils) unternommen wird, führt bei Voges nicht in den Raum, sondern in die Zeit, und zwar rückwärts.
Je mehr man von Einsteins Theorie versteht, umso besser könnte man vielleicht erklären, wie das zusammenhängen könnte. Aber was der theatralische Nutzen ist, das sieht in Dortmund jeder: Eine Horde von zauseligen Höhlenmenschen spielt diese Szene mitten unter den Zuschauern. Theaterspaß mit tieferer Bedeutung - damit könnte doch ein neues Kapitel eröffnet sein im Bühnenleben von "Einstein on the Beach".